Der Hyperrealist

Maskerade & Hyperrealismus

Seine Filme sind slickes Agitatorenkino, so fein gezwirbelt wie sein Bart. Der Regisseur Daniel Hoesl macht Filme, die sich mit den Biographien seiner Protagonisten auseinandersetzen, um zu einem Stück Realität vorzudringen, das normalerweise verborgen bleibt. Warum die Kunstwelt ein von „Alpha-Tieren bevölkertes Egoisten-Aquarium“ ist, er sein Kino streng formalistisch hält –und noch mehr– erzählt uns der junge Filmemacher bei einem Gespräch im Wiener Palmenhaus.

Text: Shilla Strelka

„Ich schlafe in Wien, aber ich lebe im Internet!"

Er holt sich dafür illustre Kolleginnen, wie Johanna Orsini-Rosenberg, Gerald Matt oder Stephanie Cumming an die Seite, deren Biographien er in seine Filme einfließen lässt. Resultat ist ein Kino der Maskerade und des Hyperrealismus, das die (un-)menschlichen Auswüchse des Turbokapitalismus umschreibt. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich die Satire mit ihrem beißendem, sardonischem Sarkasmus als zutiefst humanistisch. Die Agonie des Realen blitzt in jedem Moment hervor - in sterile Oberflächen, die der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, in der ausgehöhlten Sprache der High Society, die sich auf Floskeln konzentriert.

Daniel, warum treffen wir uns hier im Palmenhaus? Kommst Du zum Beobachten an diesen Ort?

Das angenehme ist der Raum. Hier sind Pflanzen und Palmen, das hat schon etwas Angenehmes – sich hin und wieder so rausnehmen zu können.

Bist Du viel unterwegs oder doch meistens in Wien?

Ich schlafe in Wien, aber ich lebe im Internet. Der Informationsfluss ist geographisch nicht mehr festzumachen. Natürlich bin ich in der Nähe geboren, aufgewachsen und sozialisiert, aber meine Inspirationsquellen sind nicht unbedingt in Österreich.

Du setzt Dich in Deinen Filmen mit Bevölkerungsschichten auseinander, die sich nicht so leicht an sich heranlassen. Die High Society. Trotzdem spielt jemand wie Johanna Orsini-Rosenberg oder der Hollywood-Schauspieler Jeff Rickets in Deinen Filmen mit. Hast Du persönlichen Bezug zu den Leuten?

Es gibt immer ein Casting. Wir suchen die Leute über die verschiedensten Kanäle - über private Kontakte und öffentliche Aufrufe. Und dann läuft das durch meinen Vorliebenfilter.

„Ich war jahrelang Regieassistent von Ulrich Seidl!"

Der wie genau aussieht?

Ich glaube, wir leben in einer Welt, in der Materialismus und Kapitalismus eine Wertekultur vorgeben, die mir zu denken gibt, deshalb gibt es Vertreterinnen, die sich eignen oder auch nicht.

Und die wissen vorher, worum es in Deiner Arbeit gehen wird?

Nein, gar nicht. Bei meinem Film Soldate Jeanette (2013) noch weniger als bei WINWIN (2016). Bei WINWIN war es wirklich so, dass sich aus der Zusammenarbeit, aus der Biographie der Leute, der Film ergeben hat. Mich interessiert dieses Milieu einfach mehr. Und ich habe sehr lange bei einem anderen Regisseur gearbeitet, der sich für eine ganz andere Schicht interessiert.

Sag ruhig den Namen!

Ulrich Seidl und der arbeitet quasi am Bodensatz der Gesellschaft. Nachdem ich viele Jahre dort Regieassistent war, hat das Pendel dann quasi in die andere Richtung ausgeschlagen.

„Exzess und alles was halt geht!"

Dein Kino wirkt auf mich wie invertiertes Seidl-Kino. Nicht nur was die Bevölkerungsschicht betrifft, sondern auch wie Dein Blick an den Oberflächen hängenbleibt, während Seidl schon sehr körperliches Kino macht.

Weil es in den oberen Milieus diese Körperlichkeit nicht gibt.

Warum gibt es in den oberen Milieus keine Körperlichkeit?

