Wir betreten den stickigen und fensterlosen Trainingskeller
der Wrestling School Austria im 2. Wiener Bezirk. Auf uns wartet – tätowiert, muskulös und freundlich – Gerhard H. aka Humungus. Er ist
Profi-Wrestler und Showkämpfer. Sein Name kommt vom Mungo. Das ist dieses
Tier, das wie eine Ratte aussieht und Kobras frisst. Das obligatorische
Händeschütteln lehnt er ab, mit der Begründung, dass er das nie mache.
Text: R. Radl & M. Nitsche Fotos: M. Nitsche & Lena Bischoffshausen
Raphael Radl, Manon Nitsche: Ist alles geplant und perfekt choreografiert oder überlässt man im Wrestling auch etwas dem Zufall?
Humungus: Wir machen eine Show. Der Veranstalter, also ich,
sagt, wer g'winnt. Aber im Vergleich zu den großen Wrestling-Shows, bei denen
jede Bewegung durchchoreografiert ist, tun wir das nicht. Da das
World Wrestling Entertainment mit
Werbeeinschaltungen im Fernsehen sein Geld verdient, müssen dessen Kämpfe eine
ganz bestimmte Zeitspanne lang dauern. Wir halten es klassisch japanisch: Zwei
kämpfen, einer g'winnt. Wir besprechen den Anfang, das Ende, und wenn ich mir
den rechten Fingernagel abgebrochen haben sollte, wär's fein, wenn Du mir
liebenswürdigerweise nicht noch in diesen Finger beißen würdest. Das sind die
Regeln, der Rest passiert einfach.
Nennt Ihr Euch deswegen Underground-Wrestlerinnen?
Genau, denn unserem Geschmack nach sind die meisten Wrestling-Kämpfe, die man aus dem
Fernsehen kennt, zu ballettartig. Dieses Wrestling ist schlechtes Ballett. Und
ich weiß, wovon ich rede, weil ich in diversen Theatern kleinere Nebenrollen
spiele und somit weiß, wie gutes Ballett aussieht. Ich trainiere meine Leute
so, dass sie auf das Publikum live reagieren können. Wir World-Underground-WrestlerInnen
wollten mit unserem Stil wieder mehr zurück zur Realität und weg von diesem
Trampolinspringen in Spandex-Hosen. Ich bewundere die akrobatische Leistung der
Kolleginnen und Kollegen, aber mit Kämpfen hat das meiner Meinung nach nichts
zu tun. Was glaubt Ihr beide, um was es letztendlich im Profisport geht?
Um's Gewinnen?
Nein, um's Geld! Wenn man im
Profisport gewinnt, verdient man mehr Geld. Beim Wrestling gewinnt und verliert
ja im Grunde niemand, dafür ist die Gage fix.
Wie bist Du auf Deinen Namen „Humungus“ gekommen?
Das war mein Jugendspitzname, abgeleitet von meinem eigentlichen Spitznamen „Mungo“. Das ist dieses
Tier, das wie eine Ratte ausschaut und Kobras frisst. Der Name bezieht sich auf
den Film „Humongous – Mensch oder Monster“ und auf den Bösewicht aus „Mad Max II – Der
Vollstrecker“. Warum meine Freunde mich mit diesen zwei Filmen assoziiert
haben, kann ich mir nicht erklären. Ich habe keine Leichen im Keller, ich schwöre
(lacht)!
Die Geschichte des Wrestlings und des Ringens geht bis in die frühe Menschheitsgeschichte zurück. Die frühesten Quellen des Sports finden sich in 15.000 Jahre alten Höhlenmalereien in Frankreich.rw
Wie lange wrestlest Du schon?
Ok, fangen wir von vorne an! Ich betreibe seit meinem 9.
Lebensjahr Kampfkunst. Mit ungefähr 16 Jahren, also auf jeden Fall
nach dem Zweiten Weltkrieg, bin ich durch
meinen damaligen
Lehrer zum Kickboxen gekommen. Ich war nicht mal so schlecht, natürlich
verlor ich etliche Kämpfe, aber ich bin nie k. o. gegangen. Gutes Training
zahlt sich eben aus. Dann wurde ich von einem Profi angesprochen, ob ich nicht
mal Wrestling probieren möchte. Damals konnte man damit wirklich gut Geld
verdienen – neben Kickboxen. Ich war interessiert.
Haben Dich Deine Eltern bei diesem doch recht unkonventionellen Beruf unterstützt?
