Über das Verschwenden an die Kunst, die Liebe & das Leben
Lars Eidinger ist? Der wohl beliebteste Bösewicht des deutschen Fernsehens, Schauspieler, Fotograf, DJ – zusammengenommen die omnipräsente Hingabe. Wir sprechen über Fledermäuse, das Böse, die Selbstzerstörung und über Eidinger.
„Was ich mache, ist nicht wohldosiert.“
Antje Mayer-Salvi: Du bist für mich als Schauspieler das verkörperte Verschwenden an die Kunst. Kannst Du das verstehen?
Lars Eidinger: Verschwenden ist für mich der falsche Begriff, das ist für mich eher, dass Ressourcen ins Leere gehen, dass unnötigerweise verschwendet wird.
Das ist das Negative, aber es gibt ja auch ein positives Verschwenden.
Gibt es das?
Ja, sich an die Liebe zu verschwenden, an eine Bühnenrolle oder die Kunst!
Komisch, für mich ist das Wort wahnsinnig negativ konnotiert. Ich habe das Gefühl, Verschwenden ist immer was, wo es schade drum ist. Die Kunst ist unerschöpflich. Die kann man nicht verschwenden.
„Viele werfen mir vor, ich sei als Künstler zu omnipräsent.“
Die Verschwendung ist ja auch eine Verausgabung. Da steckt das Wort „geben“ oder „Gabe“ drin. Der Mensch will schenken, damit er sich als Mensch fühlt über seine banale Biologie hinaus!
Viele werfen mir vor, ich sei als Künstler zu omnipräsent. Ich habe eher das gegenteilige Gefühl, nämlich dass ich noch viel, viel mehr zeigen wollen würde, meinetwegen geben, aber gar nicht den Raum dafür finde. Ich empfinde mich aber nicht als getrieben oder als manisch, sondern ich würde eher sagen, ich betreibe meinen Beruf mit Lust und Hingabe.
Hingabe! Das ist schon wieder das Wort „geben“ drin.
Mein Tun ist getrieben von einem absoluten Interesse an der Auseinandersetzung und nichts anderem. Es ist kein Geltungsdrang, ich habe mich früher in der Hinsicht selber missverstanden. Je länger ich den Beruf mache, desto mehr merke ich, dass es mir tatsächlich darum geht, etwas zu begreifen.
Wenn Du einen bösen Nazi in dem Film „Persischstunden“ spielst, einen schleimigen Boss in David Schalkos TV-Serie „Ich und die Anderen“, Hamlet im Theater oder wenn Du Dich in Deichkinds Musikvideos als manisch hüpfendes Rumpelstilzchen oder lebender Pinsel in Szene setzt – man hat immer das Gefühl, Du gibst alles!?
Das, was ich mache, ist nicht wohldosiert, und ich gehe den Leuten mit meinem extremen Output vielleicht oft auf die Nerven. Ein karrieristisches Kalkül verweigere ich total, ich mache mich auch als Künstler bewusst nicht rar, weil das wäre kalkuliert und künstliche Verknappung. Das gelingt mir auch gar nicht, das kann ich gar nicht.
„Eine Fledermaus isst man nicht.“
Die positive Verschwendung entzieht sich dem kapitalistischen Kosten-Nutzen-Prinzip, sie ist nicht taktisch, hat kein Ziel, strebt keinen Gewinn an.
Dann stimmt’s vielleicht doch mit dem Verschwenden.
Wir sitzen gerade im idyllischen Salzburg, die Sonne scheint, die Touristinnen schlendern wie eh und je durch die Gassen. Ist demnach alles wieder beim Alten?
Ich reihe mich garantiert nicht in die Leute ein, die sagen, ich möchte nun wieder zur Normalität zurückkehren, weil es ja impliziert, dass die Pandemie aus der Normalität geboren wurde, aber das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen uns bewusstmachen, dass unsere Konsumgesellschaft für eine total pervertierte Form von Konsum steht. Falls es überhaupt stimmt, finde ich das Bild, dass jemand eine Fledermaus isst und damit die Pandemie auslöst, sehr sinnig.
„Plötzlich ging’s.“
Weil die Fledermaus so ein Ur-Viech ist?
Ja, mir gefällt daran, dass die Fledermaus ein wildes, nicht domestiziertes und nachtaktives Tier ist und auch noch mit dem Kopf nach unten hängt ...
... also alles macht, was der Mensch unheimlich findet!
