Der Herzchirurg

herz und seele

Der Puls steigt. Das Herz pocht. Die Hände schwitzen. Der Atem wird schneller. So fühlt sich Verliebtsein an – oder eine Tachykardie, sprich Herzrasen. Das schönste aller Organe kann lieben, schmerzen, brechen und aufhören zu schlagen. Es steht für unsere tiefsten Wünsche und gilt in vielen Kulturen als Sitz der Seele. Einen Blick in unser Innerstes erhalten nur diejenigen, die wir in unser Herz schließen – oder Herzchirurgen. Wahrscheinlich sieht Johannes Gökler, Assistenzarzt am Herzchirurgischen Zentrum des AKH Wien, das Organ, das uns alle am Leben hält, deswegen weitaus pragmatischer. In einem Gespräch erzählt das frühere Armani-Model, wie schnell eine Herztransplantation vonstattengehen muss, was mit „kaputten Herzen“ geschieht und ob ein neues Herz aus einem Menschen einen anderen macht.

„Das Adrenalin macht das Fach der Herzchirurgie aus.“

Was fasziniert Dich am Herzen?

Es ist extrem schön. Die Arbeit am Herzen, die Chirurgie, ist sehr genau und sauber – ja, ok, es gibt Blut, man arbeitet jedoch sehr reinlich. Die Herzchirurgie konzentriert sich zwar vor allem auf ein Organ, jedoch beeinflusst dieses den gesamten Körper. Gelegentlich wird man ein wenig belächelt von den Allgemeinchirurgen, die an vielen Organen operieren.

Man wird dafür belächelt, dass man am Herzen operiert?

Naja, das ist dieses spaßig gemeinte Hickhack zwischen Allgemein- und Herzchirurgen. Wir machen uns genauso über die anderen lustig, so auf die Art: „Die Niere kann nur Lulu machen, das Herz kann viel mehr!“, dabei wissen wir natürlich, wie essenziell jede einzelne medizinische Fachdisziplin ist. In der Herzchirurgie muss man sich tatsächlich sehr gut mit dem gesamten Organismus auskennen und die Zusammenhänge verstehen. Bei der Transplantation selbst kommt natürlich der Kick dazu. Das Adrenalin macht das Fach der Herzchirurgie aus.

„Für den Transport sind zweieinhalb Stunden das Maximum.“

Bei einer Herztransplantation muss alles unglaublich schnell gehen, wie kann man sich das vorstellen?

Mit einem Anruf, dem Organangebot, beginnen Planung und Organisation für die Transplantation. Unter enormem Zeitdruck und innerhalb weniger Stunden läuft die gesamte Operation ab. Das Herz muss manchmal aufgrund der Distanz zwischen Spenderkrankenhaus und unserem Spital sogar mit dem Helikopter geholt werden. Der Druck ist groß, theoretisch kann viel schiefgehen. Nach der Entnahme wird das Herz mit einer speziellen Flüssigkeit stillgelegt, sodass es nicht mehr schlägt, und gekühlt transportiert. Man hat nicht viel Zeit, dem Empfänger das Herz zu implantieren. Vom Zeitpunkt, ab dem es im Spender stillgelegt wird, bis es im Empfänger wieder schlägt, sollten vier Stunden nicht überschritten werden. Daher sind für den Transport zweieinhalb Stunden das Maximum, denn das Einnähen dauert in etwa 60 Minuten.

Wer sind die Spenderinnen dieser Herzen, stimmt das Klischee, es seien hauptsächlich Motorrad-Verunglückte?

Das stimmt nicht mehr, in Österreich zumindest nicht. Wenn die Unfälle sehr schwer sind, kommen Organe für Empfänger oftmals nicht infrage. Die typischen Spender sind hirntot, oft nach einer Hirnblutung, das Herz ist aber gesund. Meist befinden sich die Spender bereits seit einigen Tagen auf der Intensivstation, und erst dann wird darüber nachgedacht, ob ein Patient ein potenzieller Spender sein könnte. Als solche kommen nur Patienten infrage, bei denen es zu einer irreversiblen Zerstörung von lebenswichtigen Zentren des Gehirns gekommen ist.

