Voll Pfosten!

Poller, Begrenzungselement, Parkstopper

Helmut Höge ist freier Autor und Aushilfshausmeister bei der deutschen Tageszeitung taz. Mit Leidenschaft hat er sich einem oft übersehenen Objekt gewidmet: dem Poller oder Begrenzungspfosten. Nun ist eine Neuauflage seines Buchs Pollerforschung erschienen, die seine humorvollen Beobachtungen versammelt. Ein Gespräch über Kreuzberger Penisse, Hausmeisterexzesse und die große Frage nach der Poller-Moral.

Text: Eva Holzinger

Zwei bemalte Betonpoller auf Kopfsteinpflaster mit aufgemalten Gesichtern – ein Beispiel für kreative Hausmeisterpoller und urbane Aneignung.

„Leidenschaftliches Hassen, perverse Begeisterung”

Eva Holzinger: Herr Höge, woher kommt Ihre Faszination für Poller?

Helmut Höge: In den Achtzigern bin ich einem vom Aussterben bedrohten Hobby nachgegangen: dem Aus-dem-Fenster-Schauen. Im dritten Stock meiner Kreuzberger Wohnung bin ich aus dem Fenster gehangen und habe das Geschehen auf der belebten Straße beobachtet. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Straße nach und nach geradezu „zugepollert“ wird. 

Was hat diese Verpollerung in Ihnen ausgelöst?

Anfangs habe ich mich darüber lustig gemacht. Sie schien mir einfach so sinnlos! Aber gerade, weil sich diese Poller so rasant vermehrten, habe ich nach und nach einen Poller-Wahn entwickelt, ein leidenschaftliches Hassen, eine perverse Begeisterung. Dieser Wahn hat es mir erlaubt, so detailreich zu recherchieren. 

Wie hat sich dieser Wahn manifestiert? 

Immer und überall, ob in Berlin oder auf Reisen. Vor vielen Jahren war ich mit meiner damaligen Freundin in Italien. Wenn mir beim Herumspazieren ein „Wow, sieht das toll aus“ entfleucht ist, meinte ich damit nicht das Meer oder den Sonnenuntergang, sondern ein Poller-Ensemble. Eine Poller-Begegnung hieß auch immer: stehen bleiben und Fotos machen. Das hat viele meiner Mitmenschen genervt. Erst jetzt gewöhne ich mir langsam ab, jeden Poller genau anzugucken. 

„Der Osten im Penisneid“

Poller wurden ursprünglich im maritimen Bereich eingesetzt. Kaputte Kanonen wurden umgedreht und am Hafen eingebuddelt, um damit Schiffe zu ankern. Auch in der Stadt wurden sie verwendet: Für den Fall, dass ein Pferd samt Kutsche durchdreht, konnten Passantinnen hinter den Pollern Schutz suchen. Helmut Höge erzählt, dass vor dem Axel-Springer-Hochhaus in Berlin solche eigens dafür hergestellten Kanonen als Poller stünden, auf Wunsch von Axel Springer selbst, der Kanonier bei der Artillerie war. Wie kam es zu dieser Kreuzberger Verpollerung?

Die Polizisten im damaligen Westen – also noch vor der Wende – kamen mit der Aufgabe, die vielen Falschparker aufzuschreiben, nicht mehr hinterher und suchten nach einer anderweitigen Lösung, also kamen Poller zum Einsatz. Fast alle von ihnen wurden zu dieser Zeit von einer hessischen Firma namens „Wellmann“ in Ungarn hergestellt. Diese spezifische Sorte bekam den Spitznamen „Kreuzberger Penisse“.

Wie unterschied sich die Poller-Politik des Westens von jener des Ostens?

Der Osten war erst weitgehend pollerfrei; dort wurden erst nach der Wende alle Straßen und Plätze „abgepollert“, allerdings auf Aufforderung der Bürgerinnen selbst! Während dem damals sehr chaotischen „Problembezirk“ Kreuzberg die „Penisse“ aufgezwängt wurden, ist der Osten dem „Penis“-Neid verfallen.

