Der Porn-Aktivist

Panik vor Pornos

Wie prüde bist Du eigentlich, Österreich? Diese Frage stellt sich nicht zuletzt deswegen, weil die FPÖ ankündigte, die Subventionen des ersten alternativen Porn Film Festival Vienna, das am 1. März beginnt, zu prüfen. Die Partei wolle sichergehen, dass keine Steuergelder in die Pornoindustrie fließen. Wir haben den Veranstalter Yavuz Kurtulmus zu einem privaten Gespräch über Aktivismus, den politischen Rechtsruck und sein Leben als Türke, „der offen schwul und Moslem ist“, befragt. 

Lena Stefflitsch: Der FPÖ-Klubchef Toni Mahdalik meinte, er wolle durch eine Überprüfung des Porn Film Festivals Vienna sicherstellen, dass „kein Steuer-Cent“ über Euch in die Pornobranche fließe. Was sagst Du zu dem Vorwurf?

Yavuz Kurtulmus: Ich nehme an, er hat den Inhalt der Veranstaltung nicht verstanden. Das Porn Film Festival Vienna wird ehrenamtlich organisiert und erhält keinerlei staatliche Förderungen. Finanziert wird es über die aktuell laufende Crowdfunding-Kampagne und über Ticketverkäufe. Die Aids Hilfe Wien beteiligt sich mit einem Sponsoring-Package daran, um im Rahmen des Festivals über den Schutz durch Kondome und die Test- und Beratungsangebote zu informieren. Das Festival will doch einen Raum zum offenen Diskurs über Pornografie schaffen und zeigt die alternative und künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema. Es verfolgt das Ziel, auf die negativen Seiten der Pornoindustrie aufmerksam zu machen, um etwas zu verändern.

Leben wir in einer prüden Gesellschaft?

Am Anfang waren alle erschrocken, als wir über Pornos reden wollten – sie hatten Panik vor Pornos. Wir hatten wirklich Probleme dabei, Locations für unser Festival zu finden, weil viele dachten, wir veranstalten eine riesige Orgie. Ich denke, dass wir alle Pornos schauen, aber keiner redet darüber. Wir wollen das Thema aus den eigenen vier Wänden hinausbringen, in den öffentlichen Raum. Es ist einfach spannend, wenn in einem Raum hundert bis zweihundert Leute zusammenkommen, um Pornos anzuschauen.

Wie kann man sich das vorstellen in Eurem Kino? Sitzt man still da und denkt sich seinen Teil?

Wir wollen bewusst kein Sexkino machen, wir haben sehr strenge Regeln im Kinosaal. Als Masturbiervorlagen vor Ort sind unsere Filme nicht gedacht. Es ist uns wichtig zu zeigen, was es für Alternativen zu Mainstreampornos gibt. Wir wollen nicht einfach nur Pornos anschauen und dann nach Hause gehen, sondern auch über die Filme diskutieren, einen öffentlichen Raum schaffen, indem Leute zusammenkommen, sich vernetzen und vor allem Spaß haben können.

Vielen sind Pornos peinlich. Was ist Dir peinlich?

Eine Zeit lang war mir mein Englisch peinlich. Ich hatte ein supertraumatisierendes Erlebnis mit meiner Englisch-Lehrerin, danach verweigerte ich es, Englisch zu reden. Dann habe ich Saif, meinen Partner, kennengelernt, und da wir keine andere Sprache gemein hatten – er hat indische Wurzeln und ist in Kuwait geboren – musste ich Englisch sprechen. Am Anfang unserer Beziehung haben wir mit Google Translate kommuniziert – wir haben sogar über Google Translate gestritten (lacht).

Was war das für ein Erlebnis mit Deiner Englisch-Lehrerin?

Das war in der vierten Klasse Hauptschule. Damals war ich verliebt in Harald, eine Jugendliebe, aber wir wussten damals nicht, was das alles bedeutet. Einmal hatten wir eine Stunde frei und sind in der Klasse gelegen, haben uns umarmt, weil wir einander einfach nahe sein wollten. Dabei hat uns unsere Englisch-Lehrerin erwischt. Und da ich der Ausländer war, war es meine Schuld. Zur Direktorin meinte sie dann: „Der Yavuz belästigt den Harald.“ Auf die Klassenreise nach England durfte ich letztendlich nur mitfahren, weil ich mich vor der ganzen Klasse dafür entschuldigte – das war ihre Bedingung. Ich wünschte, ich hätte damals mehr gewusst oder wäre mutiger gewesen.

Wieso soll Pornografie stärker in die Öffentlichkeit gebracht werden?

Ich glaube, es ist vor allem für junge Menschen wichtig, dass sie aufgeklärter werden. Dass die junge Generation lernt, wie man mit Pornografie umgeht. Es ist wenig sinnvoll zu sagen, Pornos sind schlecht. Die Frage ist, welche Pornos man wie konsumiert.

