Design made in Austria
Wien, Lindengasse. Im Herzen des siebten Gemeindebezirks betreiben Camille Boyer und Marlene Agreiter zwischen Boho-Cafés, Hipster-Shops und Trendcoiffeuren seit fast zwei Jahren die AFA - Austrian Fashion Association, die offizielle Fördereinrichtung für zeitgenössisches, österreichisches Modedesign.
Im Büro herrscht kreatives Chaos: Meterhohe Banner, die die vor kurzem stattgefundenen Austrian Fashion Awards 2015 bewarben, stehen in den Ecken. Kleiderstangen, Kartons und Outfits haben es noch nicht ins Lager geschafft. „Es gibt sehr viel zu tun“, sagen die beiden studierten Modedesignerinnen. Was genau, erzählen sie im Interview.
Stephanie Rugel: Je suis tellement curieux. Wie war es in Paris? Gerade fand ja bereits das zweite Mal der AFA Showroom statt! Mit im Gepäck hattet Ihr Kollektionen österreichischer Newcomer wie DMMJK, aber auch etablierter Label wie Ute Ploier oder WienerBlut.
Camille Boyer: Je suis très satisfait (lacht). Es lief noch besser als im Vorjahr. Ich würde behaupten, der Showroom etabliert sich immer mehr. Besonders die hohe Qualität der österreichischen Kollektionen wird sehr geschätzt, von der Fertigung bis zu den Materialien.
Klingt optimistisch, aber kann sich österreichisches Modedesign in Paris wirklich ernsthaft behaupten?
Marlene Agreiter: Auf alle Fälle. Vergangenes Jahr waren Einkäufer von internationalen Stores bei uns im Showroom, wie Dover Street Market in London, Opening Ceremony in New York, Antonioli in Mailand oder Galeries Lafayette in Paris. Für Colette Paris wurde Parfum von WienerBlut bestellt. Außerdem schaute Robert Rabensteiner (Redakteur der L´Uomo Vogue, Stylist, Berater von Brands wie Cavalli, Moncler, Trussardi; Anm. d. Red.) vorbei. Heuer war ein Mitarbeiter vom international renommierten Mode- und Fotografiefestival Hyères da, außerdem Einkäufer aus Hongkong und China. Das Publikum war insgesamt noch internationaler als vergangenes Jahr.
Gab es einen besonderen Moment für Euch in Paris?
C.B.: Der Moment, wenn man merkt, dass man über Social Media sehr viele Menschen erreicht (lacht). Wir haben Fotos vom AFA Showroom auf Instagram und Facebook gepostet und wenig später waren tatsächlich Kunden hier, die sich darauf bezogen hatten. Diese Unmittelbarkeit haben wir erstmals so erlebt – und sie ist faszinierend.
Nach welchen Kriterien wählt Ihr die Labels für Paris aus?
C.B.: Wir haben schon vor AFA kollektive Showrooms in Berlin und Paris gemacht und bereits Erfahrung. Diesen Showroom organisierten wir mit Britta Song, die seit 20 Jahren im Sales-Bereich für Showrooms renommierter Designerinnen und Designer, wie Raf Simons, Margiela, Yamamoto und so weiter tätig ist. Außerdem arbeiten wir noch mit zwei anderen Expertinnen aus dem Verkaufssegment: Muriel Piaser aus Paris und Myriam Vanheusden aus Belgien. Mit ihnen zusammen haben wir die Teilnehmer für heuer ausgewählt.
"Liebe Modedesignerinnen, holt Euch qualifiziertes Feedback zu Euren Kollektionen!"
Wer hat Chancen auf die Best-of-Liste für Paris zu kommen?
C. B.: Die Labels müssen schon seit einigen Saisonen existieren, sehr professionell arbeiten, zu den Deadlines liefern und Zeitpläne erfüllen können. Das Portfolio muss konsistent sein bezüglich Qualität, Niveau und Preise. Wir erarbeiten auch ein Portfolio an Einkäufern und daher müssen die Labels auch stilistisch passen. Wichtig ist es auch, nicht nur Mode, sondern auch Lifestyle-Produkte, wie heuer Parfums von WienerBlut, Brillen von Andy Wolf Eyewear und Taschen von Bradaric Ohmae zu zeigen.
