Der YouTuber

Selbstgemachte Gemeinheiten und extrafrische Bösartigkeiten

Michael Buchinger (25) folgen mittlerweile 150.000 Fans auf seinem YouTube-Kanal, damit ist er für österreichische Verhältnisse bereits ein Star. Während seine Kolleginnen bei der Zielgruppe mit halblustigen Challenges, Einkaufs- und Schminktipps Erfolg haben, erzählt Buchinger „fantastische und extrem langweilige“ Anekdoten aus seinem Leben und veröffentlicht einmal im Monat seine legendäre Hass-Liste. Das alles ist so lustig und hintersinnig, dass seine Fangemeinde mittlerweile auch unter den 30+ immer größer wird. Unsere Meinung: Buchinger wird die Social-Media-Blase überleben, die Frage ist nur, wie?

„Ich werde spießig.“

Eva Holzinger: Wir haben Dir die neue Aida-Retrofiliale in der Kirchengasse als Ort für unser Interview vorgeschlagen, weil wir wissen, dass Du ein großer Tortenfan bist und ja auch auf Deinem YouTube-Kanal „Michis Küche“ für Deine Fans kochst und backst. Motto: „Ich kann nicht kochen, tu es aber trotzdem“. Wir freuen uns, dass Du mit unserer Wahl zufrieden bist! Zur Sache: Wir sind hier von Neubau-Hipstern und betagten Damen umringt. Versteht Deine Oma, was Du machst?

Michael Buchinger: Meine Oma denkt, dass ich beim ORF arbeite. Ich korrigiere sie nicht. Mein Beruf hat nichts mit ihrer Lebensrealität zu tun, selbst meine Eltern haben erst nach unzähligen Videos angefangen, eine Ahnung davon zu bekommen, was ich mache. Wenn ich aber ab und zu in Medienformaten auftauche, die meine Großmutter konsumiert – wie zum Beispiel „heute leben“ – dann ist sie ganz besonders stolz.

Dein Job ist alles andere als ab- und pensiongesichert: Die Medienlandschaft verändert sich rasend schnell. Wer weiß, ob es in drei Jahren Instagram, Facebook und YouTube noch geben wird?!

Das ist eine meiner größten Sorgen. Viele sagen, dass die Influencer-Blase bald platzen wird. Ich versuche deshalb, regelmäßig einen Blick ins Ausland zu werfen, um herauszufinden, was dort gerade angesagt ist. Österreich ist da immer etwas spät dran, und so versuche ich, rechtzeitig die Trendwellen zu reiten. Aber es stimmt: Ewig wird es so nicht weitergehen.

„Alle glauben, dass ich einen Blick in das Hirn der heutigen Jugend habe.“

Du hast in Deiner YouTube-Serie „Michaels Praktikum“ alle möglichen Jobs ausprobiert, vom Foodora-Lieferanten bis hin zum Weihnachtsmann. War da nichts dabei für die „Zeit danach“?

Wenn ich aus meinen absolvierten Praktika auswählen müsste, dann wäre es wohl der Job als Thalia-Mitarbeiter, der mich reizen würde, aber nur weil ich Bücher liebe. Achtung, Werbung: Dort kann man auch mein erstes Buch „Der Letzte macht den Mund zu“ kaufen. Schreiben macht mir großen Spaß, im Idealfall wäre ich also lieber Autor als Buchverkäufer.

Als sogenannter „neuer Selbstständiger“ arbeite ich nebenbei im Übrigen auch als Berater: Ich erkläre meinen Kunden, wie sie ihren YouTube-Auftritt gestalten können. Natürlich ohne Erfolgsgarantie! Manchen ist offensichtlich schon geholfen, wenn sie lernen, wie man ein Video in bestmöglicher Auflösung hochlädt (lacht).

Ist es für Dich einfach, ein YouTube-Video zu drehen oder ein Buch zu schreiben?

Ich wollte die Leute, die meinen YouTube-Kanal sehen, mit dem Buch analog abholen. Die Tonlage und der Stil meines Buches sind meinen Videos ähnlich, also stark an meine Formate angelehnt. Der Inhalt ist aber ein anderer. Man lasse sich überraschen! Wenn man als YouTuber ein Buch publiziert hat, sind die Medien übrigens viel netter zu einem (lacht).

„Wenn man als YouTuber ein Buch publiziert hat, sind die Medien viel netter zu einem.“

Sogar das C/O VIENNA MAGAZINE interviewt Dich dann! Glaubst Du, dass Bücher nach wie vor als wertiger angesehen werden als Online-Videos?

Die Auseinandersetzung mit einem Buch ist wohl schon intensiver als mit einem YouTube-Video, sowohl in der Produktion als auch in der Rezeption. Aber: Viele Menschen denken, YouTuber filmen lediglich hin und wieder schnell – nebenbei – ihren Alltag ab. Das stimmt aber nicht, dieser Job ist extrem zeitaufwendig und kann ganz schön anstrengend sein.

