„Ich fange Zeit ein“

Der Name ist Programm: Der Fotograf Zeitfang

Nur wenige wissen, wer hinter dem Künstlernamen ZEITFANG steckt, doch hinter den Kulissen vernetzt der Fotograf die deutschsprachige zeitgenössische Musikszene wie kaum ein anderer. Vor seiner Linse stehen Stars wie die Band Tokio Hotel, die Sängerin Paula Hartmann oder der Komiker Otto Waalkes. Viele seiner Aufnahmen entstehen ganz nebenbei – bei einem gemeinsamen Kaffee oder im Trubel eines Musikfestivals.

Text: Rahel Schneider, Fotos: Zeitfang

„Wenn alles verschwommen ist.“

Rahel Schneider: Erinnerst Du Dich noch an Dein erstes Album?

Zeitfang: Gute Frage! Eines meiner ersten war auf jeden Fall das „Teenage Dream“-Album von Katy Perry. 

Oh, ich hatte eine BRAVO-Hits-CD, da war auch „Teenage Dream“ drauf! Das Lied habe ich damals vor lauter Begeisterung auswendig gelernt.

Tolles Album. Die CD hat sich mir so krass eingeprägt, sie hat nach Zuckerwatte gerochen. Wahrscheinlich hat man sie eingesprüht, den Geruch habe ich direkt wieder in der Nase.

Musik und Fotografie scheinen für Dich Hand in Hand zu gehen …

Ich liebe es, Konzerte zu besuchen. Mit meiner Arbeit will ich das Festivalleben spürbar machen, dieses Gefühl, wenn alles ein bisschen verschwommen ist, man komplett aus der Welt fällt, für ein Wochenende runterkommt – oder eben auch nicht. Fotografie hat für mich einen ganz besonderen Charakter. Du hast die Möglichkeit, Geschichten und Erlebnisse für immer zu konservieren. Ich habe von Anfang an sehr viel Fokus darauf gelegt, dass ich echte Momente einfange, die mir niemand mehr nehmen kann.

„Auf einmal war ich drin.“

Du bist für die Authentizität Deiner Bilder bekannt. Wie machst Du das?

Ich begegne Menschen genau so, wie ich bin. Dadurch kann ich schnell einen guten Draht zu den Artists aufbauen. Zu einigen habe ich eine besondere Vertrauensbasis, weil ich sie von Anfang an begleitet habe. Ich hatte schon immer ein gutes Gespür dafür, wer Potenzial hat. Die Musikerin Nina Chuba habe ich kennengelernt, bevor sie begann, auf Deutsch zu singen. Auch mit Sänger Berq hatte ich früh Kontakt – noch bevor er bekannt wurde. Diese persönliche Ebene sieht man in meinen Fotos. 

Wie sieht ein perfekter Shootingtag aus?

Wir gehen gemeinsam Kaffee trinken, essen etwas und schießen nebenbei ein paar Fotos. Ich hab noch nie in einem Studio fotografiert; ich bin kein High-End-Fashion-Fotograf. Fun Fact: Vor ein paar Tagen habe ich den bekannten Modefotografen Kristian Schuller hier ums Eck gesehen, der ist da einfach vorbeigelaufen. Fand ich irgendwie witzig (lacht). Aber ja, so jemand bin ich einfach nicht. Das wiederum ist mein Alleinstellungsmerkmal. Es gibt garantiert Leute, die viel besser fotografieren können als ich, ich hab nicht mal Photoshop oder Lightroom. Für mich ist die soziale Komponente das Wichtigste. Wir kennen das alle: Fotografiert zu werden, ist immer ein bisschen unangenehm und verkrampft. Deswegen finde ich es gut, einen Komfort-Space zu schaffen, bei dem es sich nicht anfühlt, als würde man gerade aktiv arbeiten. 

Warum fotografierst Du nur analog?

