Der Schweizer Filmemacher

Hamstern und Hoffen

Während auch die Filmbranche der Eidgenossen stillsteht, nutzt der Schweizer Produzent und Regisseur Laurin Merz die Zeit und schneidet die letzten Szenen seiner Dokumentation Tiger Mafia, zusammen mit dem berühmten Artenschützer Karl Ammann. Der Film thematisiert auch die berüchtigten Wildtiermärkte in China, wo das Corona-Virus seinen Anfang genommen haben soll. Laurin erzählt von diesem – mittlerweile hochaktuellen – Projekt, das schockierende Szenen zeigt. Er verrät uns, wie er und seine Familie den Quarantänealltag schaukeln.

„Du sprichst mit einem Hypochonder!“

Antje Mayer-Salvi: Salut! Das Schöne an der Krise ist, man telefoniert wieder. Wie ist die Stimmung bei Euch in der Schweiz?

Laurin Merz: Ein Wahnsinn alles! Wir sind hier zwar immer noch superprivilegiert, mittlerweile ist aber der Einlass in die Geschäfte reglementiert – man muss sich anstellen, und nur eine gewisse Anzahl Leute darf hinein. Es wird immer wieder gesagt, man solle keine Hamsterkäufe tätigen, trotzdem sind seit zwei Wochen Klopapier und Pelati ausverkauft. Ich stehe dazu, ich habe gehamstert und im Keller alles so eingelagert, dass da niemand rangeht. Unser Nachbar hat sich über mich lustig gemacht. Heute wollte er Tomaten in der Dose kaufen und hat dafür zwei Stunden gebraucht (lacht).

Was hast Du gehamstert?

Rösti, Spaghetti, Spaghetti, Spaghetti ... sowas halt! Wir könnten mit unserem Vorrat problemlos zwei Wochen auskommen. Als vierköpfige Familie braucht man einfach so unglaublich viel Zeug – ganz abgesehen vom Rotwein für die Nerven. Wir haben übrigens nur anderthalb Klopapier-Packungen: Ich bin für meine Dokus durch viele Entwicklungsländer gereist, dieser Hygieneartikel ist für mich derzeit das kleinste Problem bei all dem Scheiß! Ich schicke die Einkäufe in den Keller in Quarantäne, bevor diese überhaupt in die Wohnung kommen. Du sprichst mit einem Hypochonder (lacht)!

„Klopapier ist für mich derzeit das kleinste Problem bei all dem Scheiß!“

Bei Euch genauen Schweizerinnen gilt sogar eine behördlich vorgeschriebene Abstandsregel von zwei Metern statt einem!

Wer sich nicht daran hält, kassiert eine Ordnungsbuße von 100 Franken. In Zürich wurden gerade die Parks und das Seeufer gesperrt. Mehr als fünf Personen dürfen nicht mehr zusammenstehen. Teilweise stehen Polizisten bei den Kinderspielplätzen. Die Kinder dürfen übrigens raus und müssen den Abstand nicht einhalten, aber ebenfalls nur fünf dürfen zusammen spielen. Die Bergbahnen im Berner Oberland haben ihre Lifte trotz der Corona-Warnungen bis vor Kurzem ja noch offen gelassen. Die haben sich gedacht, wir machen noch schnell richtig Knete und damit den Bundesrat stinksauer gemacht – der hat dann den Stecker gezogen. Jetzt steht fast alles still in der Schweiz.

Die Schulen bleiben bis nach den Frühlingsferien – also bis zum 27. April – geschlossen. Man hat bei unseren Kindern aber schon durchblicken lassen, dass der Unterricht vermutlich erst nach den Sommerferien wieder stattfinden könnte.

„Teilweise stehen Polizisten bei den Kinderspielplätzen.“

Oh mein Gott, auf Österreich übertragen hieße das, die Kinder gehen erst im September wieder zur Schule! Du bist Regisseur, Filmemacher und Geschäftsführer Deiner eigenen Filmproduktionsfirma HOOK Film. Wie geht es der Schweizer Filmbranche in Zeiten wie diesen?