Sie haben zwar den Kopf
geschüttelt, aber ich konnte immer zu ihnen kommen. Das war mental ein riesiger
Vorteil. Ich hatte eine super Kindheit. Wir sind immer viel gereist. Aber weil
ich dadurch immer der kleine Junge, der Outsider, war, wurde ich oft verprügelt
– deswegen Kampfkunst.
Kann man sagen, dass Du mittlerweile eine Wiener Wrestling-Legende bist?
Ich habe mir einen guten Ruf
erarbeitet, aber „Legende“ ist nicht mal ansatzweise der richtige Begriff.
Außerdem bin ich ja noch nicht tot! Ich habe keine Kinder, wollte nie welche
haben und habe auch dafür gesorgt, dass es so bleibt. Dafür habe ich mehrere
Bücher geschrieben und zahllose Shows veranstaltet, so bleibe ich der Nachwelt
hoffentlich doch noch ein wenig in Erinnerung.
Und wegen Deiner Website, oder?
Ja (lacht), die habe ich selbst
mit HTML geschrieben, alle anderen Websites schauen gleich aus, des is fad.
Im Keller des Weberknecht veranstaltet Humungus seine spektakulär-lustigen Wrestlingshows. Auf seiner Homepage (undergroundwrestling.at) findet man nicht nur lokale, sondern auch regelmäßige internationale Termine. Humungus und seine Wrestler sind etwa regelmäßig in Tokio zu Gast, wo der Veranstalter früher auch gelebt und gekämpft hat.
Früher war es in Japan so, dass du mit einer Show so viel
verdient hast, dass du in Österreich davon ein Jahr leben konntest. Heute musst
du jung und gut sein, dann kommst du über die Runden. In Wirklichkeit
profitiere ich immer noch von dem Geld, das ich damals in Japan, wo ich eine
Weile kämpfte, mit Wrestling verdient habe. Ich besitze allerdings weder einen
Rolls-Royce noch eine Eigentumswohnung, ich fahre mit den Öffis und wohne im Gemeindebau,
dafür fliege ich Business. Normalerweise richtet sich deine Gage als Wrestler nach
deinem Marktwert. Underground-WrestlerInnen verdienen bei uns alle gleich viel,
außer der Chef, der bekommt a bissl mehr.
Ist ein Kampf schon einmal ernst geworden?
Wenn’s ernst wird, fängt es erst
an, mir Spaß zu machen. Ich hatte schon viel Spaß, aber in letzter Zeit eher
nicht.
Kann es gefährlich werden?
Ja, es sterben
Menschen im Ring. Viele durch Medikamentenmissbrauch, aber das ist ein anderes
Thema. Wir
sind nahe am Publikum, wir müssen wirklich fest zuschlagen, sonst wird‘s
lächerlich.
„Um was geht's?“ – „Um's Gewinnen?“ – „Nein, um's Geld!“
Wrestling bewegt sich zwischen Schauspiel und Sport. Im Underground-Wrestling, wie es im Keller des Weberknecht betrieben wird, gibt es keine starren Regeln. Der Anfang und das Ende werden davor besprochen, wer gewinnt wird vom Veranstalter entschieden.
Lieber große oder kleine Bühne?
In der großen Arena verdiene ich
natürlich mehr Geld, weil mehr Zuschauer, aber man ist da zu weit vom Publikum
weg. Ich war Security für die Rockband „Motörhead“ und die Heavy-Metal-Jungs
von „Black Sabbath“. Oft, wenn von denen
eine Show in einer kleinen Location stattfand, war die Stimmung zehnmal
besser.
Bist Du vor Auftritten noch nervös?
Lampenfieber verschwindet nie,
eine gewisse Unsicherheit gibt es immer. Aber da ich so ein Egomane bin, bei dem
der Spaß erst beginnt, wenn’s deppert wird, passt das schon. Ich freue mich
immer, wenn es sich nicht so entwickelt, wie ich es will, dann wird es erst
spannend.
Ich kann drei Sachen wirklich gut ...
... erstens kämpfen, zweitens
unterrichten und drittens andere Menschen unterhalten. Das ist Wrestling. Wie sagt
man bei uns: „Wenn Du mehr als zwei Finger brauchst, um Deinen Gegner zu töten,
bist Du schlecht trainiert.“
Wie bist Du zum Theater gekommen?
Mit dem Auto! Nein, Spaß, ein
bekanntes Theater hat für ein Stück jemanden gebraucht, der Kämpfe choreografieren
kann. Ich wollte lieber den jugendlichen Liebhaber spielen, aber wenn man so
ausschaut wie ich, funktioniert das nicht (lacht).