Ich habe eine Zeit lang digital fotografiert, merkte aber schnell, dass es mich stresste, unendlich viele Fotos machen zu können. 2017 war ich in New York und hatte nur eine Polaroidkamera dabei. Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, pro Tag nur ein Bild zu schießen. Da überlegt man sich genau: Wann ist der richtige Moment, um die Kamera herauszuholen?

„Analoge Fotos digital schicken lassen, um sie auf Insta zu posten. Hä?“

Im Gegensatz zu Deiner analogen Arbeit steht Deine schon ziemlich intensive Präsenz auf Instagram. Mal ehrlich: Wie oft schaust Du pro Stunde auf Dein Handy?

Ich würde behaupten, ein gesundes Verhältnis zu meinem Smartphone zu haben. Bis vor Kurzem habe ich immer mal wieder bewusste Detox-Phasen eingelegt, in denen ich mein Handy für ein oder zwei Wochen gar nicht benutzt habe. Das ist inzwischen leider nicht mehr möglich, weil mein Handy meine Arbeit ist (lacht). Trotzdem versuche ich, meinen Konsum zu regulieren. Aktuell fühle ich mich ein bisschen „unrund“ – den Begriff habe ich von meinen Wien-Friends gelernt! – deswegen habe ich mein Handy die ganze Zeit im „Nicht stören“-Modus. Dieser Instagram-Teil macht mir auch gar nicht so viel Spaß, weil das alles natürlich eine Inszenierung ist. Was soll das auch: Man macht analoge Fotos, lässt sie sich digital schicken, um sie dann auf Instagram zu posten. Hä? 

Ist in der Szene nicht alles eine riesengroße Inszenierung?

Natürlich gibt es nach außen eine gewisse Abschirmung, die muss es aber auch geben, damit Artists ihre Persönlichkeit bewahren können. In diesem Artist-Sein steckt unglaublich viel Magie. Was passiert backstage? Wie sieht es da aus? Es gibt große Acts mit Security, für die man als Fotograf tausend Wege laufen muss. Im Endeffekt sind das auch alles nur Menschen, die ihre Wäsche waschen, keinen Bock auf Kochen haben und sich Pizza reinziehen. Das wurde für mich alles relativ schnell entzaubert. Ich begegne jedem so, wie ich selbst behandelt werden möchte.

„Unglaublich viel Magie“

Du zeigst die Gesichter anderer, aber Deines bleibt unsichtbar. Warum findet man kein Bild von Dir online?

Ich wollte schon immer meine Kunst für sich sprechen lassen. Ich will mich selber nicht so profilieren und diese Person sein, die sich hinstellt und sagt: „Ja hey, ich bin übrigens Zeitfang, schaut her!“ So bin ich nicht. 

Wie wäre denn ein Mensch, der das genaue Gegenteil von Dir ist?

Oh mein Gott!

Lass Dir Zeit!

(überlegt) Wahrscheinlich sehr introvertiert und zurückgezogen. Ich lebe unfassbar aus meiner sozialen Aktivität heraus. Ich mag es total, mich mit Menschen zu unterhalten, sie kennenzulernen, zu erfahren, wer sie sind. 

Was bedeutet Dir Ruhm?

Die Möglichkeiten und das Leben, was ich mittlerweile habe, bedeuten mir schon viel. Das beruht aber nicht darauf, dass Leute jetzt wissen, wer ich bin. Ich kann noch immer Menschen relativ unvoreingenommen gegenübertreten, die meisten erkennen mich nicht. Ich will auf keinen Fall, dass mich jemand deshalb mag, weil ich jetzt bekannter bin. Das Einzige, was ich mir schon immer vorgenommen habe, ist eine gewisse Reichweite zu erlangen. So kann ich Menschen zeigen, was ich schön finde oder gerne verändern will. Gerade in der aktuellen politischen Situation finde ich es wichtig, seine Stimme zu nutzen.

„Wien hat einen geilen Charakter.“

Schnellfragerunde! Bist Du bereit?

Sorry, ich kann mich nicht kurz fassen!

Dann mittelschnell – Dein liebster Song aktuell?