Sie unterscheiden zwischen Staats-und Hausmeisterpoller. Zu welchen gehören die „stummen Polizisten“?

Zu den Staatspollern. Was früher zwischenmenschlich oder durch Ordnungshüter geregelt wurde, löste man von da an mechanisch, deshalb nennt man sie auch „stumme Polizisten“. Staatspoller sind von oben legitimiert: Sie sind vom Staat finanziert, industriell angefertigt und werden von der Stadtverwaltung eingepflanzt. So ein einzelner Poller kann schon mal um die 1.000 Euro kosten. 

Apropos „stumme Polizisten“: In Ihrem Buch erwähnen Sie auch die „Sleeping Cops” auf US-amerikanischen Campusgeländen. 

Dabei geht es um sogenannte „Speed-Breaker” auf Straßen, also Bremsschwellen, wie wir sie auch in Europa kennen. Man könnte meinen, ein Campusgelände voller Menschen wäre Grund genug, langsam zu fahren. Führt die Stadt jedoch Speed-Breaker ein, ist man egoistisch motiviert: Ich fahre langsam, weil ich mein Auto nicht ruinieren möchte. Der Soziologe und Philosoph Bruno Latour beschreibt genau dieses Phänomen in seiner Akteur-Netzwerk-Theorie und sagt, dass die Gesellschaft durch solche Maßnahmen nicht aufgrund von Moral handle, sondern durch Zwang. Auch ich habe damals in diesem Poller-Wahn eine gewisse Verrohung und Entmündigung der Gesellschaft beobachtet.

„Ich wäre gerne ein Natur-Poller in der Serengeti.“

Sie sind also nicht der Einzige, der viel Zeit in Poller investiert …

... ganz im Gegenteil. Es ist beeindruckend, wie viel Zeit, Energie und Muße in die Errichtung von Poller fließen. In Berlin habe ich mal ein richtiges Work-in-Progress aus 40 Beton-Pollern beobachtet, die links und rechts auf einer Straße vor einem Hochhaus standen. Hin und wieder wurde einer von einem vorbeifahrenden Lkw gerammt. Jemand hat daraufhin Löcher in die Poller gebohrt, Dübel und Haken eingesetzt und die Poller mit einer Kette verbunden. Das hat aber nicht gereicht, die Lkws haben sie weiterhin an- und umgefahren. Daraufhin wurden die Poller mit Metallwinkeln direkt an den Pflastersteinen festgeschraubt. Dann haben die Lkws die Poller samt Pflasterstein herausgerissen. Es war eine endlose Angelegenheit und eine traurige, aber irgendwie auch sehr deutsche Geschichte.

Wodurch unterscheiden sich Hausmeisterpoller von solchen Staatspollern?

Hausmeisterpoller sind individuell gestaltete Unikate und meine Lieblingspoller. Sie schützen private Einfahrten, Bereiche vor Lokalen und sind meistens ziemlich aufwendige kreative Akte. Je weiter in den Süden man kommt, also zum Beispiel nach Ägypten, umso mehr behelfen sich die Anwohnerinnen dort selbst, weil der Staat kein Budget für Poller hat. Dort werden zum Beispiel riesige Olivenblechbüchsen mit Erde befüllt.

Die vielen Fotos und Fallbeispiele in Ihrem Buch zeigen, dass es auch in Deutschland durchaus eine große Bandbreite an kreativen Hausmeisterpollern gibt!

Die Sortenvielfalt der deutschen Hausmeisterkunst kennt keine Grenzen! Die deutschen Hausmeister sind richtige Kontrollfreaks. Es macht ihnen Spaß, tagelang an Pollern herumzubasteln: Ein Tag lang wird geschweißt, ein Tag lang angestrichen, den Formen und Farben sind keine Grenzen gesetzt. Manche Poller werden sogar auf Rädern montiert, damit sie beweglich sind.

Sie beschreiben vier Poller-Wellen. Die erste war dem bereits besprochenen Parkdruck geschuldet. Die zweite Welle kam mit den elektronisch versenkbaren Pollern. 