Eine Fledermaus isst man einfach nicht, so wie man generell einfach keine Tiere essen sollte. Wenn man nun sagt, das sei die Quittung dafür, dass wir jahrelang die Natur vergewaltigt haben, dann wundert man sich eher umgekehrt, dass es erst jetzt passiert. Die Natur hat sich schon immer über Seuchen gewehrt, nur die Menschen erkennen diese Zeichen nicht als direkte Konsequenz ihres Verhaltens. Im Gegenteil, sie sagen sogar: „Lasst uns zur Normalität zurückkehren.“
Was kann uns die Fledermaus lehren?
Wieso unterscheiden wir überhaupt zwischen „uns“ und der „Natur“, wieso sagt man immer, wir brauchen die Natur, aber die Natur braucht uns nicht. Ich würde noch einen Schritt weitergehen und sagen: „Wir sind Natur!“ Man hätte sich ja gewünscht, dass eine Greta Thunberg, die ich wirklich über alles verehre, einen ähnlichen Impact gehabt hätte wie Corona. Das, was sie gefordert hat, dass Maschinen abgestellt, dass Flughäfen geschlossen werden, ist erst jetzt durch die Pandemie passiert – die gesamte Wirtschaft, von der man gesagt hat, die kann man nicht abstellen, weil dann ganze Wirtschaftszweige eingehen. Plötzlich ging’s.
„Harmonie macht wahnsinnig träge.“
Du sprichst auf der Bühne die schönsten Verse, die auf der Welt geschrieben worden sind, die gehen alle durch Dich durch. Wird man mit der Zeit weise?
Ja, vielleicht (lacht). Diese großartigen Texte werden weitererzählt und weitergegeben, von Generation zu Generation, weil diese Genies wie Shakespeare, Ibsen, Brecht, Hofmannsthal was erkannt und zu Papier gebracht haben, was in unserem Sein immanent ist, was der Mensch als Konflikt nicht überwinden kann.
Es ist immer wieder das gleiche Elend! Muss man daran nicht verzweifeln?
Doch schon, aber der Mensch kann nicht über sich hinaus. Wenn man sich diese ganzen Debatten im Moment anschaut, ob das jetzt #MeToo ist, ob es um Rassismus oder Frauenfeindlichkeit geht, es sind immer die anderen, niemand fragt sich: „Wieviel Fremden- und Frauenhass und Böses ist eigentlich in mir selbst?“ Der Mensch will sich im Grunde selbst zerstören. Das finde ich schwer zu ertragen. Ich kenne das von mir selber, das ist ja nichts, was mir fremd ist, motiviert aus einem Selbsthass.
„Ihr wusstet doch das alles, warum habt Ihr nicht aufbegehrt?“
Es ist schon auch eine unglaubliche Lust, zu zerstören und böse zu sein! Auch wenn das niemand zugeben würde.
Ich habe neulich gelesen, Yoko Ono hat den Selbstversuch vorgeschlagen, zwei Minuten nicht schlecht über jemanden anderen zu reden, dann fünf Minuten, dann einen Tag und dann eine Woche. Ich habe es nicht mal zwei Minuten lang geschafft.
Was ist Deine größte Sünde?
Eine der Todsünden vielleicht. Ich habe das Gefühl, dass ich unter moralischen Kriterien und den Werten der Kirche gesehen ständig sündige. Das ist es, das ich in meinem Lebensentwurf versuche zu hinterfragen, wie sehr ich da meinem eigenen Impuls folgen soll, oder ob ich mich lieber einer gesellschaftlichen Norm unterordne. Ich finde es viel zu leicht nachvollziehbar, wozu diese Normen dienen, ich will mich unabhängig von ihnen machen.
„Die Widersprüche sind die Hoffnungen.“
Das ist auch mein Ansinnen, eine der elementaren Fragen des Lebens!
Es gibt dieses tolle Zitat von Brecht: „Die Widersprüche sind die Hoffnungen.“ Die Harmonie macht wahnsinnig träge, die ist nicht kreativ. Die Konvention zwingt einen oft zur Lüge. Im Widerspruch hingegen liegt eine Wahrheit.
Der deutsche Aktionskünstler John Bock, mit dem Du Peer Gynt an der Schaubühne in Berlin gemacht hast, hat gesagt: „Lars Eidinger ist sein eigenes Gegenteil.“ Wer ist dann Lars Eidinger?
Neulich hat ein Fotograf zu mir gesagt: „Sei einfach Du selbst!“ Da musste ich sehr lachen.