Ich höre eigentlich gar nicht mehr so viel Musik, weil ich so sehr im Musik-Kosmos bin, dass ich manchmal eine Pause brauche (lacht). Die letzten Tage hatte ich aber eine sehr krasse Phase mit zwei neuen Songs von Majan: „Wenn nichts von nichts kommt“ und „100.000“. Und den Wiener Musiker Ben Clean feiere ich sehr, vor allem seinen Song „Alles was ich will“.

Früh aufstehen oder nachts arbeiten?

Ich hasse es, früh aufzustehen! Ich arbeite aber auch nicht gerne nachts (lacht). Ich probiere schon, mich an gewisse Arbeitszeiten zu halten. Freiberuflich zu arbeiten, ist auch daran geknüpft, immer erreichbar zu sein. Da muss man sehr aufpassen, seine Energien gut einzuteilen. Ich probiere oft, die Sonntage komplett freizumachen, bei Festivals ist das natürlich schwierig. Aber grundsätzlich bin ich ein Nachtmensch und gehe eher spät ins Bett.

Dein Lieblingsort in Berlin?

Aktuell ein koreanisches Restaurant, HODORI in Schöneberg. Sehr geiles Essen.

Dein liebster Ort auf der Welt?

Tatsächlich zu Hause bei meinen Eltern. Wir haben ein ganz besonderes Verhältnis. Und ansonsten schon Wien, und das sag ich nicht, um mich bei Euch einzuschleimen!

Guter Geschmack! Was macht die Stadt für Dich so besonders?

Die Wiener Musikszene ist viel losgelöster und freier als in Berlin. In Deutschland ist vieles sehr verkopft, in Wien kann man sich ausprobieren und die Kunst einfach Kunst sein lassen. Ich mag dieses Laissez-faire, dieses Morbide. Wien hat einen geilen Charakter.

„Zeitfang macht ne Zeitschrift LOL.“

Wie kam die Idee zu Deiner Zeitschrift?

Die Frage nach einem Fotobuch kam immer häufiger, aber ich hatte nie Lust, mich darüber zu profilieren, wie viele Artists ich schon fotografiert habe, also ließ ich die Idee erstmal beiseite. 2023 fragte mich jemand erneut nach einem Buch, und spontan antwortete ich, dass ich keinen Bock darauf habe, aber gerne ein Magazin machen würde – etwas Persönlicheres, etwas, das man in die Hand nehmen kann. Als ich das Projekt ankündigte, meldeten sich viele, die mitarbeiten wollten. Am Ende waren wir neun oder zehn Leute. 

Wow, Du scheinst wirklich gut vernetzt zu sein!

Es fühlt sich manchmal an wie dieses Schneeballprinzip – einmal drin, vernetzt man sich immer weiter. 80 Prozent meiner Arbeitszeit ist das Networking und der soziale Aspekt, 20 Prozent ist das Fotografieren. Ich fühle mich ein bisschen wie diese Boomer-Renes, die einen ständig zu irgendwelchen WhatsApp-Fokus-Gruppen hinzufügen wollen (lacht). Wenn man einmal ein Netz knüpft, wächst es immer weiter. Man darf nicht aufgeben und muss immer einen Knoten hinzuflechten.

Ist das etwas, was Dir schon immer leicht gefallen ist? Einfach zu machen?

Ich musste mir selbst immer treu bleiben – vor allem, weil ich in meiner Jugend viel Mobbing erlebt habe. Ich habe mit 13 Jahren ADHS diagnostiziert bekommen und einige Jahre Medikamente genommen, mich dann aber zum Abi gegen sie entschieden, was vielleicht nicht die beste Entscheidung war (lacht). Ich habe dann nicht so gut abgeschnitten, dafür aber mehr zu mir gefunden. Man steht ja oft vor der Entscheidung: Sich anpassen, um dazuzugehören, oder bei sich bleiben? Ich habe den schmerzhafteren Weg gewählt und weiß heute, wofür es gut war. Das gibt mir die Energie, immer weiterzumachen.

Zusätzlich zu Deinem ADHS bist Du hochsensibel und leidest unter sozialen Ängsten. Wie passt das mit Deinem Berufsleben zusammen?

