„Mir geht dieses ganze Fashion-Gigi richtig auf die Nerven!"
Oláh öffnete C/O Vienna die Türen zu seiner traditionsreichen Kostümwerkstätte in Wieden, Wien
Wenn Du einen Auftrag bekommst für einen Film ...
... dann würde ich am liebsten alle Kostüme anfertigen. Dann kann ich entwerfen, wie ich es möchte und kann die Stoffe und die Silhouetten genau bestimmen. Das mögen die Produzenten allerdings nicht gerne, weil das die teuerste Variante ist. Sie wollen lieber, dass die Kostüme gekauft oder geliehen werden. Ich finde, zumindest eine Anfertigung sollte in jedem Film drin sein.
Die Kostümwerkstatt Oláh gibt es seit ...
... 1967. Meine Mutter hat sie mit Schwerpunkt auf Theaterkostüme gegründet. Ich habe sie 1995 übernommen und habe davor hier eine Schneiderlehre gemacht, bei Notburga Ostermann. Sie leitet heute die Werkstatt und war meine Lehrmeisterin. Sie selbst hat in jungen Jahren hier angefangen und hat bei meiner Mutter gelernt.
Heute schupfen wir hier den Laden zu zweit mit einer ganz strikten Aufgabentrennung und mit wechselseitigen Respekt. Ich beherrsche das Schneiderhandwerk nicht, eine Könnerin mit feinem Gespür für Schnittentwicklung und Drapage an meiner Seite zu haben: Gold wert!
Von einem Kostümbildner hat man eine romantische Vorstellung ...
Am Anfang des Studiums, wenn man noch keine Ahnung von der Branche hat, stellt man sich noch vor, man säße ständig kreativ inspiriert bis vier in der Früh, kettenrauchend, vor Bergen genialer Skizzen im Atelier. Leider besteht der Alltag eines Kostümbildners in der Realität zu achtzig Prozent aus Geldkram, Budgetierung und Verhandlungen. Das mit dem Rauchen hat sich bewahrheitet, immerhin (lacht).
Du hast das Kostümbild für die dreiteilige Historien-TV-Serie „Maximilian“ entworfen, die kürzlich im Fernsehen lief?
Das war echtes Designer's Paradise! Wir sollten tatsächlich für alle Rollen, fast hundert, und selbst für viele der Komparsen mit nur einem Drehtag, alles von Kopf bis Fuß anfertigen. Das ging nur, weil die Kostüme nicht zu leihen waren, Filme aus dieser Zeit sind noch nicht viel gedreht worden. Maximilian spielt um das Jahr 1470. Also nichts zu finden in den Kostümfundi, das man leihen möchte, oder müsste.
Wie war kostümbildernisch Dein Zugang bei Maximilian ...
Es beginnt immer mit dem Drehbuch, man liest und wartet auf Ideen, Bilder, die im Kopf entstehen. Die werden visualisiert, mit eigenen Skizzen und vielen Gemälden und Grafiken aus der Zeit, daraus entsteht ein Lookbook. Aus dem Storytelling ergibt sich, wie man die Geschichte aufbaut. Essentiell war bei diesem Film, dass die Geschichte sehr dialog-lastig ist und immer hin und her springt zwischen drei Orten: dem österreichischen Kaiserhof, dem Herzogshof von Burgund und dem französischem Hof.
„Eleganz ist mein Ziel!"
Für „Maximilian – Das Spiel von Macht und Liebe" gestaltete Oláh die Kostüme, eine österreichisch-deutsche Koproduktion von 2017 unter der Regie von Andreas Prochaska.
Das muss man visuell trennen?
Der Zuschauer muss sofort wissen, wo er sich im Film gerade befindet. In Absprache mit Regie, Kamera und dem Szenenbild wird dann entschieden. Wien – dramaturgisch aus der Geschichte her – ist eher kalt, rau, viel Stein. Bei den Franzosen dagegen ist immer warmes Licht, sehr viel Textil, weiche Materialien und so weiter.
