Der Sonnenkönig

Fotos & Fetisch

Altersflecken, Fettfalten, Stützstrümpfe: Die Fotos von Piero Percoco (* 1987) sind das Gegenteil der aalglatten Modestrecken großer Labels. Sie widmen sich dem Alltäglichen, dem „Unperfekten“ – und das nicht in einer großen Metropole, sondern in der italienischen Provinz. Mit seiner Kunst trifft er den Zahn der Zeit: über 87.000 folgen ihm bereits auf Instagram. Apple, Vogue Italia und The New Yorker buchen ihn. Wir haben ihn via Skype in Italien erreicht und ein Gespräch über Fetisch und Herkunft geführt.

Piero Percoco

„Mein Vater wurde von der Mafia gehasst.“

Du hältst mit Deinen Fotos das Leben in der italienischen Provinz Puglia fest. Kannst Du Dir vorstellen, je an einen anderen Ort zu ziehen?

Ungern, aber wenn ich wählen müsste, würde ich mich für die Niederlande entscheiden. Dort gibt es keine Mafia, wenig Kriminalität, alles ist sauber und in Ordnung.

Spürst Du die Präsenz der Mafia in Deinem Alltag?

Nicht mehr, aber viele Jahre lang war es so. Als ich klein war, führte mein Vater ein Unternehmen und wurde deshalb von der Mafia gehasst. Sie haben unsere Autos und Büros in Brand gesetzt. Ich habe das in in meiner Jugend alles mitbekommen, es hat mich stark beeinflusst. Diese Kindheitstraumata verarbeite ich in meinen Fotos. 

Musst Du beim Fotografieren aufpassen, dass Du nicht versehentlich Mafiosis ablichtest?

Nein, das sind Personen, die sich vor der Öffentlichkeit verstecken. 

Deine Fotografie ist ein Gegenprogramm zu sleeken Modestrecken mit glamourösen Topmodels – stattdessen gibt es bei Dir Altersflecken, Stützstrümpfe, Haut- und Fettfalten zu sehen. Was ist der Reiz des „Unperfekten“?

Ich bin in einer einfachen Familie aufgewachsen, in der das Aussehen nie wichtig war. Daher halte ich wohl auch beim Fotografieren nach schlichten Details und dem Unperfekten Ausschau. Ich spüre mit meiner Fotografie meinen Wurzeln nach – sie ist eine Reflektion dessen, was ich bin und woher ich komme. 

„Ich bin ein Fetischist.“

Du hast schon für große Kundinnen wie Apple gearbeitet. Für das italienische Fashionlabel Marni hast Du kein Model auf der Piazza posieren, sondern eine Dorfbewohnerin ihre Wäscheleine mit Luxustaschen behängen lassen. Wie war diese Erfahrung?

Es war ungewohnt, mit meinen Fotos so viel Geld zu verdienen. Marni hat mich um ironische und lustige Bilder gebeten, da das ja „meinem Stil entsprechen würde“. Ich war sehr überrascht, denn meine Bilder sind für mich nicht lustig – sie spiegeln einfach das wider, was mich tagtäglich umgibt. Es war schwer, ihnen zu erklären, dass meine Bilder nicht urkomisch, sondern ernst gemeint sind. 

Füße und Hände sind ein häufiges Motiv Deiner Bilder. Wieso?

Ich bin ein Fetischist – ich fühle mich zu diesen Körperteilen hingezogen, auch in sexueller Hinsicht. Sie erzählen viel über eine Person und stecken voller Details, denen ich meine Aufmerksamkeit widme. Wenn ich Hände fotografiere, konzentriere ich mich oft auf die Adern. 

Welche Beziehung hast Du zu den Menschen, die Du fotografierst?

Die meisten kenne ich nicht und sondere mich beim Fotografieren eher ab, anstatt viel mit ihnen zu reden. Ich spreche überhaupt selten jemanden an, oft kommen Leute aber auf mich zu, weil ich mich mit meiner Kamera wie ein Tourist aussehe, und denken, dass ich aus dem Ausland komme. 

„Ich wollte nie ein Fotograf sein!“

Wie lebt es sich in Puglia?

Es ist langweilig und gleichzeitg faszinierend. Ich lebe hier in der Vergangenheit, in einer Vintage-Welt. Seit Jahrzehnten hat sich in diesem Dorf nichts verändert. Ich habe spontan damit angefangen, diese Welt mit meiner Handykamera festzuhalten. Ein Fotograf wollte ich eigentlich nie sein (lacht)!  Ich bin lediglich dem Impuls gefolgt, festzuhalten, was mich umgibt. 

Was kann ein Smartphone, was eine Kamera nicht kann?

