Der Fiaker

Pferdeäpfel statt Pferdeleberwurst

Die Wiener Fiaker sind einerseits ein Symbol für Tradition und Romantik, andererseits umstritten – Kulturerbe oder Zeit für Abschaffung? Wir besuchen Marco Pollandt vom Betrieb Fiaker Paul & Riding Dinner im Stall und begleiten ihn auf einer Spritzfahrt durch Wien.

„Führen Sie mich ins nächste Bordell!“

Julia Bauereiß: Du bist schon so lange Fiaker. Kannst Du uns ein paar lustige Anekdoten von Deinen Fahrgästen erzählen?

Marco Pollandt: Viele! Wir hatten schon Pärchen, die sich bei der Fahrt den Sekt ins Gesicht geschüttet und so schlimm gestritten haben, dass einer von ihnen aussteigen wollte. Unser Altkutscher Karl war einmal für eine Hochzeit gebucht. Er stand mit der Kutsche vor der Kirche und das Brautpaar hätte zusammen hinauskommen sollen. Es kam schließlich nur der Bräutigam heraus und sagte: „Führen Sie mich ins nächste Bordell, egal, was es kostet.“ Die Frau hatte auf die alles entscheidende Frage mit „Nein“ geantwortet. 

Schon mal mit Prominenz gefahren?

Ja! Unser Betrieb fuhr schon mit Prinzessin Diana und Prinz Charles in den 80ern und Michael Jackson in den 90ern. In der jüngeren Zeit habe ich selbst den Rapper Ufo361 gefahren.

Weshalb sind die Fiaker speziell in Wien so stark kulturell verankert?

Es gibt einige Mythen und Geschichten um dieses Gewerbe, zwei Gründe sind aber elementar. Zum einen war die Geburtsstunde des Taxigewerbes 1693 in Wien, zum anderen gibt es heute nur mehr zwei Fahrstile, einer davon ist der Wienerisch-Ungarische, der besonders für eng bebaute Städte geeignet ist. Die Fahrkünste der Wiener Fiaker waren schon zu Zeiten der Donaumonarchie hoch angesehen. 

„James Bond, Habsburgs verkuppelte Töchter, Corsage"

Wer war denn der coolste Fahrgast, den Du je hattest?

Der Stallmeister von Queen Elizabeth II. Er war zum 40. Hochzeitstag mit seiner Frau hier und sie haben bei uns ein Riding Dinner mit Sekt und Brötchen gebucht. Er erzählte mir, dass es schon immer sein größter Traum gewesen sei, einmal nach Wien zu kommen und hier mit dem Fiaker zu fahren. Die beiden waren nur für sechs Stunden in der Stadt, nur für die Fiakerfahrt.  

Eine Stammkundin, die in Deutschland lebt und regelmäßig für Fiakerfahrten zu uns kommt, ist an Krebs erkrankt. Sie schrieb uns einen Brief, dass sie länger nicht kommen könnte. Davon waren wir so berührt, dass wir ihr einen Gutschein geschickt haben. Sie schrieb dann, dass das ihre Motivation gewesen wäre, den Krebs zu besiegen. Letztes Jahr war sie wieder da, sie hat es tatsächlich geschafft.

Was für eine tolle Geschichte! Viele Fiaker-Ställe befinden sich im 11. Wiener Gemeindebezirk, wieso das?

Früher wurden alle schweren Arbeiten mit Pferden oder Kutschen erledigt. Dies geschah in den Fuhrwerken, den heutigen Industriegebieten, weshalb man außerhalb viele Stallungen brauchte. Mit der Motorisierung wichen die Kutschen den Lkw. Unser Betrieb fuhr noch bis in die 1960er-Jahre Brot und Milch für den Bäcker „Anker“ mit Schwerfuhrwerken, speziellen Pferdekutschen, aus.

Wie heißen Deine liebsten Pferde im Stall?

Mathy und Rangosh. Einer ist der totale Schmuser und bettelt förmlich um jede Aufmerksamkeit. Der andere will gar nicht wirklich angefasst werden. Das ergänzt sich beim Fahren sehr gut. Bei uns fährt jeder immer dieselben zwei bis drei Paar Pferde. Wir haben alle eine Beziehung zu den Pferden, denn es sind ja keine Autos, sondern Lebewesen mit Charakter, auf den individuell eingegangen werden muss. Sie sind Teil unserer Familie.

