Ein Herzensprojekt, kein Partykollektiv
Radio Rudina ist ein Mysterium und mischt gerade die Wiener DJ- und Eventszene auf. So richtig weiß niemand, wer oder was dahintersteckt. Wir treffen Philipp Rirsch und Yvonne Tadić, zwei der zehn Mitglieder, in ihrem Kellerstudio im Raum neben einem Live-Event. Bei schallendem Bass sprechen wir über die Entstehung des Kollektivs, die Nostalgie des Radios und das Studio.
„Wo der Funke zum Feuer werden kann.“
Jules Bauereiß: Wow, Euer Studio ist riesig. Was findet Ihr daran am coolsten?
Yvonne Tadić: Unsere Spiegelwand und unseren Hausmeisterschlüssel mit so vielen Schlüsseln daran.
Philipp Rirsch: Unsere Fenster, obwohl wir ein Kellerstudio haben. Deshalb mag ich diesen Raum, den „London“, auch am liebsten. Der Name entstand, weil es hier früher noch ein altes Metallfenster gab, wodurch der Raum Londoner Atelier-Flair hatte.
Beschreibt mir Euer Studio für unsere Leserinnen!
Y.: Es ist dunkel und verwinkelt, fast wie ein Casino. Wir haben eine Küche, eine Toilette, das bekannte Studio und einen offenen Vorraum zum Studio, der wie ein Wohnzimmer für uns ist. Vom WC und Studio aus gelangt man in den „London“, in dem wir Konferenzen abhalten. Es gibt auch einen großen Getränke-Automaten mit Bier, Prosecco, Säften und vielem mehr.
Euer Studio nutzt Ihr als hybriden Raum, was passiert dort alles?
P.: Man darf nicht vergessen, dass es Radio Rudina gibt und das Studio Mahlerstraße (SM5), wobei Rudina dort dazugehört. Studio Mahlerstraße ist ein kreativer Arbeitsraum, in dem mehrere Künstlerinnen arbeiten. Wir beschreiben das Studio immer als einen Raum, in dem der Funke zum Feuer werden kann, also eine Idee von null neu entwickelt werden kann.
Wo war das Studio von Radio Rudina, bevor es in der Mahlerstraße war?
P.: Als Onlineradiosender braucht man keinen festen Sendersitz, weshalb wir früher vermehrt von überall aus der Welt gestreamt haben. In unser System kann man sich von jedem Ort einklinken, wodurch wir DJs aus aller Welt eine Plattform gegeben haben.
Y.: Das ist das Schöne am Internet! Wir kompensieren es aber auch gut, denn mittlerweile kommen die DJs von überall einfach zu uns ins Studio nach Wien. Wir haben wirklich Gäste aus den USA, Korea oder Südamerika.
„24/7 live“
Wie genau kann man das, was Radio Rudina macht, in Worte fassen?
P.: Hauptsächlich sind wir ein Radiosender. Wir bedienen uns bewusst der klassischen Mittel des Radios. Wir senden 24/7 live, wofür wir eine Song-Rotation haben, die wir persönlich und genredivers zusammenstellen. Dafür sprechen wir auch Jingles ein. Durch Social Media betreiben wir Kommunikation mit der Community. Durch unsere langjährige Arbeit mit DJs sind wir gerade auch in die Richtung Management unterwegs. Außerdem betreiben wir Booking für unsere Events.
Y.: Seit letztem Oktober ist das audiovisuelle Streaming aus unserem Studio hinzugekommen. Wir übertragen die DJ-Sets aber zunächst live, mit allen Fehlern und Glanzleistungen. Erst danach landet das Video auf anderen Plattformen.
Wie kann ich mir das vorstellen, wenn Euch ein Club anfragt, was bucht er bei Euch?
P.: Radio Rudina! Wir füllen die Location mit unserer Veranstaltung, in diesem Moment sind wir Veranstalter, wir kennen viele DJs und kuratieren das Programm, das unter unserem Namen läuft.
Y.: Die DJs sind dann entweder wir selbst von Rudina, oder wir buchen andere dazu.
Wer gehört alles zu Eurem Kollektiv?
P.: Wir sind zu zehnt: Fabi, Fabi, Mo, Cristian,
Y.: Anel, Philipp,
P.: Yvonne, Raphi, Juli, Leon.
Und alle DJs?
P.: Ne, wir sind alle sehr musikaffin. Wir interessieren uns alle für Nischenmusik und denken Musik als Medium weiter.
„Brot auf den Tisch“
Ist Radio Rudina Euer Hauptberuf?
P.: Das wäre der Traum! Wir machen alle etwas nebenher. Es ist auch kein Hobby, es ist größer als das. Wir sind aber gerade an einer neuen Firmengründung dran, da wir seit September 2023 durch Social Media immer präsenter werden. Es entwickelt sich also langsam in die Richtung, ein Projekt zu werden, das uns allen auch Brot auf den Tisch bringt.
