Die Astrophysikerin

„Die Milchstraße ist Provinziell.“

Wir Menschen sind nichts anderes als Sternenstaub und drehen uns wie die Erde gerne im Kreis. Was ein Kreisverkehr mit dem Kosmos zu tun hat, und warum die Milchstraße provinziell ist, besprechen wir mit der deutschen Astrophysikerin, FAZ-Redakteurin und Philosophin Sibylle Anderl. 

+~∑(„Wir sind Erben der Sterne.“)ᶻ∑+~

David Meran: „Was lieben sie am All?“

Sibylle Anderl: Ich liebe seine Vielfältigkeit und Inspiration. Der Sternenhimmel war für uns Menschen der Beginn von ganz vielem. Die erste Wissenschaft war die Astronomie, der Nachthimmel war gleichzeitig Startpunkt für die Philosophie, für die Kunst und die Religionen. Die große Frage nach dem, was dort draußen ist, und was wir Menschen in dem da draußen sind, fasziniert kollektiv.

Kinder drehen sich gerne im Kreis, mit knapp zwei Jahren kritzeln sie bereits kreisähnliche Figuren, ganze Kulturen schleppten tonnenweise Steine auf Berge und bauten dort kreisförmige Kultstätten, Stichwort Stonehenge. Allein in Niederösterreich existieren über 400 Kreisverkehre. Die Erde dreht sich um die eigene Achse, diese wiederum um die Sonne. Verläuft das gesamte Universum auf Bahnen? Kürzlich wurde das erste Bild eines Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Galaxie veröffentlicht – die Aufnahme sieht aus wie ein Donut. Dreht sich alles letztlich im und um den Kreis?

Der Kreis – oder im Dreidimensionalen die Kugel – ist eine ganz grundlegende Symmetrie im Universum. Insofern: Ja, es dreht sich vieles in und um den Kreis. Die Natur im All strebt nach Symmetrie und weist auf großen Skalen Richtungsgleichheit auf, sogenannte Isotropie: Egal wohin man blickt, man wird im Durchschnitt überall in etwa das Gleiche vorfinden. Und das ist ja auch genau die Definition der Kugel: vom Mittelpunkt sieht man in jeder Richtung das Gleiche. Das ist dann physikalisch und vor allem mathematisch sehr schön beschreibbar, da komplizierte Terme wegfallen. Im Universum dreht sich also vieles um Kugeln. Ob der Zustand des Universums insgesamt auch als eine Art Kreisbewegung verstanden werden kann, kann man allerdings höchstens vermuten und nicht belegen. Es sind Symmetrie und die Einfachheit, die wir Menschen sehr schön finden und die es einfacher machen, Dinge zu verstehen.

In diesem Magazin beschäftigen wir uns mit dem Thema der Provinz. Im Kleinen wie im Großen. Ist die Milchstraße provinziell?

Absolut, meine Rede! In meiner Forschung habe ich sehr „provinzielle“ Astrophysik betrieben, weil ich als Forscherin aus der Milchstraße nie herauskam. Astrophysikerinnen kann man insofern in verschiedene Gruppen aufteilen, je nachdem, wie weit sie ins All schauen. Das Tolle an der Milchstraße ist die große Menge und hohe Qualität der vorliegenden Daten. Wir kennen sie mittlerweile sehr gut.

~+{„Es wird ganz am Ende nur noch schwarze Löcher geben.“}~+

Wenn ich über Sternzeichen spreche, verlässt mein Bruder, der Astrophysik studiert, den Raum. Sie auch?

Nachdem ich auch Philosophie studiert habe, besitze ich wohl eine relativ große Toleranz fremdartigen Denkweisen gegenüber. Gleichzeitig muss man auch zugeben, Astrologie und die Astronomie waren lange Zeit eins. Dieses kulturelle Erbe tragen wir bis heute mit uns herum. Ich habe insofern Verständnis für Menschen, die den Sternenhimmel mit unserem Leben zusammenbringen wollen. Gleichzeitig, wenn ich aus der Astrophysikerinnen-Brille auf das Thema blicke, ist es natürlich ganz klarer Quatsch.

Mittlerweile fliegt sehr viel Weltraummüll da oben rum. Es gibt sogar einen wissenschaftlichen Zweig dafür – die Weltraumarchäologie. Ähnlich wie Archäologinnen auf der Erde „graben“ Astronominnen im Weltraum nach zivilisatorischen Hinterlassenschaften. Was halten Sie davon?

Ganz allgemein ist diese Archäologie-Analogie eine, die sehr gut zur Astrophysik passt. Warum? Durch die endliche Geschwindigkeit des Lichtes blicken wir immer in die Vergangenheit. Archäologinnen versuchen zu verstehen, was Spuren und Objekte, die wir aus der Vergangenheit finden, uns sagen, und das versuchen wir auch als Astrophysiker. Insofern besteht eine enge methodische Beziehung. Nach fremden Zivilisationen zu suchen, ist dabei ein eher exotischer Spezialfall, aber die Frage „Gibt es da draußen Leben?“ ist wohl eine der spannendsten überhaupt! 

Und existiert es, das Leben da draußen?

Wir gehen heute davon aus, dass außerirdisches Leben wahrscheinlich ist, weil es die nötigen Inhaltsstoffe überall gibt. Ob das auch heißt, dass es irgendwo technologisch fortgeschrittene Zivilisation geben muss, ist aber fraglich. Da wären bis heute die meisten Astronominnen, inklusive mir, noch sehr skeptisch.

+~∑(„Das Schöne ist, es gibt gar kein Zentrum.“)ᶻ∑+~

Meist wird nach dem Beginn des Universums gefragt, wie wird es denn enden?