„Bespuckt und mit Messer bedroht"

Zum Fiakersein gehört natürlich ein gewisser Wiener Schmäh, bei einigen kann der auch sehr derb sein?

Einige Sprichworte stammen aus dem Gefängnis-Jargon, da bis in die 1990er-Jahre keine verpflichtende Fiakerprüfung abgelegt werden musste, weshalb viele Dahergelaufene aus zwielichtigen Milieus in diesem Beruf gearbeitet haben. Heute muss man sogar einen „sauberen“ Leumund vorlegen, trotzdem haben sich einige Redewendungen erhalten.

Welche Sprichworte sind heute noch im Gebrauch? „Auf der Guck stehen“ – das bedeutete eigentlich, dass ein Sträfling am Guckloch seiner Zellentüre stand, also ganz vorne ...

... in der Fiakerei bedeutet es, dass man auf der ersten Position in der Reihe aller Fiaker steht. „Sich jemanden zur Brust nehmen“ – wenn das Pferd nicht pariert hat, musste man die Zügel nah an die Brust ziehen. „Die Kurve kratzen“ – das hat man wörtlich so gemacht. Das sieht man heute noch an alten Gebäuden wie der Hofburg. Hervorstehende Erker an großen Toren dienten dazu, dass die Fiaker nicht an die Hauswand fuhren.

Was meinst Du: Gefällt den Pferden ihre Tätigkeit bei Euch?

Ihre Verhaltensmuster zeigen, dass sie Lust auf die Arbeit haben. Spannen wir die Pferde ein und es dauert noch kurz, bis alle fertig sind, scharren sie am Boden, weil sie endlich losspazieren wollen. Hatte ein Pferd am Vortag frei, bemerkt man auch den Übereifer, manche wollen los und am liebsten alles allein ziehen.

„Die Pferde kann man zwischen einen Schnellzug und eine Blaskapelle stellen.“

Was denkst Du, wie die Pferde die städtische Umgebung wahrnehmen?

Unsere hierfür trainierten und gezüchteten Pferde sehen die Stadt als ihr Revier an. Das Pferd kann zwischen einem Arbeitsort und einem Freizeitort nicht unterscheiden, wie es wir Menschen tun. Demnach wird der Stephansplatz genauso wie die Koppel und die Box von ihnen als ihr Lebensraum betrachtet. Das Kutscheziehen sehen sie ebenso als Lebensbestandteil wie das Fressen, Schlafen oder Trinken. Sie können mit verschiedenen Einflüssen sehr gut umgehen, die meisten kann man zwischen einen Schnellzug und eine Blaskapelle stellen und es interessiert sie nicht, weil es normal für sie ist. 

Wieso tragen die Pferde Scheuklappen, wenn Du sagst, sie seien das städtische Umfeld gewöhnt?

Dieser Begriff wird nur im Volksmund verwendet, in Wahrheit sind das „Blenden“. Ohne den Kopf zu bewegen, kann ein Pferd 340 Grad um sich sehen. Die Blenden verhindern lediglich, dass sich die Pferde gegenseitig sehen, denn der Fiaker muss beide unabhängig voneinander manövrieren können, andernfalls wäre das zweispännige Fahren nicht ordnungsgemäß möglich. 

Im Jahr 2022 wurde einmal darüber diskutiert, ein Fiaker-Verbot zu verhängen. Wie könnte man Fiaker in Wien neu denken und wie einen Kompromiss finden, falls es je zu einem Verbot kommen sollte?

Für mich gibt es keinen Kompromiss! Jede Entscheidung für eine Abschaffung ist eine Entscheidung gegen die Pferde. Zusätzlich hängen auch noch Tausende Arbeitsplätze daran. Wenn mir dann noch jemand sagt: „Suche Dir doch einfach einen anderen Job“, dann werde ich richtig wütend. Fiaker zu sein und mit den Pferden zu arbeiten, ist meine Berufung, mein Leben! Anstatt Verbote zu erteilen, sollte man lieber darüber nachdenken, die Stadt für die Tiere, uns Menschen und Haustiere, wie es Pferde auch sind, lebenswerter zu machen. Mehr Begrünung, Fiakerplätze besser beschatten oder die Stadt insgesamt wieder natürlicher machen. 