Was macht Ihr, wenn Ihr nicht mit Radio Rudina beschäftigt seid?
Y.: Unterschiedlich! Wir arbeiten in der Nationalbibliothek, als Gärtner, Social-Media-Manager oder machen Fotos und Videos wie Philipp!
Wie entstand die Idee für Euer Kollektiv?
P.: Als Spaßprojekt in einem kleinen Dorf in Kroatien! Seit Jahren fahren wir als Freundesgruppe über den Sommer in das Haus von Fabis Familie. Wir fanden heraus, dass es dort in den 70er-Jahren eine Künstlerkommune gab, die wir wiederbeleben wollten.
Y.: Ich komme von dort und hatte Kontakt zur lokalen Szene, die wollten aber lieber unter sich bleiben, also haben wir unser eigenes Ding gemacht!
Wie sah Euer eigenes Ding in Kroatien aus?
Y.: In Fabis Garten haben wir die „Galerija Šolyard“ (ein Wortspiel aus dem Nachnamen und dem Wort „Yard“, Anm. d. Red.) veranstaltet.
P.: Dafür haben wir andere Kollektive eingeladen, unter anderem ein irisches experimentelles Filmkollektiv, eine Fotoausstellung organisiert und T-Shirts verkauft. Für die Musik hatten wir einen kleinen Mixer zum Auflegen.
„Radio Rudina lol“
Lief das damals schon unter dem Namen „Radio Rudina“?
P.: Ja! Das kleine Dorf, in dem die Veranstaltung stattfand, heißt Rudina. Wir wollten so gerne auch unsere Freundinnen und Freunde aus Wien dabeihaben, weshalb wir vorschlugen, einen Audio-Livestream zu machen. Auf dem Weg zum Strand schrieb Fabi in unsere Whatsapp-Gruppe „Radio Rudina lol!“. Damit waren die Idee und der Name geboren.
Wie ging es dann von Rudina nach Vienna?
P.: Noch in Kroatien haben wir uns informiert, wie wir einen Onlineradiosender gründen können. Gesagt, getan! Die eine Veranstaltung hat uns gezeigt, dass es in Wien supergut angenommen wurde. Alle waren Feuer und Flamme und schickten uns Sets zu, um sie zu spielen. Im Oktober 2019 veranstalteten wir schon unser erstes Event als „Radio Rudina“.
Ihr habt den Onlineradiosender gegründet. Was müsst Ihr dafür tun?
P.: Wir müssen die Musikrechte bezahlen, um Musik spielen zu dürfen, so wie jeder Veranstalter und jede Bar auch. Hinzu kommen noch Fixkosten wie Website, Technik und Software.
Beschreibt Radio Rudina in vier Worten!
Y.: Community und entspannt.
P.: Genrevielfalt und Inklusion.
„Man sagt nicht DJane!“
Was unterscheidet Euch von anderen Kollektiven?
P.: Unser Hauptaugenmerk liegt auf unseren Livestreams. Auf Social Media sehen die Leute nur die Videos und denken, wir seien Streamer oder ein Kollektiv, aber wir machen Radio! Das unterscheidet uns von anderen Party- oder Musikkollektiven.
Es wird immer gesagt, Radio sei ein aussterbendes Medium …
Y.: Onlineradio ist was anderes als Frequenzradio, ich glaube, das wird nicht so bald sterben.
P.: Das Wort „Radio“ ist sehr fluide. Wir bedienen uns natürlich der Nostalgie und des schönen geflügelten Wortes „Radio“. Im Endeffekt sind wir auch ein Streamingdienst und könnten „Streaming Rudina“ heißen, aber das Wort „Radio“ ist doch viel schöner.
Auf welcher Frequenz kann man Euch hören?
P.: Leider auf keiner, das ist in Österreich extrem kompliziert. Wir haben bisher nicht mal rausfinden können, wie man eine Frequenz erhalten kann. Typisch Österreich! Also an alle Leserinnen: Falls da jemand Infos hat, gerne an uns wenden, danke!
Zum klassischen Radio gehören Wortbeiträge, setzt Ihr so etwas auch um?
P.: Wir sind primär ein Musikradiosender, obwohl wir in der Vergangenheit auch schon Sprachprogramme gehostet haben. Eines davon hieß „Bed Time Stories“. Da haben wir einfach Geschichten von Menschen vorgelesen und mit angenehmer Musik hinterlegt – als Einschlafhilfe!
„Mit allen Fehlern und Glanzleistungen“
Kann man bei Euch auch anrufen und etwas gewinnen?
P.: Nein! Ich habe aber mal ein Format gehabt, das hieß „Rage Radio“. Die Menschen konnten anrufen und sich über alles Mögliche beschweren. Sie konnten gewinnen, sich auszukotzen (lacht).
Wie äußert sich die Genrevielfalt bei Euch, Eure Events sind ja immer elektronisch, oder?
