Social Distancing beim Abschied
Das Corona-Virus lässt keinen Lebensbereich unberührt – sogar während Beerdigungen, bei denen die Nähe zu anderen Menschen so wichtig ist, muss Distanz eingehalten werden. Wir haben den Tiroler Bestatter und Trauerbegleiter Karl Neurauter interviewt und ihn gefragt, welche Einschränkungen die aktuellen Vorsichtsmaßnahmen in seiner täglichen Arbeit mit sich bringen. Ein Gespräch über das Abschiednehmen in Zeiten der Corona-Krise.
„Für die Bestatterinnen haben die Behörden noch kein so offenes Ohr.“
Lara Ritter: Diese Szenen aus Italien, Brasilien, Spanien und den USA, die wir tagtäglich in den Nachrichten sehen, schockieren uns. Dort sind die Bestattungsinstitute vollkommen überfordert. Fürchten Sie, dass es auch bei uns zu solchen Szenen kommen könnte?
Karl Neurauter: In Tirol gibt es zwei Krematorien, die sollten grundsätzlich ausreichen. Wenn dem einmal nicht mehr so ist, bleiben die Verstorbenen länger im Kühlraum, bevor die Kremation stattfinden kann. Ich habe aber das Gefühl, dass die Vorbereitungen und Maßnahmen im Gesundheitswesen greifen und wir nicht so extreme Sterbezahlen haben werden wie unsere Nachbarländer. Hoffen wir alle gemeinsam, dass wir auch weiterhin im einzelnen Sterbefall die Zeit haben werden, uns wie gewohnt um die Angehörigen zu kümmern.
Sie befinden sich derzeit im ständigen Austausch mit den zuständigen Behörden. Welche Anweisungen hat es für Sie gegeben?
Wir mussten uns um Schutzausrüstung kümmern und wurden angewiesen, die Hygienemaßnahmen und Vorgaben für Beerdigungen einzuhalten. Für die Bestattungsunternehmen haben die Behörden aber noch kein so ein offenes Ohr. Man hat sich anscheinend nicht so intensiv mit dem Gedanken auseinandergesetzt, dass eine größere Zahl an Todesfällen wie in den Nachbarländern eintreten könnte, und auch die Bestatterinnen nicht in die Überlegungen miteinbezogen. Aber die Tiroler Bestattungsunternehmen haben alles so weit im Griff. Wir wissen, was zu tun ist.
Was bereitet den Bestatterinnen Sorge?
Vielen bereitet die Frage Sorge, ob man sich ansteckt. Außerdem können wir die Arbeit wegen der Restriktionen nicht mehr mit dem gewohnten Perfektionismus durchführen. Es gilt, einen Weg zu finden, wie man mit dem verzögerten Abschiednehmen umgehen kann – wir sind alle gefordert, sowohl Bestatterinnen als auch Psychologinnen. Das ist eine ganz neue Lebenserfahrung.
Als Bestatter im Home-Office arbeiten – funktioniert das überhaupt?
Das ist schon ein bisschen schwierig, weil wir beim Abholen der Verstorbenen Kontakt mit den Angehörigen haben, wenn auch mit Sicherheitsabstand. Wir versuchen, das meiste im Vorhinein telefonisch abzuklären, damit das Gespräch vor Ort möglichst kurz gehalten werden kann. Ebenso desinfizieren wir die Räumlichkeiten, in denen die Trauerfeierlichkeiten stattgefunden haben, denn wenn die Verstorbenen das Virus in sich getragen haben, sind die Angehörigen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch infiziert.
„Frisieren, Schminken und Einbalsamieren – das ist nicht mehr möglich.“
Welche Sicherheitsvorkehrungen wurden von Ihnen noch getroffen?
Wir müssen Mundschutzmasken und auch Schutzanzüge tragen. Die Verstorbenen dürfen so wenig wie möglich bewegt werden, daher besteht auch nur bedingt die Möglichkeit, sie herzurichten. Frisieren, Schminken und Einbalsamieren werden schon manchmal gewünscht, sind aber nicht mehr möglich. Die Expertinnen sind sich einfach nicht einig, ob von Verstorbenen noch eine Ansteckungsgefahr ausgeht. Eine Tröpfcheninfektion kann es zwar nicht mehr geben, aber das Virus kann schon länger in den Verstorbenen überleben. Ausgetretene Flüssigkeiten könnten ein Ansteckungspotenzial darstellen, daher ist es besser, Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten.
Mit welchen Schwierigkeiten sind Sie derzeit bei Ihrer Arbeit als Trauerbegleiter konfrontiert?
