Der Narrenturm in Wien, das pathologisch-anatomische Bundesmuseum, ist nichts für empfindliche Mägen. Es bildet ein grotesk anmutendes Sammelsurium pathologischer Präparate, deformierter Knochen und in Formaldehyd konservierter Fehlbildungen und Organen. Es ist der schön-schaurige Arbeitsplatz von Sammlungsleiter Eduard Winter, seines Zeichens auch Elektropathologe, Spezialist für Schäden in lebenden Organismen, die durch die Auswirkungen elektrischen Stroms verursacht werden. Wir sprachen mit ihm über die tödlichen Folgen falscher Ernährung, eine 30 Kilo schwere Alkoholiker-Fettleber und seinen Ekel vor Billigfleisch und Kochsalat.
Text: A. Mayer-Salvi mit P. Dalitz, R. Hellmich, R. Korb, A. Pobuda
Der Tod gehört zum Leben dazu, sagt die alte Binsenweisheit. Wer sich des Geschenk des Lebens (und dem Glück der modernen Medizin) vergegenwärtigen will, kann das in Wien am besten im Narrenturm machen.
Ihr Arbeitsplatz gehört zu den außergewöhnlichsten in Wien! Wie sind Sie dazu gekommen, nun die Sammlung des Narrenturms zu leiten?
Eduard Winter: Ich habe eigentlich Physik studiert. 2005 kam ich in das pathologisch-anatomische Bundesmuseum, um die dortige Sammlung über Stromunfälle aufzuarbeiten, sprich die der sogenannten Elektropathologie. Nun: Ich bin hängengeblieben. Ganz klassisch. Ich glaube, so landet man immer in einem Museum.
Wie ist Ihr eigener Zugang zum Thema Essen und Ernährung? Kann man in solch einer Umgebung – umgeben von eingelegten Organen, Föten und Missbildungen – überhaupt etwas zu sich nehmen?
Ich bin etwas eigen, weil ich die Angewohnheit habe, vor 15 Uhr nichts zu essen. Bis dahin "ernähre" ich mich nur von Kaffee. Erst ab dieser Uhrzeit verspüre ich Hunger, dann koche und esse ich eine Kleinigkeit, das war's. Ich ernähre mich asketisch, dafür aber gut. Ich brauche nicht viel Essen, ein bis zwei Mahlzeiten am Tag reichen mir. Mir geht’s gut damit, meine Blutwerte sind okay. Wenn ich viel – oder sagen wir normal esse – nehme ich relativ schnell zu.
Der Narrenturm beherbergt mit 49.000 Objekten die weltweit größte pathologisch-anatomische Sammlung der Welt.
Man ist, was man isst, kann man nur darauf sagen! Haben Sie eine Lieblingsspeise?
Mein Lieblingsessen?! Ich habe kein Lieblingsessen. Ich esse eigentlich alles gern, was gut schmeckt. Im Moment fahre ich total auf Linsencurry ab. Aber Kochsalat brauch ich nicht. Das sage ich auch gleich. Kochsalat ist etwas, was ich nicht essen mag. Na, das musste ich als Kind bei meiner Großmutter einmal essen. Und seitdem reicht’s ma. Nie wieder. Das ist ekelhaft!
Ekeln Sie sich nicht manchmal vor den Dingen, die Ihnen hier beruflich täglich begegnen?
Ich bin relativ hart im Nehmen, auch bei den Präparaten, eigentlich auch was Essen betrifft. Da habe ich keine großen Hemmschwellen. Aber schwitzende Menschen in Straßenbahnen sind etwas, was ich im Sommer echt nicht mag.
Ein medizinischer Werdegang in einem Krankenhaus oder in einer Praxis kam für Sie nie in Frage?
Oh nein, wenn ich mit lebenden Menschen zu tun haben müsste, würde ich wahnsinnig werden!
Was inspiriert Sie an Ihrer Arbeit?
Mein Job ist sehr abwechslungsreich. Mir wird nicht langweilig und ich langweile mich zuweilen sehr schnell. An einem Tag entdeckt man noch nicht katalogisierte historische Gerätschaften für die Geburtshilfe, an einem anderem bekommt man Anfragen zu Pankreas-Tumorerkrankungen oder ähnlichem. Jeder Tag bringt etwas Neues.
„Schwitzende Menschen in der Straßenbahn mag ich nicht.“
Das Gebäude wurde 1784 unter Kaiser Franz Josef II. als erste psychiatrische Klinik Europas erbaut. Er gilt als frühes Zeugnis des anderen Umgangs mit psychisch Kranken, der im späten 18. Jahrhundert etabliert wurde.