Die Film- und Fernsehbranche steht still, keine Kinos, keine Festivals, also auch keine Releases. Im Fernsehen wird fast nichts mehr produziert, Nachrichten haben Priorität, bei Interviews wird wieder geangelt, wie in guten alten Zeiten, einzig das Mikro an der Stage ist größtenteils in Plastik verpackt. Wir können im Moment nichts drehen.

Ich kann einige Projekte gerade um- und fertigschneiden. Ich schaffe es derzeit, von 9 bis 14 Uhr zu arbeiten, aber mehr geht einfach nicht, zu erreichen ist ohnehin niemand. Ich bin schon froh, wenn der Staat jetzt einspringt. Seit Freitag ist klar, dass in der Schweiz nun endlich auch Geschäftsführerinnen und Arbeitgeberinnen in Kurzarbeit gehen können. Da schließen sie das Restaurant, und alle, die dort arbeiten, bekommen weiter ihren Lohn, aber wenn dir der Laden gehört, bekommt du nichts– das war einfach falsch!

„Killen, zerlegen, kochen, fressen. Ich könnte kotzen!“

Bei uns ist das leider noch nicht so, daran muss unbedingt etwas geändert werden! Du arbeitest ja gerade an einem Film, der, so Corona will, im Herbst auf den Festivals gezeigt werden soll und hochaktuell ist: „Tiger Mafia“. Ihr habt dafür auf den berüchtigten „Wet Markets“ in China gedreht, die wegen der feuchten Böden so heißen – feucht von geschmolzenem Kühleis und an manchen Orten wohl auch feucht vom vielen Blut. Dort sollen Sars- und Corona-Virus ihren Ursprung genommen haben.

Der Film muss jetzt unbedingt raus, da er eben hochaktuell ist. Amazon, Netflix und National Geographic haben bereits Interesse angedeutet. Er zeigt, wie Tiger gezüchtet werden, um gegessen zu werden oder aus ihnen Potenzmittel herzustellen. Autor und Protagonist ist Karl Ammann. Er versucht seit Jahrzehnten, die Welt darauf aufmerksam zu machen, welche fatalen Folgen der in Asien immer noch gelittene Verzehr von Wildtieren nach sich zieht. Weltbekannt wurde er mit seinem Buch „Eating Apes“ und durch die Aufdeckung des „Bushmeat Scandals“, also dass wilde, vom Aussterben bedrohte Tiere im afrikanischen Busch im großen Stil gejagt und gegessen werden. Dafür wurde er vom „Time magazine“ als „Hero of the Environment“ gelistet.

„Es reicht absolut für eine Magenverstimmung.“

Du warst auf einem dieser Horrormärkte mit geschlachteten und lebendigen Tieren – Vögeln, Schlangen, Katzen und Hunden – in engen Käfigen, von denen man Videos auf YouTube sieht.

Ich war glücklicherweise nur auf „normalen“ Märkten in Laos, da werden keine geschützten Tiere verkauft. Aber es reicht absolut für eine Magenverstimmung und unterstreicht mein Vegetariertum. Die Hygiene bei diesen Fleischständen ist miserabel, das kenne ich auch aus Afrika. Karl Ammann hat unzählige dieser Orte besucht und man sieht im Footage, wie sehr es ihn anekelt.

Was war das Schlimmste, das Du beim Schneiden gesehen hast?

Das Ekligste waren Abschlachtungen von Tigern mit Elektroschocks über einen normalen Generator und dass die Fleischkäufer das auch noch filmen wollten, um beweisen zu können, dass es sich auch wirklich um Tigerfleisch handelt. Killen, zerlegen, kochen, fressen. Ich könnte kotzen!

„Es ist die Rache für den respektlosen Umgang von uns Menschen mit der Natur.“

Was denkst Du in Bezug auf die Corona-Krise nach den Dreharbeiten in Asien auf diesen Märkten?

Es ist sehr eindeutig, dass nach Sars und Ebola nun wieder eine Viren-Epidemie über diese armen Wildtiere zu uns Menschen kommt. Davor warnt Karl Ammann schon ewig.