Das größte Problem derzeit ist, dass die Angst vor einer Ansteckung beim persönlichen Kontakt im Vordergrund steht. Dadurch dass wir auf das Händeschütteln verzichten und eine größere Distanz einhalten müssen, können wir den Trauernden unser Mitgefühl nicht so leicht mitteilen. Das ist sehr gewöhnungsbedürftig für uns und auch die Kundinnen.
Momentan können keine Sterbegottesdienste und Trauerfeiern mehr stattfinden. Beerdigungen werden nur mehr mit einem Pfarrer im engsten Familienkreis, der aus maximal fünf Personen bestehen darf, am Friedhof abgehalten. Gute Freundinnen oder andere Menschen, die den Verstorbenen nahegestanden haben, dürfen sich nicht verabschieden. Dabei ist es bei einer Bestattung für die Trauernden wichtig, von einer Gemeinschaft aufgefangen und getröstet zu werden. Wie geht es den Trauernden, die sie begeleiten, damit, dass diese Gemeinschaft jetzt wegfällt?
Bei Beerdigungen liegen sich oft Menschen in den Armen, halten und stützen einander. Auch dieser körperliche Kontakt ist jetzt nicht mehr erlaubt, die Anwesenden müssen einen Meter Abstand zueinander halten, außer natürlich zu Menschen, die in einem gemeinsamen Haushalt wohnen. Wenn sich die Situation sich erholt hat und die Gefahr mehr oder weniger eingedämmt ist, können die Trauerfeierlichkeiten zwar nachgeholt werden, aber die Zeit bis dahin zu überbrücken ist für die Trauerarbeit sehr beschwerlich.
„Die Distanz schafft Entfremdung.“
Finden Sie diese Restriktionen angemessen?
Wenn man nicht vorsichtig genug ist, kann man ja die eigenen Angehörigen gefährden. Aufgrund der schnellen Ausbreitung des Virus und der Gefahr, die besonders für ältere und gesundheitlich angeschlagene Menschen davon ausgeht, denke ich schon, dass es sehr wichtig ist, die Maßnahmen einzuhalten.
In Wien können Beerdigungen jetzt gestreamt oder gefilmt werden. Hat es das bei den Beerdigungen, die sie begleitet haben, auch schon gegeben?
Ich kenne das von anderen Unternehmen, bei uns hat es den Bedarf noch nicht gegeben. Das ist schon ein sehr sensibles Thema, denn Angehörige wollen sich ja in der Trauersituation nicht filmen lassen. Vielleicht hilft es denjenigen, die nicht dabei sein können, den Sarg oder die Urne zu sehen und bei der Trauerrede zuzuhören, aber es ist natürlich nicht dasselbe wie eine richtige Beerdigung.
Wie erleben Sie als Bestatter Beerdigungen im Moment?
Die Distanz halten zu müssen schafft ein wenig Entfremdung unter den anwesenden Personen, wenn man so weit auseinandersteht, ist das Gemeinschaftsgefühl nicht so spürbar. Man akzeptiert das, weil es gute Gründe für das Social Distancing gibt, aber für mich als Beobachter ist diese Situation schon sehr befremdlich.
„Es kann jederzeit etwas passieren – in unserer Familie lebt der Tod immer mit.“
Ihr Bestattungsunternehmen wurde bereits von Ihren Eltern betrieben. Sie sind dadurch seit Ihrer Kindheit mit dem Tod konfrontiert. In Zeiten des Corona-Virus macht der Gedanke an die eigene Sterblichkeit, aber auch an die Sterblichkeit von Menschen, die einem nahe sind, vielen Menschen Angst. Was raten Sie uns, wie können wir alle mit dieser Angst umgehen?
Grundsätzlich begleitet uns der Tod das ganze Leben lang, mit oder ohne Virus. Wir wissen, dass das Leben endlich ist. Es kann jederzeit etwas passieren – in unserer Familie lebt der Tod demnach immer mit. Für diejenigen, die noch nie eine Pandemie miterlebt haben, ist diese Situation natürlich eine besondere Herausforderung. Vielleicht hilft den Menschen, die sich sonst nicht mit dem Tod auseinandersetzen, der Gedanke, dass der Tod Teil des Menschseins ist und zum Leben einfach dazugehört.
„Wir fänden es schön, wenn den Menschen bewusst wird, welchen Wert Trauerkultur hat.“
Kennen Sie Fälle, in denen sich Menschen nicht von einem sterbenden Angehörigen verabschieden konnten, weil die Gefahr bestand, sich mit dem Corona-Virus anzustecken?