Wie läuft das ab, wenn Du zu Hause ein Video drehst? Wie unterscheidet sich der YouTuber von dem Michael, dem ich gerade gegenübersitze?

Was ich nicht kann, ist mit einem Video in den Tag starten. Erst muss mein Kehlen-Chakra aufgewärmt werden! Nein, ernsthaft: So ein Dreh ist sehr unspektakulär. Ich schlüpfe in keine Rolle und bin auch keiner der Blogger, der der ganzen Welt mitteilen muss, wenn er schlecht drauf ist. Ich zeige meine heiteren Momente, eine Art „Best-of“. Das ist der einzige Unterschied zu meiner Offline-Person, die durchaus mies gelaunt oder traurig sein kann. Ich bin in einer großen Runde auch nicht die Person, die am meisten redet. Viele glauben, dass ich eine Rampensau bin, aber das stimmt nicht.

„Meine Offline-Person kann mies gelaunt oder traurig sein.“

Wie sieht Deine Woche aus, wie ist sie durchstrukturiert?

Ich lade Dienstag, Freitag und Sonntag Videos hoch, die mich jeweils vier bis zehn Stunden kosten. Manchmal experimentiere ich mit den Tagen und Uhrzeiten herum, aber drei Videos pro Woche sind fix. YouTube ist nun einmal algorithmusgeplagt. Wer den Kanal nicht regelmäßig befüllt, geht unter. Das find ich eh sehr schade. Alles muss regelmäßig sein, alles muss möglichst viele Leute erreichen. Deshalb habe ich es auch sehr genossen, das Buch zu schreiben.

Was tust Du, wenn die Influencer-Blase geplatzt ist?

Alle, die in Österreich über 40 und in den Medien erfolgreich sind, sind Kabarettisten: alte, weiße Männer, die irgendwelche Witze erzählen. Vielleicht könnte ich einer davon werden. Das ist aber wirklich stark in die Zukunft gedacht. Jetzt traue ich mir noch kein 90-Minuten-Set im Simpl zu. Aber ich könnte mir vorstellen, mit einer Lesereise zu starten und sie dann irgendwann zu einer richtigen Comedy Performance auszuweiten.

Hast Du Vorbilder?

Ja, aber aus Amerika und nicht aus Österreich: Margaret Cho und Kathy Griffin finde ich großartig.

Alleine Videos zu drehen ist aber schon etwas anderes, als vor Publikum auf der Bühne zu stehen!

Das stimmt. Und bei meinen ersten Bühnenerfahrungen war ich auch ziemlich nervös. Aber ich finde mehr und mehr Gefallen daran, weil ich sofort merke, worüber die Leute lachen. Man kann live viel besser auf die Energie im Raum eingehen. Ein YouTube-Daumen, der nach oben oder unten zeigt, erklärt nicht, was du gut gemacht hast und was nicht.

„Ich glaube daran, dass ich einmal Kinder adoptieren und heiraten darf.“

Besonders beliebt sind Deine Hass-Listen. In der letzten Liste sagst du, dass Du coole Leute hasst. Hasst Du Dich also selbst?

Ich bin doch gar nicht cool! Ich meine damit Leute, die früher lieb waren, aber auf einmal nur noch Schwarz tragen und nicht mehr auf Nachrichten antworten. Grundsätzlich mag ich aber viele Menschen. Ich finde es wirklich sehr spannend, dass diese Hass-Listen so gut ankommen. Das liegt wohl daran, dass immer etwas dabei ist, das man selbst schon erlebt hat.

Gibt es etwas, dass Du an Wien oder Österreich hasst?

Ja, ich hasse tatsächlich diesen Wiener Grant. In Österreich sind die Leute so unaufmerksam. Das habe ich an vielen Orten anders erlebt: Die Menschen sind anderswo viel offener und hilfsbereiter.

Und was sagst Du zu Schwarz-Blau?

Das hasse ich auch, aber: aufstehen und weitermachen! Ich bin Optimist. Alles muss schlechter werden, bevor es besser werden kann. Ich glaube daran, dass ich einmal Kinder adoptieren und heiraten darf. Ich bin nicht sonderlich politisch, aber genau das wird mir immer unterstellt. Erst kürzlich wurde ich zu einer Podiumsdiskussion eingeladen: „Politisches Verhalten der Jugendlichen“. Alle glauben, dass ich einen Blick in das Hirn der heutigen Jugend habe, aber auch das stimmt nicht. Außerdem dürfen viele in meiner Zielgruppe noch gar nicht wählen.

Du schätzt Deinen oder Euren Einfluss auf Jugendliche also nicht so hoch ein? Schließlich werdet Ihr „Influencer“ genannt.

Meinen politischen Einfluss schätze ich nicht hoch ein! Wenn ich ein Buch empfehle, kaufen die Leute das mitunter, aber es geht nicht darüber hinaus. Und das würde ich auch gar nicht wollen. Die Leute sagen nämlich, dass ich ohnehin einen schlechten Einfluss habe, weil ich in meinen Videos immer Wein trinke!

