Robert Roth ist einer der wenigen Sesselflechter Wiens und Meister des sogenannten „Wiener Geflechts“. Er hat bereits Stühle von Designern wie Marcel Breuer, Mies van der Rohe oder Josef Hoffmann restauriert. In seiner gemütlichen Werkstatt, erzählte er uns, wer besser nicht auf einem Flechtsessel sitzen sollte und wie er dafür sorgt, dass sein Handwerk nicht ausstirbt.
Ausflug nach Oberlaa. Den Weg zu Robert Roth leitet die Einkehr in die Weinstube „Mostquetsch’n“ ein. Danach gehe ich an einstöckigen Häusern und großen Kastanienbäumen vorbei. Dörfliche Idylle an der südlichen Peripherie Wiens. Punkt Kirchenglockenschlag treffe ich bei Robert Roth ein. Er wartet bereits am Tor. Roths Werkstatt befindet sich in einem Trakt des ehemaligen Hofs seines Urgroßvaters. Es ist ein wunderschönes, grünes Refugium mit Brennholzstößen und von Wein berankten, alten Ziegelmauern. Es ist kühl und regnerisch draußen, drinnen in der Werkstatt wohligwarm, es brennt Feuer im Kaminofen. Überall stapeln sich kaputte Stühle und Sessel.
Stephanie Rugel: Sie sind Architekt und waren lange in diesem Job tätig. Warum haben Sie Ihren ursprünglichen Beruf hingeschmissen und sich als Sesselflechter selbständig gemacht?
Das Verständnis der Leute für den Beruf des Architekten hat sich geändert. Früher war der Architekt Vertreter der Interessen des Bauherrn gegenüber den Handwerkern und der kreative Kopf eines Werkes. Heute spielen die Leute die Architekten gegeneinander aus – der billigste bekommt den Auftrag, oder noch schlimmer: die Leute lassen sich Entwürfe machen und gehen damit direkt zum Baumeister.
"Wenn diese Möbel kein Geflecht haben, sind sie wertlos."
Das gefällt Ihnen nicht?
Nein. Ich habe mich immer schon mit alten Möbeln beschäftigt, und irgendwann hab ich im Kloster Schlierbach in Oberösterreich einen Flechtkurs gemacht. Mein damaliger Lehrer hat gleich gemeint, ich sei talentiert. Das hat dann grad’ so zusammengepasst – mein Ärger über die Architektur und mein Hobby das Flechten. Vor zehn Jahren hab ich dann das Gewerbe angemeldet.
Mittlerweile haben Sie Designklassiker von Thonet, Marcel Breuer, Mies van der Rohe oder Josef Hoffmann restauriert, also deren Geflecht erneuert und repariert …
Ja, es sind sogar Thonet-Sessel dabei, die annähernd 150 Jahre alt sind. Die Möbel werden in den Familien weitergegeben oder manche sammeln sie, weil sie die Liebe zu alten Sachen haben. Es ist sehr schön, dass man mir diese Antiquitäten anvertraut und ich mein Scherflein zu deren Erhaltung beitragen kann.
Aber wenn Sie einmal in Pension gehen, wer macht es dann?
Ich werde nicht ewig zur Verfügung stehen, deshalb sollte es auch weiterhin Leute geben, die das Sesselflechten können. Das ist auch der Hauptgrund, weswegen ich Kurse gebe (siehe Link zu den Kursen am Schluss des Interviews, Anm. d. Red.). Wenn diese Möbel kein Geflecht haben, sind sie wertlos. Es braucht einen Menschen, der das reparieren kann.
Wieviele Flechtmuster beherrschen Sie?
Das „Wiener Geflecht“ ist meine Spezialität, das wird von meinen Kundinnen und Kunden am meisten nachgefragt. Aber es gibt auch verschiedene andere Sachen.
Robert Roth holt aus seinem Lager einen Holzrahmen und zeigt mir ein wunderschönes Sternen-artiges Flechtmuster
Schauen Sie, das hab ich auch probiert. Es handelt sich hier um das sogenannte „Diamantgeflecht“, es kommt aus England, war dort bei Gartensesseln sehr beliebt. Es heißt auch „Davidsterngeflecht“ wegen des Sternmusters, hat neun Lagen und wird aus verschieden dicken Rattanfasern gefertigt. Als Sitzfläche ist das nicht geeignet, obwohl es schon was aushält, aber das hier wäre eher eine Lehne.