P.: Genau, bisher schon. Also wir vertreten verschiedene Genres in unserer Playlist. Wir hatten jetzt aber auch schon in der Studiosession Sängerinnen zu Gast, zum Beispiel Bibiza. Wir haben eine Kollaboration mit dem Kunsthistorischen Museum, da werden wir jetzt auch verstärkt Konzerte veranstalten.
Geht Ihr auch von Euren Veranstaltungen aus live?
P.: Haben wir schon gemacht, aber du brauchst dafür eine sehr gute Infrastruktur, also eine stabile Internetverbindung und das ist häufig nicht gegeben, deshalb eher nicht! Wir arbeiten gerade daran, in Wien wieder verschiedene Orte zu bespielen und das auch live auszustrahlen.
„Handy aufs Dach kleben“
Ist bei Euren Livesendungen schon mal was schiefgegangen, gibt es lustige Fails?
P.: Da gibt es Millionen Dinge (lacht). Schon unser erstes Set-up war ein einziger Fail. Das Internet in Rudina ist so schlecht, wir mussten unser Handy aufs Dach kleben, damit wir von dort aus einen Hotspot zu unserem Laptop einrichten konnten, um live zu streamen. Da ging wirklich alles schief.
Y.: Meistens nur Kleinigkeiten bei der Technik. Mal den falschen Knopf gedrückt oder schon mal gar nichts aufgenommen, obwohl ein ganzes Set gespielt wurde.
In Euren Videos steht der DJ mit dem Rücken zum Publikum vor Ort. Das ist untypisch! Wieso ist Eure Raumformation so besonders?
P.: Freunde von mir haben in Salzburg die Kollektive „Kaze Elza“ und „Die Ernte“, bei denen ich auch mitmische. Bei unserer Raumeinrichtung haben wir uns von ihnen inspirieren lassen. Wir wollten diese typische Hierarchie aufbrechen. Normalerweise steht der DJ im Mittelpunkt und alle himmeln die Person förmlich an. Durch unsere Einrichtung steht das Publikum hinter dem DJ, wodurch er zum Teil der Gruppe wird. Das Publikum ist in unseren Augen genauso wichtig wie der DJ.
„Vom Lovechild zu einem seriösen Geschäft“
Was war die größte Herausforderung für Euch seit der Gründung von Radio Rudina?
Y.: Ich glaube der Switch vom kleinen Lovechild zu einem seriösen Geschäft. Ich habe nie damit gerechnet, mal Teil von etwas so Großem zu sein, was nur als Spaß- und Community-Projekt begann.
P.: Für mich ist es der Geldaspekt, wir brauchen einfach Kohle, damit es funktioniert! Auf der anderen Seite wollen wir unser Herzensprojekt nicht für zu viel Geld zu etwas machen, hinter dem wir nicht stehen. Die Verlockung ist da, aber wir versuchen, hier eine Mitte zu finden.
„Wir waren nur in Rudina im Urlaub, plötzlich hören uns Menschen aus Ghana und Japan zu.“
Und das Beste seit der Gründung?
Y.: Die erste „Grelle Forelle“-Party. Die war ausverkauft, das bedeutet: Dort waren eintausend Menschen, nur um uns zu sehen. Es war so krass für mich, als ich an der Abendkasse die Tickets verkauft habe und ich so viele Menschen „Rudina“ habe sagen hören. Ich komme ja von dort und auf einmal spricht in Wien jeder darüber.
P.: Für mich ist immer der schönste Moment, auf unserer Software zu sehen, von wo aus uns die Menschen zusehen. Da gibt es so eine Map und wenn ich die öffne, sind da Punkte auf der ganzen Weltkarte verteilt. Wir waren doch nur in Rudina im Urlaub und plötzlich hören uns Menschen aus Ghana und Japan zu!
Habt Ihr eine alte Erinnerung, die Euch verbindet?
Y.: Ich habe einen Garten mit Tomaten in Rudina, besser gesagt hat sie jetzt mein Papa. Die haben wir immer gegessen.
P.: Das sind wirklich die weltbesten Tomaten und wir haben sie in den verschiedensten Variationen gegessen: Suppe, Salat, Soße, pur …
„Rudina wird fünf Jahre alt.“
Wie kann ich mir ein klassisches Teammeeting von Euch vorstellen?
P.: Relativ strukturiert und freundschaftlich, das war aber nicht immer so. Aktuell treffen wir uns einmal wöchentlich von 18 bis 20 Uhr, meistens dauert es allerdings bis 23 Uhr.
Y.: Zu Beginn hat jeder alles gemacht, mittlerweile hat jeder einen Aufgabenbereich wie Social Media, Merchandise, DJ-Booking und noch weiteres.
Welches Projekt steht als Nächstes an?
Y.: Secret!
P.: Ich sage nur: Rudina wird heuer fünf Jahre alt, da wird noch was kommen!
Wir bleiben gespannt. Danke für das Gespräch!