„Große Freiheit“

Ein Sommernachts(alb)traum

Seinen ersten Künstlerdeal besiegelte er als Zehnjähriger im Berliner Zoo. Heute steht der deutsche Schauspielstar Langston Uibel für Netflixserien wie Dogs of Berlin oder Unorthodox vor der Kamera. Kürzlich feierte er sein Debüt am Wiener Burgtheater. Wir blickten dort mit ihm hinter die Kulissen und sprachen über ein verpatztes „Bibi & Tina“-Casting, seine Kindheit in London und so manche Pannen. 

Text: Elisa Promitzer, Fotos: Vitya Vasyliev, Styling: Jovan Glušica, Styling-Assistenz: Ilija Vujosevic, Assistenz: Rahel Schneider

„Liebe ist riesig“

Elisa Promitzer: Träumst Du viel?

Langston Uibel: Ja – aber sehr realistisch, ich kann in meinen Träumen nicht fliegen und auch nicht unsichtbar sein.

Traum oder Albtraum?

Vor zwei Tagen infiltrierte ein Schauspieler, den ich kenne, im Traum meinen Freundeskreis und nahm mir all meine Freunde und Freundinnen weg – sie verabschiedeten mich am Bahnhof Zoo. Das war krass. Zum Glück gibt es dieses Gefühl, wenn man von einem schlechten Traum aufwacht und merkt, dass alles gut ist …

… gut ist auch Deine Karriere. Du hast es von der Netflixserie über die Kinoleinwand auf eine der besten Bühnen im deutschsprachigen Raum geschafft: auf die des Burgtheaters – und das ganz ohne Schauspielausbildung.

Es war ein großer Traum von mir, in diesem renommierten Theater zu spielen, erst recht, weil es ohne klassische Schauspielausbildung selten ist, dort aufgenommen zu werden. Ich hatte Glück: Das Team hinter „Ein Sommernachtstraum“ sah meinen letzten Film „Roter Himmel“ (2023) und fragte mich einfach an. Tatsächlich ist auch dieser eine Art Sommernachtstraum, im Burgtheater mehr ein Sommernachtsalbtraum, aber die Thematik bleibt dieselbe: Es geht um Liebe, darum, wie verrückt sie einen machen kann. Ich erinnere mich, wie es war, jung und verliebt zu sein – das ist schon riesig.

„Im Versmaß improvisieren“

Das Stück spielt in einer mystischen Mittsommernacht, es geht weniger um Hitze im wörtlichen Sinne als um Verwirrung, Magie und Leidenschaft. Du hast uns zu Deiner Aufführung im Jänner 2025 eingeladen ...

... o Mann, ja, bei dieser Vorstellung hatte ich einen krassen Texthänger (lacht)!

Habe ich gar nicht bemerkt!

Ich habe dann einfach improvisiert. Jürgen-Gosch-Texte aus dem Ärmel zu schütteln, im Versmaß zu improvisieren, fühlt sich lächerlich an, aber das gehört zu meinem Job dazu ... 

Passieren solche Pannen oft?

In jeder Aufführung geht etwas schief. In diesen Momenten wacht man auf und fängt an, wirklich zu schauspielern. Was Zuschauende sehen und was wir auf der Bühne fühlen, sind zwei Paar Schuhe. Das ist das Einzige, was mich traurig macht, dass ich unsere Stücke selbst als Zuschauer nie erleben kann. Videoaufnahmen sind nicht das Gleiche. 

„Ey, es gibt einen Wald, vor dem Menschen Angst haben, aber auch vor sich selbst.“

Wie lernst Du Text? Durch Totlernen oder Spontanität?

Das ist mein kleinstes Problem. Ich will nicht angeben, aber ich lerne superleicht auswendig. Beim Spielen ist nicht der Text das Problem, vielmehr die Frage, wie man etwas sagt und interpretiert. Nicht das Was, sondern das Wie ist hier die Frage. Meine Texte lese ich ein-, zwei-, vielleicht dreimal, dann habe ich sie im Kopf. 

Ob das wirklich stimmt? Wir machen den Test: Langston studiert einmal das Kleingedruckte am Etikett der Mineralwasserflasche, die vor ihm steht. Dann fragen wir es ab: ohne Fehler! 

Zurück zu „Ein Sommernachtstraum“: Es gibt mehrere Handlungsstränge, die parallel verlaufen, ziemlich komplex, in der Theateraufführung erschlossen sie sich mir sofort – es war magisch. Du spielst den Demetrius, einen jungen wohlhabenden Mann – wie würdest Du das Stück Deinem zehnjährigen Ich erklären?