"Mein Liebling ist das Thonet Schaukelsofa Nr. 7400 aus dem Katalog von 1904."
Gleich neben mir entdecke ich einen Stuhl mit ineinander verwobenen Vierecken und frage, worum es sich dabei handelt.
Oder heute habe ich diese zwei Sessel geholt, die haben auch kein “Wiener Geflecht”, sondern ein Papiergeflecht. Da besteht die Kreativität darin, erstmal die richtige Binsenschnur zu finden. Die Sessel kommen aus Amerika, ich hab schon recherchiert, bin aber noch nicht fündig geworden, von welchem Architekten oder Designer sie gestaltet wurden und von wem sie hergestellt wurden.
Wie lange brauchen Sie für einen Stuhl mit Wiener Geflecht?
So eineinhalb bis zwei Tage, je nach dem wie ich aufgelegt bin und wie‘s mir von der Hand geht.
Üben Sie manchmal, indem Sie Ihrer Frau oder Bekannten Zöpfe flechten?
Nein! Zöpfe flechten hat damit nichts zu tun (lacht).
Welches Material verwenden Sie zum Flechten?
Für das “Wiener Geflecht” verwendet man die Rinde der Rattanpalme, eine Lianenpalme, der die Rinde abgeschält und fein aufgeschnitten wird. Das passiert in Südostasien und gibt es in verschiedenen Stärken zu kaufen. Grundsätzlich gilt: Alles geht, was lang und dünn ist (lacht), aber das Wiener Geflecht gehört mit dem “originalen” Material gemacht. Alle anderen Versuche, etwa mit PVC-Bändern, sind gescheitert, weil das PVC die Sonne nicht aushält. Sobald die Sonne drauf scheint, verflüchtigen sich die Weichmacher und das Material wird spröde und bricht.
Da drüben steht ein kaputter Stuhl mit einem Loch in der Sitzfläche. Wieviele Esterhazy-Schnitten darf man denn verdrücken, bevor so ein „Wiener Geflecht“ durchbricht?
Das Flechtwerk bricht nicht so schnell, wenn man ganz normal drauf sitzt. Es hält sicher 30, 40 oder 50 Jahre. Sessel benützt man ja zum Sitzen – und nicht zum Vorhänge aufhängen oder Glühbirnen einschrauben (lacht)!
Gibt es bei Flechtstühlen ein Limit, was das Körpergewicht der Benützer angeht?
Dazu fällt mir eine Geschichte ein: Eine Dame, der ich Stühle gemacht habe, hat nach zwei Jahren reklamiert und gesagt „Die sind alle hin!“ Und ich antworte: „Wie, die sind alle hin? Ich hab nie Reklamationen und bei ihnen sind alle hin? Da muss ich ja einen schlechten Monat gehabt haben.“ Ich fahr zu ihr und sehe zum ersten Mal ihren Ehemann, der hat 150 bis 170 Kilo gehabt. Dazu möchte ich sagen: Wenn ich so schwer bin, setz ich mich halt nicht auf einen geflochtenen Sessel, sondern auf einen Holz- oder Ledersessel. Bis zu diesem Erlebnis hab ich immer gesagt: Wenn man beim Sitzen genug Platz im Sessel hat, passiert auch nix. Das sag ich jetzt nicht mehr (lacht)!
Sitzen Sie in Ihrem Zuhause ausschließlich auf Flechtstühlen?
(Lacht) Nein! Das ist so wie beim Mechaniker und dem kaputten Auto: Ich komme nicht dazu, meine eigenen Stühle zu reparieren. Ich hab bereits einen Schaukelstuhl im Wohnzimmer stehen und ein paar Hocker. Aber meine Wohnung besteht nicht nur aus geflochtenen Stühlen, damit hätte ich ein Problem: Tagsüber mit geflochtenen Stühlen zu tun zu haben und am Abend auch noch auf geflochtenen Stühlen zu sitzen – da träum ich ja irgendwann vom Stuhlflechten, und in der Früh steh ich auf und seh‘ schon wieder einen geflochtenen Stuhl (lacht). In Wahrheit steh‘ ich gern auf und freu‘ mich auf meine Werkstatt. Das war früher, als ich noch als Architekt gearbeitet habe, nicht immer der Fall.
