Der Wiener Christian Ploderer ist einer der gefragtesten Lichtdesigner in Österreich, der wie mit einem Malkasten die verschiedensten Lichtstimmungen zaubern kann. Wir sprechen mit ihm über die Kunst der guten Beleuchtung, Lichtverschmutzung unddie Poesie desfrühen Morgens.
Die Porträts für dieses Interview wurden in der „Post am Rochus“ im 3. Wiener Bezirk von Schenker Salvi Weber Architekten (mit feld 72 Architekten) fotografiert. Wir danken der Post AG für die nette Kooperation.
Antje Mayer-Salvi: Gibt es eine Kultur des Kunstlichts in Österreich?
Christian Ploderer: Wir haben in unseren Breitengraden eine weiter entwickelte Lichtkultur als in anderen Landstrichen dieser Welt. Das ist bedingt dadurch, dass wir in einer klimatisch kühleren Region leben und mehr Zeit in Innenräumen verbringen. Auf einer Karibikinsel benutzt man Innenbereiche nur für kurze Zeit, bestenfalls zum länger Schlafen. Wir sind hierzulande gezwungen, uns mit dem künstlichen Licht intensiver auseinanderzusetzen. In den vergangenen Jahrzehnten gab es eine unglaubliche Dynamik in der Beleuchtungstechnik. Die Lichtintensität ist in unserem Alltag immens gestiegen.
Inwiefern?
Früher kamen die Menschen mit einer Kerze aus, also mit einem Lux, heute sind wir das Zigfache an Licht gewohnt. Meine Eltern lebten noch in einer Art Leuchten-Monokultur. Sie hatten im Wohnzimmer einen Luster und vielleicht noch eine Schirmleuchte, aber das war es dann schon.
Wie können heute Wohnungen beleuchtet werden?
Ähnliche Wohnungen verfügen heute über drei bis vier Lichtebenen pro Raum, mit sehr vielen, einzelnen Lichtquellen. Mit den neuen Techniken, vor allem mit LED-Licht, können unglaublich variantenreiche Stimmungen geschaffen werden. Die Lux-Werte sind im Innenraum ins Extreme gestiegen. Ich habe einmal die Beleuchtungsstärke in einem Jeans-Geschäft in der Wiener Innenstadt gemessen. Sie lag bei 8.000 bis 10.000 Lux.
„Die Geschäfte übertrumpfen sich mit ihrer Lichtperformance.“
Blick in die Teeküche vom zentralen Treppenhaus in der „Post am Rochus“ . 1987 wurde Ploderer mit dem Staatspreis für Design ausgezeichnet. Seit 2006 betreibt er in Wien sein eigenes Designstudio. Ploderer war Student an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, in der Meisterklasse für Industrial Design, entwarf er noch analog mit Stift und Tusche.
Studien zeigen, dass Lichtintensitäten ab 6.000 Lux für Menschen schädlich sind. Das blaue LED-Licht, wie man es von Bildschirmen kennt, ist auch in geringeren Dosen problematisch für die Netzhaut des Auges und kann sogar Entzündungen in der Makula hervorrufen. Ob diese Untersuchungen nun zutreffen oder nicht – für die Verkäuferinnen und Verkäufer, die zehn Stunden in grell erleuchtenden Shops arbeiten müssen, ist das sicherlich ein visueller Stress!
Die Geschäfte übertrumpfen sich in den Einkaufsstraßen mit ihrer Lichtperformance. Denn je heller eine Auslage ist, desto eher schaut die Kundschaft hin und wird davon angezogen. Das liegt in der Natur des Menschen.
Lichtverschmutzung durch Kunstlicht ist ein zunehmendes Problem für die Tierwelt. Zugvögel etwa werden durch Kunstlicht von ihrem Kurs abgelenkt und können zu Tausenden mit beleuchteten, hohen Objekten kollidieren. In den USA kollidierten während einer 29 Jahre dauernden Langzeitstudie 121.560 Vögel mit einem 300 Meter hohen Fernsehturm.
Lichtverschmutzung ist ein städtisches Phänomen, in Wien wird es nachts nie richtig dunkel. Am Land hingegen wird es in einer mondfinsteren Nacht so finster, dass man die Hand nicht mehr vor Augen sieht. Viele Gäste, die mich in meinem Haus in der Steiermark besuchen, bekommen Angst, weil sie eine solche Dunkelheit nicht mehr gewohnt sind. Dass zu viel beleuchtet wird, ist ein Problem für die Tierwelt, aber sicher nicht das größte.