Mir ging es ähnlich. Ich habe die Geschichte erst nach unserer 15. Aufführung richtig verstanden. Es ist kompliziert, Shakespeare einfach genial. Wie ich das meinem zehnjährigen Ich erklären würde? „Ey, es gibt einen Wald, vor dem Menschen Angst haben, aber auch vor sich selbst. Und es geht um Liebe.“

„Lernseite, nicht Erzählseite“

Egal, ob Theater, Serie oder Film, Du spielst unterschiedliche Charaktere: In den Drama-Serien „Dogs of Berlin“ (2018) einen Fußballer, in „Unorthodox“ (2020) einen Cellisten und in der Romantikkomödie „Roter Himmel“ (2023) einen Fotografen. Wie viel Langston steckt in Deinen Rollen?

Ich bin erst 27 Jahre alt, ich stehe noch auf der Lernseite, nicht auf der Erzählseite. Ich glaube, Langston steckt in all meinen Rollen, aber für mich ist es wichtiger, einen genuinen Moment zu schaffen, in dem man mir glaubt, als dass ich komplett hinter den Rollen verschwinde. Diese Momente generieren sich für mich automatisch, wenn sich die Situation für mich authentisch anfühlt.

Du bist im Alter von acht Jahren mit Deiner Familie von London nach Charlottenburg in Berlin gezogen. Was war Dein erster Eindruck von der Stadt?

Große Freiheit! 

Wie war Deine Kindheit?

Mein Vater betreibt seit über 20 Jahren die Dalston Jazz Bar in Ost-London, die nach 23:00 Uhr zur Partylocation wird. Dort verkehren Kunstschaffende, Intellektuelle und Nachtschwärmer aller Art. Die Stimmung ist fast immer ausgelassen, heiter und kreativ. Das hat sicher einen Einfluss auf mich gehabt. In meiner Kindheit war es normal, erst retrospektiv merke ich, dass mein Vater seinen Club ja nicht nur betrieben hat, sondern sozusagen Regie an diesem Ort geführt hat, ihn dramatisiert und kuratiert hat.

Hast Du noch eine Verbindung zu Großbritiannien? Du sprichst ja perfekt Englisch!

Meine Zweisprachigkeit hilft natürlich im Filmgeschäft. Ich drehe in London gerade eine neue Apple-TV-Serie – die zweite Staffel von „Hijack“ mit dem britischen Schauspieler Idris Elba. Ich darf leider noch nichts verraten, aber es ist schön, in meiner zweiten Heimat arbeiten zu können.

„Anfang, Höhepunkt und Ende“

Wie sah ein typisches Wochenende in Deiner Kindheit aus?

Draußen mit meinen zwei Brüdern spielen, bei Edeka einkaufen, abends fernsehen, am liebsten „Wetten, dass ...?“ Heute mache ich am Wochenende Sport, treffe meine Freunde, und wenn die Fußballmannschaft Hertha BSC Heimspiel hat und ich in Berlin bin, verpasse ich kein Spiel. In der Hauptstadt hat man seine Ruhe, im Vergleich zu London ist es dort sicher und sehr grün. In Berlin bin ich zu der Person geworden, die ich heute bin.

Wie wird man die Person, die man ist?

Ich habe schon immer gerne viel geredet (lacht). Der berühmte Spannungsbogen war mir bei Referaten in der Schule ganz wichtig, ich wollte akademisch mit Anfang, Höhepunkt und Ende die Klasse auch unterhalten. Zum Schauspielern kam ich durch einen Zufall: Über mehrere Ecken sah ein Regisseur ein Foto von mir. Das war Alexander Frank. Er lud mein zehnjähriges Ich zum lockeren Kennenlernen in den Berliner Zoo ein, wo wir dann meinen ersten Schauspieldeal besiegelten. Ich spielte einen Kindersoldaten im Kurzfilm „The String Puppet“ (2008). Der lief im Rahmen des Berlinale Talents, ein Programm für jungen Regisseurinnen und Regisseure. Das war meine erste Begegnung mit der Schauspielerei. Damals checkte ich, dass man das als Beruf ausüben kann. In der zehnten Klasse drehte ich den Film „Freistatt“, danach manifestierte ich, Schauspieler zu werden. Heute lebe ich meinen Traum. Das ist krass. Ich denke immer, dass es irgendwann aufhören muss, weil es momentan zu gut ist, um wahr zu sein.

Dann hole ich Dich jetzt ganz fies zurück auf den Boden der Tatachen. Was war Dein größter Fail, Dein peinlichster Moment im Showbiz?

