Das Softcover

Bücher sind sensible Tiere

Ein Magazin über Pizza und nackte Männer, C/O Vienna Magazines und Books oder eine Zigarettenschachtel als Mini-Buch? All das und mehr findet man im SOFTCOVER dem ersten Wiener Spezialitätenladen für Foto- und Kunstbücher, Indie-Magazine und Zines. Fotograf und Grafikdesigner SEBASTIAN GANSRIGLER gründete im 6. Bezirk in Wien nicht nur ein Paradies für Print-Liebhaberinnen, sondern auch einen Ort für Workshops, Lesungen und Release-Partys. Wir sprachen inmitten von 500 Publikationen über die esoterische Buchhandlung seiner Mutter, den Geruch von Büchern, und warum PRINT NICHT TOT ist! Nerd-Alert! 

„Ich erforsche Bücher!“

Elisa Promitzer: Man hört an jeder Ecke, dass Print tot sei! Warum eröffnest Du dann einen Magazin-Store?

Sebastian Gansrigler: Print ist nicht tot, es wird nur weniger. Und dadurch noch besonderer. Mein Papa ist auch Fotograf, meine Mama führte einen esoterischen Buchladen, nicht mein Geschmack, aber Bücher waren es trotzdem. Mit 16 oder 17 Jahren übersiedelte ich aus dem Burgenland nach Wien und traf das erste Mal auf die Welt der Indie-Magazine in Trafiken in der ganzen Stadt und in Geschäften am Westbahnhof. Später dann bei Walther König im Museumsquartier. Mein erstes Magazin war ganz klassisch die Bravo, mein erstes Fotobuch, glaube ich, von der Wiener Fotografin Stefanie Moshammer. Der Gedanke, dass man etwas selbst, ohne Verlag, publizieren kann, faszinierte und zog mich Schritt für Schritt in seinen Bann.

Und dann ist da diese Lücke in Wien, …

… wo es, bis ich „Softcover“ gründete, keinen Ort für Indie-Publishing gegeben hat. Ich sehe und blättere Bücher nicht nur, ich analysiere und erforsche sie geradezu – das begeistert mich einfach.

Deine Leidenschaft wurde zum Beruf?

Die Idee, daraus ein Geschäft zu machen, reifte dank zwei anderer Projekte: Ich gründete 2018 das Fotografie-Magazin „Auslöser“ und 2020 gemeinsam mit dem Fotografen Paul Pibernig das Off-Grid-Foto-Festival in Wien. Bei Letzterem stellten wir einen kleinen Tisch mit ausgewählten Fotobüchern und Magazinen auf. Das Potenzial war nicht zu übersehen – der Tisch wuchs und wuchs, bis der Platz nicht mehr ausreichte. Eine Community war entstanden, die mich treu ins „Softcover“ begleitet!

„Print ist nicht tot!“

Warum der Name „Softcover“?

Ich hatte zu Beginn eine Liste mit 100 Namen, die ich Schritt für Schritt reduzierte. Die finale Frage war, ob ich den Store nach meinem Magazin „Auslöser“ benennen oder etwas Neues kreieren möchte.

Du hast Dich für Letzteres entschieden!

Es ist viel mehr als „Auslöser“. Der Name „Softcover“ ist international besser verständlich. Außerdem verwendet man im Independent Publishing meistens ein Softcover. 

Sind Bücher mit Hardcover ein Ausschlusskriterium bei Dir?

Nein, so streng sind die Regeln nicht. Ich mag einfach die Bedeutung des Wortes: Softcover ist ein gemütlicher, warmer und willkommen heißender Ort. Passend dazu, habe ich drei Sprüche kreiert: „Weiche Schale, weicher Kern“. „Make Books not Bombs“. Und: „Bücher sind sensible Tiere“. Abstrakte Umschreibungen von dem, was ich versuche aufzubauen. 

„Make Books, not Bombs!“

Hast Du vor der Eröffnung in diesen schönen Räumlichkeiten im 6. Bezirk viel umbauen müssen?

Das war ein schleichender, aber schöner Prozess. Nach langer Suche fand ich das Geschäft. Zuvor betrieb man hier einen Club – im Keller war das „Nachtasyl“ und wo heute die Bücher stehen, das sogenannte „Tagasyl“. Ein legendärer Wiener Club für über 30 Jahre. Darauf folgten Verhandlungen mit dem Hausbesitzer, die große Renovierung, bei der neue Stromleitungen verlegt und Küchenanschlüsse gemacht wurden, genauso wie, WCs und so weiter. Dieser Ort war vor der Renovierung wirklich eine Bruchbude. Komplett abgefuckt.  

