Schwanensee mit Säulen, Swarovski & Schaufensterpuppen
Er führt mit Franz West in Paris – beinahe – eine Performance auf, kickt Puppen über die Klippe und legt sich mit dem allmächtigen Schweizer Galeristen Hauser & Wirth oder dem Tiroler Unternehmen Swarovski an: Richard Hoeck (* 1965), österreichischer Konzeptkünstler, nimmt kein Blatt vor den Mund und hat Sinn für Humor. Ein launiges Gespräch über Fake und Fälschung, Antiheros und seine neue Kinorolle als Künstler.
Hier zu sehen ist die Fotoarbeit „Hard Hat and Soft Hard Hat“ (2021), fotografiert von Christian Anwander. Model: Der bekannte österreichische Schauspieler Christoph Krutzler, der vergangenes Jahr unter anderem in der Fernsehserie „Freud“ mitspielte.
Antje Mayer-Salvi: Deine Riesen-Hüte stehen gut, sind spektakulär und auf Instagram ein Hit!
Richard Hoeck: Hüte sind für mich als Künstler kulturhistorisch sehr interessant, sie waren nie nur Kopfschutz, sondern auch Symbole für Männlichkeit, die Auskunft über den Einfluss des Trägers geben ...
... diese hohen Zylinder, die die feinen Herren im 19. Jahrhundert trugen, hatten etwas Phallisches an sich, so wie Deine Hüte ...
Ja, das stimmt! Zylinder waren im 19. Jahrhundert ein bürgerliches Symbol, ein Attribut der Bourgeoisie und der Dandys. Sie waren
teils so hoch, dass die Türstöcke der Beletage vergrößert wurden, damit die Gentlemen eintreten konnten, ohne ihn abnehmen zu
müssen, denn das wäre unwürdig gewesen. Ist es nicht faszinierend, dass
Architektur sich nach der Mode richtet!? Meine Hüte habe ich übrigens bei einem
Pariser Hutmacher herstellen und die Spitze abrunden lassen, damit sie
an steife, beziehungsweise schlaffe Penisse erinnern.
Ich gratuliere Dir, als weißer „alter“ Mann, zu dieser Selbstironie!
Danke Dir! Dazu inspiriert hat mich ein medizinischer Text, in dem stand, dass manche Männer keinen Sex haben, weil sie es nicht aushalten, wenn nach dem Orgasmus ihr Penis schrumpft. Sie fühlen sich dann nicht mehr männlich. Mit meiner Window Shopping-Arbeit „Hard Hat“, eine Schaufensterpuppe in Unterhose, Hosenträger und mit „schlaffem“ und „steifem“ Hut auf dem Kopf, habe ich das auf die Schippe genommen. Die Arbeit konnte man während des zweiten Lockdowns in der Auslage der Wiener Gabriele Senn Galerie in der Schleifmühgasse sehen. „Hard Hat“ heißt im Slang übrigens „steifer Penis“.
„Schaufensterpuppen sind stille Schauspieler für mich“, so Hoeck. „Sie sind hergestellt, um Waren anzupreisen, ich nehme sie aus diesem Kontext heraus. Das irritiert.“ Im Hintergrund zu sehen: Die Puppe, die im Rahmen der Arbeit „Window Shopping“ (2020) im Schaufenster der Wiener Gabriele Senn Galerie stand.
Vom Schnitt her sind die ja auch wie ein Cowboyhut – ein Macho-Accessoire?
Ich mache mich über den Hero lustig. Da gibt es auch diese Hosenträger, die
sind schon auch ein Symbol für Gewalt und Autorität, auf eine subtile Art. Die Opa-Unterhose hat auch etwas Anti-Heroisches. Ich wollte
irgendwie eine Anti-Ästhetik schaffen.
Richard Hoeck hat für das Interview extra eine Schaufensterpuppe mit Hut, Unterhose und Hosenträger mitgenommen, um es uns zu demonstrieren.
Eine Deiner bekannten Performances ist „Paris Refake Sieben Säulen“, die 2016 im Belvedere 21 aufgeführt wurde. Wieso Re-Fake?
Weil das eine vergessene Performance war, die schon mal stattgefunden hatte! Franz West und ich waren 1990 in Paris, weil Franz eine Show im Musée d'Art Moderne geplant hatte, für die er sieben Säulen hergestellt hatte. Das Pech der damaligen Direktorin war, dass auf dem Weg zum Museum eine Bar lag, in die wir für einen Drink reingingen und sehr spät erst wieder rauskamen. Als wir spätabends im Musée d'Art Moderne ankamen, war das Publikum weg. Der Schweizer Künstler Niele Toroni war, neben der Direktorin und den engagierten Performern, welche Pariser Kunststudierende waren, einer der wenigen, der noch im Ausstellungsraum stand und wartete.