Wie läuft es im Vorfeld einer Filmproduktion ab?
Auf einem Server werden über einige Zeit alle Ideen und Bilder von Regie, Kamera, Szenen-, Kostümbild und Maske gesammelt. Das wird laufend abgestimmt und auf dem aktuellen Stand ausgedruckt. Die Büros werden dann nach und nach mit den Entwürfen tapeziert.
Wie ist Deine Arbeitsweise?
Mein Ansatz ist immer der des Charakterdesigns. Ich setze mich intensiv mit den Figuren auseinander. Bevor wir beginnen, sie einzukleiden, geht es immer um die Verbildlichung des Charakters: Wie überträgt man eine ganz spezifische Psychostruktur in ein Erscheinungsbild? Und im zweiten Teil der Arbeit, wenn es an die Umsetzung geht, ist Eleganz mein Ziel, ganz gleich, welchem Millieu er oder sie zugehörig ist oder in welchem Setting die Figur angesiedelt ist. Ich meine nicht die Eleganz Richtung High Fashion oder Up-Scale, sondern die im Sinne einer gewissen Hochstilisierung der Figur. Selbst, wenn es der ganz armselige Kerl ist oder die Frau, die nichts besitzt. An diesem Nichts kann man in der Körpergestaltung noch so fein herumschrauben, dass man aus der Armseligkeit eine gewisse Eleganz formulieren kann, die dann eine tiefere Visualisierung des Charakters bringt.
„Die erste Anprobe ist ein extrem sensibler Punkt."
Sollen die Kostüme den DarstellerInnen schmeicheln?
Das interessiert mich gar nicht. Die Bezeichnung "Kostümdesigner" ist ja eigentlich nicht ganz zutreffend. Ich würde den Beruf ja eher als „Charakterdesigner“ bezeichnen. Es geht immer darum, aus den Dialogen, die man im Drehbuch vorfindet, eine Figur zu visualisieren: Man kann es eins zu eins machen, wie man es liest, aber man kann auch sagen, man stellt alles auf den Kopf. Der besonders widerliche Kerl sieht besonders gut aus, richtig schick. Umso größer ist dann die Fallhöhe, wenn man erfährt, wie mies er eigentlich ist.
Was passiert mit den Kostümen nach dem Film?
Die sind im Eigentum der Produzenten, weil er oder sie die ja bezahlt haben. Deren Interesse ist es gewöhnlich, sie wieder zu verkaufen.
Wer braucht die Kostüme, die schon mal verwendet wurden?
Zum Beispiel die Kostümhäuser, die ihren Fundus aufstocken. Entweder hat man mit denen schon bei der Anfertigung zusammengearbeitet, oder man macht dann einen „Make-to-rent“- Deal, das heißt, man zahlt zum Beispiel einen Schlüssel von sechzig Prozent der Anfertigungskosten plus Material, dafür geht es dann nach Drehschluss zurück in deren Fundus. Dann gibt es eine Sperrfrist, bis der Film rauskommt, plus ein paar Wochen oder Monate. Danach können sie die Kostüme wieder vermieten. So entdeckt der Designer unter Umständen seine Entwürfe Jahre später in ganz überraschenden Konstellationen im Film oder auf der Bühne wieder.
„Guter Geschmack ist eine Anmaßung!"
C/O Vienna Magazine Redakteurin Lisa Peres mit Thomas Oláh beim Interview in seinem Atelier im 4. Wiener Bezirk.
Hat ein Regisseur das letzte Wort beim Kostüm?
Im deutschsprachigen Raum meistens schon. Bei den Amerikanern ist das völlig anders. In den USA gibt es auch die sogenannten „Hired Directors“, also Regisseure, die vom Produzenten engagiert werden, um ein bereits vorliegendes Buch zu inszenieren. Die endgültigen Entscheidungen, auch über künstlerische Fragen, bleiben
bei diesem System immer bei den Produzenten. Das heißt, im Studio beim
Dreh sitzt der Regisseur zwar auf seinem klassischen Regiestuhl, der
Produzent schaut ihm jedoch den ganzen Tag über die Schulter. Selbst bei
den Anproben der Stars ist der Produzent dabei und redet mit.
Wie sind die Unterschiede der Arbeitsweisen in Deutschland und Österreich?
In Wien muss erst eine Übereinstimmung herrschen. Man geht zum Heurigen, mit der persönlichen Geschichte kommt es zu einer wechselseitigen Akzeptanz. Das kann man dann als solides Fundament nutzen für das Geschäftliche. In Berlin ist es umgekehrt. Man macht zuerst den Job gut, wenn sich daraus in Folge was Privates ergibt, dann ist das schön, wenn nicht, ist das auch egal.
Woher beziehst Du Deine Kostümstoffe?
Ganz unterschiedlich. Bei Maximilian für die Figur der Maria von Burgund haben wir Seidensamt mit Bronzefarben in einem traditionellen Hamburger Handwerksbetrieb bedrucken lassen. Der König von Frankreich hingegen trägt einen blauen Samtmantel. Zwar ist der Stoff ein Industrieprodukt, dann aber haben wir den blau gefärbt und nach Indien geschickt und 250 Schwertlilien aus Goldfäden von Hand darauf sticken lassen.
In Venedig beschäftigten wir eine Stoffweberei, die ganz unglaubliche Brokate und mittelalterliche Muster von Hand weben. Da ist der Meter so irrwitzig teuer, das ist völlig verrückt. Da haben wir uns nur ein ganz, ganz kleines Stück leisten dürfen. Andere Stoffe kaufen wir nach Kilopreisen bei einem Restpostenlager hinter Florenz. Da kostet das Kilo ein oder fünf Euro, je nachdem.
Bist Du dann beim Dreh selbst auch dabei?
Ja, ich bin eigentlich morgens fast immer am Set oder bei der Probe, oder zumindest dann, wenn neue Rollen angedreht werden, oder wenn bei großen Rollen neues Kostüm angedreht wird.
„Es gibt SchauspielerInnen, die brauchen morgens eine Kopfmassage ..."
„Bevor wir beginnen, einzukleiden, geht es immer um die Verbildlichung des Charakters."
Zupfst Du dann auch an den Kostümen herum?
Nein, das machen die Garderobieren! Die lassen sich auch gar nicht gern dreinpfuschen vom Designer. Ich bin dort, um so quasi symbolisch den DarstellerInnen und dem Regisseur das Händchen zu halten. Einfach präsent sein. Die SchauspielerInnen haben oft Befindlichkeiten, gerade, wenn etwas Neues ansteht, wenn ein neues Kostüm in einer neuen Szene beispielsweise anzudrehen ist. Da gibt es dann oft so kleine bis mittelgroße Dramen um fünf Uhr morgens im Trailercamp. Da ist es dann gut, wenn der Abteilungsleiter auch dabei ist.
Man muss die SchauspielerInnen also besonders behandeln?
Es geht ja hier um irrationale Verhältnisse, nicht persönlich um den Schauspieler. Wichtig ist ja nur die Funktion, die er erfüllt. Deswegen werden die SchauspielerInnen verwöhnt von hinten bis vorne! Es gibt SchauspielerInnen, die brauchen morgens eine Kopfmassage.
Wer denn?
Ben Kingsley zum Beispiel, der hatte im letzten Film den neuen Tick, er brauche morgens zwanzig Minuten Kopfmassage. Nicht von mir (lacht), da hat er sich eine Maskenbildnerin ausgesucht. Die Behandlung wollte er nur von ihr. Sir Ben, er legt wert, so angesprochen zu werden, bekommt eine Stargage und kann sich locker eine Kopfmasseurin leisten. Aber man erfüllt ihm den Wunsch, weil, wenn er sauer wird und ihm das Make-up plötzlich nicht mehr gefällt, da haben wir dann viel größere Schwierigkeiten.
Du hast auch auf der Angewandten in Wien unterrichtet?