Wie lange wartet man auf ein Herz?

Die Phase des Wartens kann bis zu einem Jahr dauern, in den dringlichsten Fällen nur wenige Tage. Im Gegensatz zu Deutschland sind wir in Österreich mit einer guten Spender-Empfänger-Relation „gesegnet“. In Österreich wird man automatisch Organspender, wenn man verunfallt, in Deutschland muss man hingegen aktiv zustimmen.

Darf die Patientin wissen, von wem sie das Herz erhält?

In Österreich ist es nicht legal, darüber informiert zu werden, von welcher Person man das Organ bekommen hat. Oftmals besteht ein großer Wunsch und manchmal sogar ein Drang, zu erfahren, wem das Organ früher gehörte, und die Angehörigen des Spenders kennenzulernen. Dieses Gefühl, das die Patienten empfinden, ähnelt vielleicht jenem, als habe man die eigenen Eltern nicht kennengelernt. Einige wollen ihre große Dankbarkeit mitteilen.

In den USA wird einem auf Wunsch mitgeteilt, wer der Spender war. Der Vater einer Organspenderin fuhr mit dem Rad quer durch die USA, um den Empfänger des Herzens seiner verstorbenen Tochter zu treffen und noch einmal ihr Herz schlagen zu hören. Das wurde natürlich medial aufgeblasen. Generell erzeugt diese Story aber ein gewisses Gänsehaut-Feeling bei mir.

Was passiert mit dem „kaputten“ Herzen, wird das ganz unromantisch entsorgt?

Die Herzen, die rausgenommen werden, haben oftmals funktionierende Herzklappen, diese werden rausgeschnitten und nach Aufarbeitung für andere Herzoperationen wiederverwendet. Alles andere wird zur Pathologie geschickt und genau auf die Ursachen der Herzerkrankung untersucht.

Wie viele Chirurginnen sind bei einer Transplantation im Saal?

Wir transplantieren normalerweise zu dritt, und dazukommt das Herzentnahme-Team, welches zumeist aus zwei Chirurgen besteht. Die Herztransplantation wird als relativ einfache Operation angesehen, denn das Herz wird „nur“ an die größten Gefäße des Körpers angenäht. Andere herzchirurgische Operationen erfordern hingegen eine viel filigranere Arbeitsweise und enorme Präzision, dafür werden extrem feine Fäden verwendet, und es wird mit speziellen Lupenbrillen operiert.

Trifft das Bild des Chirurgen, der wie ein grobschlächtiger Metzger arbeitet, auf Dich oder auf Herzchirurginnen generell zu?

Nein, grobschlächtiger Metzger trifft überhaupt nicht zu – auch auf mich, hoffe ich, nicht. Die Herzchirurgie erfordert eine sehr feine Hand und ein gewisses Gespür.

Ist die ruhige Hand die wichtigste Eigenschaft, um ein guter Herzchirurg zu sein?

Nein, eigentlich nicht. Ohne genau zu wissen, was das bedeuten soll – Stressresistenz und Belastungstoleranz sind sicherlich wichtiger. Einerseits hat man die Verantwortung, Patienten gut zu versorgen, andererseits steht man oft unter Zeitdruck, denn zügig zu operieren ist in der Herzchirurgie medizinisch sehr wichtig. Wir führen auch nicht großartig Schmäh während der Operation, was in anderen chirurgischen Fächern durchaus üblich ist. Beim Tischdecken, also dem Vorbereiten für die OP, oder wenn die Operation vorbei ist und der Druck von uns abfällt, scherzen wir gelegentlich. Aber der chirurgische Akt an sich ist ein sehr konzentrierter.

Gibt es Momente, in denen Dir bewusst wird, dass Du das Leben eines Menschen buchstäblich in den Händen hast?

So pathetisch jetzt nicht. Natürlich bin ich sehr nervös vor manchen Schritten, wenn ich weiß, ich kann den Patienten schlimmstenfalls umbringen, wenn ich einen Fehler begehe. Es könnte beispielsweise Luft über das Gefäßsystem ins Gehirn gelangen und somit zu einem Schlaganfall führen, oder überlebensnotwendige Strukturen am Herzen oder den großen Gefäßen könnten verletzt werden.