Franz Wests Performance „Sieben Säulen“ fand 1990 in einem Ausstellungsraum im Pariser Musée d'Art Moderne statt, der nur mehr wenige Zuschauerinnen zählte. Franz West, Richard Hoeck und Pariser Kunststudierende zogen die Show – schon etwas beschwipst – trotzdem durch.
Ihr hattet Euch versoffen!
Wir zogen die Performance dann für Niele Toroni trotzdem noch schnell durch und verschwanden gleich wieder, weil wir sonst den Tisch verpasst hätten, den wir in einem Top-Restaurant reserviert hatten. 2016 habe ich die Performance im Rahmen der Ausstellung „Franz West Artistclub“ wieder aufleben lassen. Die Leute, die West nahegestanden waren, kriegten Gänsehaut, so West-mäßig war das. Es gab aber auch Stimmen, die meinten, ich attackiere damit das „Original“. Ich glaube nicht an den Geniekult und auch Franz hasste das wie die Pest. Die Franz-West-Stiftung regte sich sehr auf. Dabei war das keine Fälschung, es war ein Fake.
Was ist der Unterschied?
Eine Fälschung ist, wenn ich was mache und „by Franz West“ hinschreibe. Ein Fake ist eine künstlerische Strategie, bei der man sich etwas aneignet. In diesem Sinne reproduzierte ich die West-schen Säulen und wählte für diese Form der Konzeptkunst, die auch als Appropriation Art bezeichnet wird, den Begriff „Fake“.
Fälschung ist Betrug und Fake eine Aneignung, bei der man die Kunst kapiert haben muss. Deswegen ist es auch eine Art Liebeserklärung an Franz West …
Dem Fake haftet immer was Schmutziges an, obwohl er nichts Schmutziges ist. Ich fakte die Performance ja nicht aus Prinzip, sondern um sie aus dem Verborgenen ans Licht zu holen. Erst später erfuhr ich, dass die Galerie Hauser & Wirth die originalen Säulen besitzt. Zeitgleich zur Ausstellung „Artistclub“ inszenierten sie ebenfalls eine Show mit den West-Säulen. Sie wussten aber nicht, wie die Performance ausgesehen hatte und ließen Ballettänzer schwanenseemäßig mit den Säulen tanzen. Ich hatte die gefakten Säulen und die „richtige“ Performance, sie die originalen Säulen und die „falsche“ Performance (lacht).
Franz West hätte Dich vom Himmel runter geküsst! Du arbeitest seit über 22 Jahren mit Schaufensterpuppen. Was bedeuten sie für Dich?
Schaufensterpuppen haben so eine starke Präsenz, dass es schon fast gruselig ist. Ich wähle am liebsten die billigen,
weil realistischen, aus, so wie sie oft in den Auslagen der Discounter
stehen. Der Betrachter soll sich denken: „So wie der Typ will ich auch
aussehen“. Durch realistische Features werden diese
Mannequins zu seltsamen Doppelgängern.
Mit den „Überresten“ der Puppen aus der Videoarbeit „Mannequin Death“ gestalteten Richard Hoeck und der New Yorker Künstler John Miller eine Installation in der Schweizer Marc Jancou Contemporary Galerie, woraus 2016 die Fotoserie „Sex Appeal of the Inorganic“ entstand. Unten zu sehen ist ein Filmstill aus Hoecks und Millers Videoarbeit „Mannequin Death“, die am Institute of Contemporary Art in Miami für viel Aufsehen sorgte.
In Deinem und John Millers Video „Mannequin Death“ von 2015 werden Puppen gezeigt, die Designermode tragen und sich einen Berg hinunterstürzen. Auf das Video gab es extreme Reaktionen, eine Architektin weinte bei der Ausstellungseröffnung in Miami sogar. Wieso berührt es Menschen so, wenn Du Puppen eine Klippe runterschmeißt?
Stellvertreter der Realität können eine stärkere Wirkung haben als die Realität selbst. In manchen Spielfilmen werden 200 Menschen umgebracht und das tangiert niemanden. Ich habe nur ein paar Puppen einen Berg runtergeschmissen. Trotzdem triggerte das wahnsinnig viele Personen. In Miami wurde ich von einem Ausstellungsbesucher stark kritisiert und dazu aufgefordert, den Film abzubrechen, da er meinte: „This is what the Nazis did“. Zurück in Wien ließ ich prüfen, ob die Nazis wirklich Personen so ermordeten, aber die Behauptung stimmte nicht. Mit einer Gruppe auf einen Berg zu gehen, um sie umzubringen, war ihnen ein zu großer Aufwand.
