Der digitale Freiheitskämpfer

Ethische Software

Technik soll unsere Gesellschaft nicht einschränken, sondern befähigen. Matthias Kirschner ist Präsident der Free Software Foundation Europe (FSFE), die sich für Softwarefreiheit einsetzt. Er zeigt uns im Gespräch konkrete Wege aus der Überwachung und der technischen Abhängigkeit.

„Redefreiheit, Pressefreiheit und in Zukunft die Software-Freiheit!“

Marlene Kietreiber: Warum verwenden nicht alle freie Software?

Matthias Kirschner: Da gibt es mehrere Gründe. Viele wissen gar nicht, dass es einen Unterschied zwischen freier Software und unfreier, also proprietärer, Software gibt. Die beurteilen Software nicht nach diesen Kategorien, sondern vielleicht nach Design, Preis oder was die Freunde und Kolleginnen benutzen. Wie manche Leute eben auch nicht wissen, dass es bei Kaffee nicht nur im Geschmack Unterschiede gibt, sondern es auch wichtig ist, ob er fair gehandelt wurde und wie sich die Lieferketten gestalten. Genauso ist das bei Software.

Wird uns beim Kauf von Hardware, Apps und Spielen die Software nicht geradezu aufgezwungen?

Das stimmt, bei einem Mobiltelefon oder einem Laptop ist meist schon ein bestimmtes Betriebssystem vorinstalliert. In manchen Bereichen ist es auch ganz schwierig, mit freier Software zu arbeiten. Spielekonsolen sind zum Beispiel sehr stark mit digitaler Rechteminderung versehen, also mit einer Software, die komplett kontrolliert wird, damit man die Computerspiele nicht kopieren kann. Die Wieder- und Weiterverwendung ist eingeschränkt, genauso die Möglichkeiten für Änderungen und Anpassungen. Es ist fast unmöglich, nur freie Software einzusetzen, wenn man gleichzeitig die neuesten Spiele spielen will, die meist proprietär sind.

Benutzen Sie selbst ausschließlich freie Software?

Es ist sehr schwer, ausschließlich freie Software zu verwenden. Wenn ich telefoniere, dann benutze ich einen GSM-Chip, und das bedeutet halt proprietäre Software. Selbst wenn ich mit dem Aufzug fahre, benutze ich keine freie Software. Genauso wenig, wenn ich eine Fahrkarte am Automaten kaufe oder mit einem Auto fahre. Es ist schwierig, da Grenzen zu ziehen. Ich schaue natürlich, dass ich das auf ein Minimum reduziere, und nehme dafür mehr Einschränkungen in Kauf als manche andere. Die achten dafür strikter auf die Einhaltung anderer ethischer Werte und verzichten dabei zum Beispiel konsequenter auf Fleisch oder das Fliegen.

„Ich nehme dafür mehr Einschränkungen in Kauf als manche andere.“

Auf was müssen Sie da verzichten?

Zum Beispiel will ich auf meinem Laptop keine Filme oder Musik von bestimmten Diensten konsumieren, die nur mit proprietärer Software abspielbar sind. Dann gibt es viele Apps, die ich nicht nutze ...

... welche Apps sind das?

Es ist beispielweise ziemlich kompliziert, sich über freie Software ein Auto zu mieten, da fast keine Vermietungsfirma das ohne proprietäre Apps erlaubt. Es kann noch komplizierter werden: Wenn etwa im familiären Umfeld alle einen bestimmten Messenger benutzen und man selbst dazu aber nein sagt. Schwierig wird es, wenn der Kindergarten oder die Schule dir vorschreibt, dass du den verwenden musst, weil du sonst nicht „dabei“ bist und damit wichtige Informationen nicht mitbekommst.

Bei Messengerdiensten ist es wirklich kompliziert, da ja alle den gleichen benutzen müssen, damit man miteinander kommunizieren kann!

Ja, das stimmt! Es kann schwierig sein, als Studentin oder Student auf Partys eingeladen zu werden oder in Kontakt zu bleiben, wenn man einen bestimmten Messenger nicht benutzen will. Deswegen finde ich es erfreulich, wenn ich von anderen höre, dass sie zu freien Messengerdiensten wechseln. Das können schon schwerwiegende Entscheidungen sein, die man da trifft. Deshalb kann ich verstehen, wenn Leute sagen, ich würde ja gerne freie Software einsetzen, aber das geht in diesem Fall nicht, denn ich will ja auch noch mit meinen Eltern in Kontakt bleiben und die weigern sich strikt, was anderes zu installieren.