Was ist es für ein Gefühl, das Herz eines Menschen anzuschauen und zu operieren?

Seit ich mich mit dem Herzen beschäftige, hat sich mein Blick darauf immer wieder geändert. Er wird geschärft, ich sehe genau, wie ich welches Gewebe angreifen muss. Zum Vergleich: Für mich war ein Perserteppich einfach nur ein Teppich, bis mir mein Schwiegervater, der von Teppichen fasziniert ist, erklärt hat, wie komplex die Struktur dahinter ist – so verhält es sich für mich auch mit dem Herzen.

„Wenn jemand auf der Station oder im OP stirbt, ist das immer eine Tragödie.“

Wolltest Du immer schon Herzchirurg werden?

Eine Zeit lang wollte ich plastischer Chirurg werden. Ich dachte mir, dass der Beruf des Herzchirurgen meinem Lebensmodell nicht entsprechen würde. Parallel zum Studium arbeitete ich als Model, spielte in einer Big Band zu Hause in Oberösterreich, ich hatte Sorge, das alles für diesen Beruf aufgeben zu müssen. Rückblickend würde ich aber schon sagen, dass es immer das Herz war, das mich fasziniert hat.

Als Model bist Du für Labels wie Hermes und Armani gelaufen und hast sogar die Emporio Armani SS12 Fashion Show in Milano eröffnet. Gab es mal die Überlegung, als Full-Time-Model zu arbeiten?

Ich bin damals total blauäugig an den Modeljob rangegangen. Ich dachte, ich werde halt für den einen oder anderen Auftrag in Österreich gebucht werden. Die Agentur meinte jedoch, ich müsse international arbeiten. Ich hatte schon ab und zu mit dem Gedanken gespielt, im Mode-Business zu bleiben. Ein solcher Zeitpunkt war eben die Emporio Armani Show. Wenn mich damals die größte Agentur in Mailand genommen hätte, wäre ich wahrscheinlich ein Jahr dort geblieben. Nachdem das aber nicht der Fall war, bin ich, wie geplant, ein Semester nach Sri Lanka gegangen und braun gebrannt zurückgekehrt. Auf der nächsten Fashion Week haben mich alle ausgelacht, weil hier gerade Winter war. Außerdem achtet man in Sri Lanka nicht gerade auf die Figur. Das Modeln wäre wirklich nichts für mich gewesen – ich bin eigentlich gar nicht der Typ dafür.

Herzchirurg zu sein bedeutet soziales Prestige. Für Außenstehende ist es unglaublich, dass jemand an einem Herzen operiert, zugleich hat man viel Verantwortung. Wie gehst Du mit diesem gesellschaftlichen Druck um?

In der Regel wird man eher als Hero gefeiert. Man muss daher aufpassen, dass man nicht tatsächlich glaubt, ein Hero zu sein, oder in die andere Richtung schlittert und sich als besonders bemitleidenswert und unter Druck stehend wahrnimmt. Denn mir wird überall viel Respekt und Verständnis entgegengebracht. Wenn ich mir meine Familie und Freunde ansehe, die beispielsweise Übersetzen oder in der Wirtschaft arbeiten, machen die genauso extreme Sachen. Sie spielen das dann gern hinunter und meinen, wenn sie was falsch machen, ginge vielleicht etwas Geld verloren, aber kein Menschenleben. Ich entgegne immer, dass ich das letztlich auch wie sie als Arbeit betrachten muss.

„Das Modeln wäre wirklich nichts für mich gewesen, ich bin eigentlich gar nicht der Typ dafür.“

Das hört sich ja fast so an, als wäre Dein Beruf nicht belastender als andere …

Die Arbeit ist insofern belastend, als dass man sehr viel mit nach Hause nimmt. Oftmals auch die tragischen Schicksale, die man miterlebt. Ganz schlimm ist es, wenn man selbst etwas übersehen oder falsch gemacht hat. Man ruft sich das zwar nicht täglich ins Bewusstsein, aber gerade, wenn man es nicht verdrängt und diese Gedanken zulässt – viele lassen das ja gar nicht zu –, dass eventuell jemand wegen mir einen Schaden erfahren hat, ist das zwar heftig, aber auch wichtig.