Ich nahm am Casting für „Bibi & Tina 3“ teil und musste einen Song aus Teil zwei singen. Ich kann okay singen, aber es war eher mäßig. Und dann war da noch der Schauspieler, der vor mir dran war. Der war der Inbegriff von Coolness und war auch einfach fresh gestylt, im Gegensatz zu mir. Oh, ich wusste, das wird nichts.

„Das ist krass, ich lebe meinen Traum.“

Welche Rolle hat Dich emotional bisher am meisten gefordert?

Die Hauptrolle des Felix im Film „Roter Himmel“ und Demetrius in „Ein Sommernachtstraum“ am Burgtheater.

Der Sommernachtstraum wurde zuweilen zum Albtraum?

Man spielt jedes Mal vor über 1.000 Menschen, man ist dabei ganz auf sich gestellt. Vor Leuten zu sprechen, erfordert Mut, egal, ob auf der Bühne oder bei einer Rede auf einer Hochzeit. Und den Mut zu erzeugen, kostet Kraft, viel Kraft. Immer noch. 

Hast Du Lampenfieber?

Ich befinde mich vor einem Auftritt in absoluter Konzentration, ich habe Respekt vor der Aufgabe, aber keine Angst. Ich hatte das Glück, am Burgtheater mit einer Sprecherzieherin zusammenzuarbeiten. Barbara Frey, unsere Regisseurin, wurde unabsichtlich zu meiner Schauspielausbildnerin. Es geht weniger ums Technische, als zu lernen, das Gesprochene zu fühlen, damit es beim Publikum ankommt. Bald spiele ich meine 40. Vorstellung. Die Rolle bereitet mir immer mehr Freude. Ich hoffe, dass unser Engagement noch für eine Spielzeit verlängert wird. Dieser Moment, wenn Du im Theater auf die Bühne trittst, der Zuschauerraum mit allen diesen Menschen vor Dir! Ich werde nicht müde, ihn zu genießen. Dann der Applaus am Ende – alles das berührt mich. 

„Cellobogen als Erinnerungsstück“

Schauspielen ist ein sehr körperlicher Beruf, der eine gewisse Fitness verlangt. Die Vorstellung dauert über zwei Stunden und ist ohne Pause, was ist Dein Zaubertrank?

Zwei Red Bull ohne Zucker! Ich muss unbedingt vorher was essen. Um mich zu fokussieren, spaziere ich vor meinem Auftritt durch den ersten Bezirk und höre Musik. Das Ensemble trifft sich dann eine halbe Stunde vor Beginn, wir checken die Mikroports und gehen vereinzelt musikalische Elemente durch. Proben gibt es keine mehr, wir haben ja nach 40 Vorstellungen schon Routine.

Wenn Du eine Deiner Rollen mal ein Tag sein dürfest, welche wäre das?

Felix aus „Roter Himmel“, der kommt aus sehr gutem Haus und hat einen Rimowa-Koffer – finde ich gut (lacht). 

Behälst Du Dir zuweilen Erinnerungsstücke von Filmsets?

Bei „Unorthodox“, in dem ich einen Cellisten spiele, habe ich meinen Cellobogen mitgenommen – wahrscheinlich war das nicht erlaubt. Aber ich dachte mir, den können sie sicher ersetzen. Sonst frage ich immer. Ehrenwort!

„Nach Dichter benannt“

Dein voller Name ist Langston Ludwig Uibel. Sehr ungewöhnlich.

Ich mochte meinen Namen immer (lacht). Ich wurde nach James Mercer Langston Hughes benannt, einem Dichter und US-amerikanischen Schriftsteller der afroamerikanischen Künstlerbewegung „Harlem Renaissance“. Der Nachname ist von meiner deutschen Mutter. Mein zweiter Name stammt von meinem Opa, der leider sehr früh verstarb. Ich freue mich, ihn tragen zu dürfen. 

Dein Vater ist in Mandeville, Jamaika, geboren und in England aufgewachsen. Wie ist Deine Verbindung zu Jamaika?

Die ist fast gar nicht vorhanden. Mein Vater kam mit sechs Jahren nach Manchester. London und Berlin sind meine beiden Heimatorte. Aber jamaikanische Küche ist mein Favorit! 

Magst Du Wien?

Ich lieb es total! Das Kulturangebot ist niederschwellig und es ist so schön, im Sommer mit Freundinnen, Freunden und Familie beim Heurigen zu sitzen und Wein zu trinken. Der Wiener Schmäh ist legendär, aber er kann auch richtig gemein sein. Es gibt schon auch echte Arschlöcher in dieser Stadt. Das Beste an Wien sind die Spritzer und das Soda Zitron. 

Fish and Chips, Currywurst oder Schnitzel?

Eindeutig Schnitzel!

Gute Antwort. Danke fürs Interview!

