Brücke zwischen Ost und West
Es gibt sie noch, die viennacontemporary, um deren diesjährige Realisierung zuletzt viel spekuliert wurde. Von 2. bis 5. September findet sie erstmals in der Alten Post im ersten Wiener Bezirk statt. Wir diskutieren mit dem künstlerischen Leiter Boris Ondreička und dem Geschäftsführer Markus Huber über das komplizierte Ost-West-Ding, warum Kunst zu verkaufen profan sein kann, warum es so verdammt schwer ist, junge Besucherinnen und Sammlerinnen auf Kunstmessen zu locken, und was sie beide in Zukunft alles ändern wollen.
„Mehr Radikalität, Konfrontation und Diskussion“
Antje Mayer-Salvi: Brauchen wir die vienncontemporary noch? Mit der neuen SPARK Art Fair Vienna Eures früheren Geschäftsführers Renger van den Heuvel, die jener erstmals im Juni in der Marx-Halle veranstaltet hat, der Interconti oder der Parallel, um nur einige Formate zu nennen, gibt es reichlich Angebot in Wien?
Boris Ondreička: Das ist keine Frage für uns, eher für die anderen. Die viennacontemporary ist die traditionelle und etablierte Kunstmesse vor Ort. Wien ist groß genug, dort können mehrere Kunstmessen über das Jahr stattfinden. Kunst besitzt so ein großes Spektrum, da gehen einem die Themen und das Angebot nicht aus. Aber klar: Konkurrenz belebt das Geschäft und zwingt uns, noch besser, fokussierter und spezifischer zu werden.
Wie denn?
B.O.: Es geht uns nicht nur um die besseren Verkaufszahlen, sondern auch um mehr Radikalität, Konfrontation und Diskussion.
Die viennacontemporary setzt seit jeher auf den Fokus Ost- und Zentraleuropa, von wo ich als junge Journalistin in den Neunziger Jahren viel berichtet habe. Ich habe den Bezug zu dem Teil von Europa mittlerweile gänzlich verloren, da konnten mir auch die viennacontemporary in den vergangenen Jahren nicht viel weiterhelfen. Was geht dort ab in den Kunstszenen?
B.O.: Das wundert mich nicht, denn das sind in meiner Wahrnehmung immer noch – oder wieder – zwei parallel existierende Welten, auch in der Kunstberichterstattung, wo jedes Medium sein eigenes Süppchen kocht. Der größte Teil der Europäerinnen kommuniziert im Übrigen nicht auf Deutsch oder Englisch, sondern in einer slawischen Sprache, dieser Sprachraum bleibt schon deswegen ein eigener abgeschlossener Kosmos.
„Die europäische Frage halte ich für nicht gelöst.“
Was beschäftigt die Künstlerinnen aus diesem Teil Europas derzeit. Die neuen Nationalismen?
Markus Huber: Mit Verlaub, die gibt es auch in Österreich, Italien, Holland und Frankreich!
Dennoch sind der Druck und die Zensur, die auf Künstlerinnen in Ungarn, Polen oder Weißrussland ausgeübt wird, besorgniserregend?
B. O.: Absolut. In Weißrussland und Ungarn ist es für Intellektuelle, Künstlerinnen oder geschlechtlich anders Orientierte besonders schlimm, auch gibt der neuentflammte christliche Fanatismus in Polen Grund zur Sorge. Wir befinden uns im Anthropozän, das heißt ökologisch-politische Themen sind in der aktuellen Kunst allgegenwärtig, das vereint Ost und West sozusagen wieder. Das war in den Neunzigern nicht so.
„Der Fall des Eisernen Vorhangs: einer meiner prägendsten Ereignisse meines Lebens.“
Was treibt Euch beide also, das Format viennacontemporary, das doch letztens merklich an Spannung und frischen Wind verloren hatte, wiederzubeleben und einer Jungzellenkur zu unterziehen?
M.H.: Ich hätte nie gedacht, dass ich als Unternehmer nochmal zum Kulturmanager mutiere (lacht). Der Fall des Eisernen Vorhangs, die damit einhergehende neue Positionierung meiner Wahlheimat Wien, gehört sicherlich zu einem der prägendsten politisch-historischen Ereignisse meines Lebens. Ich war bei der viennacontemporary übrigens von 2011 an mit dabei. Das sind heuer zehn Jahre.