Ist schon mal ein Patient, an dem Du operiert hast, gestorben?

Ja, das ist besonders belastend und verfolgt einen oftmals sehr lange. Wenn so etwas passiert, wird der Fall medizinisch genau aufgearbeitet, also analysiert, wo die Probleme lagen. Tragisch ist auch der Umgang mit den Angehörigen und natürlich umso mehr, wenn man die Person gekannt und sich in ihre Situation länger hineingedacht hat. Vor allem, wenn es im Vorhinein ungewiss war, ob die Operation gutgehen wird, denn heute erlaubt die Medizin, dass auch sehr kranke Patienten am Herzen operiert werden dürfen, was vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Da fragt man sich natürlich im Nachhinein, ob es gerechtfertigt war, eine Operation durchzuführen, oder ob es nicht besser gewesen wäre, nicht mehr zu operieren.

Wird man mit der Zeit abgehärteter, was das Thema Sterben betrifft?

Auf der Herzchirurgie werden die meisten Patienten erfolgreich operiert und dürfen bald danach wieder nach Hause. Wenn jemand auf der Station oder im OP verstirbt, was sehr selten vorkommt, ist das immer eine große Tragödie. Das gilt für mich als Assistenzarzt genauso wie für meine dienstälteren, erfahrenen Kollegen. Bei uns sind medizinische und menschliche Fehler sehr tragisch, kommen aber leider gelegentlich vor. Die Herzchirurgie ist sehr standardisiert, es gibt viele Sicherheitsvorkehrungen, und mittlerweile ist sie eine sichere Sache.

Wird man zu einem anderen Menschen, wenn man das Herz eines anderen in sich trägt?

Es gibt Berichte, dass nach der Transplantation komplett neue Interessen bei Empfängern aufkommen, die sich die Patienten nicht erklären können. Aber jeder von uns kann sich vorstellen, dass eine Herztransplantation an sich einen lebensverändernden Eingriff darstellt. Für diesen sehr sensiblen psychologischen Bereich ist bei uns eine speziell ausgebildete Transplant-Psychologin zuständig, die Patienten von der Wartezeit bis zur Phase nach der Operation betreut.

„Wäre der Sitz der Seele im Herzen, würde das meinen Beruf sehr gruselig machen.“

In der christlich-europäisch geprägten Kultur wird dem Herzen der Sitz der Seele zugeschrieben. Kann man das auch medizinisch erklären?

Es gibt Untersuchungen und Versuche, die sich damit beschäftigen, ob gewisse Zellen nicht auch andere Funktionen haben, ob sich spezielle Nervenzellen im Herzen befinden, die in das Bewusstsein einspielen. Diese Vermutungen sind nicht wissenschaftlich belegt und haben somit wenig Einfluss auf unseren Beruf. Über den Sitz der Seele kann man medizinisch nichts sagen.

Sitzt für Dich die Seele im Herzen?

Pah, ich kann mir das nicht vorstellen und glaube nicht, dass die Seele im Herzen sitzt. Wenn ich beispielsweise herzkrank wäre und dann ein neues Herz bekäme, wäre ich bestimmt nicht komplett in meiner Persönlichkeit verändert. Alleine der Gedanke, es wäre so, würde meinen Beruf sehr gruselig machen – wenn man nicht nur ein Herz transplantiert, sondern auch eine Seele.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Im AKH Wien werden jährlich um die 45 Herzen transplantiert.
Johannes Gökler führt im Moment vor allem Herzschrittmacher- und Defibrillator-Implantationen durch und assistiert bei Herzoperationen. Das Medizinische hat er im Blut, seine Mutter war Krankenschwester, sein Vater führte eine Apotheke und seine Großeltern waren Zahnärzte.


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