Ich würde einmal sagen, in der Welt der Plutokratie ist dein Bild von dir selbst gestaltet. Deshalb gibt es auch Schönheitschirurgie, Instagram und so weiter. Man hält das Ich auf Distanz zu den Anderen, das Über-Ich, das man hier anstrebt, ergibt eine Diskrepanz. Das Ich wird geschützt durch diese Wand - das Bild, das das Über-Ich generiert. Diese Diskrepanz gibt es bei Leuten nicht, die einfach Ich sind, für die ein Über-Ich uninteressant ist. Die sind angreifbar. Mit jedem Wort, das sie sagen. Deshalb entsteht in der Über-Ich-Gesellschaft natürlich eine Worthülsen-Kultur und ein Schönheitschirurgie-Bild der Welt, wo dann Geographie nicht mehr wichtig ist. Eine Welt, wo wir, ob wir jetzt in diesem Palmenhaus in Wien sitzen oder in einem ebensolchen in Las Vegas über genau das gleiche Thema reden könnten.

„Worthülsen-Kultur und Schönheitschirurgie-Bild der Welt"

Blickst Du pessimistisch in die Zukunft?

In Bezug zu Wien ja. Wien war schon mal cooler, weil es noch nicht so kommerzialisiert war. Und das wird es immer mehr. Diese üblichen Burger-Lokale, die überall aufmachen. Das gilt auch für die Kunst in dieser Stadt.

Sehnst Du Dich manchmal aufs Land?

Hin und wieder. Ich bin schon gern am Land, weil diese Gesellschaft, in der wir leben, sehr viel Anlass gibt, davor zu fliehen und eine Auszeit zu nehmen. Meine Eltern wohnen am Land. Ich bin als Einzelkind in einem Dorf mit 300 Leuten aufgewachsen, die ich praktisch alle nicht kenne. Für mich ist Kommunikation sehr anstrengend, weil sie lange schlichtweg in meinem Leben nicht notwendig war. Wenn Land dann wirklich Land, ich brauche keine Nachbarn. Ich gehe gerne fasten. Ins Kloster Pernegg, einmal im Jahr. Da isst du dann eine Woche mindestens nichts. Ich bleibe zehn Tage. Du isst nichts und du redest fast nichts.

Was passiert da mit Dir?

Am Anfang ist es total schwierig. Aber es geht um eine innere Reinigung. Du brauchst wenig Schlaf.

„Die Kunst auch ein von Alpha-Tieren bevölkertes Egoisten-Aquarium!"

Du bist sehr exklusiv in Deinen Geschmäckern, etwa mit dem, was Du tust und isst?

Aber das ist doch das Leben. Ich meine Foucault. Darum gehts doch, oder? Muss doch Spaß machen, weil das ist ja das Sein?! Das Haben ist für'n Arsch. Exzess und alles was halt geht! Und nichts machen, muss auch ein Exzess sein. Auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. Nicht immer diesen Drang zu haben, etwas zu konsumieren oder zu produzieren. Nichts tun eben, diese Zeit haben - du bist. Für viele Leute, glaube ich, wirklich ein großes Problem, weil sie es gewohnt sind, ein Gegenüber zu haben, das ihnen sagt, wer sie sind oder was sie sind, was sie tun. Aber wenn man das nicht brauchen will, ist das auch ein kristalliner Zustand.

Das ist sehr romantisch.

Wahrscheinlich. Für mich ist das wichtig.

Ist Dein Kino ein politisches Kino?

Das Kino ist für mich ein Vehikel, um etwas zu zeigen, das einem zu denken geben soll.

Du hast einen Verein gegründet, der sich „European Film Conspiracy“ nennt. Was hat es damit auf sich?

Das Paradigma dieses Vereins musst du akzeptieren, damit du da mitmachen kannst. Du kannst nicht mehr Geld verdienen als ein anderes Mitglied. Das ermöglicht, unabhängig Film zu machen, ohne Drehbuch. Das Negative ist, dass die Leute bei uns nicht fair bezahlt werden, ich selbst auch nicht. Das ist die Last, die du trägst. Dafür gibt es diesen Film dann, weil die Alternative wäre, diesen Film nicht zu machen. Aber wir machen ihn und leiden lieber.

Aber persönliche Beziehungen sind – neben dem Finanziellen – in Deiner Arbeit schon auch wichtig, oder? Du musst Gleichgesinnte finden, die sich auf Dich als Regisseur einlassen und das ist dann, wo die kreative Verschwörung passiert ...