Der größte Vorteil ist, dass es mir erlaubt, unauffällig zu bleiben. Das Smartphone ist eine Art „unsichtbares Medium“, ich kann es benutzen, ohne dass jemand weiß, was ich damit tue. Da ich beim Fotografieren gerne im Hintergrund bleibe, ist das sehr hilfreich. 

Im Backstage-Bereich einer Fashion Show hast Du Naomi Campbell mit einem Close-up-Schnappschuss überrumpelt. Darfst Du Dich je wieder auf einer Modeschau blicken lassen?

Vor Naomi wohl nicht mehr (lacht). Niemand hatte mir erlaubt, in den Backstage-Bereich zu gehen, aber ich tat es trotzdem – die Modewelt hat mich schon immer angezogen. Naomi sah mich unglaublich böse an, sie war wohl kurz davor, mir eine reinzuhauen.

„Als ich Naomi fotografierte, war sie kurz davor, mir eine reinzuhauen.“

Was ist Dir wichtig beim Fotografieren?

Das Sonnenlicht! Wenn es wolkig ist, fotografiere ich nicht. Nur bei Licht treten die Farben deutlich hervor. 

Deine Fotos haben immer ein quadratisches Format – für Instagram?

Nein, gar nicht! Ich schneide meine Fotos auch nicht im Nachhinein zu, sondern fotografiere in diesem Format. Das ist recht mühsam – eine Landschaft lässt sich mit diesem Bildausschnitt schwer festhalten. Trotzdem halte ich an dem Format fest, denn es hat für mich eine spirituelle Bedeutung, ist sowohl Symbol für die Erde als auch für das Universum. 

Dein bisher skurillstes Erlebnis beim Fotografieren?

Ich filmte eine Zeit lang täglich meinen alten Nachbarin mit dem Handy, wenn er auf der Terrasse saß oder die Wäsche aufgehängte. Es sollte eine Art Mini-Reportage werden, die ich in meiner Instagram-Story postete. Dabei blieb es aber nicht, denn letztendlich castete ich ihn für eine Kampagne des italienischen Modelabels Marni. Er wurde sozusagen mein Model! Ich filmte ihn dabei, wie er eine Marni-Tasche vom Balkon auf die Straße fallen ließ.

Vielen Dank für das Interview!

Dieses Interview ist in der Printausgabe 4/2021 „The Wasted Issue“ erschienen. Sie können das Magazin in unserem SHOP bestellen.

Pietro Percoco (geb. 1987) ist in der italienischen Gemeinde Sannicandro di Bari aufgewachsen, hat aber einen Großteil seiner Kindheit in Venezuela verbracht. Sein Instagram-Account The Rainbow is Underestimated zählt über 100.000 Followerinnen. Zu seinen Klientinnen gehören unter anderem Marni und Apple. Seine Fotos wurden in Magazinen wie The New YorkerVanity Fair, Rolling Stone Italia und Vogue Italia veröffentlicht, außerdem sind bereits zwei Fotobände mit seinen Arbeiten erschienen („Prism Interiors“, 2018; „The Rainbow is Underestimated“, 2019). 

Die Fotografin Rafaela Pröll

Text: Antje Mayer-Salvi

Rafaela Pröll gehört zu den bekanntesten Mode- und Porträtfotografinnen in Österreich. Wir trafen die gebürtige Bregenzerin zu einem Gespräch unter einem Waldviertler Apfelbaum. Während uns die reifen Früchte auf die Köpfe fielen, besprachen wir die Kunst des guten Porträts, warum man Licht hören kann und in welchen Momenten selbst ein Vollprofi wie sie ins Schwitzen kommt.

Der Puppenspieler

Text: Antje Mayer-Salvi

„Soft Hard Hat“

Er führt mit Franz West in Paris – beinahe – eine Performance auf, kickt Puppen über die Klippe und legt sich mit dem allmächtigen Schweizer Galeristen Hauser & Wirth oder dem Tiroler Unternehmen Swarovski an: Richard Hoeck (* 1965), österreichischer Konzeptkünstler, nimmt kein Blatt vor den Mund und hat Sinn für Humor. Ein launiges Gespräch über Fake und Fälschung, Antiheros und seine neue Kinorolle als Künstler.

Die Sonnenfrau

Frieda Temper, Helene Vollmann (Text & Fotos)
Sonnenverkäuferin Nahaufnahme neben Solarium

Klappkaribik, Münz-Mallorca oder Tussi-Toaster. Sabine, die vor über zwei Jahrzehnten mit ihrem Mann Gerhard das Sonnenstudio Sun Max Plus auf der Gumpendorfer Straße im 6. Wiener Bezirk eröffnet hat, lebt (noch) von ihren Stammkundinnen und deren ungebrochener Sehnsucht nach Wärme, UV-Licht und einem bronzenen Teint. Ein Gespräch und eine Fotoreportage über das aussterbende Geschäft mit der Sonne aus der Steckdose.