„Riding Dinner: Cheeseburger & McDonald's"

Wirst Du oft angefeindet?

Ja, ich wurde schon auf offener Straße als Tierquäler beschimpft. Das trifft mich sehr. Das sind nicht nur wörtliche Angriffe, Kollegen von mir wurden schon bespuckt oder mit dem Messer bedroht. Das ist allerdings nur die Spitze des Eisberges und passiert nicht täglich. 

Was würde mit den Pferden passieren, sollte es doch zu einer Abschaffung der Fiaker kommen?

Das ist eine Frage, die ich mir gar nicht stellen mag und die wohl auch niemand richtig beantworten kann. In Wien gibt es 324 gezüchtete und trainierte Zugpferde. Diese sind alle viel Bewegung und Auslauf gewohnt – sie müssten also entsprechend gefahren und bewegt werden, außerdem müsste für ihre Haltungskosten aufgekommen werden. Wer soll das machen? Die meisten Gnadenhöfe sind schon überfüllt. Folglich müssten die Pferde geschlachtet werden …

Kannst Du Dir vorstellen, dass Passantinnen in der Stadt die Pferde arm finden?

Ja, natürlich! Das ist wohl dem nicht mehr vorhandenen Pferdewissen geschuldet, das vor 150 Jahren selbstverständlich war. Damals waren Pferde ein fester Bestandteil der Stadt, die Tiere haben sich wie alle Haustiere an die städtische Umgebung angepasst. Heute können die Leute ein entspanntes und schlafendes Pferd nicht von einem kraftlosen und ermüdeten unterscheiden und reimen sich daraufhin alles Mögliche zusammen. Die Menschen sehen die Pferde außerdem nur in der Stadt, und sie sehen dabei nicht, dass sie drei Tage die Woche freihaben und dann auf unserer Grünkoppel entspannen. 

„Derbe Worte kommen vom Gefängnisjargon"

Was wissen Menschen nicht über Pferde, was für eine ausgebildete Person wie Dich zum Standardwissen zählt?

Es gibt sehr viele Gesetze, die dem Schutz der Pferde dienen, vor allem in Wien. Pferde kacken ungefähr acht- bis zwölfmal am Tag, das entspricht 20 bis 40 Kilogramm Pferdeäpfel. Ein Pferd trinkt an einem warmen Tag 40 bis 60 Liter Wasser, im Fiaker-Jargon vier bis sechs Kübeln. Es gibt unzählige Punkte, die ich anführen könnte. 

Müssen die Pferde bis zu ihrem Tod bei Euch arbeiten?

Nein, sie werden um Gottes Willen nicht totgearbeitet! Bei uns gehen die Pferde zwischen 18 und 20 Jahren in Pension und leben dann sogar noch überdurchschnittlich lange. Ihre Rentenjahre verbringen sie auf unserem 15 Hektar großen Hof außerhalb Wiens und können dort fröhlich über die Koppel traben.

Ein Glück, keine Pferdeleberwurst, oder?

Auf keinen Fall! Das ist gesetzlich verboten. Alle Pferde, die jemals als Fiakerpferde registriert waren, dürfen nicht mehr zum Verzehr geschlachtet werden. Die Pensionierung der Pferde ist ein Prozess, nach und nach arbeiten sie weniger. Da sie in Bewegung bleiben müssen, arbeiten die Pensionisten ab und an bei Filmdrehs oder Hochzeiten mit. Sie waren schon bei James Bond dabei, bei der Netflixserie „Habsburgs verkuppelte Töchter“ oder „Corsage“. Dort haben sie annähernd immer zwei Stunden Arbeit, wodurch sie sich noch gebraucht fühlen.

Danke für das Gespräch!

Marco Pollandt kommt aus der Gastronomie und hatte die Idee, Dinner bequem in einer Kutsche anzubieten. Für sein Konzept Riding Dinner fand er im Betrieb Fiaker Paul einen Partner für die Umsetzung. Er hatte vorher nichts mit Pferden zu tun, aber die Leidenschaft und das Herzblut des Betriebs brachten ihn schließlich in die Fiakerei. Marco fährt seit acht Jahren selbst als Fiaker und ist ein fester Bestandteil des Unternehmens geworden.