Humor in der Krise
Schutzmasken aus Unterhosen, Salatblättern, Nutella-Gläsern und Toast mit Zahnpastabelag: Die Arbeiten des Londoner Fotografen Max Siedentopf sind ein Spiegel unserer Zeit, kritisch und humorvoll zugleich. Seine Werke haben es schon in die New York Times und – wenn auch illegal – in die Tate Modern geschafft. Wir haben ihn via Skype zum virtuellen Interview getroffen, bei dem er uns über seine Vergangenheit als Profischwimmer, seine tiefe Abneigung gegen Awards und seine Handy-Shootings für Gucci erzählt.
„Ich finde es selbst an dunklen Tagen wie diesen wichtig, den Humor zu behalten.“
Lara Ritter: Für Deine Serie „How-To Survive A Deadly Global Virus“, die gerade total aktuell ist, hast Du Salatblätter, Binden und Unterhosen zu Schutzmasken umfunktioniert. Von wann ist diese Arbeit?
Max Siedentopf: Die habe ich am Anfang der Krise gemacht, zu Jahresbeginn, damals war nur China von der Corona-Krise betroffen. Seitdem hat sich ja sehr vieles geändert – in den letzten zwei Wochen sogar die ganze Welt.
Was ist der Gedanke hinter Deiner Arbeit?
Ich habe viele alternative Masken im Internet gesehen und wollte ein paar davon dokumentieren, um das Thema mit ein bisschen Ironie anzugehen. Natürlich steckt dahinter die sehr harte Realität. Viele Leute bekommen gar keine Schutzmasken mehr, weil sie überall ausverkauft sind. Aber ich finde es selbst an dunklen Tagen wie diesen wichtig, den Humor zu behalten und Spaß zu haben.
„Ästhetik interessiert mich nicht allzu sehr.“
Deine Arbeiten sind sehr konzeptuell, aber auch erfrischend humorvoll und anders. Selbst Deine kommerziellen Jobs. Was willst Du anders machen als deine Kolleginnen?
Ich glaube, der größte Unterschied ist, dass ich mich nicht als Fotograf sehe. Ich habe nie Fotografie studiert, sondern bin da reingestolpert. Ästhetik interessiert mich nicht allzu sehr, was mir am wichtigsten ist, ist die Idee, egal, ob ich fotografiere, designe oder einen Film drehe.
Wo kommen Dir die Ideen?
Egal, wo ich bin – unter der Dusche, auf der Straße, im Supermarkt. Oft bin ich von alltäglichen Dingen inspiriert, denen ich mit meinen Arbeiten einen neuen Twist gebe. Es ist wichtig, die Welt um sich herum nicht nur zu konsumieren, sondern auch etwas mit ihr zu machen.
„Beim Fotografieren sollte man sich nicht zu ernst nehmen.“
Gibt es Marketing-Chefs, denen Deine Arbeiten zu steil sind?
Die ganze Zeit (lacht). Ich renne oft gegen Wände und schlage etwas vor, aus dem dann nichts wird. Jedes kommerzielle Projekt ist ein neuer Kampf, bei dem man schaut, wie weit man gehen kann. Natürlich muss man dabei realistisch sein, denn für die Kundin ist es das Wichtigste, dass ihr Produkt verkauft wird. Viele Marken sind vorsichtig geworden, in den sozialen Medien gibt es sofort Feedback auf Werbekampagnen. Beschwert sich auch nur eine einzige Person, ist das einer Marke oft schon zu viel.
Deine Fotos bringen mich zum Schmunzeln. Musst Du manchmal selbst beim Fotografieren lachen, weil die Situation so skurril ist?
Viel zu oft! Wichtig ist, dass man sich beim Fotografieren nicht zu ernst nimmt. Wenn man diesen Job ausüben darf, ist man in einer ziemlich privilegierten Position. Mir erscheint es immer ein wenig verrückt, wenn Fotografinnen so ernst und seriös tun. Das Fotografieren macht doch Spaß, deswegen machen wir es doch! Und wenn wir etwas Skurriles fotografieren dürfen, dann ist das doch umso besser!
„Meine ganze Jugend bestand darin, zu schwimmen.“
Du kommst aus Windhoek, der Haupstadt Namibias in Südwestafrika – auch nicht gerade die Hochburg für kreative Jobs. Wie wächst man dort auf?
Windhoek ist eine ziemlich langweilige Stadt. Namibia gehört zu den Ländern mit der geringsten Bevölkerungsdichte der Welt – um einiges größer als Deutschland, aber mit nur zwei Millionen Einwohnerinnen. Dort ist es zwar unglaublich schön, aber es passiert halt nicht viel, vor allem Jugendlichen wird nicht viel geboten. Die meisten verbringen ihre Freizeit mit Sport, das habe ich auch gemacht.
Mit welcher Sportart hast Du Dich beschäftigt?
Meine ganze Jugend bestand darin, zu schwimmen. Morgens bin ich um 4:30 Uhr aufgestanden, habe zwei Stunden trainiert, bin in die Schule gefahren und habe danach wieder vier Stunden trainiert. Ich habe an vielen internationalen Wettkämpfen teilgenommen und war praktisch die ganze Zeit im Wasser. Beim Schwimmen hatte ich mehr als genug Zeit, um nachzudenken und auf Ideen zu kommen – man schaut ja im Prinzip den ganzen Tag nur Fliesen an (lacht).
„Ich bin schlecht im Malen, sehr schlecht in der Fotografie und kein guter Creative-Director.“
Mit 25 Jahren wurdest Du jüngster Partner der legendären niederländischen Marketingagentur KesselsKramer, die vor allem für ihre kreativen Werbekampagnen bekannt ist. In dem Alter sind andere noch mit dem Studium beschäftigt. Anders gefragt: Was kannst Du besser als andere?
Durch das Schwimmen bin ich sehr fokussiert auf das, was ich gerade mache. Ich war immer der Erste, der in die Arbeit gegangen ist und meistens der Letzte, der noch geblieben ist. Oft ist mir die Arbeit wichtiger als die meisten anderen Sachen, weil sie mir Spaß macht. Ob ich was besser kann als andere, das weiß ich nicht. Es fällt mir schwer, Kreativität zu bewerten – deswegen finde ich auch Kreativ-Award-Shows so blöd.
Das heißt, Du möchtest auch nicht den Goldenen Löwen bei der Biennale in Venedig gewinnen?
Ne, das interessiert mich gar nicht!
Gibt es auch etwas, das Du gar nicht kannst?
Ich finde, ich bin in den meisten Sachen nicht wirklich gut. Ich bin schlecht im Malen, sehr schlecht in der Fotografie und kein guter Creative-Director. Aber das ist sehr inspirierend: Wenn man weiß, dass man in etwas nicht gut ist, dann muss man einen eigenen Weg finden – die Art zu malen oder zu fotografieren zum eigenen Stil machen.
„Ich habe sehr viele Projekte mit dem Handy fotografiert, auch für Gucci.“
Wir finden Deine Arbeiten jedenfalls gut! Einmal hast Du unerlaubt Ferngläser ans Terrassengeländer der Tate Modern in London geschnürt, durch die die Besucherinnen in die gegenüberliegenden Luxusapartments blicken konnten, und bist damit sogar in der „New York Times“ gelandet! Hast Du selbst auch einen Blick durchs Fernglas geworfen?
Natürlich! Um ehrlich zu sein: Man konnte auch alles ohne die Ferngläser sehen. Was zählte, war die Symbolik dahinter. Jeden Tag kommen tausende Menschen in die Tate, um die beste Kunst auf der Welt zu sehen, aber am Ende stehen die meisten am längsten auf der Terrasse und schauen in die gegenüberliegenden Apartments. Ich fand es sehr interessant, zu zeigen, dass im Grunde die Wohnungen die beliebtesten „Kunstwerke“ sind.
Viral gegangen ist auch Deine Fotoserie „Slapdash Supercars“, für die Du mit Kartons und Klebeband Autos in Rennwagen umfunktioniert hast. Hast Du das nachts heimlich gemacht?
Ja, zwei Wochen lang habe ich abends die Kartonteile vorbereitet und zwischen vier und fünf Uhr Früh in den Straßen von Amsterdam nach den perfekten Autos gesucht. Auf die habe ich dann die Kartons geklebt, ein Foto gemacht und bin danach so schnell wie möglich wieder weggerannt. Ich bin mir sicher, die meisten Autobesitzerinnen haben sich eher nicht darüber gefreut, aber zum Glück wurde ich nie erwischt.
Was wolltest Du mit dieser Arbeit aussagen?
Vor zehn, fünfzehn Jahren war es noch angesagt, Autos zu modifizieren und so individuell wie möglich zu gestalten. Es gab Shows wie „Pimp my Ride“, bei der alte Autos getunt wurden. Auch heute möchte jede besonders sein und herausstechen, aber aus irgendeinem Grund passiert das nicht mehr mit Autos. Ich find das ein bisschen schade und wollte ein paar Leuten dabei helfen, ihre Autos besonders zu machen (lacht).
Zumindest kurz hat’s funktioniert! Womit fotografierst Du?
Meistens digital, mir ist das nicht so wichtig, womit ich fotografiere. Ich habe sehr viele Projekte mit dem Handy fotografiert, auch für Gucci. Das war ein etwas schwierig mit den Models– die haben mir nicht geglaubt, dass ich ein Fotograf bin, weil ich mit dem Handy fotografiert habe.
Auf welche Frage in letzter Zeit hattest Du keine Antwort – und hast Du sie finden können?
Schwierige Frage … auf diese Frage!
Danke für das Interview!