„Ah, du bist schwul, du bist eh nicht ‚so‘ ein Türke.“

Inwiefern zeigt Ihr diesen „richtigen“ Konsum am Festival?

Auf jeden Fall nicht in dem Sinne, zu sagen, was richtig und falsch ist – das steht uns natürlich nicht zu. Man sollte aber wissen, was hinter und vor der Kamera passiert, wie zum Beispiel die Arbeitsverhältnisse in der Branche aussehen. Es ist auch wichtig, zu zeigen, dass die Frau kein Sexobjekt ist.

Bevor Du 2009 den Verein MiGaY gegründet hast, der queeren Migrantinnen eine Plattform und Anlaufstelle bietet, warst Du in einer Versicherung tätig. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?

Die Arbeit in der Versicherung war natürlich etwas komplett anderes. Sieben Tage die Woche arbeiten, viel herumreisen, ständig läutet das Handy – ich war sehr müde. Eines Nachts hat es Klick gemacht, am nächsten Tag habe ich dann gekündigt. Ich war jedoch schon davor aktivistisch tätig, auch innerhalb der Versicherung. 

Da habe ich mich dafür eingesetzt, dass auch gleichgeschlechtliche Paare Unfallversicherungen abschließen konnten, das war 2007 oder 2008, davor mussten wir immer separat Versicherungen abschließen. Es war für mich relativ einfach, mich dafür einzusetzen, weil ich mich bereits sehr früh in meiner Firma geoutet habe.

Wie wurde Dein Outing in der Firma aufgenommen?

Manche Kollegen waren sehr rechts eingestellt und haben davor nie mit mir geredet, weil ich Türke bin. Nach meinem Outing waren sie dann so: „Ah, du bist schwul, du bist eh nicht ‚so‘ ein Türke“. Da dachte ich mir schon – geht’s noch? Jetzt, wo ich schwul bin, bin ich auf einmal cool? Was auch lustig war: Es haben sich dann nach und nach Mitarbeiter der Versicherung, sogar aus anderen Bundesländern, auch geoutet.

Dein Verein bietet eine Plattform für queere Migrantinnen. Schwul sein und Migrant sein – waren diese zwei Identitäten für Dich immer so leicht zu vereinbaren wie jetzt?

Na ja, in dem anderen Bereich der Versicherung, für den ich zuständig war, verkaufte ich Versicherungen an türkischsprachige Menschen. Da musste ich schon etwas vorsichtig sein, dass meine Kunden nicht erfahren, dass ich schwul bin. Eine Zeit lang habe ich shariakonforme Versicherungen verkauft und in Attnang-Puchheim islamische Gelehrte darin eingeschult. Ich weiß, das ist paradox – aber ich liebe das auch irgendwie.

„Wer sagt, dass ich nicht gläubig und gleichzeitig schwul sein kann?“

Passend dazu die Gretchenfrage: Wie hältst Du’s mit der Religion?

Früher war ich öfters in der Moschee, weil ich dieses Gefühl mag, dieses Gemeinschaftsgefühl, dass Menschen zusammenkommen und gemeinsam beten. Auch jetzt gehe ich noch zweimal im Jahr zu den Feiertagen in die Moschee. Manchmal sagen mir meine schwulen türkischen Freunde: „Du kannst gar nicht Moslem sein, du bist schwul.“ Aber wieso denn nicht? Wer sagt, dass ich nicht gläubig und gleichzeitig schwul sein kann?

Wie hat sich eure Beratungstätigkeit geändert, seitdem mehr Flüchtende aus Ländern wie z. B. Syrien, Afghanistan und Somalia kommen? In Somalia gilt die Sharia, und für Homosexualität gibt es ausnahmslos die Todesstrafe.

Sehr viele dieser Menschen nehmen ihre eigene Homophobie mit, und es gibt natürlich Probleme, wenn sie hier auf andere Menschen aus der LGBTQIA (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer/Questioning, Intersex and Asexual/Allies) Community treffen. Selbstakzeptanz ist der erste Schritt und eine riesige Hürde für viele Migrantinnen. Für sie ist es erst einmal nicht interessant, Party zu machen. Vieles muss von Grund auf neu gelernt werden. Ich denke, hier braucht es mehr Betreuung als nur von NGOs. Diese Leute, die aus Kriegsgebieten kommen, sollen nicht allein gelassen werden, weder vom Staat noch von der queeren Community.

„Ich kann aus einem Kaffeehaus geschmissen werden, aber gesetzlich nicht dagegen vorgehen.“

Es gibt einen deutlichen Rechtsruck in Österreich und Europa. Andererseits wurde die Ehe für alle beschlossen. Wie empfindest Du Deine Rechte und Freiheiten in Österreich?