Nach einem Haufen Staub und Renovierungsstress öffnete „Softcover“ am 13. Dezember 2023 die Türen …

… und das große Feedback war sehr schön und hält bis heute an. Am Samstag warten manchmal Leute bereits um Punkt zwölf Uhr vor der Ladentür – das ist definitiv der beliebteste Wochentag.

Die Themen reichen von Katzen und chinesischen Hochzeitsritualen über Kulinarik bis hin zu Kunst und Popkultur. Alles, was nischig, skurril und besonders ist. Welche Voraussetzungen müssen die Publikationen für Dich erfüllen, damit sie von Dir aufgenommen werden?

Eine Kombination aus gutem Grafikdesign, Druck, schöner Bindung und einer spannenden Geschichte. Haptik spielt eine Rolle, die Frage, welches Papier verwendet wurde. Die Ästhetik ist sehr wichtig, aber nicht alles. Der Inhalt und die Verpackung sollten ineinander verschmelzen. Das schaffen dann doch die wenigsten, aber ein gutes Beispiel dafür ist das „Zigarettenbuch“.

Ein Buch zum Rauchen?

Das Buch ist von Thomas Sauvin und heißt „Until death do us part“. Ein kleines Fotobuch, das in der Form einer eingeschweißten Zigarettenschachtel begeistert. Im Inneren findet man Fotos, die von einem typischen Brauch in China erzählen, bei dem die Braut bei der Hochzeit die Zigarette anzünden muss. Der Künstler sammelte Archivmaterial und kreierte ein fünf  mal zehn Zentimeter kleines Bilderbuch. Je weiter man blättert, desto verrückter wird es, bis zur finalen Eskalation: Elf Zigaretten stecken in einer Plastikflasche und werden gleichzeitig inhaliert.

„500 Publikationen!“

Das findet man nicht bei Thalia oder Amazon!

Diese Spezialitäten machen „Softcover“ besonders. Mittlerweile findet man bei mir über 500 Publikationen.

Gefallen Dir alle? Geschmack ist ja bekanntlich individuell!

Es sind meine Augen, meine Erfahrungen, die in die Auswahl reinspielen. Ich versuche, Themen aufzunehmen, die mir persönlich nicht wichtig sind, aber von der Ästhetik und dem Grafikdesign reinpassen. Was mir persönlich jedoch nicht gefällt, nehme ich nicht auf. Aber ich plane diese einseitige Sichtweise aufzubrechen: In Zukunft möchte ich, dass die Bücherwände und Regale, laufend auch von anderen Personen kuratiert werden.

Wie rentabel ist das Print-Geschäft?

Uns gibt es erst seit drei Monaten, da fällt es schwer, Bilanz zu ziehen. Bis jetzt läuft es sehr gut. Leute freuen sich, in Wien endlich auf einen Ort für Indie-Publishing zu treffen.

Werden wir in Zukunft noch frisch Gedrucktes riechen und uns am Papier schneiden?

Alles geht in Richtung Digitalisierung, aber es muss nicht entweder oder sein. Ich glaube, dass Print, zumindest im Indie-Publishing-Bereich, immer einen wichtigen Stellenwert haben wird. Es bedient viel mehr Sinne, Papier spürt man haptisch auf der Haut, der Geruch von frisch Gedrucktem verleiht jeder Publikation etwas Besonderes. Jedes Buch riecht anders. Und zum Sehen gibt es sowieso genug! Das kann man digital nicht spürbar machen!

„Jedes Buch riecht anders!“

Bei über 500 Exemplaren kannst Du wahrscheinlich nicht alle lesen …

… auch wenn ich das natürlich gerne würde. Aber ich schmökere überall hinein, um zu verstehen, was hinter jeder Publikation steckt.

Wie gut Du Deine Publikationen kennst und wie verrückt und kreativ Indie-Publishing ist, kannst Du jetzt beweisen: Ich nenne fünf Situationen und Du musst passend dafür ein Buch oder Magazin nennen!

Das wird schwierig, aber Auswahl habe ich ja genug (lacht)!

Erste Situation: Winterblues ist am Start: Ich sehne mich nach einer analogen (Zeit)reise!

Da könnte ich stundenlang überlegen, ein richtiges Rätsel …

... Dein erster Impuls!