Die nächste Aufführung von Ein Sommernachtstraum findet am Freitag, den 25. April 2025, um 19:30 Uhr im Burgtheater statt. Tickets und Infos gibt es hier.

Wir fotografierten im wunderschönen Burgtheater und wurden exklusiv von Corinna Gollmayr, die im Pressebüro des Burgtheaters arbeitet, von der Tribüne über den Perückenraum bis Backstage in die Garderobe geführt. Herzlichen Dank!

Vitya Vasyliev ist Teil des ukrainischen Fotokollektivs Gorsad Kyiv. Im Fokus des Trios stehen dabei Gefühle und Emotionen, die sie auf provokative Weise zur Schau stellen. Vitya Vasyliev fotografiert überwiegend analog.

Jovan Glušica (they/them) ist ein in Wien lebender serbischer Stylist, Visagist und Artist. Jovan erforscht mit Kunst Queerness, die Identität von Migranten und Migrantinnen und die Kämpfe der Arbeiterklasse und vermischt dabei bildende Kunst, Szenografie und Mode. Die Outfits konnten wir unter anderem von dem Designer Niko Markovic und dem Vintage-Moden-Geschäft Polyklamott in Wien ausleihen.

Langston Uibel wurde 1998 in London geboren und zog im Alter von acht Jahren mit seinen Eltern und zwei Brüdern nach Charlottenburg in Berlin, wo er bis heute lebt. Nach einigen Theaterprojekten und Kurzfilmen ergatterte er 2013 im Kinofilm Hanni & Nanni 3 eine Nebenrolle, spielte im Kinofilm Freistatt (2014) sowie in der Komödie High Society – Gegensätze ziehen sich an (2017). Dann kam Netflix: Uibel drehte die Serien Unorthodox (2020) und How to Sell Drugs Online (Fast) (2021). 2023 feierte er sein Theaterdebüt am Burgtheater in Ein Sommernachtstraum. 2024 bis Anfang 2025 drehte er die zweite Staffel der Apple-TV-Serie Hijack. Mit Erfolg: 2020 war Unorthodox für einen Golden Globe nominiert, 2021 holte sie den Grimme-Preis. 2023 gewann er den Silbernen Bär Großer Preis der Jury für Roter Himmel, 2024 den Jupiter Award Bester Schauspieler für denselben Film. 

(DP)

Die Soap&Skin

Text: Eva Holzinger, Fotos: Xenia Snapiro, Styling: Sarah Zalud-Bzoch

Die Musikerin Anja Plaschg, bekannt als Soap & Skin

„When I was a child, I toyed with dirt. I killed the slugs, I bored with a bough in their spiracle.“ Die österreichische Ausnahmekünstlerin SOAP&SKIN singt von Tod und Schmerz, von Natur und Heilung. Sie durchbohrt uns mit ihrer Stimme und schnürt uns die Luft ab, nur um uns dann im Anschluss besser atmen zu lassen. Man liest den Songtext zu Spiracle anders, wenn man weiß, dass Anja Plaschg in einem steirischen 200-Einwohner-Dorf auf einer Schweinemast aufgewachsen ist. Ein Gespräch über tote Schweine, Würfelzucker-Hexen und sprechende Bäume.
 

Die junge Burgtheater-Schauspielerin

Text: Lara Ritter

Schon als Kind wusste Marta Kizyma, dass sie von der ukrainischen Provinz einmal nach Wien ziehen würde. Dass sie mit jungen 21 Jahren ihr Debüt im Ensemble des weltberühmten Burgtheaters feiern würde, damit hatte sie wohl damals nicht gerechnet. Sie gehört zu den jüngsten Schauspielerinnen in der altehrwürdigen Institution, spricht perfektes Burgtheaterdeutsch, und das, obwohl Deutsch nicht ihre Mutterspache ist. Was jüngere Schauspielerinnen besser können, warum soziale Medien sie nicht interessieren, und wie es ist, neben Joachim Meyerhoff vor 1.300 Leuten Quatsch zu machen, erzählt sie uns im Interview.

Der Experimentalfilmer

Text: Shilla Strelka

Johann Lurf gilt als einer der renommiertesten jungen Vertreter der Experimentalfilmszene des Landes. Kürzlich wurde er mit dem Outstanding Artist Award Österreichs ausgezeichnet. Für seine Arbeiten schreckt er nicht vor unkonventionellen Verfahren zurück. Es hat schon etwas von Guerilla-Taktik, wenn er in mitternächtlichen Aktionen an öffentlichen Orten Wiens Feuerwerkskörper zündet, monatelang recherchiert, um versteckte Rüstungsfabriken aufzustöbern oder gleich direkt bei der NASA anruft, um Filmmaterial zu akquirieren.