Die „Post am Rochus“ von außen, Christian Ploderer gestaltete auch das Lichtkonzept für die Fassade.
Ihr Wochenendhaus in der Steiermark kommt ganz ohne Strom aus. Ist das Ihr persönliches Gegenkonzept zu der eben beschriebenen Entwicklung?
Das Leben mit dem Tageslicht, in dem das wenige Brennstoff-Licht eine Kostbarkeit darstellt, schafft für mich eine ganz besondere Lebensform und schenkt meinem Leben einen wunderbaren Mehrwert. Meine Freunde zeigen sich heute davon begeistert, vor gut zehn Jahren hielt man dieses Konzept für bestenfalls schrullig. Es ist etwas Besonderes, so einen Raum außerhalb der Stadt, mitten in der Natur, besitzen zu dürfen. Manchmal, wenn ich in meinem Haus ohne Strom sehr konzentriert an etwas anderes denke, greife ich beim Betreten eines Raumes immer noch nach dem – nicht vorhandenen – Lichtschalter (lacht).
Welche ist für Sie die schönste Licht-Tageszeit?
Der frühe Morgen ist etwas ganz Besonderes – das Aufgehen der Sonne, der Lichtbeginn des Tages. Was mich fasziniert ist, wie die unterschiedlichen Veränderungen am Himmel das Licht und damit die Welt und die Dinge in unserer Umgebung erscheinen lassen: Wie sieht eine Wiese bei Sonne, wie bei bewölktem Himmel aus? Wie reagiert die Tierwelt darauf? Das ist insgesamt optisch so reichhaltig, dass ich alles immer noch mit offenem Mund staunend betrachte. Ich brauche diese Pause, ich brauche das Licht ohne Maschine.
„Von den Lichtvorlieben kann man auf den Lebensstil schließen.“
Bis 1985 arbeitete Ploderer im Bereich Interior-, Grafik- und Produktdesign, danach spezialisierte er sich auf Lichtplanung und Leuchtenentwürfe. Auf dem Bild links oben ist das von den Architektinnen Franz & Sue umgebaute Justizgebäude Salzburg zu sehen, für das Ploderer das Lichtkonzept verantwortete, oben rechts die von Ploderer entworfene Leuchte in der Wiener Staatsoper.
Arbeiten Sie als Lichtdesigner auch mit dem Gegenteil von Licht, dem Schatten?
Ja, natürlich, das gehört für mich dazu. Man kann mit Licht und Schatten einen Raum im Raum schaffen, Lichtinseln, die ganz unterschiedliche Lichtwirkungen erzielen. Die Menschen bevorzugen in Lokalen oft die dunkleren Bereiche. Das aufwendig zubereitete Essen will hingegen immer gut beleuchtet sein.
Was verraten unsere Lichtvorlieben über uns?
Von den Lichtvorlieben einer Person kann man oft auf deren Lebensstil schließen. Eine besonders helle Wohnung mit viel Belichtung könnte etwa darauf hinweisen, dass die darin lebende Person einen eher unentspannten Alltag und wenig Freizeit hat. Gedimmt wird vor allem in der Freizeit – gäbe es in einer Wohnung keine einzige Möglichkeit, das Lichtniveau zu senken, würde mich das stutzig machen.
Welches Licht sollte bei einem Date unbedingt vermieden werden?
Es darf natürlich nicht zu dunkel sein. Auf jeden Fall vermieden werden sollte ein Licht, das von unten herauf leuchtet. Dann schaut man aus wie der Schauspieler Jack Nicholson im Horrorfilm „The Shining“, ein schauerlicher Effekt. Das Licht sollte von oben kommen.
In seinem zweiten Leben kann sich Ploderer gut vorstellen, als Landschaftsarchitekt seinen Unterhalt zu verdienen. Mit „lebendem Material wie der Natur zu arbeiten“, fände er faszinierend.
Gibt es im Bereich Licht auch Trends und Moden?
