Mode unter Sirenengeheul

„We will never destroy, but we will always create.“

Während Bomben auf Kyiv fallen, fand die zweite Ukrainian Fashion Week seit Beginn des russischen Angriffskriegs statt (14. bis 17. Februar 2025). Wir sprachen mit ihrer Gründerin und Programmleiterin Iryna Danylevska über eine unvorstellbare Kraftanstrengung, Prothesen auf dem Laufsteg und Tarnnetze für die Front.

Text: Antje Mayer-Salvi, Elisa Promitzer

„Diese Fashion Week ist kein Akt der Ablenkung – sie ist ein Akt des Widerstands.“

Antje Mayer-Salvi, Elisa Promitzer: Gab es während der vergangenen Fashion Week einen Moment, der Dich besonders berührt hat?

Iryna Danylevska: Eine der bewegendsten Situationen war, als Kriegsversehrte mit Prothesen in Andreas Moskíns Show den Laufsteg entlangliefen – Seite an Seite mit professionellen Models. Oder die Modeschauen von Nadya Dzyak und Gasanova, bei denen weibliche Kriegsveteraninnen in eleganten Prêt-à-porter-Kleidern auftraten. Diese Momente waren mehr als Mode – sie zollten dem Mut und der Unbeugsamkeit der Ukrainer Tribut.

Trotzdem eine provokante Frage zum Anfang: Ist Mode in Zeiten wie diesen nicht zweitrangig? Was bewegt Dich, diese unglaubliche Kraftanstrengung auf Dich zu nehmen und nun schon zum zweiten Mal eine Fashion Week vor dem Hintergrund täglicher Bombenalarme zu veranstalten?

Mode kann weit mehr sein als bloßer individueller Ausdruck. Unsere Designerinnen und Designer zelebrieren einen Akt des Widerstands – und das in den schlimmsten und herausforderndsten Zeiten für unser Land. Die Ukrainian Fashion Week soll zeigen, dass wir unseren Mut nicht verloren haben. Wir signalisieren der Welt, dass wir nicht in Schockstarre verharren, sondern kreativ bleiben und an eine Zukunft glauben. Und ja, wir wollen mit dieser Veranstaltung die Welt auffordern, uns weiter im Kampf gegen die russische Aggression zu unterstützen!

„HELP MARIUPOL“

Nutzen ukrainische Designerinnen die Laufstege als Bühne für solche Appelle?

Während der London Fashion Week im September 2024 unterschrieben Soldaten beim Showfinale der ukrainischen Designerinnen Ksenia Schnaider, Nadya Dzyak und Olena Reva die Flaggen, die die drei um ihre Schultern trugen. Lilia Litkovska hielt während ihrer Show ein handgeschriebenes Schild mit der Aufschrift „HELP MARIUPOL“. Mode und Kultur haben in Kriegszeiten eine größere Kraft, als viele glauben mögen. Das sind Botschaften, die über Social Media um die Welt gehen und tatsächlich etwas bewirken, denke ich.

„Mode für die Front“

Wurdet Ihr für die Fashion Week auch schon kritisiert? Während an der Front Menschen sterben, präsentieren in Kyjiw, Models neue Kollektionen auf dem Laufsteg.

Jede Show beginnt mit einer Schweigeminute für die Gefallenen. Diese Fashion Week ist kein Akt der Ablenkung – sie ist ein Akt des Widerstands. Unsere Designerinnen und Designer sowie ihre Teams erleben den Krieg genauso wie jede andere Ukrainerin und jeder andere Ukrainer. Auch sie müssen Schutzräume aufsuchen, wenn der Luftalarm heult. Auch sie haben Familienmitglieder, Freundinnen und Freunde an der Front. Selbst in Lwiw oder Iwano-Frankiwsk im Westen der Ukraine – weit entfernt von der russischen Grenze – fühlt sich niemand sicher. Russland greift gezielt zivile Einrichtungen an. Wir alle sind bedroht. Viele Modeunternehmen produzieren trotz des Krieges weiter – in Sumy, Odessa, Dnipro oder Charkiw. Sie schaffen Arbeitsplätze, zahlen Steuern und unterstützen die Armee.

„Schutzwesten statt Seidenkleider“

Wie hast Du die ersten Tage des russischen Angriffs erlebt?

Es war einfach unglaublich, welches Grauen da vor unseren Augen zur Realität wurde. Nur wenige Wochen vor dem 24. Februar hatten wir unsere 50. Modesaison gefeiert und wollten im Herbst 2022 das 25-jährige Jubiläum der Ukrainian Fashion Week mit vielen Veranstaltungen und Projekten begehen. Und dann saß ich vor meinem Monitor, in meinem Zimmer in der Nähe von Kyiv, und hörte Explosionen. Von diesem Tag an wurde das bloße Überleben zur wichtigsten Aufgabe – für mich und für uns alle.