Genau. Leipzig ist ein gutes Beispiel dafür; dort kann man mittlerweile je nach Verkehrsaufkommen ganze Stadtteile abpollern, sodass nur noch Lieferwagen hineinkommen. Die Lieferantinnen bekommen eine Fernbedienung, mit denen sie die Poller versenken können. Weil jedoch immer mal wieder ein Pkw hinter den Lieferanten noch schnell durchfahren will und dann von einem hochfahrenden Poller aufgespießt wird, hat man mittlerweile zusätzlich kleine Ampeln daneben installiert.

Die dritte Welle kam nach Terrorangriffen mit Lkws auf öffentlichen Plätzen.

In Berlin und Bayern gibt es schon einige Poller gegen Terroranschläge. Das sind oft riesige Betonblöcke, die mit einem Kran aufgestellt werden müssen. Es gibt aber auch Poller, die mit Wasser gefüllt werden; man kann das Wasser ablassen und die Poller dann sehr einfach mit einem Lastwagen transportieren. Es gibt beeindruckende YouTube-Videos, in denen Test-Lastwagen mit bis zu 60 km/h gegen Poller fahren und auseinanderfallen, während der Poller nicht mal einen Kratzer hat.

„Deutsche Hausmeisterkunst kennt keine Grenzen!“

Momentan befinden wir uns in der vierten Poller-Welle; die neuen Poller stehen vermehrt auf Radwegen und sollen die Radfahrerinnen schützen. Was könnte die fünfte Poller-Welle sein?

Ich glaube, die fünfte Welle ist die Entpollerung der Innenstadt, weil man die Autos irgendwann völlig verbannt hat, außer natürlich Lieferverkehr, Polizei und Krankenwagen. Das sagen auch die Taxifahrerinnen voraus; sie bekommen Entwicklungen und Tendenzen im Stadtverkehr am besten mit. Es gibt übrigens schon solche Entpollerungs-Bewegungen. Ein Architekt, Natubs, der auch den edlen „Ku'damm-Poller” in Berlin entworfen hatte, wurde damit in Amsterdam beauftragt. Poller waren dort einst ein richtiges Wahrzeichen, irgendwann wurde es den Einwohnern aber einfach zu viel. 

Poller können Räume schützen; gibt es zu viele davon, wie in Amsterdam, könnte man sie meiner Meinung nach aber auch als defensive oder gar feindliche Architektur betrachten …

Ja, wie Spikes auf Fensterbrettern, die Tauben fernhalten sollen. Wussten Sie, dass Tauben diese Spikes mittlerweile überlisten? Sie überlagern sie einfach mit Zweigen und brüten obendrauf. Dazu habe ich eine Poller-Analogie: Ein Hausbesitzer hatte an seinem Haus eine eingeschnittene Ecke, eine Art Winkel also, groß genug, dass darin obdachlose Menschen schlafen konnten. Das hat den Hausbesitzer so geärgert, dass er in diese Ecke ganz viele Poller gebaut hat. Ein Obdachloser hat dann einfach seine Matratze auf die Poller draufgelegt. Herrlich! Poller bewegen sich immer an der Schnittlinie von Ordnung und Widerstand.

Was für ein Poller wären Sie?

Ich glaube, ich würde an einem hoch frequentierten Ort stehen, wo viele Hunde hinpinkeln und Menschen vorbeigehen. Oder ein Poller in der Serengeti, im afrikanischen Nationalpark! Dann dürfte ich ständig unter vielen Tieren sein. Auch dazu fällt mir eine Geschichte ein: In Thailand hat eine Frau misshandelte Elefanten aus einem Zirkus gerettet und in einem großen Naturgebiet untergebracht. Dort hat sie eine Reihe hoher Poller aus Bäumen errichtet, eng nebeneinander platziert und eingebuddelt, um die Elefanten von bestimmten Stellen fernzuhalten. So ein Natur-Poller wäre ich auch gerne.