Gegründet wurde sie 2005, bis 2014 hieß die Kunstmesse noch viennafair.
M.H.: Den CEE-Fokus gibt es seit 2011 mit den auf ost- und südosteuropäische Kunst spezialisierten Kuratoren Hedwig Saxenhuber und Georg Schöllhammer. Wir alle waren damals von dem Enthusiasmus getragen, in Wien eine Brücke zwischen Ost und West zu bauen. Die braucht es immer noch, denn die europäische Frage halte ich für nicht gelöst.
Warum nicht?
M.H.: Der bulgarische Politologe Ivan Krastev schreibt in seinem Buch „Das Licht, das erlosch. Eine Abrechnung“, dass die vermeintliche Demokratisierung der Länder des ehemaligen Ostblocks am Ende eher einer Kapitalisierung gleichkam. Aus Enttäuschung haben sich jene Menschen, die von diesem neoliberalen Modernitätsversprechen ausgeschlossen blieben, repressiveren Modellen wieder zugewandt. Es gibt in jenen Ländern, laut Krastev, historisch außerdem keine Erfahrung von Immigration und damit von Integration.
Ihr beide verkörpert diese Brücke zwischen Ost und West: Markus aus Wien, Boris aus Bratislava?
M.H. & B. O.: Ja, klar, das Gute liegt so nah (lachen). Unsere Mitarbeiterinnen kommen übrigens nicht nur aus Österreich, sondern aus der Ukraine, Weißrussland, Russland, Tschechien und so weiter. Seine Ausländerinnen, Pendlerinnen und Bewohnerinnen aus dem Osten, machen die Stadt Wien reicher. Wir wollen mit der viennacontemporary nicht nur Wissen über die Kunstszenen jenes Teils Europas vermitteln, sondern das Publikum auffordern, dorthin zu fahren, Beziehungen zu knüpfen, diese spannende Nachbarschaft „zu nutzen“.
„Der Kunstmarkt muss sich wieder kultivieren.“
Viele junge Wienerinnen kennen nicht mal den Unterschied zwischen Slowakei und Slowenien und glauben, dass Bratislava die Hauptstadt von Ungarn ist und acht Stunden Fahrzeit von Wien entfernt. Das habe ich nicht erfunden, sondern tatsächlich so erlebt ...
M.H.: Die junge Generation im Westen – und nun zunehmend auch im Osten – ist eben angloamerikanisch geprägt, da ändern auch über 30 Jahre Fall des Eisernen Vorhang nichts daran, die Sozialen Medien, die fortschreitende Digitalisierung und damit Globalisierung haben das nur noch verstärkt. Kunst interessiert jene relativ wenig, an deren Desinteresse beißen sich auch andere Messen die Zähne aus.
„Diese junge Generation ist gebildeter als wir.“
Die junge Generation ist doch durchaus kunstinteressiert, das zeitgenössische kreative Tun findet nun eben nicht mehr in den Galerien, auf Kunstmessen oder in Museen statt, sondern auf Instagram oder TikTok?
B. O.: Und deswegen müssen wir uns mit unserer Kunstmesse dieser Welt öffnen. Meine Tochter ist – wie Deine – sechzehn Jahre alt. Ihr Ding sind die Sozialen Medien. Sie mutiert da von der reinen Konsumentin zur Produzentin. Das ist doch gut. Das Visuelle ist in dieser Welt extrem präsent. Auch gut. Ich denke, viele der Hip-Hop-Songs, die sie hört, sind von lyrischer und literarischer Qualität. Diese junge Generation ist gebildeter als wir, im Sinne von breiter gebildet. Sie ist gesellschaftspolitisch interessiert und dabei extrem kritisch. Sie mag das Analoge, gedruckte Magazine, sind grad das große Ding.
Das freut uns. Ich kann das unterstreichen. Die Leserinnen unseres Printmagazins werden immer jünger. Kommen wir auf die Kunst zurück!