War die Produktion von Militärkleidung eher symbolisch oder wirklich überlebenswichtig?

Gerade am Anfang war sie essentiell. Der ukrainischen Armee schlossen sich so viele Freiwillige an, dass es einen riesigen Bedarf an Militärkleidung und Schuhen gab. Einige Monate später stabilisierte sich die Lage, und die Regierung übernahm die Versorgung.

„Mode für Kriegsveteranen“

Was ist die Idee hinter Eurem Projekt „Functional Clothing“?

Der Krieg hat uns gezwungen, uns einer neuen Realität zu stellen. Wir leben in einem Land, in dem Inklusion nicht nur ein Modewort, sondern für viele junge Menschen eine Selbstverständlichkeit geworden ist. „Functional Clothing“ ist eine neue Programmschiene der Fashion Week mit Podiumsdiskussionen und Vorträgen. Sie soll das Bewusstsein der Modebranche für die wachsende Zahl von Menschen in der Ukraine schärfen, die – als Militärangehörige oder Zivilpersonen – Kriegsverletzungen erlitten haben, Prothesen tragen oder in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind. Unser Ziel ist es, dass Kleidung nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch ist und Labels diese neuen Bedürfnisse in ihren Kollektionen mitdenken.

Wie ist Euch das gelungen?

Die Ukrainian Fashion Week reagierte mit der Initiative „Support Ukrainian Fashion“, die ukrainischen Labels half, neue Märkte zu erschließen. Vier Saisons fand die Fashion Week auf internationalen Laufstegen statt, bevor sie wieder nach Hause kam. Wir organisierten 30 internationale Events und ermöglichten 69 Designerinnen und Designern die Teilnahme an elf Fashion Weeks in Europa und den USA, darunter London, Berlin, Kopenhagen, Madrid, Los Angeles, Lissabon und Budapest.

Was bedeutet Mode für Dich in drei Worten?

Mut. Kreativität. Authentizität.

Woran denkst Du, wenn Du an Dein Heimatland denkst?

An Freiheit, Widerstand und eine Zukunft!

Wir wünschen Euch baldigen Frieden. Danke für das Gespräch.

Im September 2024 kehrte die Ukrainian Fashion Week (@ukrainianfashionweek_official) seit Kriegsbeginn erstmal wieder nach Kyiv zurück. Iryna Danylevska (*1964) mitbegründete diese 1997 als erstes Prêt-à-porter-Event in Osteuropa. 

Die Fotografinnen des Monats: Gorsad Kyiv

Text: Maja Goertz

Pink

Meerjungfrauen, rauchende Kinder, viel nackte Haut: Die Fotos des vor zwölf Jahren in Kiew gegründeten Fotografinnen-Trios Gorsad Kyiv mit Masha Romaniuk, Ulik Romaniuk und Vitya Vasyliev feiern die Freiheit, das Leben der Jugend und die Revolte. Wir haben Vitya in Wien getroffen, wohin er wegen des Krieges in seinem Heimatland Ukraine geflüchtet ist.

„Abracadabra“

Text: Elisa Promitzer

Fashion-Rave im Berghain: Wir besuchten die Berlin Fashion Week und sichteten Lady-Gaga-Outfits im Nachtclub, den US-amerikanischen Choreografen und Model Bruce Darnell in der Philharmonie und traumhafte Mode aus alten Sneakern. Berlin kann Fashion anders und zeigt sich inklusiv, artsy, nachhaltig, edgy und dabei elegisch elegant. Ein Lokalaugenschein, Teil II. 

Bunker, Bonbon, Berlin

Text: Elisa Promitzer

Babygeschrei im Bunker, Legoblumen im alten Schwimmbad: Wir waren bei der Berlin Fashion Week, standen in unzähligen Schlangen und ernährten uns von Snacks aus Goodie-Bags. Mode ist nicht nur Kleidung – sie ist Sound, Licht, Statement, Performance, und sie ist Kunst. Der Stadtraum wurde aufgerissen und mit selten gesehener nachhaltiger Kreativität und Diversität gefüllt. Ein Lokalaugenschein, Teil I.

Die Schönheit des Bösen

Text: Lisa Peres, Antje Salvi Fotos: Heide-Marie Mayer, Lisa Peres, Sammlung: Wolfgang Mayer

Fliegerdruckanzug

Kriege sind hässlich. Solange es sie gibt, werden Menschen töten, sterben, flüchten, hungern und leiden. Lebensräume, Kulturen, Flora und Fauna werden zerstört. Gesellschaften über Generationen hinweg traumatisiert. Die Rüstungsindustrie entwickelt die ausgeklügeltsten Techniken, um zu vernichten, und die kreativsten, um zu überleben. Das Design des Krieges ist verführerisch schön und verströmt gleichzeitig seinen ganzen Schrecken.