Der junge Kärntner Bauer Andreas Koitz betreibt keine Landwirtschaft mit Feldern und Kühen, sondern züchtet Würmer. Wir besuchen ihn auf seinem Bergbauernhof und fragen nach, wie man Insekten erntet und aus ihnen eine gute Mehlwurmspeise bäckt.
Im Mai 2021 haben Mehlwürmer von der Europäischen Union als erste Insektenart die Zulassung als Lebensmittel erhalten. Künftig können Sie als Snack verkauft oder als Zutat in Lebensmitteln verwendet werden.
Dein Bauernhof im schönen Lavanttal wird nun in vierter Generation betrieben. Du führst hier nach eigenen Aussagen die „erste biologische Wurmfarm in Österreich“. Wie kommt man darauf, ausgerechnet Insekten zu züchten?
Andreas Koitz: Die Idee reizte mich schon immer, die Chance dazu ergab sich Ende 2016! Ich besuchte mit meiner damaligen Partnerin Lisa Maria-Schaden eine Veranstaltung, auf der ein Wiener Koch Insekten köstlich zubereitete. Zwei Wochen später hatte Lisa ein Viertel Kilo Würmer aus der Zoohandlung besorgt und wir begannen mit viel Unwissenheit, aber voller Motivation, mit den Insekten zu experimentieren.
Wie viele Würmer krabbeln mittlerweile hier rum?
Ungefähr 16 Millionen. Damit haben wir die größte Wurmfarm Österreichs, wenn nicht überhaupt im gesamten deutschsprachigen Raum und darüber hinaus. Ich hoffe, dass es zu keiner Kennzeichnungspflicht wie bei den Rindern kommt, mit Ohrmarken oder ähnliches (lacht).
Mehlkäferweibchen legen innerhalb ihres drei- bis viermonatigen Lebens 100 bis 150 Eier ab, die schlüpfenden Larven werden aufgrund ihres Aussehens Mehlwürmer genannt. Diese entwickeln sich dann zur Mehllarve, die sich wiederrum zum Mehlkäfer entpuppt.
Mehlkäfer durchlaufen vier Entwicklungsstadien, nur im zweiten Stadium, in welchem sie Mehlwürmer sind, sind sie verzehrbar. Wie „erntet“ Ihr die Würmer aus dem Haufen an Eiern?
Inzwischen erledigt das eine Sortiermaschine. Bis vor einem Jahr machten wir das noch händisch, da schafften wir maximal fünf Kilo pro Stunde. Die Maschine erledigt das über Fünfzehnfache, also etwa achtzig Kilo die Stunde. Diese Apparate haben wir übrigens – basierend auf den Erkenntnissen asiatischer Insektenzuchtvorreiter – gemeinsam mit steirischen Sondermaschinenbauer entwickelt.
Ihr haltet die Mehlwürmer in Boxen, wie viele Würmer teilen sich so eine Kiste?
Bis zu 13.000, das ist de facto Massentierhaltung. Der wesentliche Unterschied ist der, dass das bei uns artgerechte Tierhaltung ist. Bei Insekten, vor allem bei Mehlwürmern, ist die natürliche Gruppengröße durch Futter und Platzangebot beschränkt. Selbst wenn sie Platz haben, hocken sie sich immer wieder auf einen Haufen zusammen.
„Ein ständiges Rascheln und Rauschen.“
Zu Beginn stieß die Wurmzucht von Andreas Koitz und seiner ehemaligen Partnerin Lisa-Marie Schaden auf viel Skepsis, bald überzeugten sie jedoch ihr Umfeld von ihrer Geschäftsidee.
Wirkt sich das Futter auf den Geschmack der Insekten aus?
Absolut, ein Extrembeispiel sind unsere Chiliwürmer. Wir würzen sie nicht mit Chili, sondern füttern sie damit, da sie keine Schmerzrezeptoren besitzen, tut ihnen das nicht weh. Danach werden sie – wie alle anderen – geröstet und gesalzen, Geschmack und Schärfe bekommen sie aber alleine von der Fütterung. Das Hauptfuttermittel der Würmer ist neben frischen Bio-Obst und Gemüse Weizenkleie, der Proteinkörper des Getreidekorns.
Wie „schlachtet“ Ihr die Würmer?
Zuerst werden sie 24 Stunden auf Diät gesetzt, so stellen wir sicher, dass der Verdauungstrakt entleert ist. Danach werden sie eingefroren. Der Stoffwechsel wird dadurch langsam nach unten gefahren und sie werden in einen künstlichen Winterschlaf versetzt.
Wie gedeihen sie besonders gut?
Bach und Mozart (lacht)! Klima ist ein wesentlicher Faktor und die Vitaminversorgung ist auch sehr wichtig. Wir verfüttern pro Woche etwa 50 Kilo an Biogemüse. Den Großteil davon versuchen wir bei uns selbst anzubauen, der Rest ist die B-Ware aus dem Handel, also alles was für den Verkauf nicht geeignet war.
Den Bergbauernhof im Kärntner Lavanttal betreibt Koitz nun in vierter Generation – allerdings etwas anders als seine Vorfahren.
Geben die Würmer Geräusche von sich?