Zurzeit sind dunkle Materialien bei den Leuchtkörpern im Trend. Bei welchem namhaften Hersteller man auch schaut, Leuchten mit Glas sind groß in Mode, das aber leider nicht mehr in italienischen Traditionsbetrieben à la Murano gefertigt wird, sondern in Tschechien. Was ich für die Konsumenten sehr praktisch finde, sind die neuen Magnetschienen, in die man die Strahler einfach einklinkt. Früher musste man sie kompliziert einpassen.
Die Beleuchtungssysteme werden immer teurer, wie es scheint. Wer kann sich das noch leisten?
So ist es, und das ist keinesfalls nachvollziehbar. Kunden zahlen heute – ohne mit der Wimper zu zucken – 5.000 Euro für eine Wandleuchte und bis 30.000 Euro für ein Beleuchtungssystem in der Küche. Die Preise sind bisweilen hemmungslos! Die Bereitschaft zum Kaufen ist jedoch ungebrochen.
Muss es so teuer sein?
Nein, komplexe und variierbare Systeme müssen nicht automatisch hochpreisig sein. Bisher kosteten die Steuerungssysteme oft so viel wie die Beleuchtung selbst. Das ändert sich gerade. Die Firma Casambi beispielsweise hat ein Steuermodul entwickelt, das in Leuchten verbaut wird, die man dann über Bluetooth und eine App steuern und dimmen kann. Man muss damit keine Kästen mehr in den Wänden verbauen und einen Haufen Kabel verlegen, sondern kann seine steuerbaren Leuchten, wenn man umzieht, einfach mitnehmen.
„In einer sizilianischen Pizzeria flackert die einsame Leuchtstoffröhre über dem Esstisch.“
Ein Lichtdesigner, der Christian Ploderer besonders beeindruckt, ist der US-amerikanische Künstler James Turell, der bekannt für seine spektakulären Raum-Licht-Installationen ist. Oben links zu sehen ist eine Leuchte in der „Post am Rochus“ , unten das Dachgeschoß des Hauses, raffiniert inszeniert mit Kunst- und Sonnenlicht.
In der Gastronomie und in der Hotellerie erkennt man derzeit einen Trend zu einer Art visuellem „Cocooning“ mit einer schummrigen, gedämmten, goldenen Beleuchtung. Es ähnelt sich alles ein wenig, sehen Sie das auch so?
Das ist sicherlich richtig und der technologischen Revolution im Bereich LED geschuldet, mit der wir wie gesagt Dutzende Lichtebenen gestalten können, die alle einzeln steuerbar sind. Wobei ich anmerken möchte, dass in einer sizilianischen Pizzeria immer noch die einsame Leuchtstoffröhre über dem Esstisch flackert, weil im Süden das Sonnenlicht so intensiv, ja aggressiv, ist, dass man es am liebsten einfach draußen behält. Der sizilianische Weg ist im gewissen Sinne auch eine „Mode“, nur eben nicht in unseren Breitengraden. Ich experimentiere gerade mit ganz kaltem Licht, das ich mit warmem kombiniere, also mit kalten Blöcken in einer Warmton-Landschaft. Das erzeugt ziemlich spannende Momente.
Vor zehn Jahren etwa eroberte LED von der Taschenlampe bis zu den Flutlichtscheinwerfern im Fußballstadium alle Bereiche. Wie steht es um die Qualität der LED?
Die rasante Entwicklung durchbricht gerade eine Schallmauer! Die Industrie hat anfangs einfach den Fehler gemacht, mit der Vermarktung von zu kaltem und zu schwachem LED-Licht zu starten. Kunden wurden anfänglich dadurch verschreckt. Die Firmen wollten eine Art futuristisches LED-Universum schaffen. Inzwischen folgt man aber dem Vorbild des Glühfadens und der Glühbirne.
Was einen tollen Lichtraum ausmacht? Für Ploderer ist es „die Überraschung beim Eintreten“. Ein solches Überraschungsmoment zu kreieren sei jedoch schwer, denn es hätte fast alles schon gegeben.
Was ist die Strategie dabei?
Der LED-Nachteil ist inzwischen durch eine Palette von warmen Lichtfarben ausgeglichen und nähert sich immer mehr dem Glühfadenlicht, was natürlich immer noch das schönste ist. Ich habe heute als Lichtdesigner eine Art Malkasten mit vielen verschiedenen Lichtfarben zur Verfügung – nicht einen einlagigen Pelikan, sondern einen doppelten sozusagen! LED ist außerdem ungefährlich, da es nicht so heiß wie Glühfadenlicht wird. Es verbraucht wenig Strom, weswegen wir auch überall mehr Licht verwenden können. Und es hält länger: 700 Stunden brennt eine Glühbirne, 50.000 eine LED-Lampe.