Apropos Alkohol: Du hast einmal erwähnt, dass Du kaum noch ausgehst. Wirst Du jetzt mit 25 und einem fixen Partner doch noch spießig?

Das ist tatsächlich so. Das hängt bei mir aber nicht nur mit dem Alter, sondern auch ganz stark mit der Beziehung zusammen. Seit ich in einen Partner habe, gehe ich nicht mehr feiern. Früher bin ich anscheinend wirklich nur ausgegangen, um jemanden kennenzulernen. Jetzt interessiere ich mich für Wärmeflaschen und Fußbäder statt für Partys.

"YouTube nutze ich privat kaum."

Heute alt und spießig, früher jung und naiv? Gibt es irgendetwas, dass Du aus dem kollektiven Gedächtnis Deiner Fans löschen würdest, wenn Du könntest?

Ich habe mich mit 16 Jahren zu einem Video für die JVP, die junge ÖVP, überreden lassen. Das ist etwas, was ich wirklich bereue. Sie haben es mir als unparteiisches Straßeninterview verkauft. Aber wie unparteiisch kann etwas sein, das auf dem JVP-YouTube-Kanal landet, mit einem gebrandeten JVP-Mikro in der Hand? Das Video kursiert, glaube ich, immer noch. Wenn ich das löschen könnte, würde ich.

Wenn YouTube, Instagram und Co. zum Job werden – empfindet man dann „privat“ noch Freude beim Durchscrollen?

Auf Instagram bin ich wirklich sehr vielen YouTubern entfolgt. Ich suche mir bewusst Accounts raus, die mir wirklich gefallen, mich entspannen und keinen Konkurrenzdruck auslösen: Landschaftsfotografen und Thomas Brezina zum Beispiel. YouTube nutze ich privat kaum.

Du bist ja auch auf Instagram und wirst dort manchmal mit einem Fashion-Blogger verwechselt. Kompliment oder Beleidigung?

Ich find es gar nicht schlecht, wenn das passiert, weil in der Fashion-Blogger-Welt alles viel schöner ist. Bei YouTube-Events werden ein paar Sandwiches auf das Tablett geworfen, während für Instagram-Blogger alles perfekt durchinszeniert und cupcake-cute ist. Man darf mich also immer gerne zu Fashion-Events einladen!

„Nach dem Fitness-Studio ist einer meiner verletzlichsten Momente.“

Was machst Du als Ausgleich zu den Bildschirmen? Seidenmalerei?

Sport! Seit ich mehr Sport mache, bin ich tatsächlich entspannter. Ich habe sogar Gym-Buddies. Ich laufe durch das Fitnessstudio und schreie „Hey, Ferdl! Hallo, Monika!“. Das einzige Problem: Erkannt werden im oder nach dem Fitnessstudio ist die Hölle und einer meiner verletzlichsten Momente. Ein Foto nach vierzig Minuten Laufband? Auf gar keinen Fall!

Bleiben wir bei verletzlichen Momenten. Wie gehst Du mit Kritik um, und was wird an Dir am meisten kritisiert?

Immer wenn ich mich für Feminismus und gegen Sexismus ausspreche, kommen die antifeministischen Trolle aus ihren Höhlen und fangen an, mich zu beschimpfen. Auf meine Videos reagieren sie dann mit Video-Antworten, in denen Sie meine Inhalte analysieren und kritisieren. So etwas schaue ich mir aber gar nicht erst an. Ich kann das ganz gut wegstecken, aber es ist trotzdem spannend, bei welchen Themen die Büchse der Pandora geöffnet wird.

Außerdem bin ich ganz gut geschützt: Auf Twitter, YouTube und Instagram kann man gewisse (Schimpf-)Wörter blocken. Ich gebe ein, was ich nicht lesen will, und dann erreicht mich das erst gar nicht. Das kann man natürlich kritisieren, weil man dann in seiner Filter-Bubble bleibt. Es ist meiner Meinung nach höchste Zeit, die Anonymität im Netz zu bekämpfen, dann braucht man auch weniger Schutzmechanismen.

Das heißt, Du polarisierst nicht so gerne?

Soll ich noch etwas Kontroverses sagen? Wobei, vielleicht doch nicht. Ingrid Thurnher folgt mir jetzt auf Twitter! Dadurch, dass ich jetzt eine größere Plattform habe, bin ich auch nicht mehr ganz so frech. Seit mir mehr Leute zuhören, bin ich bewusster darin, was ich sage und was nicht.

Dann drehen wir den Spieß doch einmal um: Welche Frage würdest Du gerne einmal gestellt bekommen?

Niemand fragt mich nach Tipps für Süßspeisen. Du willst das perfekte „Red Velvet“ in Deiner Schwarzwälder Kirschtorte? I’m your Man! Die Leute fragen mich außerdem selten nach ernst gemeinten Lebenstipps – auch das ist schade.

Na dann: Ein Lebenstipp für uns?

Sei du selbst!
Alles geht zu Ende!


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