Im Video schwingt auch Konsumkritik mit. Die Puppen tragen teure Luxusmode!
Meine Lebensgefährtin und Produzentin des Videos Kasha Fiedler führte 17 Jahre lang einen Highend-Fashion-Store in Wien. Sie übernahm auch das Styling der Puppen, an allen Kleidungsstücken hingen noch die Preisschilder dran. Das war eine richtige Demolition Party! Wir zerstörten viel Geld, das ärgerte viele Leute.
Das Thema der Zerstörung und Gewalt greifst Du auch in Deiner Arbeit „Swarovski Brass Knuckles“ von 2009 auf, für die Du Schlagringe mit Swarovski-Steinen besetzen hast lassen.
Die Idee für diese Arbeit kam mir, als ein Journalist der New York Times eine Enthüllungsgeschichte über das Unternehmen Swarovski veröffentlichte. Der Artikel deckte auf, dass mit Swarovski-Steinen Symbole von Mafiamitgliedern in Pistolengriffe eingesetzt wurden. Die Geschichte erschien kurz bevor Swarovski in New York das Café Kristall eröffnete. Es musste aber bald wieder schließen, weil es wahrscheinlich von den New Yorkern aufgrund dieser Story boykottiert wurde. Ich bekam das mit, weil ich zu der Zeit in New York lebte, in Österreich war das aber nicht bekannt.
„Ich spiele in der Komödie die Rolle meines Lebens: die des Künstlers!“
Einer Tirolerin Schmuck von Swarovski schenken? Das würde sich Hoeck nicht trauen. Seine Arbeit „Swarovski Brass Knuckles“ entstand 2009 im Zuge einer fast schon filmreifen Enthüllungsgeschichte.
Wie kam es dann zu Deiner Arbeit?
Als ich zurückkehrte, ging ich zum Chef von Swarovski, zog einen Ausdruck des New York Times-Artikels aus der Tasche und meinte, ich würde gerne Schlagringe mit Swarovski-Steinen besetzen lassen. Plötzlich war das gar kein Problem und man kam mir entgegen, indem man nichts verlangte und mir dann auch noch einen Haufen dieser diamantbesetzen Schlagringe abkaufte. Ein Mitglied der Familie Swarovski besitzt nun Schlagringe mit Swarovski-Steinen. Es war wie eine Performance.
Die Österreicher sind ja stolz, so ein bekanntes Unternehmen im Land zu haben ...
Die Tiroler selbst gehen kaum in die Kristallwelten, das ist eher etwas für die Touristen. Ich würde mich nicht trauen, einer Tirolerin etwas von Swarovski zu schenken, auch wenn es noch so teuer ist.
Im Moment arbeitest Du an der Fotoserie „Hard Hat and Soft Hard Hat“ gemeinsam mit dem österreichischen, in New York lebenden, Fotografen Christian Anwander. Wie kam es zu dieser Serie?
Christian und ich waren auf der Geburtstagsparty des österreichischen Regisseurs Marvin Kren, die damit endete, dass der bekannte Schauspieler Christoph Krutzler eine Ukulele in der Donau versenkte. Daraufhin meinte Christian: „Mit dem möchte ich eine Fotoserie machen!“. Ein paar Monate später setzten wir das in die Tat um und fuhren mit Christoph ins Burgenland, wo er mit meinen Hüten im Freien halbnackt posierte. Als Marvin Kren die Bilder sah, war er so begeistert, dass er bei mir und Christian eine Fotoarbeit in Auftrag gab, die in seinem neuen Film „Der weiße Kobold“ zu sehen sein wird.
Worum geht's in dem Film?
Darin besucht ein bösartiger Sammler, gespielt von Thomas Mraz, eine Kunstmesse, kauft eine Fotografie, die ihn mit einem meiner Hüte porträtiert, und hängt das Bild in Übergröße in seine Villa. Das ist jenes Foto, das von Christian und mir stammt! Ich spiele in der Komödie übrigens auch in einer kleinen Szene mit, in der Rolle meines Lebens: der des Künstlers!
Richard Hoeck wurde 1965 in Hall in Tirol geboren, lebt und arbeitet in Wien und New York. Von 1983 bis 1990 studierte er an der Universität für angewandte Kunst in Wien bei Ernst Caramelle und Oswald Oberhuber. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland zeigen das vielseitige Schaffen (Installation, Skulptur, Objekt, Architektur, Edition, Video, Videoinstallation, Fotografie, Siebdruck, Kunst im öffentlichen Raum, Performance, Malerei).