Ein paar Jahre im Rahmen von Lehraufträgen. Ich bot auf der Abteilung für Kultur und Geistesgeschichte
eine Veranstaltungsreihe über acht Semester mit dem Titel „Zur Kulturgeschichte der Mode“ an.
„Das Kostüm muss unterhalb einer Schwelle von bewusster Wahrnehmung bleiben."
Oláhs Kettenhemd aus "Maximilian - das Spiel von Macht und Liebe" unter der Regie von Andreas Prochaska
Das Kostüm erzählt die Geschichte ...
Ja, zum Beispiel bei einer aktuellen Produktion, über die ich leider noch nicht im Detail sprechen darf. Aber so viel sei verraten: Es ist ein achtteiliger Thriller. Die Kommissarin, eigentlich als patentes bayrisches Mädl im Drehbuch angelegt, wird in Traunstein etabliert und überrascht visuell: Sie schaut von der Anmutung und vom Kostüm her eher aus wie die Chefredakteurin der französischen Vogue mit einem farblichen Leitmotiv zwischen Lagen von Fast-Schwarz und Grau taucht immer wieder ein Stück Blush-Pink und Puderrosa auf.
Im Laufe der Geschichte beginnt diese Figur aber zu kippen, weil nach und nach Dinge in ihrem Leben schiefgehen. Da verschwindet dann das Rosa. Es bleiben nur noch diese Grautöne übrig. Dann wird es arg. Sie bekommt richtige Probleme, ihr Leben zersplittert, dann kommen grafische Elemente in der Kleidung auf, Streifen und Muster. Bis ihre Kleidung schließlich ganz schwarz wird, größer, weiter, länger. Sie bekommt mehr Volumen. Ein Kokon. Die Frau verschwindet hinter einer Rüstung, die sie selbst gewählt hat.
Der Zuschauer darf davon aber nichts mitbekommen?
Auf keinen Fall. Das muss alles unterhalb einer Schwelle von bewusster Wahrnehmung bleiben. Sublim sein.
Kaufst Du die Kleidung für die DarstellerInnen selbst ein?
Ja, den Kickoff mache ich gemeinsam mit meiner "Assistentin", eine Bezeichnung, die mir gar nicht gefällt. Sie ist keine Sekretärin, sondern arbeitet mit mir am Look. Beim Szenenbild heißt das "Art Director", nur wir Kostümleute schaffen es nicht, adäquate Berufsbezeichnungen durchzusetzen.
Kommt das Filmteam hierher in Dein Atelier?
Ganz unterschiedlich. Wir haben hier schon auch Besprechungen mit Regie und Kamera, Szenenbild und Maske, viele Leute, viele Worte. Mit den Schauspielerinnen bei der ersten Anprobe gestalten wir es ganz klein, da sind nur meine Kollegin, eventuell noch eine Schneiderin und die Maskenbildnerin dabei. Das ist ein extrem sensibler Punkt, wo man nicht belauscht oder gestört werden mag. Die Schauspielerinnen müssen ja die Figur finden, die Übersetzung vom Text ins Bild. Ich sehe schon an ihrem Blick in den Spiegel, ob unsere Idee sie überzeugt oder nicht.
„Ich übe an meinen eigenen Körper und trage immer dasselbe."
Thomas Oláh: "Der gute Geschmack ist sicher kein Kriterium für die Arbeit des Kostümbildners."
Wie gut kann man in Wien Mode kaufen?
In den Neunzigern musste man noch nach München fahren, wenn man Upscale-Mode brauchte. In Wien gab es damals davon nichts. Aber seit gut zehn Jahren kann man das hier auch gut einkaufen. Dank der Nouveaux Riches aus dem Osten. Aber warum reden wir eigentlich darüber? Denn diese Einkauferei geht mir gewaltig auf die Nerven: Mein Verständnis von Kostümdesign, im Gegensatz zum Styling, ist Konzeption und Gestaltung, nicht Eintüten auf dem Ku'damm oder der Mariahilferstrasse.