Es ist wichtig, dass wir die Ehe bekommen haben. Aber das löst nicht unsere Probleme. Homophobie gibt es noch immer, Rassismus besteht weiterhin. Es gibt so viele Bereiche, in denen weiterhin diskriminiert wird. Ich kann aus einem Kaffeehaus geschmissen oder in einem Hotel mit meinem Partner abgelehnt werden, aber gesetzlich kann ich nicht dagegen vorgehen.

Was ist da genau passiert mit dem Hotel?

Mein Partner und ich dachten uns, wir sind lustig und checken in einem Hotel nahe der Staatsoper ein. Sie meinten dann, sie hätten kein Zimmer. Ich weiß nicht warum – vielleicht weil Saif dunkelhäutig ist, oder weil ich ein bisschen älter bin als mein Partner, vielleicht dachten sie, er wäre ein Escort. Zu Hause angekommen, das war zehn Minuten später, haben wir angerufen, und auf einmal hatten sie genügend Zimmer frei.

„Diese Brutalität gegenüber älteren Migrantinnen erschreckt mich sehr.“

Du bist als Kind eines Gastarbeiters nach Österreich gekommen, welche Verbindung hast Du zur Arbeiterkultur?

Mein Vater war unter den ersten Gastarbeitern, die mit Zügen und Bussen nach Österreich gekommen sind. Alleine wegen der ganzen Geschichten, die er mir erzählt hat, fühle ich mich dieser Thematik und der Arbeiterklasse verbunden. Die Möglichkeiten waren damals ganz andere, diese Generation hatte gar nicht die Gelegenheit, richtig Deutsch zu lernen. Sie sind ursprünglich ja auch nicht deswegen nach Österreich gekommen, sondern nur zum Arbeiten.

Wie war diese Zeit für Euch?

Mein Vater hat 12 bis 15 Stunden am Tag gearbeitet, meine Mutter hat sich um sechs Kinder gekümmert, sie hatten keine Zeit, Deutsch zu lernen. Diese Brutalität gegenüber älteren Migrantinnen erschreckt mich sehr. Dieser Vorwurf, „Die können nicht Deutsch, obwohl sie seit 40 Jahren hier leben“ ist brutal, damit sollte man nicht so leichtfertig um sich werfen, ohne die Geschichten der Menschen zu kennen.

Was ist deine schönste Kindheitserinnerung?

Als wir nach Wien gekommen sind, hatten wir Stockbetten! In der Türkei hatten wir nur Matratzen und keine Betten, das war für uns ein wunderbarer Spielplatz, immer auf und ab gehen, und immer haben wir uns gestritten, wer oben schlafen darf.

„Ich wurde quasi zwangsgeoutet!“

Weil das obere Bett natürlich besser ist ...

Aber irgendwann wollte ich dann unten sein, da konnte ich mir einen Vorhang aufhängen und mich ein bisschen zurückziehen. In Österreich habe ich auch zum ersten Mal Rolltreppen gesehen, das hat mich total fasziniert, dass Treppen das können!

Was würdest Du aus heutiger Sicht in Deinem Leben anders machen?

Mein Coming-out. Ich wurde quasi zwangsgeoutet. Über eine Kontaktanzeige hatte ich einen Typen zu mir nach Hause eingeladen, mein erstes Date überhaupt mit einem Mann. Meine Familie war auf Urlaub, und mein Vater, der an diesem Tag zufällig früher nach Hause kam, platzte herein und erwischte uns, als wir nackt auf der Couch lagen. Er ist einfach, ohne etwas zu sagen, in sein Zimmer gegangen. 

Schnell zogen wir uns an und verschwanden aus der Wohnung, später telefonierte ich dann mit ihm, und er sagte mir, ich solle niemandem davon erzählen. Im Endeffekt war er derjenige, der es meiner Mutter erzählt hat, und bis meine Familie aus dem Urlaub zurück war, wussten alle bereits Bescheid.

Du hast schon die verschiedensten Dinge in Deinem Leben gemacht, bist in ziemlich vielen Sachen gut, aber was kannst Du gar nicht?

Ich bin handwerklich wirklich gar nicht begabt. Der Beruf, den mein Vater für mich vorgesehen hatte, war Tischler, weil mein Opa und auch er Tischler waren. Immer, wenn er im Haus etwas reparierte, sagte er uns Kindern, wir sollen genau zuschauen – was ich als Kind natürlich nie gemacht habe. Das bereue ich manchmal, denn wenn im Haushalt etwas zu reparieren ist, müssen meine Brüder kommen – ein totales Klischee von einem schwulen Mann (lacht). Aber ich bin einfach ein echter Büro-Mensch.

Danke!

Was Yavuz Kurtulmus jedenfalls besonders gut kann: Filmfestivals kuratieren – wie man am Programm des Porn Film Festivals, das am Donnerstag, den 1. März, eröffnet, sehen kann. 

Empfehlungen: