Galaktisch
Jörg Hofmann kocht fürs All. Er ist Director of Culinary Excellence beim Airline-Catering Unternehmen LSG Group. Dank ihm können Astronautinnen in der Schwerelosigkeit Maultaschen, Käsespätzle oder Rehragout genießen – mit Klettverschluss-Besteck aus der Dose. Er erzählt uns, wie es im Weltraum riecht und schmeckt, und was ein galaktisches Gourmetmenü alles können sollte.
„Hauptspeise und Beilage müssen in eine Dose passen."
Welches Gericht würden Sie persönlich mit ins All nehmen wollen?
Jörg Hofmann: Den Kartoffelsalat meiner Oma! Ich bin mir gewiss, mit den Technologien, die uns heute zur Verfügung stehen, haben wir die Möglichkeit, den Kartoffelsalat mindestens genauso gut zuzubereiten, wie meine Großmutter, und sogar mikrobiologisch sicherzustellen, dass er auch in zwei Jahren noch genießbar ist.
Sie sollten es versuchen! Schmeckt Essen im All genauso wie auf der Erde?
Keine einfache Frage! Das, was im Weltall mit unseren Geschmacksorganen passiert, ist sehr personenabhängig. Was man weiß, ist, dass im All Schleimhäute des menschlichen Körpers unter der Schwerelosigkeit anschwellen, was dazu führen kann, dass diese so weit beeinträchtigt sind, dass die Astronautinnen und Astronauten gar nichts mehr schmecken.
Was müssen Sie bei Ihren Menüs fürs All unbedingt beachten?
Das Gericht darf nur eine geringe Menge an Salz enthalten, da im All Mikrogravitation herrscht; die Knochendichte ist nicht mehr wie auf Erde nötig und nimmt ab. Der Knochenabbau würde durch Salz noch drastischer stattfinden und im schlimmsten Fall könnten bei der Rückkehr auf die Erde die Knochen der Astronautinnen und Astronauten brechen. Zusätzlich müssen wir gewährleisten, dass die Weltraum-Nahrung mindestens zwei Jahre lang haltbar ist.
„Die Kapsel stinkt nach verbranntem Metall.“
Wie erreichen Sie, dass Essen auch im All schmeckt und der Crew Freude bereitet?
Geschmack ergibt sich aus verschiedenen Komponenten der Palette. Wenn das Salz fehlt, muss man einen anderen Weg finden. Wir arbeiten viel mit der Geschmackskomponente „Umami“, was japanisch ist und so viel bedeutet wie „wohlschmeckend“ und „würzig“. Diese fünfte Dimension unserer kulinarischen Wahrnehmung beschreibt also herzhaften oder auch fleischigen Geschmack. Umami lässt Speichel im Mund zusammenlaufen, was in weiterer Folge in unserem Kopf Genuss auslöst.
Kann man Nahrung im All riechen?
Es kann sein, dass man im Weltraum gar keine Gerüche wahrnimmt. Die Mannschaftsmitglieder erzählen jedoch, dass sie, wenn sie auf der Internationalen Raumschiffstation, der ISS, andocken, die Kapsel offensichtlich nach verbranntem Metall stinkt, das sei einer ihrer ersten Sinneseindrücke. In der geschlossenen Röhre wird die Luft zwar gereinigt, die Gerüche können aber nicht vollständig gefiltert werden. Je nach Empfindlichkeit, kann man wahrscheinlich das Essen dort genauso wenig gut riechen und schmecken.
Welche Gerichte wünschen sich Astronautinnen und Astronauten für ihre Reise ins All?
Sie wählen oft Speisen, die sie mit ihrer Herkunft und ihrer Vergangenheit verbinden, wie zum Beispiel Rehragout, Käsespätzle oder Arme Ritter. Essen bedeutet für alle Nationen – auch im Weltraum – ein Stück Kultur und Identität. Das Bedürfnis, jene mit anderen zu teilen, gibt es auch in der Schwerelosigkeit. Die Ernährung spielt auch eine große Rolle für die mentale Gesundheit.
„In einem Übermaß anfangen zu pupsen.“
Käsespätzle sind ja ziemlich deftig. Muss auf die Verdauung der Astronautinnen und Astronauten geachtet werden?
Drücken wir es mal nicht ganz so fein aus: Zwiebel und Bohnen haben den netten Nebeneffekt, im menschlichen Körper viele Gase entstehen zu lassen. Man würde also in einem Übermaß anfangen zu pupsen. Man kennt es vielleicht von Flugreisen, dass man sich sehr aufgebläht fühlt und gar nicht weiß wohin damit. Das hängt mit der Atmosphärenveränderung zusammen. Generell gilt es, all das zu vermeiden, was uns auch auf der Erde in großen Mengen nicht guttun würde.