Wird in Paris auch verkauft oder ist das eher eine Imageveranstaltung?
C.B.: Der Showroom hat hinsichtlich der Besucherzahlen sehr gut funktioniert. Geordert wurde freilich auch, aber da ist noch Luft nach oben. Es ist ganz branchenüblich, dass es ein paar Saisonen dauert, denn viele Designerinnen und Designer, die wir präsentieren, sind „neu“. Das heißt, sie waren teilweise noch nie in Paris oder haben ihre Kollektion höchstens einmal dort gezeigt. Die Einkäufer beobachten erst einmal, sie brauchen eine Kontinuität, um sicher zu sein, dass der Designer ein Produkt liefern kann, das solide ist, bei dem die Qualität stimmt. Das Wiener Modedesignerduo Femme Maison hat jetzt zum Beispiel für einen Monat einen eigenen Space in den Galeries Lafayette in Paris – in derselben Abteilung, in der große Labels, wie Azzedine Alaya oder Lanvin präsentiert werden. Das ist auch ein Erfolg unseres Showrooms.
Paris ist ja kein einfaches Pflaster! Gebt Ihr eine Art „Fashion Survival Kit“ mit auf den Weg?
C.B.: Wir machen vor dem Showroom Coachings mit den Designerinnen und Designern, um sicherzustellen, dass deren Preisgestaltung realistisch ist und die für sie passenden Einkäufer kontaktiert werden, denn DEN „Fashion Start up Survival Kit“ gibt es nicht. Erfolg in der Mode hängt von unzähligen Faktoren ab. Unsere Aufgabe ist es, Potenziale zu erkennen und zu fördern. Daher mein Ratschlag: Liebe Modedesignerinnen und Modedesigner, holt Euch qualifiziertes Feedback zu Euren Kollektionen, immer und immer wieder!
Wie wird der Showroom finanziert?
M.A.: Einen großen Teil zahlt die Austrian Fashion Acssociation aus den Subventionen des Bundeskanzleramtes und der Stadt Wien, außerdem haben wir eine Kooperation mit der Außenwirtschaft Österreich, eine kleiner Obulus entfällt an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Hin und wieder hört man von Leuten, die nicht direkt in der Mode verortet sind, dass sie nicht so recht wissen, was die Austrian Fashion Association tut. Eine Idee, woran das liegen könnte?
C.B.: Die Projekte, die wir machen, produzieren selten große Headlines, sondern sind oft eher brancheninterner und struktureller Natur. Sie werden außerhalb der Szene deshalb oft nicht so wahrgenommen. Unser Ziel ist es, für die Bedürfnisse der Designerinnen und Designer da zu sein, aber wir als AFA promoten uns nicht selbst.
M. A.: Wir vermitteln, einerseits zwischen Förderstellen und Designerinnen und Designern. Da sind wir als Partner für die Ausschüttung von Fördermittel tätig. Auf der anderen Seite geht es darum, die Modeszene mehr mit der Wirtschaft zu vernetzen. Zudem machen wir Pressearbeit und arbeiten intensiv an unserem internationalen Netzwerk.
Ist es immer noch ein Thema, sich abzugrenzen vom AFA-Vorgänger Unit F - büro für mode, um Ulrike Tschabitzer-Handler und Andreas Oberkanis?
C.B.: Es war am Anfang eine riesige Herausforderung, bei praktisch Null anzufangen. Die Erwartungen sind nach wie vor hoch. Wir tun unser Bestes, aber wir fahren ein anderes Programm, setzen andere Schwerpunkte, sind andere Menschen und haben dementsprechend auch andere Zugänge. Und deswegen sind die Austrian Fashion Awards auch anders positioniert.
M.A.: 13 Jahre Unit F heißt auch 13 Jahre mehr Erfahrung. Wenn man neu startet, ist man vielleicht manchmal zu blauäugig und zu idealistisch, vielleicht will man manchmal zu viel und unterschätzt Prozesse und Zeitspannen. Natürlich orientieren wir uns an Vorbildern und Modellen, wie dem Flanders Fashion Institute (FFI), Wallonie Bruxelles Design Mode (wbdm), dem Danish Fashion Institut (DAFI) und dem übergroßen Vorbild British Fashion Council (BFC), aber auch an Unit F oder dem austrianfashion.net. Aus allem haben wir eine für uns gute Essenz destilliert.
Camille, Du bist gebürtige Französin, was hat Dich nach Wien gelockt?
C.M.: Die Liebe! Aber das bleibt unter uns (lacht).
Wie schön! Das möchten wir unseren Lesern nicht verheimlichen (lacht). Wie hast Du Dein berufliches Leben in Wien gestaltet?
C. B.: Ich habe in Paris Mode studiert und bei der österreichischen Modeplattform Unit F gearbeitet. Danach lebte ich zwei Jahre lang in China und leitete für diverse Firmen die Modeabteilungen und unterrichtete dort an der Universität. Zurück in Österreich habe ich einen Shop unter meinem Namen mit internationalem sowie jungem, österreichischem Modedesign eröffnet. Parallel dazu jobbte ich für verschiedene Modeinstitutionen wie austrianfashion.net und unterstützte österreichische Designerinnen und Designer, etwa Sonja Bischur und Florian Ladstätter, bei ihren Präsentationen in Paris. Eines Tages lernte ich bei der Kooperationsbörse Mode Marlene kennen. Da wir uns sofort sympathisch waren, fragte ich sie, ob sie denn nicht interessiert wäre, einen gemeinsamen Showroom in Paris zu veranstalten. Das war die Initialzündung für unsere Zusammenarbeit.
"Ich glaube, dass man mit kreativem Schaffen gesellschaftliches Umdenken bewirken kann."
Marlene, wie bist Du zur Mode gekommen?
M.A.: Nach meinem Psychologiestudium machte ich einen Minijob im Sozialbereich, danach hatte ich einen kreativen Erweckungsmoment (lacht). Im nächsten Semester startete ich mit dem Modedesign-Studium bei Raf Simons, das ich jedoch nie abgeschlossen habe.
Was kam dazwischen?
M. A.: Im zweiten Jahr – Veronique Branquinho hatte die Professur übernommen – stellte ich mir die Frage, was ich denn genau im Modebereich machen möchte. Ich habe mich dann entschieden, eine Kulturmanagement-Ausbildung zu machen. Nach dem Abschluss arbeitete ich an vielen kleinen Projekten. Und dann kam das, was eigentlich der Gründungsmoment der AFA ist: 2013 gab es eine Ausschreibung des damals noch BMUKK (Österreichisches Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, Anm. d. Red.) und der Stadt Wien, in der eine Nachfolge für Unit F gesucht wurde. Wir haben uns beworben und es hat tatsächlich geklappt. Wir hatten zum ersten Mal ein Jahresbudget, das eine längerfristige Planung erlaubte.
"Mode kann sehr ausbeuterisch sein."
Ihr habt nun fast zwei Jahre AFA hinter Euch. Schon Erfolge zu verbuchen?
M.A.: Viele. Beispielsweise haben wir im Rahmen der Kooperation mit dem Österreich-Büro der Wirtschaftskammer für die Expo Mailand ein Projekt umgesetzt, bei dem alle Fäden zusammen laufen: Ein österreichischer Modedesigner, Peter Holzinger von superated, hat die Corporate Wear für die Expo entwickelt. Dies zeigt, wie wertvoll die Leistung von Kreativen ist im Sinne einer Mittler- und Innovatorenfunktion, in einem relativ traditionellen Wirtschaftssystem, wie es die Textilindustrie ist. Das Projekt hat sehr weite Kreise gezogen, weil sich Österreich eben nicht in Lederhosen und Dirndl präsentierte, sondern in zeitgenössischem Design. Das ist toll!
Was kann Mode bewirken?
C.B.: Mode kann sehr ausbeuterisch sein, Mode kann sehr hierarchisch sein, da kann derjenige verlieren, der auf dem untersten Treppchen steht. Viele österreichische Labels gehen aber sehr vorbildlich ans Werk, überprüfen die Produktionsprozesse und die Herkunft von Materialien sehr konsequent. Ich glaube, dass man mit Mode, mit kreativem Schaffen, mit fairen Produktionsverhältnissen, mit der Unterstützung kleinerer Designerlabels wirklich auch ein gesellschaftliches Umdenken bewirken kann.