Das ist die Challenge, der ich mich immer wieder stelle. Von 2022 bis Mitte 2024 war ich stark eingeschränkt, weil ich nicht gut mobil war – vor allem, weil Bahnfahren für mich kaum möglich war. Meine sozialen Ängste beziehen sich weniger auf einzelne Menschen, sondern auf Menschenmengen und das Unkontrollierbare: U-Bahn fahren, Fahrschule, das war schlimm. Was, wenn die Bahn stecken bleibt? Was, wenn ich in den Graben fahre?

Ich brauche Kontrolle, um mich sicher zu fühlen, aber genau das hole ich mir gerade Schritt für Schritt zurück. 

Worauf bist Du stolz?

Ich bin immer bei mir geblieben, habe alles Positive, was passiert ist, angenommen und gelernt, alles Negative hinter mir lassen können.

Danke für das Gespräch!

Jonas aka ZEITFANG wurde in Bremen geboren und wuchs auf dem Land zwischen seiner Geburtsstadt und Hamburg auf. Bevor er die Fotografie zu seinem Hauptberuf machte, studierte er Sonderpädagogik in Oldenburg. Heute lebt er in Berlin und fotografiert hauptsächlich Musikerinnen. Vor rund einem Jahr publizierte er gemeinsam mit musikjournalisitischen Institutionen (DIFFUS, Flutwelle, musicmetoo, BACKSPIN, Mostdope) das Magazin „Zeitschift“, das einen Einblick in seinen Musikkosmos gibt. 

(DP)

Die Fotografinnen des Monats: Gorsad Kyiv

Text: Maja Goertz

Pink

Meerjungfrauen, rauchende Kinder, viel nackte Haut: Die Fotos des vor zwölf Jahren in Kiew gegründeten Fotografinnen-Trios Gorsad Kyiv mit Masha Romaniuk, Ulik Romaniuk und Vitya Vasyliev feiern die Freiheit, das Leben der Jugend und die Revolte. Wir haben Vitya in Wien getroffen, wohin er wegen des Krieges in seinem Heimatland Ukraine geflüchtet ist.

Die Verifiziert

Text: Jules Bauereiß, Fotos: Vivienne Aubin

Wellness, Wodka und Patschuli. Auf die große Bühne wollte die Wiener Musikerin VERIFIZIERT nie, doch dort ist sie jetzt. Sie wird als eine der Popstar-Newcomerinnen aus Österreich gehandelt. Wir treffen sie im Baumarkt und sprechen mit ihr über Rausch, TSCHAIKOWSKI und eine späte ADHS-DIAGNOSE

Der Bibiza

Text: Julia Bauereiß, Fotos: Amine Sabeur, Albumcover: Maša Stanić

Franz Bibiza ist durch und durch Wiener, und man munkelt, er sei der Falco unserer Zeit, der doch seinen ganz eigenen Weg geht, und zwar in Richtung Erfolg. Wir treffen ihn via Zoom zwischen Hamburg und Berlin direkt aus dem Tourbus, hinter dem der Sportfreunde Stiller, die er gerade als Pre-Act begleitet. Er erzählt uns von seinem Leben als Grenzgänger zwischen Dekadenz und Charme, wieso Musiker wie Aliens sind und was Bibiza nachts am Würstelstand kauft. 

Nie zu Hause

Text: Rahel Schneider, Fotos: NEVER AT HOME für C/O Vienna Magazine

Das Wiener Kollektiv NEVER AT HOME hat kürzlich das leerstehende Funkhaus des ORF erobert – und das nicht mit einem Radioprogramm, sondern mit 73 Atelierräumen für junge Kreative. Für vorerst ein Jahr werden sie in dem denkmalgeschützten Gebäude Ausstellungen kuratieren und Veranstaltungen organisieren. Vera Grillmaier, Mitgründerin des Vereins, hat uns einen Blick hinter die Kulissen gewährt. 

Teamraum mit 4 Mitgliedern