Gibt es die „Wet Markets“ in dieser Form in China schon immer? Ist Corona eine Art Rache an dem respektlosen Umgang mit der „Schöpfung“?

Es gab diese Märkte in China schon immer, aber nun sind die nahen Wälder fast ausgerottet, man spricht hier vom „Dead Forest Syndrome“, deshalb kommen die Tiere von weiter her und sind daher auch weniger frisch. Die Märkte gibt es offiziell nicht mehr, aber wohl noch illegal – wobei ich das natürlich nicht hoffe! Ich habe schon das Gefühl, es ist die „Rache“ für den respektlosen Umgang von uns Menschen mit der Natur.

Überkommt Dich manchmal der Corona-Blues?

Ich gebe zu, noch kann ich die Auszeit und die Entschleunigung genießen. Bei uns ist eher Sonntagsstimmung, wir sind halt alle nicht im Gesundheitswesen tätig. Das wird sich ändern, wenn eine totale Ausgangssperre wie in Italien kommt – und die kommt. Alle, auch die Kinder, sind gut drauf, aber, noch einmal, ich bin total privilegiert, meine Veggie-Bio-Bobo-Familie ist gesund, ich rauche nicht mal mehr, und auch finanziell haben wir ein Polster.

In Italien, das uns zwei Wochen voraus ist, herrscht gerade nicht so tolle Stimmung ...

Hoffentlich sind wir in der Schweiz – und Ihr in Österreich – besser vorbereitet. Was mir Angst macht, ist, dass die Krankheitsverläufe bei den Jungen schon auch ziemlich heftig sein können. Die Rentner nehmen es noch zu wenig ernst. Die sind hier in der Schweiz kürzlich noch fröhlich, eng beieinander, auf den Terrassen der Berghütten gesessen. Das hat mich verärgert. Ich habe gestern mit meinem Freund im Baskenland in San Sebastian über WhatsApp gesprochen. Dort herrschen apokalyptische Zustände.

„Noch genieße ich die Entschleunigung.“

Der totale Lockdown?

Absolut. Mein Freund in Spanien kauft für seine Kinder und seine Exfrau, die zwei Straßen weiter leben, regelmäßig Lebensmittel ein. Sein Sohn hat einen Herzfehler und ist stark gefährdet. Mein Freund darf ihnen nur mit Maske und Handschuhen bekleidet die Einkaufstaschen unten in den Hausflur stellen, wo seine Exfrau diese abholt, aber erst, wenn er wieder gegangen ist. Raufgehen darf er wegen der Ansteckungsgefahr keinesfalls.

Bekommt man in Spanien noch alles?

Die Apothekerinnen geben die Ware nur noch im Komplettschutzanzug hinter Plastikverschlägen aus, nachdem man mindestens eineinhalb Stunden vor dem Geschäft gewartet hat. Alle bekannten Schmerzmittel, die mein Freund angefragt hatte, waren ausverkauft. Er ist sehr wohlhabend, aber in dieser Situation nutzt das ganze Geld wenig. Sein Bruder arbeitet als Arzt in Barcelona auf der Geriatrie, der erzählt, sie hätten keine Masken, keine Handschuhe und kein Desinfektionsmittel mehr!

Nach all diesen deprimierenden Nachrichten noch was Positives zum Schluss bitte!

Wenn das alles vorbei ist, geht in der Schweiz – und auch in Österreich – wirtschaftlich alles wieder mit Volldampf weiter, da habe ich gar keinen Zweifel daran, und dann stoßen wir an!

In diesem Sinne! Bleibt gesund und santé in die Schweiz!

Der Schweizer Regisseur Laurin Merz (* 1975) ist in der heimischen Szene nicht eben unbekannt, er produziert Werbe- und Kinofilme, Dokus und Serien fürs Fernsehen. Über den österreichischen Künstler Erwin Wurm und das Architekturbüro Coop Himmelb(l)au hat er bereits Dokumentationen gedreht.

hook-film.com


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