M.H.: Der Kunstmarkt muss sich wieder kultivieren. Kunst wird in den Ländern Zentral- und Osteuropas genauso wie bei uns von den neoliberalen Eliten produziert, wird auch nur wieder vom Markt einverleibt und kommt nicht bei der Basis an – nicht mal mehr bei den jungen neoliberalen Eliten. Was uns interessiert, ist länger mit und in der Region und deren Zivilgesellschaften zu arbeiten.
„Die stärksten Galerien haben wir nach Basel und London verloren.“
Ok, das sind die heeren Ziele, letztlich soll auf der Messe aber Kunst verkauft werden. Wie?
B. O.: Die stärksten Galerien aus der Region haben wir nach Basel und London verloren, aber sie kommen wieder, genauso wie neue junge Sammlerinnen, wenn wir mit ihnen in eine inhaltliche Diskussion treten, die sie interessiert. Wir gehen dafür über das Jahr mit der viennacontemporary in die Länder, besonders in die Städte, die man mit einem Tagestripp von Wien aus gut erreichen kann: Bratislava, Budapest und Brünn.
Der bekannte deutsche Soziologe Helmut Rosa nennt das „in Resonanz treten“. Warum diese Städte?
M.H.: Unser Mantra ist Hürden abbauen! Und genau, wir werden „in Resonanz treten“. Wir werden dort unsere vorhandenen Netzwerke aktivieren, über das Jahr recherchieren, neue Partnerinnen gewinnen, Pop-up-Formate veranstalten und ein publizistisches Format entwickeln, das den Szenen eine Stimme gibt, wir müssen Narrative entwickeln. Die viennacontemporary ist in den vergangenen Jahren immer mehr zum Schaufenster und Kaufhaus mutiert. Das wurde dann irgendwann fad ...
... und inhaltlich irrelevant, der Fokus auf Ost- und Zentraleuropa bildete sich marginal ab. Warum seid Ihr heuer nicht in der Marx-Halle in Erdberg sondern in der Alten Post im ersten Bezirk?
M.H. & B.O.: Wir wollten mitten in die Stadt. Da ja die SPARK erst kürzlich in der Marx-Halle veranstaltet wurde, hätte sich das für uns seltsam angefühlt. Nächstes Jahr wird jene im März stattfinden, dann können wir durchaus wieder – mit einem halben Jahr Abstand – nach Erdberg zurück. Es gibt in Wien leider nicht so zahlreiche Raumangebote für so ein großes Event.
Was sich viele fragen, ist, warum sich ein wohlhabender russischer Unternehmer wie Dmitry Aksenov in Wien für eine Kunstmesse engagiert? Er ist Mehrheitseigentümer. Angesichts der harten Restriktionen gegenüber politisch Andersdenkenden in Russland, siehe Nawalny, oder das aggressive nationalistische Säbelrasseln, siehe Ukraine, ist eine gewisse Skepsis den Beobachterinnen nicht zu verdenken. Wer in diesem System reich wurde, so die Vermutung, hat sich mit ihm trefflich arrangiert?
B.O. & M.H.: Aksenov hat bisher an der Messe nichts verdient und für weitere drei Jahre seine Unterstützung zugesagt. Er fühlt sich Wien verbunden, seine kulturelle Herkunft ist für ihn eben Europa und die von dort vertretene Werte, zu dem er mit seinem Engagement von Russland aus die Brücke nach Österreich halten will. Er möchte ein Mittler sein. Nicht zuletzt ist seine Unterstützung von der Liebe zur Kunst getrieben. Seine Stiftung gehört in Russland mittlerweile zu einer der wichtigsten Unterstützerinnen zeitgenössischer Kunst – vor allem auch kontroverser Formate wie der performativen Kunst.
Einen Wunsch habt Ihr frei!
M.H.: Ich wünsche mir, dass wir nicht nur verkaufen, das wäre zu profan. Wenn wir verkaufen wollen, müssen wir unsere Produkte, also die Kunst, noch besser verstehen lernen, auch neue Sammlerinnen und Communities aktivieren. Ich wünsche mir, dass wir neue Denk-Räume für die Auseinandersetzung mit Kunst anbieten werden können.
Vielen Dank für das Gespräch!