Macht Deine Werkstätte auch Privatanfertigungen?
Es ist schwierig, da es einfach sehr teuer ist. Ein solider Herrenanzug ist unter siebzig Arbeitsstunden nicht machbar. Und ich bemühe mich, die Leute im Atelier anständig zu bezahlen. Da kommen Preise raus, wo manche sagen: "Da gehe ich lieber zum Peekclooptenburg!" Einige finden: "Dort gibt es das nicht, was ich hier bekomme!" Ja, es gibt tatsächlich Menschen, denen ein Abendkleid oder ein Anzug wichtiger ist, als breitere Reifen am Auto.
Lässt Du Deine eigene Kleidung maßanfertigen?
Allerdings nicht nur, weil ich Anfertigungen liebe und das Einkaufen hasse. Es ist eine ganz gute Etude, am eigenen Körper was zu machen, und sich nicht nur auf anderen Körpern aufzuspielen, ich übe an meinem eigenen. Und ich versuche ein Konzept über die Jahre zu verfeinern: Ich trage immer dasselbe. Auf den ersten Blick. Immer Anzug. Die Anzüge unterscheiden sich zwar, aber nur minimal. Sie werden von Stück zu Stück ein kleines bisschen besser. Ich möchte einen Look perfektionieren, der von frühmorgens, – wenn ich meine Tochter zur Schule bringe– , den ganzen Arbeitstag über, bis zum Theaterbesuch abends funktioniert, ohne mich umziehen zu müssen.
Die Anzüge fertigen die Mitarbeiterinnen in meinem Atelier an, meine Hemden kommen vom Jockey-Club im 1. Bezirk am Albertinaplatz. Für die Schuhe ringe ich mit einem sehr speziellen, rumänischen Schuster, der ein Geschäft am Kühnplatz im 4. Bezirk führt. Meine Anzüge, Jacken, Mäntel sind alle hausgemacht. Das gönne ich mir.
„Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen Versace und Yamamoto, dann lieber Helmut Lang."
Stilleben aus Oláhs Atelier
Hast Du einen vollen Kleiderschrank?
Ich möchte meine eigene Garderobe so klein wie möglich halten. Es wäre eine Illusion zu sagen, ich entziehe mich ab jetzt jedem Wandel, aber ich möchte weniger Teile in meinem Schrank haben, lasse Farben weg, und trage seit Jahren nur Schwarzweiß: Weiße Hemden, schwarze Anzüge. Der Schnitt ändert sich wenig, aber es wird stets nachgebessert. Das ist befreiend. Schwarze Anzüge nenne ich zwölf mein Eigen – oder mehr? Jedenfalls nähern sie sich ganz langsam, von Jahr zu Jahr DEM schwarzen Anzug an.
Ist Mode und Fashion für Dich ein Thema?
Eigentlich gar nicht. Das klingt jetzt arrogant, aber mir geht dieses ganze Fashion-Gigi richtig auf die Nerven. Ich habe es gerne cool. Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen Versace und Yamamoto, dann lieber Helmut Lang. Aber weil der ja schon länger nicht mehr will, muss ich mir das Zeug halt selber machen lassen.
Was ist für Dich guter Geschmack?
Jeder glaubt, guten Geschmack zu haben, aber eigentlich geht es dabei immer um die Ausschließung von anderen. „Ich habs, du nicht.“ „Geschmack kann man nicht lernen, das hat man oder hat man nicht“, sagen die Privilegierten. Der gute Geschmack ist also eine Anmaßung und sicher kein Kriterium für die Arbeit des Kostümbildners. Es geht nicht um das hübsche Aussehen, sondern vielmehr um die Erfassung von Charakteren im Drehbuch. Das zu visualisieren, ist die Kernkompetenz eines Kostümdesigners.
„Geschmack kann man nicht lernen."
„Ja, es gibt tatsächlich Menschen, denen ein Abendkleid oder ein Anzug wichtiger ist, als breitere Reifen am Auto."