Deftiges Essen ist also ein No-Go im Space?
Es ist schon erlaubt, da es die notwendigen Kalorienmengen mit sich bringt, die man im Weltraum braucht. Es zeigt sich nämlich, dass der Kalorienverbrauch von einem Menschen in Schwerelosigkeit aufgrund der kontinuierlichen körperlichen Bewegung höher ist.
„Essen bedeutet auch im Weltraum ein Stück Kultur und Identität.“
Die Gerichte müssen entsprechend verpackt werden, um lange haltbar zu bleiben. Wird bestimmtes Equipment für das Entpacken und Konsumieren benötigt?
Wenn wir sogenannte „Crew Choice Meals“ – also Gerichte, die Astronautinnen selbst wählen können – für die ESA produzieren, gibt es eine gesetzlich standardisierte Verpackungsvariante: die Dose. Ein Gericht, bestehend aus Hauptspeise und Beilage, muss zusammen in eine Dose passen. Die Gerichte sind also ready-to-eat, wenn sie geöffnet werden. Die Crew muss das Öffnen der Dosen in Vorbereitung auf die Schwerelosigkeit sogar üben, da das im Weltraum nicht ganz so einfach ist. Spezielles Equipment ist zum Verzehr aber nicht nötig. Wichtig ist nur, dass das Besteck mit Klettbändern versehen ist, weil es sonst wegfliegen würde.
Wo gibt es aktuell noch Limits?
Momentan ist es unmöglich, physisch vor Ort, also auf der Raumstation, zu kochen. Die große Herausforderung hierbei ist die Hitze, die beim Kochen entsteht. Hitzeeinfluss muss in der Schwerelosigkeit kontrollierbar bleiben. Wenn ich zuhause mein Backrohr mit 180° Celsius öffne, tut mir das nicht weh, weil die Temperatur nur nach und nach abgegeben wird. Im Weltall ist aber leider auch Hitze schwerelos. Wenn dort oben ein Backrohr geöffnet wird, würde die gesamte heiße Luft in Form einer Hitzeblase entweichen und unsichtbar herumschweben. Das stellt eine Gefahr für die Crew dar.
„Irgendwann mit ins Weltall fliegen, um vor Ort die Besatzung bekochen.“
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dass irgendwann Köchinnen und Köche die Gelegenheit bekommen, ins Weltall zu fliegen, um vor Ort die Besatzung zu bekochen. Außerdem fände ich es fantastisch, wenn wir Menschen Wege finden, über eine unbegrenzte Zeitdauer im All leben zu können. Ich habe schon ziemlich viel hier auf der Erde erlebt. Es gäbe viele Gründe, den Planeten mal für einen begrenzten Zeitraum zu verlassen. Ich würde definitiv die Chance ergreifen, hätte ich sie.
Inwiefern hat Sie das Thema Nachhaltigkeit bei der Herstellung Ihrer Gerichte beeinflusst?
Es ist für uns ein großes Thema, nachhaltige Produkte zu verwenden. Man muss es aber im Kontext betrachten: Die Crew ist im All in einer Ausnahmesituation, wo die menschlichen Bedürfnisse über allen anderen Notwendigkeiten stehen. Ich glaube jedoch, dass es keinen Ort gibt, der von Menschen geschaffen wurde, der so nachhaltig ist wie die ISS. Immerhin werden dort jegliche Körperflüssigkeiten recycelt und hochwertiges Essen, das ungekühlt zwei Jahre haltbar ist, konsumiert, wodurch kaum Lebensmittelabfall entsteht.
„Es ist verdammt viel möglich.“
Was macht Ihnen Spaß bei Ihrer Arbeit?
Dass ich jeden Tag über meinen beruflichen und persönlichen Tellerrand schauen darf und all mein erlangtes Wissen aus meiner Vergangenheit als Koch, kulinarisch für die Zukunft einfließen lassen kann. Ich bin gespannt zu sehen, was noch alles möglich ist, denn es ist verdammt viel möglich - wir kratzen hier nur an der Oberfläche.
An welches Gericht denken Sie gerne zurück?
Die einfachen Speisen machen am meisten Spaß. Die Erwartungshaltung an die Käsespätzle war zwar hoch, die Entwicklung der All-Variante hat mir jedoch sehr viel Freude bereitet. Ich finde sie sehr lecker, ich esse sie sogar heute noch gern, obwohl ich sie bestimmt schon hunderte Male aus der Dose gegessen habe.
In diesem Sinne: Guten Appetit! Danke für das Gespräch.