Das Archivio Magazin. Da geht es immer um eine bestimmte Zeit, zum Beispiel gibt es die Sixties Issue, wo man visuell und sprachlich in die Zeit der 60er-Jahre entführt wird. Es ist total schön gestaltet und ein Plakat ist auch drin. Ein italienisches Meisterwerk.

„Für Humor ist man nie zu alt!“

Das klingt vielversprechend, nächste Situation: Ich bin bereit ein paar Tränen zu verdrücken, egal, ob vor Trauer oder Glück!

Da entscheide ich mich für Zweites: Das Fotobuch „You run around town like a fool and think it’s groovy 2“ von der Künstlerin Chantal Rens ist extrem lustig. Sie nahm alte Magazinfotos von Tieren und stellte unterschiedliche Gläser auf die Tiere. Die Gläser schnitt sie mit der Schere aus und klebte sie auf die Tierfotos – eine Collagen-Arbeit mit Twist.

Steckt eine Geschichte dahinter?

Ich finde die Machart und Aufmachung derart schön, humorvoll und lustig, da braucht es gar nicht immer die eine besondere Geschichte. Es macht einfach Spaß.

Dritter Anlass: Meine Oma hat eine riesige Sammlung alter Liebesgeschichten und kocht köstliches Paprikahendl. Sie hat Geburtstag!

Mit Ironie und einem Augenzwinkern würde ich zu dem Buch „One Ingredient Recipes“ von Happy Potato Press greifen. Das sind Rezepte mit einer einzigen Zutat. Es ist lustig, raffiniert illustriert und perfekt als ironischer Gag für die Oma zum Geburtstag.

Das kann man auch im höheren Alter noch kochen …

… und für ein bisschen Humor ist man sowieso nie zu alt!

„Ironischer Gag für die Oma!“

Vierte Situation: Ich vermisse meine Kindheit und liebe Tiere!

„Animal Escape Plan“ von Nikita Teryoshin passt perfekt. Er fotografierte Tiere, die vor schlechter Tierhaltung oder Tierexperimenten flüchteten und das erste Mal auf einer schönen Farm oder im Garten glücklich werden. Er fängt quasi die ersten Glücksmomente von traumatisierten Tieren ein. Mit Blitz fotografiert, düster, aber zugleich wild. Der Charakter von jedem Tier kommt total stark raus. Einfach eine wunderbare Arbeit.

Und nun letzte Challenge: Ich will meinem Papa beweisen, der am liebsten Pizza isst und Microchips programmiert, dass Print nicht tot ist!

Das Zine „Everybody wants to be happy“ von James Unsworth ist zwar voller Tomatensauce und Käse, aber das gefällt dem Papa glaube ich nicht (lacht), zu hardcore: Pizza-Pics treffen auf viel nackte Haut, entblößte Männer und Sexualität. 

Ein schönes Outtake!

Was dem Papa gefallen könnte, ist „The Future without you“ von Max Pinckers und Thomas Sauvin. Ein Fotobuch bestehend aus alten Stockfotos aus den 80er-Jahren. Alle wurden in den USA produziert, später nach China importiert und dort als Stockfotos verkauft. Ganz klassische, aber auch schräge Motive von Computern, der Technik oder dem Internet. Die Normalisierung des Computers in der Gesellschaft wird humorvoll visualisiert.

„Pizza und nackte Männer!“

Aus einem Kopf klettern ein Computer, eine CD, ein HDMI-Kabel und mehr. Wurde da geschnippelt?

Nein, da ist nichts bearbeitet. Das sind wirklich die Original-Stockfotos und die Texte schrieb Chat-GPT. Dazu kommt eine sehr innovative Aufmachung: Das Buchcover ist magnetisch und lässt sich wie eine iPad-Hülle zu einem Ständer aufrollen. Dann blättert man es vertikal. 

Da wäre sogar der Papa begeistert. Das war es auch schon mit der kleinen Vorstellungsrunde!

Ich könnte zu jeder Publikation etwas sagen, aber das würde zehn Stunden dauern. Neue Bücher zu entdecken, ist meine Leidenschaft – ich liebe diese Schatzsuche. 

Wo findest Du neue Printschätze?

Über Verlage, Künstlerinnen, Fotografinnen, ich recherchiere viel. Aber Leute bringen ihre Publikationen auch einfach in den Store oder schicken sie per Post. Es ist total spannend, auf Bücher und Magazine aufmerksam zu werden, die man selbst nie gefunden hätte. Leider sind auch viele Sachen dabei, die gar nicht reinpassen. Diese Absagen sind schwierig, aber müssen sein.