Haben Sie einen Lieblingsstuhl?
Das Thonet Schaukelsofa Nr. 7400 aus dem Katalog von 1904.
Apropos Thonet: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das Wiener Geflecht, bzw. die Thonet Sessel, die heute noch in jedem Kaffeehaus zu finden sind, damals schon international so erfolgreich waren?
Ich vergleiche das immer mit dem jetzigen Ikea. Der Herr Thonet hat was erfunden, was plötzlich die Möbelbranche verändert hat. Nämlich es zu ermöglichen, um relativ wenig Geld einen Sessel zu kaufen, der in Massen hergestellt wurde. Die Sessel sind millionenfach in die ganze Welt verkauft worden. In Schiffscontainern wurden sie zerlegt transportiert, dadurch wurde Platz gespart, es war keine Luft dazwischen. Wenn sich jemand in der Zeit Möbel gekauft hat, ist er zum Tischler gegangen und hat gesagt: „Ich brauch eine Sitzgarnitur“, hat Zeichnungen vorgelegt und dann ist das angefertigt worden. Das war der Standard im Biedermeier. Aber bei Thonet lief das so ab: „Bitte, hier ist mein Katalog, sucht‘s aus. Wieviele Stück wollt Ihr von dem Sessel?“ Danach hat er den Auftrag geschrieben: „40 Stück Gasthausbestuhlung.“ Und zack, ist das mit der nächsten Pferdefuhre daher gekommen. Das war die Revolution. Es war vergleichsweise günstig – und leicht waren die Sessel außerdem.
Wie arbeiten Sie? Haben Sie jemanden, der Ihnen hilft? Hören Sie Musik dabei?
Ich arbeite immer allein und höre entweder Musik – alten Jazz mag ich, Louis Armstrong und Co, aber auch Klassik: Mozart, Beethoven, aber auch Klassischen Moderne, wenn’s in Ö1 gespielt wird. Und Servus TV lass ich gern rennen am Nachmittag, wenn die geschichtlichen Sendungen kommen oder Reisedokumentationen – dazu käme ich sonst nicht.
Sie wurden im Rahmen des Projekts „Passionswege” der Vienna Design Week mit der Designerin Stephanie Hornig zusammengespannt. Gemeinsam mit ihr haben Sie Entwürfe, wie Taschen und Körbe, produziert. Ihr Fazit der Zusammenarbeit?
Das war natürlich eine ganz neue Erfahrung, weil die Designerin die Idee hatte, dass das „Wiener Geflecht“ in einer neuen Form verwendet werden soll. Nicht in einem starren Rahmen wie dem Holz, was die übliche Verwendung dieses Geflechts ist, sondern weicher und in Leder eingefasst oder Textil. Die Herausforderung für mich war, diese Idee umzusetzen. Das Ganze war eine Entwicklungsarbeit, ich hab mir überlegen müssen, wie ich da tue.
Bei den Produkten von Stephanie Hornig treffen Tradition und Zeitgeist aufeinander. Sie setzte das „Wiener Geflecht“ in einen neuen Kontext. Wie beurteilen Sie das?
(Die Antwort kommt zögerlich) Ja, kann man machen, ist halt nicht das, wozu es ursprünglich erfunden wurde. Aber warum nicht! Ich bin halt ein Handwerker, der mit Möbeln und dem Geflecht zu tun hat. Und für das ist es erfunden worden. Das Geflecht hat eben so eine Struktur und Aussehen, dass man eben darauf sitzen kann, die Anforderung hat ja eine Tasche gar nicht.
Sie haben hier so einen schönen Ort und eine tolle, ausgefallene Arbeit. Käme jetzt trotzdem die gute Fee in die Werkstatt geschwebt, hätten Sie überhaupt Wünsche an sie?
Na, eigentlich nicht. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben. Ich erfülle mir meine Wünsche selbst. Zum Beispiel hab mir gerade ein neues Auto gekauft, das mir sehr taugt. Außerdem finde ich es wichtig, drauf zu schauen, dass man lebt, anstatt auf irgendetwas zu warten.
Was für ein schönes Schlusswort. Danke für das Gespräch!
Workshops im VHS polycollege – Margareten/Wieden
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