Sind Sie ein Dimmer? Das geht mit LED ja bedingt!
Ich liebe es, zu dimmen. Wenn man eine Glühfadenlampe herunterfährt, wird der Faden wie ein Stück Brennholz im Kamin, das zuerst hell lodert, dann wie die Glut immer schwächer und rötlicher. Wenn man LED dimmt, wird es zwar schwächer, aber dabei nicht wärmer, sondern fahl. Dieses Wort beschreibt den Eindruck perfekt. Heute gibt es „warm dimming“– das Glühen wird mit roten und orangen LEDs, die dazu geschaltet werden, nahezu perfekt nachgestellt.
Auf den Fotos oben links und unten rechts zu sehen ist Ploderers Lichtkonzept für das Wiener Restaurant Figlmüller, auf dem Bild oben rechts die Beleuchtung, die Ploderer für die Wiener Staatsoper entworfen hat. Das Bild unten links zeigt Ploderers Lichtkonzept für das Bürohaus „Telegraf 7“ im sechsten Bezirk.
Fassadenbeleuchtungen sind derzeit ein ganz großer Trend. Viele Architektinnen und Architekten arbeiten nicht mehr nur im Innen-, sondern auch im Außenbereich mit Lichtexperten wie Ihnen zusammen. Warum erst jetzt?
Fassadenbeleuchtung ist repräsentativ und durchaus auch ein Ausdruck von Wohlstand. In Palermo sieht man auf den Balkonen der historischen Patrizierhäuser an der Piazza Quattro Canti Kerzenständer. Die dienten dazu, das Haus im wahrsten Sinne des Wortes „in ein gutes Licht“ zu stellen. Mit der neuen LED-Technik kann man jetzt kostengünstig und einfach Außenbereiche beleuchten. Bei der neuen Wiener „Post am Rochus“ der Architekten Schenker Salvi Weber (mit feld72), erzeugt eine einzige kleine Lichtprismenbox – gerade einmal so groß wie eine Zigarettenpackung – einen Lichtrahmen im ganzen Fensterloch. So ein Teil kostet vielleicht 200 Euro. Man kann heutzutage mit wenig Geld eine große Wirkung erzielen. Der Aufwand für Strom und die Instandhaltung bleibt dabei gering.
Was ist für Sie die größte Licht-Sünde?
Es gibt viele Licht-Sünden. Eine große ist sicherlich, in irgendeinem Baumarkt eine Zehner-Packung Lampen zu kaufen und alle Leuchten zuhause nur mit einer Lichtstärke und Lichtart auszustatten. Es ist für mich wichtig, unterschiedliche Lichtbereiche im Raum zu schaffen. Ein gleichmäßig ausgeleuchtetes Zimmer ohne Konturen und Schatten, wie es im Extrem ein „White Cube“ im Museum darstellt, wird von uns Menschen zumeist als unangenehm empfunden. Blenden darf Licht natürlich auch niemals. Die Beleuchtung ist heute ein komplexes Thema geworden, die technischen Weiterentwicklungen überschlagen sich geradezu und jedes Jahr kommt formal Neues dazu. Aber das gefällt mir an meinem Beruf: Es wird einem mit dem Licht nie fad!
Der Lichtdesigner Christian Ploderer(* 1956) entwarf als Student an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, in der Meisterklasse für Industrial Design, u.a. bei Hans Hollein, Ettore Sottsass und Hermann Czech noch analog mit Stift und Tusche. Nach seinem Studium spezialisierte Ploderer sich im Bereich von Licht und Leuchten. 1987 wurde er mit dem Staatspreis für Design ausgezeichnet. Heute verbindet er analoge und digitale Techniken in seinen Lichtbüchern. Seit 2006 betreibt er in Wien sein eigenes Designstudio, das sich auf Lichtplanung und Leuchtendesign für die Bereiche Wohnen, Büro, Shop, Hospitality und Kulturbau spezialisiert hat. Ploderer arbeitet dabei mit namhaften Architektur- und Designschaffenden aus Österreich zusammen.