Ja, ich finde das ist die Verschwörung, dass du Gleichgesinnte findest. Das ist natürlich sehr schwierig. Weil eine Band funktioniert nur dann, wenn der Schlagzeuger, der Bassist und der Elektronikfatzke gut sind.

„Wir machen gutes Kino und kriegen das Geld nicht. Warum? Weil wir zu mutig sind!"

Wieviel Eitelkeit verträgt denn die Kunst?

Na, die Kunst ist supereitel, da geht es sehr stark ums Ich, und dass das, was man sagt, Wahrheit wird. Und darum ist die Kunst auch ein von Alpha-Tieren bevölkertes Egoisten-Aquarium.

Diese Art von Selbstoptimierungs-Mechanismen und Konkurrenzdenken zieht sich durch alle Kunstsparten ...

Absolut. Die Kunstwelt treibt die Ich-AG auf die Spitze. Die Kunst ist heutzutage in der Regel völlig für'n Arsch. Künstler haben nichts zu sagen, es geht ihnen meistens nur darum zu zeigen, dass sie mit der Welt überfordert sind. Es gibt von ihnen nur ganz selten etwas zu sehen, was einem zu denken gibt. Und dann äffen junge Künstler große Künstler nach oder dann fangen sie an, ältere Meister zu kopieren. Das k o t z t mich an.

Aber sorry, Dein Kino ist in meinen Augen ja selbst höchst eklektisch ...

Ich stehe dem völlig ironisch gegenüber. Ich nehme das überhaupt nicht ernst. Alte Meister! Ich schnarche bei Yazujiro Ozu. Der beste Film des Jahres The Greasy Strangler ist als Kunstwerk und als Film sinnentleerter, spektakulärer Schwachsinn, der mich wirklich extrem gut unterhält und keine Politik.

Aber wenn dieses Resultat Dir näherliegt, dann verstehe ich nicht, warum Deine Filme so aussehen wie sie aussehen.

Ist doch klar! Ich komme nicht aus London und ich bin nicht aus L.A..

Aha. Dein Kino ist zuweilen jedenfalls sehr fordernd, fordernder als "The Greasy Strangler" auf alle Fälle ...

Ja hoffentlich! Fordern ist ja auch etwas Schönes. Ich fordere etwas von meinem Publikum. Aber da sind jetzt mal zwei längere Filme von mir herausgekommen und vielleicht gibts dann auch weitere. Ich glaube, es werden in Zukunft nicht alle Filme von European Film Conspiracy produziert werden, auch mal welche, die ein breiteres Publikum ansprechen.

Filmmachen funktioniert nur im Kollektiv und dann kommt doch immer wieder ein Ego, der alles überstrahlen will ...

Ich bin jemand, der gerne die Trauben anderer pflückt. Bei meinen Filmen war Kameramann Gerald Kerkletz zum Beispiel sehr wichtig. Seine Rigorosität hatte starken Einfluss auf unsere Filme. Die meisten wollen sich ja mit einem Drehbuch absichern, und dann schreiben sie ewig dran, alle Jurys winken das durch, dann stauben sie zwei Millionen ab, produzieren einen Scheißdreck, provokant gesagt: das ist Konsenskino. Alle sind zufrieden und kein Mensch wird sich es anschauen. Wenn du Filme machst wie wir, wenn du kein Geld hast und wenig Zeit oder nur ein Zeitfenster, dann musst du darauf vertrauen, dass das was wird. Wir machen gutes Kino und kriegen das Geld nicht. Warum? Weil wir zu mutig sind.

Danke für das Gespräch!

Der Feldforscher

Text: Shilla Strelka

Es gibt nicht viele, die mit 32 Jahren schon so viele Geschichten gehört haben wie Clemens Marschall. Er hat ihnen allen zugehört: der Prostituierten vom Prater, dem Mörder und dem ausgebildeten Exorzisten. Er ist Autor, Magazinherausgeber, Musiker – und jetzt auch Fernsehmacher. Den Doktortitel hat er sich so nebenbei geholt. Wie sich das alles ausgeht, was ihn antreibt, und was vor allem das neue ORF-Sendungsformat Rokko’s Adventures zu bieten hat – alles das hat er uns erzählt. Die Fotos sind von Kurt Prinz, der schon seit der ersten Ausgabe mit Clemens Marschall zusammenarbeitet, die Filmstills von Klaus Pichler.