„Ich liebe diese Schatzsuche!“

Apropos Kritik: Wie finden Leute unser C/O Vienna Magazine und unsere C/O Vienna Books? Wie findest Du sie?

Die Magazine und Bücher von euch kommen bisher sehr gut im „Softcover“ an.  Die neuste Ausgabe „Lügen“ liegt auch im Schaufenster! Die gesamte grafische Gestaltung ist sehr cool, verrückt, verspielt. Ein Magazin muss nicht brav sein. Es müsste viel mehr Magazine aus Wien und Österreich geben!

Was könnten wir besser machen? Was ist doof?

Ein Kritikpunkt wäre die Werbung im Magazin. Diese ist natürlich ein wichtiger Faktor für die Finanzierung des Projektes, aber generell finde ich sie immer störend. Im besten Fall wäre die Werbung selbst gestaltet und besonders gelayoutet, sodass es gar nicht als nervige Werbung wahrgenommen wird. Mir ist aber natürlich bewusst, dass das nur in bestimmten Fällen möglich und nicht einfach ist.

Hast Du Tipps für das C/O Vienna Magazine?

Weitermachen – noch verrückter und nischiger! 

Ist „Softcover“ ein Treffpunkt für Alt und Jung?

Eine bunte Mischung. Leute suchen uns bewusst auf, manche stolpern auch durch Zufall in unser Bücher-Getümmel. Fotografie-Nerds treffen auf Menschen, die Fotobücher nur vom DM kennen. Jeder Tag ist anders, manchmal kommen zehn, ein anderes Mal 50 Leute am Tag. Ich führe kein Besucherinnen-Buch. Das Gleiche gilt bei den Veranstaltungen: Workshops, Buchpräsentationen und Release-Partys sind ein wichtiger Teil von meinem Konzept.

„Einfach machen, nicht viel überlegen“

Wie schauen Deine Workshops aus?

Letztens hatten wir einen Kunstbuch-Workshop mit dem Dichter, bildenden Künstler und Performer Benedikt Steiner. Geplant sind außerdem Workshops, wo man lernt, Bücher zu binden und selbst zu fotografieren. Hier wird nicht nur Kreatives verkauft, sondern auch Kreatives geschaffen. Ein Ort, der lebendig und aktiv ist. Ich will kein passives Geschäft, sondern eine aktive Community. In Zukunft wird es drei bis vier Events pro Monat geben.

Klingt nach viel Organisation, ...

… die sich spätestens beim Event bezahlt macht. Das ist einfach der perfekte Dreh- und Angelpunkt für Austausch und Diskussionen. Man blättert durch frisch Gedrucktes und verrücktes Design. Es ist super nischig – einfach die perfekte Anlaufstelle für Indie-Publishing. 

Zum Abschluss noch ein Tipp für alle zukünftigen Indie-Publisherinnen?

Einfach machen, nicht viel überlegen. Drucken kann man zu Hause, binden auch. Die besten Sachen entstehen meistens im Prozess. Zines in kleiner Auflage sind ein guter Anfang und die entwickeln sich oft zu einem Magazin- oder Buchprojekt. Wenn es funktioniert, obwohl es gerade nicht Trend ist, wird es spannend. Ich verkaufe hier zum Beispiel das „Hieb Magazin“ von 2017, nicht neu, aber genauso schön wie damals. Verwendet Eure Hände, macht Eure Augen auf und bastelt einfach los!

Vielen Dank für die Inspiration!

Der gebürtige Burgenländer Sebastian Gansrigler (1994) lernte Mediendesign und Medientechnik in Wien und studierte 2013 Grafikdesign an der University of Arts in London. Seit 2018 arbeitet er als freiberuflicher Grafikdesigner, Fotograf und gründete 2018 sein eigenes Independent Fotomagazin „Auslöser“, wovon es bereits fünf Ausgaben gibt. Zwei Jahre später mitbegründete er das Independent-Fotofestival OFF GRID in Wien. Und weil es noch keine fixe Anlaufstelle für Indie-Magazine in Wien gab, ist er seit Dezember 2023 Gründer und Leiter von Softcover, dem ersten Spezialitätenladen für Fotobücher, Kunstbücher, Indie-Magazine und Zines in Wien.

SOFTCOVER
Stumpergasse 53–55, 
1060 Wien
Mittwoch–Samstag 12:00–18:00