Thomas Feichtner ist in Brasilien geboren und in Linz aufgewachsen. Ursprünglich wollte er Comiczeichner werden, heute ist er einer der erfolgreichsten Industriedesigner Österreichs. Ab heute Abend wird er neben Modemacherin Marina Hoermanseder und IKEA-Einrichtungsexperte Erik-Jan Middelhoven wöchentlich in der Sendung Design Dream auf ProSieben die beste Interior-Designerin Österreichs casten.
2017 hat Thomas Feichtner die Olympische Fackel für die Special Olympics World Winter Games entworfen.
Sie sind seit Kurzem Juror bei einer TV-Castingshow auf ProSieben. Mal angenommen Sie müssten selbst Produkte für ein Interieur aussuchen – woran erkennen Sie gutes Design?
Das Ding sollte nicht nur dafür gemacht worden sein, einen Kunden zufriedenzustellen. Ich suche immer die Eigenständigkeit und Identität in einem Design, so wie man in einem Buch den Schreibstil eines Autors erkennt. Die Gestaltung sollte natürlich nachhaltig sein, industriell gut verarbeitet, und sie muss funktionieren.
Ist Humor im Design erlaubt?
Ja, klar doch! Es ist wichtig, eine gewisse Leichtigkeit und Humor in die Dinge einfließen zu lassen. Für mich ist Design die Freude am Gegenstand. Es sollte beim Gestalten idealerweise erst einmal keine Rolle spielen, wie sich das Stück letztlich verkauft. Der eigenen Kreativität sind zuallererst einmal keine Grenzen gesetzt. Man kann witzig oder charmant sein, Referenzen an die Geschichte eines Unternehmens oder eines Gegenstandes erzeugen und verborgene Botschaften hineinpacken, die man erst auf den zweiten Blick entdeckt. Design ist einfach die Liebe an den Dingen!
Sie sammeln selbst Designstücke. Bei welchen Schätzen können Sie persönlich nicht widerstehen?
Ich liebe Produkte, die die Idee einer Zeit verkörpern. Ein Beispiel dafür ist das Anti-Design der 1960er-Jahre, welches gegen die sogenannte „gute Form“ und die ästhetischen Regeln des Funktionalismus aufbegehrte. Bei uns zu Hause hängt ein Luster des großen Mailänder Designers Achille Castiglioni, dessen Lampen längst in die Sammlung des New Yorker MoMA aufgenommen wurden. Castiglioni hat damals viel Humor in die Szene gebracht, hat Ideen und Inhalte auf eine einfache, unkomplizierte und unprätentiöse Art und Weise dargestellt.
Ihr Kindheitstraum war es, Comiczeichner zu werden. Wie kommt es, dass Sie heute Designer sind?
Comiczeichnen war für mich damals ein Stück Jugendkultur, das mich aus der Isolation meines Hochschulstudiums des Industrial Designs in Linz gerettet hat. Allerdings bin ich kläglich gescheitert, weil ich zwar gut illustrieren konnte, aber kein Konzept hatte. Daraus habe ich eine große Lehre gezogen: Auch wenn du visuell noch so gut bist, ohne Story und Konzept nützt dir das gar nichts.
„Ich wollte andere Antworten auf das aalglatt designte Establishment.“
„Form follows Function“ – oder wie war das nochmal? Das Hexagonale findet man in vielen Entwürfen Feichtners wieder, genauso die Themen der „Dreiteiligkeit“ oder „Sechsbeinigkeit“.
Ihre Designs vereinen viel Gegensätzliches – warum?
Mir war es immer ein Bedürfnis, Irritation zu erzeugen, nicht einfach nur Erwartungen zu erfüllen, etwas Neues zu erschaffen, den Dingen ein eigenes Stück Identität zu geben. Manchmal fällt man damit auf die Nase und manchmal entwirft man auch etwas Eigenständiges, was die Jahre überdauert. Ich verstehe Design grundsätzlich als ein Stück Autonomie. In einer Zeit, in der wir alle mit dem gleichen Klingelton vom gleichen Handy geweckt werden und am Computer die gleiche Software bedienen, ist es Zeit für Eigenständiges. Design kann überraschend, raffiniert und geistreich sein.