Gibt es Krankheiten, die durch ungesunde, falsche oder absurde Ernährung hervorgerufen werden? Welche Präparate gibt es speziell im Narrenturm dazu?
Da gibt es einige außergewöhnliche Exponate in der Sammlung, wie den "Nagelmagen". Das rührt von psychischen Erkrankungen wie dem Pica-Syndrom her, das kann dazu führen, dass man Dinge isst, die man besser nicht essen sollte, wie zum Beispiel eben Nägel, Rosshaar-Matratzen oder Stroh.
Aber es reicht auch, wenn man einfach zu fett isst ...
... oder falsch. Da gibt es einige ernährungsbedingte Krankheiten, zum Beispiel Übergewicht, erhöhte Blutfettwerte, Herz- und Gefäßkrankheiten mit Bluthochdruck, Diabetes, Osteoporose und Verdauungsprobleme. Auch Gicht, Leberzirrhose, Allergien, bestimmte Krebserkrankungen sowie rheumatoide Arthritis zählen dazu.
Eduard Winter ist – beruflich bedingt – nicht leicht zu ekeln. Wobei er eine Grenze ist, sind jedoch Supermarktfleisch und schwitzende Menschen in der Straßenbahn.
Das verdirbt einem den Appetit! Das hört sich ja alles schrecklich an. Alkohol ist aber auch nicht gerade gesund, oder?
Bedingt durch übermäßigen Alkoholkonsum bilden sich unter anderem Fettherzen und Fettlebern. Durch das schöne weiße Fett verändert sich Größe und Farbigkeit der Organe immens. Man sieht hier auf den ersten Blick, dass hier etwas nicht richtig ist.
Welches ist Ihrer Meinung nach das schlimmste ausgestellte Exponat, welches im Zusammenhang mit Ernährung steht?
Da haben wir eine Alkoholiker-Fettleber, die hat ungefähr 30 Kilo Gewicht. Nur die Leber allein! Das ist ein sehr massives Drum. So etwas finde ich schon sehr schockierend zu sehen. Wenn man sich vorstellt, dass ein Mensch damit über einen längeren Zeitraum gelebt hat, das ist schon heftig!
Winter wuchs neben einem Friedhof auf und kennt den Tod somit seit Kindesbeinen.
Wie steht es mit dem Bewegungsmangel?
Auch Magengeschwüre können durch schlechte Ernährung hervorgerufen werden. Mangelernährung und Bewegungsmangel wären zum Beispiel auch solche Themen. Wenn man sich falsch ernährt, kann man zum Beispiel auch Rachitis bekommen, vor allem als Kind. Also die Ernährung und vor allem eine ungesunde Lebensweise wie Bewegungsmangel spielen durchaus eine wichtige Rolle bei Krankheiten.
Welche Krankheiten werden Ihrer Meinung nach in Zukunft durch neue Essgewohnheiten häufiger auftreten?
Ich persönlich denke, dass wahrscheinlich vor allem Allergien und Unverträglichkeiten im Vordergrund stehen werden, da man einfach nicht genau weiß, wie solche entstehen. Über Ernährung weiß man mittlerweile schon, was man essen sollte und was nicht. Herzkreislauf-Erkrankungen und durch Alkoholmissbrauch entstehende Krankheiten, wie Arteriosklerose, werden wir wahrscheinlich in Zukunft eher weniger sehen. Da man schon weiß, was diese auslöst, kann aktiv dagegen vorgegangen werden, auch durch Gesundheits-Kampagnen. Ich glaube, dass diese irgendwann mal verschwinden.
Glauben Sie, kann man Menschen zu einem bewussteren Umgang mit Ernährung bringen, wenn man ihnen Exponate zeigt, die demonstrieren, was mit dem eigenen Körper passieren kann, wenn man sich ungesund ernährt und wie sich dies auf die Organe auswirkt?
In einigen Bereichen glaube ich schon, dass man die Menschen sensibilisieren kann, vor allem beim Alkoholmissbrauch und solchen Dingen. Wenn man sich beispielsweise ein Fettherz anschaut, erkennt man sofort, dass da etwas nicht richtig läuft. Aber ich glaube schon, dass man Menschen damit schocken kann und das kann durchaus helfen.