Gerhard a.k.a Humungus betreibt schon seit frühen Kindesjahren Kampfsport. Den Titel „Wiener Wrestling-Legende“ lehnt er jedoch ab: „Ich bin ja noch nicht tot!“
Sieht man das nicht? War das eine
Aufforderung? Ja, im Herzen bin ich es!
Und warum spielst Du dann so gerne den Bösewicht?
Es macht mehr Spaß, Menschen zu
nerven. Privat bin ich eh höflich und nett, aber das ist fad. Im Wrestling kann
ich das ausleben, wofür ich in der Realität ins Gefängnis müsste. Es gab immer
eines, dass ich nie wollte: mit der Masse schwimmen. Dadurch wird man wohl
automatisch irgendwo zum Außenseiter und Bösewicht. An wie viele „Gutmenschen“
erinnert man sich? Ok, ja, an Gandhi und an Mutter Teresa. Wenn du im Wrestling
jede Aktion perfekt machst, aber dir dann ein sogenannter „Abfuck“, also
Scheiß, passiert, werden sich alle nur an den erinnern. Am Ende geht’s ums
Verkaufen. Ich will nie jemanden vorsätzlich verletzen. Aber wenn‘s passiert,
passiert‘s halt.
Hund oder Katze?
Katze. Mit einem Hund kann man
viel mehr machen, aber die sind blöd, die machen, was man von ihnen will. Die
Katzen kommen immer zu mir, die spüren, dass ich auch ganz ein Lieber bin.
Was machst Du, wenn Du nicht mit Wrestling beschäftigt bist?
Was mache ich in meiner Freizeit,
die 90 Prozent meines Lebens ausmacht? Das ursprüngliche Ziel war
hundertprozentige Freizeit, aber irgendwas habe ich im Leben falsch gemacht. Aber
ich bin seit 1993 in der glücklichen Lage, nur noch das zu machen, was ich
will. Ich reise viel und trainiere nach wie vor täglich. Früher konnte ich
einen Spagat, heute mit 58 nicht mehr. Ich habe ein Ziel im Leben: Mit 100
Jahren nochmal in den Ring zu steigen, auch wenn sie mich mit dem Rollstuhl
reinschieben müssen.
Nicht nur als Veranstalter und Trainer, sondern auch als Autor trägt Humungus zur Wrestling-Kultur bei. Zu einem Trainingsguide gesellen sich auch ein Buch über japanischen Messerkampf und andere Publikationen.
Ist Wrestling Deiner Meinung nach Kunst?
Es gibt die bildenden Künste, wir sind eher die zerstörende
Kunst. Aber Wrestling ist Kunst, die älteste Kampfkunst der Welt. In der Bibel
und im Gilgameschepos stehen schon die ersten Wrestling-Kämpfe beschrieben. Wir präsentieren uns
dem Publikum mit einer Mischung aus Pantomime, Akrobatik, Kampf und Kunst. Wir
gestalten mit unseren Körpern eine Art Gesamtkunstwerk. Insofern: Ja, Wrestling
ist Kunst!
Gerhard H., geboren 1964 in Wien, ist in der Szene als Humungus bekannt. Er ist Mitbegründer der in Wien ansässigen WrestlingSchool Austria,
wo er als Trainer aktiv ist und organisiert das „Wiener Underground Wrestling“, das derzeit im Keller des Café Weberknecht regelmäßig stattfindet. Dort kämpfen lokale Stars wie „Chabela“, „Sick Bubble Gum“ und „Joe Bravo“ gegeneinander. Gerhard H. hat mehrere Bücher über Kampfkunst herausgebracht.
Was ist Wrestling? Übersetzt bedeutet „Wrestling“ so viel wie Ringen. Es ist in Japan, den USA und Mexiko sehr beliebt. Wrestling, wie es heute verbreitet ist, gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Damals diente die Mischung aus Sport und Schauspiel hauptsächlich der Unterhaltung auf Jahrmärkten. Im Gegensatz zum klassischen amerikanischen Profi-Wrestling muss Underground-Wrestling nicht in einem Ring stattfinden. Der Kampf wird auch nicht per „Pinfall“ gewonnen, bei dem der Gegner drei Sekunden lang mit beiden Schultern zu Boden gedrückt werden muss, sondern nur, wenn der Gegner aufgibt, k. o. geht oder flieht.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation von C/O Vienna Magazine mit der MEISTERSCHULE DER GRAPHISCHEN WIEN und wird außerdem in der C/O VIENNA PRINTAUSGABE NR. 6 im Juni 2023 erscheinen.