„Schnittlinie von Ordnung und Widerstand“

Warum gibt es nicht mehr Natur- statt Beton-Poller? Ich habe von Explosionsschutzpflanzen gelesen, die genauso gut Terrorangriffe abwehren könnten …

Ja, diese Ideen und Tendenzen gibt es. In der Schweiz vermehrt sich der sogenannte Götterbaum so rasant und hartnäckig, dass man aufgehört hat, ihn zu bekämpfen. Jetzt will man ihn als Lawinenschutz einsetzen. Auch meine neueste Poller-Erkenntnis hat mit Pflanzen zu tun. Ich habe entdeckt, dass sich rund um Poller immer wieder Kleinstbiotope mit einer erstaunlich wertvollen Vegetation entwickeln. Das liegt mitunter daran, dass es dort keine Trittbelastung durch die Fußgängerinnen gibt. Ich nenne es das „Pollergrün“. 

Man hört aus Ihren Antworten heraus, dass Sie sich auch viel mit der Natur auseinandersetzen.

Ich bin gerade in einer Anthro-Pause: Ich gehe auf Distanz zum Menschen und widme mich fast ausschließlich Pflanzen und Tieren. Anfang der 2000er habe ich angefangen, mit Freunden Biologie zu studieren. Hier im taz-Gebäude bin ich für alle Pflanzen zuständig und außerdem bringe ich regelmäßig ein Heft über Tiere raus.

Ihre beste Tier-Geschichte?

Ich habe vor vielen Jahren für einen indischen Großtierhändler gearbeitet. Es gab damals starke Reisebeschränkungen im Osten. Als Reaktion darauf haben Regierungen angefangen, einen Zoo nach dem anderen zu bauen, um die Welt in den Osten zu holen. Mein damaliger Chef hat die Gunst der Stunde genutzt und mich beauftragt, einen Elefanten von Bremen nach Ostberlin zu bringen. Allerdings nicht uneigennützig: Er hat den Elefanten gegen vier sibirische Tiger getauscht. 

Wie brachte man damals einen Elefanten von Bremen nach Berlin?

Mit einem Güterzug. Er war in einem großen Waggon an einer Holzwand angekettet. Die hätte er locker aus der Halterung reißen können, aber er war sehr entspannt und geduldig, der Elefant und wir haben uns gut verstanden. Die Reise hat allerdings über zwei Tage lang gedauert. Damit habe ich nicht gerechnet, deshalb hatte ich nur einen Mars-Riegel dabei. Gott sei Dank, hat der Lokführer seine Butterbrote mit mir geteilt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Helmut Höge, geboren 1947 in Bremen, ist freier Autor bei der Tageszeitung taz. Er schreibt regelmäßig in seinem Blog „Hier spricht der Aushilfshausmeister!“ (www.taz.de). 2014 wurde er mit dem Ben-Witter-Preis ausgezeichnet, 2018 hat er sein Buch „Pollerforschung“ im adocs Verlag publiziert. Er lebt in Berlin.  (DP)

Der Architekturpsychologe

Text: Maria Schoiswohl

Riklef Rambow ist kritisch. Gegenüber allen Romantikerinnen, die eine „Stadt für alle“ fordern, argumentiert er, dass diese im Grunde nur funktioniert, wenn sie bis zu einem gewissen Grad ausgrenzt. Aufs Land zu ziehen kann belasten, zu viele Frei- und Grünflächen in der Stadt können auch ziemlich öd geraten. Der Trend zum Mikrowohnen ist zwar hip, mit 40 will dann aber spätestens doch jede ein Zimmer für sich und jedes Kind. Vom hehren Ideal und der harten Realität. 

Der Protest

Text: Elisa Promitzer

„Proteste müssen stören, sonst sind sie wirkungslos.“ Wir sprachen mit dem deutschen Künstler Stephan Mörsch, der sich mit einer Baumhaussiedlung im Hambi, dem Hambacher Wald, auseinandersetzt, über Barrikaden, Camps und Sekundenkleber. Demonstrierende wollten dort die Bäume vor der Abholzung für den Braunkohleabbau schützen und entwickelten eine ziemlich clevere Methode des Widerstands. Gemeinsam erkunden wir sein maßstabgetreues Hängemodell des Barrios „Beechtown“, und diskutieren, wie sich architektonische Proteste weltweit unterscheiden und doch verbinden.

Baumhaussiedlung im Hambacher Wald, 2012–