Es ist wirklich sehr problematisch, wenn jemand wegen der Viruserkrankung im Krankenhaus verstirbt und vorher die Besuchsmöglichkeit nicht gegeben war. Dann muss ein Abschied anders ermöglicht werden, denn Abschied zu nehmen ist eine wichtige Basis für die spätere Trauerarbeit. Das ist etwa durch Loslösungsrituale möglich: Wenn man ein Religionsbekenntnis hat, vermag das Ritual etwa die Form von Gebeten anzunehmen. Ansonsten kann man zum Beispiel in der Natur eine Kerze anzünden und warten, bis sich diese auflöst, oder die Gedanken, die man den Verstorbenen mitgeben möchte, zu Papier bringen.
Glauben Sie, dass wir aus dieser Zeit auch etwas Positives mitnehmen werden?
Das ist die große Hoffnung. Die Gesellschaft wird sich bestimmt wandeln – wie auch die Trauerkultur. Wir fänden es schön, wenn den Menschen bewusst wird, welchen Wert eine gut funktionierende Trauerkultur hat. Erst wenn man sie eine Zeit lang vermisst, weiß man wieder, was für einen großen Stellenwert sie in der Gesellschaft hat. Vor allem aus psychologischer Perspektive ist das für die Betroffenen enorm wichtig.
1966 haben Ihre Eltern das Bestattungsinstitut gegründet, mittlerweile haben Sie die Leitung übernommen, auch Ihre Tochter arbeitet im Unternehmen mit. Was mögen Sie an Ihrem Beruf?
Der psychologische Aspekt beschäftigt mich schon seit langer Zeit, deswegen habe ich berufsbegleitend ein Psychologiestudium absolviert, um den Trauernden eine wertvolle Stütze sein zu können. Ich möchte ihnen die Erfahrung und das Wissen mitgeben, dass sie nach dem Verlust eines nahestehenden Menschen irgendwann im Leben wieder Freude empfinden können. Das ist oft unmittelbar nach dem Tod einer geliebten Person nicht vorstellbar.
„Es gab Beerdigungen, bei denen nur ein, zwei Trauergäste dabei waren.“
Sie arbeiten seit über dreißig Jahren im Bestattungswesen. Was haben Sie über den Tod gelernt?
Dass er uns immer und überall überraschen kann. Wenn man bewusst lebt, gibt es aber die Möglichkeit, sich auf den Tod vorzubereiten. Das hängt einerseits mit der Lebenseinstellung zusammen: Es ist wichtig, Dinge, die einen innerhalb der Familie oder Partnerschaft beschäftigen, anzusprechen, anstatt sie nach wegzuschieben. Außerdem kann man sich auch mit praktischen Dingen auf den Tod vorbereiten, indem man zum Beispiel ein Testament erstellt. Das ist selbst in jungen Jahren ratsam, damit, wenn man Familie hat oder in einer Partnerschaft lebt, diese nach dem eigenen Tod in finanzieller Hinsicht abgesichert sind.
Fürchten Sie sich noch vor dem Tod?
Eigentlich nicht. Ich hoffe nur, dass ich im Augenblick des Todes auf mein Leben zurückblicke und sagen kann, dass ich zufrieden bin mit dem, was ich erreicht habe, und der Friede innerhalb meiner Familie gegeben ist. Um da nicht auf dem falschen Fuß überrascht zu werden, sollte man im täglichen Leben immer dafür bereit sein, „auf Wiedersehen“ zu sagen.
Welches Begräbnis in den letzten dreißig Jahren, das Sie als Bestatter begleitet haben, ist Ihnen in Erinnerung geblieben?
An manche Beerdigungen erinnere ich mich besonders, wegen der Persönlichkeiten, die ich begleiten durfte, an andere, weil ich gesehen habe, wie einsam Menschen oft leben. Es gab Trauerfeiern, bei denen nur ein, zwei Trauergäste dabei waren. Noch schlimmer war es, mit dem Pfarrer allein zu sein.
Wie belastend ist es, als Bestatter zu arbeiten? Gewöhnt man sich mit der Zeit an die Trauer?
Es ist immer wieder eine Herausforderung. Man muss lernen, sich auf die Trauer der anderen einzulassen, sich aber gleichzeitig sehr strikt davon abgrenzen und vor Augen halten, dass es nicht die eigene Trauer ist, sondern die des Gegenübers. Das hilft dabei, das Mitgefühl in sich hinein-, aber die tiefe Traurigkeit außen vor zu lassen.
Danke für dieses Interview!