Gibt es einen Lieblingsfilm, der Dich bei Deiner Arbeit inspiriert?
Immer der nächste, der gerade im Enstehen ist, ansonsten: Lubitschs „Sein oder nicht Sein“, Ridley Scotts „The Duallists“ und „Gefährliche Liebschaften“ mit John Malkovich und Michelle Pfeifer. Die Filme waren für mich die Motivation, das zu tun, womit ich mein Arbeitsleben verbringe: Kostüme zu entwerfen, Looks zu kreieren.
Du hast ein Buch geschrieben mit dem Titel „Wozu mich das Glück noch brauchen wird?“
Da geht es um Johann Joachim Winckelmann, den Begründer der modernen Archäologie als akademische Disziplin. Seine Biografie fasziniert mich. Er war ein unglaublich belesener, geradezu besessener Forscher von Antiken. Er war zugleich auch eine höchst schillernde Figur. Er war nicht nur Literat und Wissenschaftler, sondern auch Spion des Vatikans, Agent der Kaiserin, „Pate“ im nicht nur legalen Kunsthandel, ein Stern im europäischen Geistesleben des 18. Jahrhundert. Und: er war schreiend einsam, kompliziert homosexuell, neurotisch hypochondrisch, aggressiv misstrauisch, zweifelnd und größenwahnsinnig.
Das klingt nach einem Operntot!
Die Idee war, die Geschichte als Theaterstück in Monologen zu schreiben. Die Texte sind fiktional, basieren aber auf Fakten und Korrespondenzen. Winkelmann spricht posthum über sein Leben. Und fünf weitere, für seine Vita bedeutende Zeitgenossen, monologisieren über die Kunst, das Geld und die Liebe – was das Leben halt ausmacht. Und plötzlich ist das 18. Jahrhundert ganz lebendig.
Wann ist die Präsentation?
Die Wiener Buchpräsentation findet am 6.Oktober um 18.00 im Semperdepot derAkademie der Bildenden Künste statt. Michou Friesz wird aus dem Buch lesen. Und am 10. Oktober wird es in Berlin präsentiert.
Zu Winckelmanns 300. Geburtstag im Dezember gibt es in seinem Geburtsort
Stendal in Sachsen eine fünftägige Geburtstagssause mit über 400
Archäologen und Kunsthistorikerinnen aus der ganzen Welt. Als Höhepunkt
eine szenische Lesung aus dem Buch mit Bibiana Beglau. Das wird sowas
von krachen!
Danke für das interessante Gespräch!
Thomas Oláh lebt und arbeitet in Berlin und Wien im Bestreben, künstlerische Praxis und theoretische Reflexion zu verbinden, als Kostüm-und Bühnenbildner und Kunsthistoriker mit Schwerpunkt Modetheorie/ Geschichte des Körpers. Arbeiten u.a. fürs TV mit Leander Haußmann Kabale und Liebe, mit Andreas Prochaska Maximilian, fürs Kino mit Oskar Roehler Jud Süss, mit Philipp Stölzl der Medicus, mit Detlev Buck Die Vermessung der Welt, mit Shirin Neshat Woman without Men (Silberner Löwe in Venedig), mit Brad Anderson Stonehearst Asylum; am Theater u.a. mit Franz Wittenbrink „Eh wurscht“ am Theater in der Josefstadt, „Hamlet“ beim Helsingør Festival in Dänemark und die Ken-Loach-Erstaufführung von „It`s a Free World“ in Wien. Österreichischer Filmpreis für Die Vermessung der Welt 2013, mehrere Nominierungen zum Deutschen Filmpreis. Zuletzt erschien Ares und das Band der Charis. Militärische Elemente in der Mode im Praesens-Verlag, Wien.
Thomas Oláh
Wozu mich das Glück noch brauchen wird?Leben und Sterben des Herrn Winckelmann
in sechs Monologen
90 Seiten, Hardcover mit SU
Edition Ausblick Wien – Saarbrücken 2017
Euro 24,-
ISBN 978-3-903798-62-5