„Der Wechsel ist leichter, als man denkt.“

Warum, glauben Sie, weigern sich manche?

Viele Menschen haben einen anderen Fokus. Es verkompliziert ihr Leben, wenn sie neue Programme ausprobieren und installieren müssen. Manchen fällt es auch nicht so leicht, neue Software zu verstehen und sie zu bedienen. Für solche Menschen ist es ja schon irritierend, wenn sich ein Knopf auf einmal an einer anderen Stelle befindet. Wahrscheinlich würden sie sich schneller an die neue Software gewöhnen, als sie vermuten, aber viele wollen einfach mit sowas keine Zeit verlieren. Die machen sich lieber über andere Dinge Gedanken. Man sollte sie dennoch immer wieder ermutigen, freie Software zu verwenden. In vielen Bereichen ist der Wechsel leichter, als man denkt, die Software funktioniert genauso gut und wird nicht von einigen wenigen Firmen kontrolliert.

In welchen Bereichen ist es am wichtigsten, freie Software zu verwenden?

Ich finde besonders relevant, welche Software die öffentliche Verwaltung benutzt. Wenn man vom Staat gezwungen wird, bestimmte Software zu verwenden, ist das problematisch. Der Staat sollte technologisch nicht abhängig von irgendwelchen privaten Dritten sein. Freie Software ist eine wichtige Komponente für ein demokratisches Staatswesen.

„Wenn man vom Staat gezwungen wird, bestimmte Software zu verwenden, ist das problematisch.“

Sie besitzen ja auch einen Twitter-Account. Wie gehen Sie dort mit den Filtern um, die einem nach Algorithmen ausgewählte Inhalte zuspielen?

Ich benutze Twitter ein bisschen anders. Ich poste fast immer über den dezentralen Mikroblogging-Dienst Mastodon. Dieser ist auf verschiedene Server verteilt und wird daher nicht von einem einzigen Unternehmen kontrolliert. Viele meiner Beiträge auf Mastodon werden dann mithilfe einer Software automatisch auch auf Twitter gepostet. Ich vermeide es, mich direkt bei Twitter einzuloggen. Ich habe auch keine Zeit dafür, dort viel zu lesen. Für mich stellt Twitter keine zufriedenstellende Informationsquelle dar. Unter anderem wegen der Filter, die bei den Social-Media-Plattformen eingesetzt werden.

„Gut wären mehrere Dienste, die miteinander kooperieren.“

Was ist für Sie das Problem?

Wenn ein großes Unternehmen aufgrund von wirtschaftlichen Interessen bestimmt, was Nutzerinnen und Nutzer sehen und was nicht, dann stellt das ein Problem für eine demokratische Gesellschaft dar. Gut wären mehrere Dienste, die miteinander kooperieren müssen und nach unterschiedlichen Regeln entscheiden, was die User sehen und lesen. Es ist schädlich für eine Demokratie, wenn eine zentrale Stelle so viel Macht in den Händen hält.

Haben Sie einen persönlichen Wunsch für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass mehr Menschen verstehen, warum Software-Freiheit wichtig für eine demokratische Gesellschaft ist. Wir brauchen neben der Redefreiheit, der Pressefreiheit und der Versammlungsfreiheit in Zukunft auch die Software-Freiheit! Jeder Mensch soll Software frei für seine Zwecke nutzen können, ihre Funktionsweise verstehen, sie unabhängig verbreiten und verbessern können. Denn ohne Software-Freiheit wird es auch die anderen Freiheiten in Zukunft nicht mehr geben!

Danke für das Gespräch!

Matthias Kirschner ist Präsident der FSFE. Er engagiert sich seit 2004, während seines Studiums der Politik- und Verwaltungswissenschaft für die Organisation. Er unterstützt Unternehmen und die Öffentliche Verwaltung dabei, von Freier Software zu profitieren und er erklärt, wie die grundlegenden Rechte von Freier Software die Meinungsfreiheit, Pressefreiheit oder Privatsphäre fördern.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der Meisterschule der Graphischen Wien. Dieser Artikel erscheint außerdem in der C/O Vienna Magazine Sonderausgabe THE CONSUMER ISSUEHier bestellen!

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