Man hört ein ständiges Rascheln und Rauschen. Die Würmer hört man kaum, aber vor allem die Käfer rascheln, das hört sich an wie Regen und ist während des Arbeitens super entspannend. Sonst gibt es keine Geräusche oder Gerüche, am ehesten riecht man das Futter. Sie fressen aber nicht nur, sie kacken auch. Der Mist ist sandig, trocken und geruchslos, außerdem eignet er sich extrem gut als Dünger.
Was hält die Nachbarschaft von Deiner Tätigkeit als Wurmzüchter?
Unsere Gegend ist seit jeher von der Landwirtschaft geprägt und sehr konservativ. Als wir begannen, Insekten zu züchten, stieß die Idee vorerst auf Ignoranz. Das sei eine Spinnerei, die müsse man nicht weiter beachten, hieß es in der Nachbarschaft. Nachdem das Interesse – vor allem medial befeuert – immer größer wurde, wurden die Anrainer doch neugierig. Sie kamen uns besuchen, um sich die Wurmzucht anschauen. Inzwischen sind sie sogar überzeugt, dass das Zukunft hat. Damit anfangen will aber selbst keiner.
Darf man sich als Landwirt bezeichnen, wenn man Würmer züchtet?
Wir sehen uns auf jeden Fall als Landwirte. Es gibt auch einen anderen Begriff, der sich vor allem unter den jungen Landwirten entwickelt hat und der uns sehr gut gefällt: der „Farbenpreneur“ ist ein Begriff für eine Art Unternehmer eines landwirtschaftlichen Start-Ups, der versucht, innovative Ideen zu entwickeln. Innovationsgeist oder Start-up-Mentalität kommen in der Landwirtschaft selten vor.
„Wir waren nur die Spinner.“
Mehlwürmer könnten in Zukunft nicht nur als Nahrungsmittel, sondern auch als Plastik-Verwerter eingesetzt werden! 2015 entdeckten Forscher an der Stanford University, dass die Insekten in der Lage sind, Polystyrol zu verzehren und in CO2 und verrottbaren Kot zu zersetzen.
Wer kauft die Würmer und wofür?
Zu Beginn dachten wir an Sportler und Sportlerinnen zwischen 20 und 40 Jahren, bald stellte sich jedoch heraus, dass die Mehlwürmer am liebsten von Kindern gegessen werden, da die Vorbehalte noch nicht so einzementiert sind. Meine Tochter ist zwei Jahre alt und für sie ist es unverständlich, wenn manche Leute sich bei der Wurmverkostung anstellen (lacht). Je höher das Alter, desto schwieriger wird es tendenziell, trotzdem sind die Käuferinnen und Käufer meist um die 50 Jahre alt. Das bedeutet, dass die Akzeptanz über alle Schichten und Altersgruppen hinweg gegeben ist. Immerhin: Wir verkaufen neunzig Prozent der Würmer als Lebensmittel, den Rest als Futtermittel.
Gibt es bei Euch Mehlwürmer zum Mittagessen?
Für uns sind Mehlwürmer mehr oder weniger ein normales Lebensmittel. Wir wollen mit ihnen nicht das Fleisch aus der Landwirtschaft verdrängen, ich esse selbst gerne Fleisch. Das Essen von Würmern ist einfach eine weitere Möglichkeit der Ernährung. Am besten schmecken sie mir geröstet als Snack. Verarbeitet esse ich sie am liebsten in Form von Palatschinken, dabei verarbeiten wir Insektenpulver in den Teig.
Ekelt es Dich manchmal vor den Würmern?
Einmal leerte ich mir beim Füttern aus Versehen eine Kiste mit einem halben Kilo Käfer über den Kopf. Das war mir zu dem Zeitpunkt schon egal und ekelte mich nicht, sie machen ja nichts. Ich habe zu ihnen jedenfalls nicht so engen Bezug wie zu Kühen oder Schweinen. Es brauchte relativ lange, bis ich wusste, wie fest ich sie angreifen darf, ohne dass ich sie zerquetsche.
Würmchenschnaps im Rohr, Heuschreckensalz, Wurm-Leckerlies für Hunde oder Bio Wurmdünger. Ihr betreibt einen Onlineshop mit einem sehr ausgefallenen Angebot! Gibt es einen Bestseller?
Die gerösteten Würmer gesalzen mit Kräutern oder Chili werden gerne gekauft. Wir sind gespannt, wie die Schoko- und Müsliriegel mit Mehlwürmern ankommen, die wir bald auf den Markt bringen, zusätzlich wird es in Zusammenarbeit mit einem steirischen Chocolatier bald schokoüberzogene Mehlwürmer geben.
Seht Ihr Euch als Trendsetter?
Ja, und als solcher bin ich überzeugt von dem was ich tue. Zu Beginn waren wir nur die Spinner, jetzt merken wir, dass die Nachfrage steigt. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass sich das Insekt als normales Lebensmittel etabliert. Mein Traum ist es, dass im Supermarktregal Insektenprodukte neben den herkömmlichen Produkten erhältlich sind. Wenn ich nebenbei noch davon leben könnte, wäre das perfekt!
Andreas Koitz (auf dem obigen Foto mit seiner ehemaligen Partnerin und Mitbegründerin der Wurmfarm Lisa Marie Schaden)ist in Kärnten geboren und auf dem Landwirtschaftsbetrieb der Familie groß geworden, den er übernommen hat.