Drogenkonsum 2.0
Genussmittel oder abhängig machende Droge? Ob Tollkirsche oder Stechapfel im Mittelalter, LSD oder Crystal im 20.Jahrhundert: Seit jeher haben sich Menschen berauschender Substanzen bedient. Jeder Kulturkreis bestimmt, was akzeptiert wird und was nicht. Werden die Mittel verboten, entsteht eine Schattenwirtschaft. Aber Drogen werden längst nicht mehr nur illegal auf der Straße verkauft. Wie das Darknet zum Umschlagplatz wurde. Eine Reportage.
„Wie bei Amazon“
Ein großer Tisch, verunreinigtes Geschirr, einige Stühle, etliche Päckchen. Am Tisch Spuren vom Verpacken der Ware. Weißes Pulver und getrocknete Cannabisblätter liegen kreuz und quer. Im Kühlschrank lagern Wachteleier und Wodka. Eine prall mit Bargeld gefüllte Sporttasche steht in der Ecke. Mehrere hundert Pflanzen unter Wärmelampen im Nebenzimmer. Eine absurde Kulisse – wie in einem schlechten Film. Schließlich betritt eine stattliche Person, von oben bis unten vermummt, den Raum. Mein Interviewpartner scheint höflich und gebildet zu sein. Die Aufregung verfliegt ...
Irena Pejčić: Warum vertickst Du nicht auf der Straße sondern im Darknet?
Online Drogendealer: Der Hauptgrund ist die Anonymität, dort erkennt mich keiner. Ich lege großen Wert auf Privatsphäre und Onion Services, die Verbindungsdaten anonymisieren, bieten mir diese Möglichkeit. Außerdem bin ich nicht gezwungen, mich mit spleenigen Leuten an dubiosen Orten zu treffen. Ich bin sicher, meine Kunden sind sicher.
Verkaufst Du auch auf Instagram?
Nein, auf keinen Fall. Die Anonymität schwindet restlos, es ist viel zu riskant. Überhaupt, Instagram ist Selbstmord! Jeder Einzelne meiner Kollegen wird das bestätigen.
Seit wann dealst Du?
Angefangen habe ich vor ungefähr fünf Jahren. Der damalige Plan war, mir vorab einen Eindruck über die Szene zu verschaffen, anstatt wild drauflos zu handeln. Etwa ein halbes Jahr lang habe ich in diversen Diskussionsforen im Darknet über Marktplätze, Käufer, Vendoren (Anm.: Verkäufer), Warenangebot und Preise recherchiert.
„Am Anfang musste ich die Ware bewerben, hier und da Kostproben verteilen.“
Was kam danach?
Die Eröffnung des ersten Shops auf Dream-Market. (Anm.: Virtueller Marktplatz im Darknet, der 2019 geschlossen wurde.) Mir war klar, am Anfang muss ich die Ware bewerben, hier und da Kostproben verteilen. Dadurch kamen die ersten Deals im Nu zustande und ich war in kürzester Zeit international tätig, fast auf allen Kontinenten vertreten, nur Afrika fehlte.
Wie hat sich das für Dich angefühlt?
Natürlich hat das meinem Ego geschmeichelt (lacht), insbesondere die positive Resonanz der Kunden. Das Problem ist, dass die Anonymität einige Vendoren dazu verleitet, Fake-Accounts zu erstellen, nur um Feedback für den eigenen Shop zu bekommen. Aber umso stolzer machte mich das reale Feedback.
Wo siehst Du das Feedback?
Auf den Seiten der Shops gibt es einen öffentlichen Bereich, der die angebotenen Waren auflistet. Bei der Auswahl eines Produkts erscheinen die Bewertungen der Käufer. Sie informieren einander über die Qualität der Ware, Dauer der Wirkung, jeweilige Effekte und Ähnliches. Im Grunde werden dort Reviews geteilt oder Sterne vergeben, ähnlich wie bei Amazon.
„Die Nachfrage nach Cannabis ist gestiegen.“
Wer ist Deine Zielgruppe?
Schwer zu sagen angesichts der Anonymität. Manche Konsumenten berichten in diesen Foren über ihr Privatleben, bloß hinterfrage ich die Glaubwürdigkeit dieser Infos.
Woraus besteht Dein Sortiment?
Grundsätzlich habe ich mich auf einen bestimmten Stoff spezialisiert. Hin und wieder erweitere ich das Sortiment, je nachdem wie die Nachfrage ist oder welche Möglichkeiten sich zu diesem Zeitpunkt anbieten. Dabei handelt es sich um saisonale Schwankungen. Aktuell ist die Nachfrage nach Cannabis gestiegen, deshalb habe ich zusätzlich an die 250 Pflanzen. Ich passe mich gewissermaßen unternehmerisch immer an den Markt an (lacht).
Woher bekommst Du den „bestimmten Stoff“?
Aus mehreren Ländern.
Wie kommst Du zu diesen Marktplätzen?
Mittels eines Tor-Browsers, ein Netzwerk zur Anonymisierung von Verbindungsdaten, und .onion-Seiten, Domains, die Daten verschleiern. Einfach danach googeln – recherchieren ist nicht illegal.
Kennst Du coole Beispiele?
Aktuell sind White House Market, ein virtueller Marktplatz im Darknet, und Dread, ein Diskussionsforum im Darknet, am stärksten frequentiert. Da sind alle unterwegs. Das Verzeichnis Dark.fail, eine Linksammlung von .onion-Seiten beispielsweise führt eine Liste von aktuellen und legalen Darknet-Seiten.
„Kotzt Dich Dein Job an? Gelegentlich.“
Welche Zahlungsformen gibt es dort?
Bitcoin, Litecoin und Monero sind die drei gängigen Kryptowährungen. Sie haben lediglich einen unterschiedlichen Wert. Bitcoin wird am häufigsten genutzt, gefolgt von Monero, das im Gegensatz zu Bitcoin einen stärkeren Fokus auf die Privatsphäre der Nutzer legt. Litecoin beruht technisch auf dem Bitcoin-System. Mittlerweile kann man sich diese relativ einfach besorgen. Weltweit stehen unzählige Kryptowährungs-Bankomaten.
Welche Möglichkeiten der Kontaktaufnahme nutzt Du?
Ich nutze den Instant Messenger Jabber, ein verschlüsselter Nachrichtendienst. EncroChat (Anm.: Anbieter von E2E verschlüsselten Kommunikationsnetzwerken und Endgeräten) wurde im Sommer 2020 von EUROPOL hochgenommen. Meiner Meinung nach wird die Messaging App SKY ECC dasselbe Schicksal haben.
Wie, glaubst Du, wird in Zukunft gedealt werden?
Sowohl online als auch auf der Straße. Ich glaube, nur die Legalisierung gewisser Substanzen führt zu einer massiven Veränderung. Ein Beispiel ist die Legalisierung von Cannabis in einigen Bundesstaaten der USA. Das hat zu einer immensen Drosselung des Schwarzmarkts geführt und sollte den Regierungen dieser Welt zu denken geben.
Welche Drogen sind gerade „in Mode“?
Kokain gilt als Statussymbol. Es wird konstant nachgefragt und ist allerorts vertreten. Auch in Österreich, insbesondere Wien, lässt es sich gut verkaufen. Jeder Dritte in Wien konsumiert Koks. Dasselbe gilt für Amsterdam, London, New York, Seattle und Zürich.
Von neuen Designerdrogen gehört, die eventuell weniger Nebenwirkungen haben? Wenn ja, welche?
Das wäre 4-FA, das ist Para-Fluoramphetamin. Es hat stimulierende Effekte weniger Nachwirkungen als das herkömmliche Amphetamin, die körperliche Schädigung fällt geringer aus. Bloß ist es schwer erhältlich. Darüber hinaus gibt es Foren und Sub-Foren, in denen Informationen zu unterschiedlichen Turns, also zur Wirkung einer Droge, nachzulesen sind bzw. beschrieben wird, wie diese erreicht werden können. Die Konsumenten tauschen sich ausführlich untereinander aus, ein eigener Kosmos.
Gibst Du den Kunden Konsum-Tipps?
Auf jeden Fall, da es sich um die Reinform der Substanzen handelt. Wie gesagt, sind diese auf den öffentlichen Parts der Shop-Seiten zu finden — passend zum jeweiligen Produkt und bevorzugten Konsumverhalten. Die Kunden sollen einen angenehmen Trip erfahren. Generell rate ich zu Test-Sets, um die Qualität der Ware zu überprüfen. Die können problemlos im Internet bestellt werden.
Würdest Du jemandem den Verkauf verweigern?
Wer bin ich, um diese Entscheidung fällen zu dürfen?! Das obliegt nicht mir. Trotzdem verweise ich auf mögliche Nebenwirkungen und Konsequenzen bei übermäßigem Konsum und Ähnlichem.
Hast Du Gewissensbisse wegen Deines Berufs oder denkst Du, Du tust den Menschen etwas Gutes?
Ich war immer der Meinung, jeder Mensch hat über sich selbst zu richten. Es gab über die Jahre Vorkommnisse, die waren aber selten und meistens bei unerfahrenen Konsumenten, die wohl die Konsumier-Tipps ignoriert haben.
Kotzt Dich Dein Job an?
Gelegentlich.
Machst Du sonst gerne, was Du tust?
Ja! Mir gefällt der Gedanke, dass Fremde gerade in diesem Augenblick high auf meinem Zeug sind und das Leben genießen. Nachträglich bedanken sie sich regelrecht dafür, mit Freunden drei Tage auf dem Zeug drauf gewesen zu sein.
„Nichts geht über Teamwork.“
Gibt es sowas wie eine Berufsehre unter Online-Dealern?
Nein, gar nicht! Es sind perfide Leute. Dort hat niemand ein Gesicht, das er zu verlieren könnte. Durch die Anonymität neigen einige Menschen zu hinterhältigen Verhaltensweisen. Unzählige Vendoren strecken ihr Zeug z.B. mit Milchpulver. Meiner Meinung nach ist das äußerst bedenklich.
Der größte Anfängerfehler wäre?
Sich nicht bedeckt zu halten. Im Klartext heißt das, persönlich Päckchen auszuliefern oder konstant denselben Lieferdienst-Anbieter zu nutzen. Als Faustregel gilt, diese Tätigkeiten permanent an andere delegieren. Nichts geht über Teamwork!
Vielen Dank für das Interview!
Diesem schriftlichen Interview gingen mehrere anonyme Treffen dieser Art innerhalb mehrerer Monate mit dem gleichen Informanten an unterschiedlichen Orten in Österreich voraus. Das vorliegende Interview gibt sinngemäß eine Zusammenfassung der Aussagen des Informanten wieder und ist stark gekürzt. Es handelt sich hierbei ausdrücklich um Zitate und subjektive Aussagen, die nicht alle auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden konnten. Die Antworten entsprechen nicht der Meinung der Autorin und der Herausgeberin.
Dieses Interview erschien in C/O Vienna Magazine #4: The Wasted Issue
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