Die elektropathologische Sammlung des Narrenturms, mit der Winter, seines Zeichens Elektropathologe, gut vertraut ist, existiert seit 1936 und wurde vom jüdischen Mediziner Stefan Jellinek untergebracht. Dieser musste aufgrund seiner Herkunft fliehen, bekam seine Sammlung aber nach Ende des Zweiten Weltkriegs zurück und verwaltete sie bis zu seinem Tod 1968. Ein großer Teil wurde in den 1980er-Jahren an das Technische Museum übergeben, die Feuchtpräparate sind aber nach wie vor im Narrenturm
Verzichten Sie selbst auf gewisse Nahrungsmittel?
Ich versuche auf Fleisch, so gut es geht, zu verzichten, auch aus ethischen Gründen, weil ich die Tierhaltung ur-grauslich finde und Supermarktfleisch so ziemlich das Ekelhafteste ist, was ich je gegessen habe. Da habe ich eine Geschichte dazu ...
... erzählen Sie!
Als ich mit historischen Konservierungslösungen Präparierversuche durchgeführt habe, habe ich zum Experimentieren eine Fleischerei am Naschmarkt leer gekauft. Dabei habe ich Hühnerherzen und Lammhirne präpariert und sie ein paar Tage im Kühlschrank aufbewahrt. Und wenn man weiß, dass diese schon verdorben sind, aber gleich riechen wie das Fleisch vom Supermarkt, dann ist das ekelhaft.
Vor welcher ausgestellten Krankheit "fürchten" Sie sich am meisten, welche flößt Ihnen Respekt ein?
Von den ausgestellten Erkrankungen ist es definitiv das Pankreaskarzinom. Das ist eine Krebserkrankung der Pankreas, ein Teil des Verdauungsapparats. Wenn man das einmal hat, ist es endgültig. Da sind die Heilungschancen sehr, sehr gering, wenn es ein bösartiger Tumor ist. Bei vielen anderen Krebsarten gibt es Therapiemöglichkeiten, aber bei so einer Karzinom-Diagnose kann man sich drauf einstellen, dass man nicht mehr allzu lange zu leben hat. Deswegen habe ich davor wirklich großen Respekt. Das brauche ich nicht.
„Wenn Teile meines Körpers im Narrenturm landen würden, wäre das lustig.“
Das pathologisch-anatomische Institut wurde bereits 1796 gegründet, befindet sich aber erst seit 1971 im Flakturm, wo es mit dem ehemaligen elektro-pathologischen Museum verbunden wurde.
Hat es von Ihrer Seite aus gewisse Zeit gebraucht, sich für die Thematik – besonders die des Todes – zu sensibilisieren?
Ich bin in der Nähe von einem Friedhof aufgewachsen und war schon von klein auf mit dem Tod konfrontiert, auf irgendeine Art und Weise. Wenn man als Kind am Friedhof spielt oder den Weg über den Friedhof abkürzt, auch in der Nacht, dann hat man da einen anderen Zugang. Auch der Tod von Verwandten hat mich nie so schockiert. Keine Ahnung, vielleicht bin ich da eigen.
Das sind Sie mit Sicherheit! Hat Sie Ihr Beruf verändert?
Ich bin wahrscheinlich demütiger geworden. Wenn man in so einer Umgebung arbeitet, sieht man, was einem alles passieren könnte.
Würden Sie Ihren Körper der medizinischen Forschung zur Verfügung stellen, um einmal selbst Teil der Ausstellung sein?
Ja, habe ich bereits gemacht. Das ist schon alles testamentarisch geregelt. Weil es schon komisch wäre, wenn man selber mit Präparaten arbeitet und sich dann selbst dagegen verwehren würde. Das geht nicht zusammen. Wenn ich in der Ausstellung landen würde, wäre‘s lustig. Muss aber nicht sein. Ich kriege eh nichts mehr mit.
Der Narrenturm in Wien beherbergt die älteste und größte pathologisch-anatomische Sammlung der Welt. Sie umfasst mehr als 50.000 historische menschliche Präparate, die besondere Krankheitsbilder veranschaulicht. Das beeindruckende Rundgebäude wurde 1784 von Kaiser Joseph II. für die Behandlung von psychisch kranken Menschen erbaut und diente später als Dienstunterkunft für Personal des alten AKH (Allgemeines Krankenhaus). 1971 wurde im Narrenturm das Pathologisch-anatomische Bundesmuseum untergebracht, das 2012 in das Naturhistorische Museum Wien eingegliedert wurde. Das denkmalgeschützte Gebäude wurde generalsaniert und 2020 mit einer modernen Neuaufstellung der Schausammlung wiedereröffnet.