„Die Idee der Zeitlosigkeit ist paradox.“
Haben manche Designs ein Ablaufdatum?
Viele Industriedesigner reden davon, „zeitlose Stücke“ entwerfen zu wollen, aber das Paradoxe daran ist ja, dass die Idee der Zeitlosigkeit wiederum einem Zeitgeist entspricht (lacht). Jedes Produkt reflektiert eine Epoche, ob das so gewollt war oder eben bewusst nicht. Es spiegelt eine Erwartungshaltung wider, aktuelle Produktionsbedingungen, technologische Entwicklungen, eine Idee von Zukunft. Die Retrowelle gerade zeigt etwa den „Hunger“ nach Geborgenheit in einer anonymen, globalen und digitalen Welt.
Wie gehen Sie an Ihre Entwürfe ran?
Ich brauche erst einmal nur Bleistift, Spitzer und Papier. Anfänglich habe ich als Designer im Bereich Kommunikation gearbeitet. Das war in einer Zeit, wo alles so glatt, geschleckt und künstlich poliert war – wie ein iMac. Dieser Welt wollte ich etwas entgegensetzen. Ich habe für einen Entwurf beispielsweise einen Karton zerschnitten und anders zusammengeklebt, um neue Oberflächen, Winkel, Radien und Formen zu entdecken. Ich wollte andere Antworten auf das aalglatt designte Establishment.
War Aufmerksamkeit für Sie ein Thema, als Sie „jung und wild“ waren?
Natürlich! Ich wollte bewusst anecken und mir damit selbst klarmachen, dass ich nicht jedem gefallen muss. Ich wollte ein Statement setzen: „Schaut her! Man kann auch mutig sein und anders denken, man kann aus einer eigenen schöpferischen Kraft etwas Neues gestalten. Design muss nicht nur Dienstleistung an den Kunden sein.“ Für mich persönlich war das damals ein Stück Erwachsenwerden.
Als Studiengangsleiter für Industrial Design am Joanneum Graz bilden Sie den Nachwuchs von morgen aus. Was raten Sie Ihren Studierenden?
Es werden ganz neue, diverse und ungewisse Aufgaben auf die Designerinnen und Designer der Zukunft zukommen. Ein Grund dafür ist in jedem Fall die digitale Transformation – sie verändert alles. Produkte können nicht mehr isoliert als Objekt betrachtet, sondern sollten in ihrer gesamten, und damit auch digitalen, Komplexität begriffen werden. Autos sind nicht nur Autos, sondern können mittlerweile via App gebucht werden, fahren bald ohne Fahrer von einem GPS gesteuert und so weiter. Wir müssen als Designer den Kreislauf, in dem sich die Produkte befinden, analysieren und uns viele, viele Fragen stellen: Woher kommt es? Wohin geht es? Wer benutzt es? Was passiert damit, wenn es nicht mehr benutzt wird? Kann es recycelt, repariert oder wiederverwendet werden und wenn ja, wie?
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Der 1970 in Brasilien geborene und in Linz aufgewachsene Industriedesigner Thomas Feichtner entwarf schon während seines Studiums zahlreiche Produkte für die österreichische Sportindustrie, wie Skateboards und Snowboards für Heavy Tools oder Skibindungen für Tyrolia und Fischer. Später auch Ski für Head und Blizzard. Im Bereich der visuellen Kommunikation arbeitete er unter anderem für Swarovski, adidas eyewear, Linz09 – Kulturhauptstadt Europas oder den britisch-israelischen Designer Ron Arad.
Nach seinen frühen Erfolgen als Industrial Designer widmet sich Thomas Feichtner seit 2005 der experimentellen Produktgestaltung und entwarf für traditionelle Manufakturen wie J. & L. Lobmeyr,Porzellanmanufaktur Augarten und verwirklichte freie Projekte in Kooperation mit Vitra und FSB.
Seine Arbeiten fanden Eingang in verschiedene Designsammlungen, zum Beispiel in die des MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst. 2011 erhielt der den Staatspreis für Design in Österreich. Er ist Leiter des Studiengangs Industrial Design an der FH Joanneum in Graz.