Das ist die andere ganz große Frage! Wenn wir davon ausgehen, dass es sich so weiterentwickelt wie aktuell, und wir davon ausgehen, dass die Theorien, die wir heute für zutreffend halten, auch tatsächlich stimmen, dann wird sich das Universum immer weiter ausdehnen. 

Das heißt alle Galaxien und Sterne werden sich immer weiter entfernen ...

... die ganze Materie wird schließlich auseinandergerissen. Das Universum wird insofern irgendwann ein sehr langweiliges sein, weil einfach sehr viel Raum da sein wird und wenig Materie. Im Grunde wird es ganz am Ende nur noch schwarze Löcher geben, weil sie die größte Masse haben und den Raum am meisten zusammenziehen. Doch auch die zerstrahlen irgendwann, und es wird nur noch eine große Leere geben.

Oft wird das Bild des Germteiges mit einer Rosine als Metapher für die Ausdehnung des Weltalls verwendet. Die Theorie ist, dass sich das Universums ausdehnt und von uns (Rosine) wegbewegt.

Eine schöne Metapher! Wir Menschen können uns ein vierdimensionales Raum-Zeit-Kontinuum leider  nicht vorstellen – was soll das sein? Wir denken in Raum und in Zeit, dass das miteinander wechselwirkt, also dass Zeit auch räumlich sein kann und Raum zeitlich, das verstehen wir nicht. Wenn wir uns dann noch vorstellen, dass sich dieses Raum-Zeit-Kontinuum auch noch ausdehnt, sprich der Raum immer größer wird, dann kommen wir wirklich an die Grenzen unserer Vorstellungskraft. 

In was dehnt sich der Germteig aus?

Übertragen auf den Kosmos müsste man sich fragen, worin befindet sich das Universum? Die Astrophysikerinnen sagen, diese Frage darfst du dir nicht stellen, weil der Raum sich selber ausdehnt, ohne dass er in irgendetwas eingebettet ist. Es gibt zwar Bilder wie den Germteig, die unser Vorstellung helfen. Aber auch die haben ihre Grenzen. Am Ende hat man doch wieder das Gefühl, eigentlich ist das Universum für uns Menschen und unsere endliche und begrenzte Vorstellungskraft einfach viel zu groß und viel zu unglaublich.

+~∑(„Horoskope sind Quatsch.“)ᶻ∑+~

Wir scheitern also an der Beschränktheit unseres Hirns über das Universum nachzudenken, wie schön! Und wo ist die Mitte?

Das Schöne ist, es gibt gar kein Zentrum. Jeder Punkt ist ein Zentrum, das ist zwar einfach und schnell gesagt, aber so richtig anschaulich zu verstehen ist auch das nicht. Egal, wo man in diesem Germteig ist, überall entfernt sich alles in der gleichen Art und Weise von allem. Insofern ist der Urknall auch nichts, was von einem Zentrum ausgegangen ist. Es war keine zentrale Explosion, sondern der Urknall war gewissermaßen überall.

Wie hängt das Größte, also die Kosmologie mit dem Kleinsten, den Elementarteilchen zusammen?

Das Große und das Kleine hängen ganz eng zusammen, und das berührt eine der größten Fragen der Kosmologie. 95 Prozent von allem, was das Universum füllt, sind dunkle Energie und dunkle Materie, und nur fünf Prozent sind die Art von Materie, aus der wir bestehen. Dunkle Energie ist das, was das Universum beschleunigt auseinandertreibt, also quasi die Hefe beim Teig. Dunkle Materie zeichnet sich aus, indem sie andere Materie anzieht. Sie muss es etwa in Galaxien geben, denn ohne dunkle Materie würden diese auseinanderfliegen und wären nicht stabil. 

Wie kommen wir nun vom Großen in das Kleine, in Form der Elementarteilchen?

Die Elementarteilchenphysik beschreibt genau, welche Materien-Teilchen es auf der Welt gibt und da ist kein Teilchen dabei, das die Eigenschaften besitzt, die dunkle Materie im Kosmos braucht. Insofern kann die gängige Theorie der Teilchenphysik nicht stimmen, sie kann nicht vollständig sein. An dieser Stelle treffen sich Kosmologie und Elementarteilchenphysik. 

~+{„Wo ist denn das Universum drinnen?“}~+

Stichwort Kapitalismus: Vergangenen Sommer bin ich einer lauen Sommernacht nichts ahnend dagesessen und dachte plötzlich, Ufos am Himmel: ein Konvoi von hellen, sehr schnellen, unwirklichen Lichtern am Himmel! Es waren einer der Starlink-Satellitenketten von Elon Musk. Sein Unternehmen plant noch rund 11.000 weitere Satelliten ins All zu bringen. Wie viel Einfluss dürfen Privatpersonen dort oben bekommen. Gehört der Kosmos nicht allen?

Schwierige und wichtige Frage! Um mit etwas Positiven zu beginnen, Elon Musk hat mit seinem Vermögen für sehr viel Innovation im Raumfahrtsektor gesorgt. Die aktuelle Raumfahrt-Euphorie wäre ohne ihn vermutlich gar nicht möglich gewesen, man denke an die recycelbaren Raketen. An den Mega-Satellitenkonstellationen wie „Starlink“ merkt man aber die problematische Seite dieser Entwicklungen. Natürlich gehört der Nachthimmel der ganzen Menschheit und zwar schon immer, und dass sich dessen Anblick aktuell durch die Satelliten so grundlegend verändert, wurde bisher leider kaum öffentlich diskutiert. Diese Regulierungslücke beruht auf einem veralteten Weltraumrecht aus dem vorigen Jahrhundert. Damals war es nicht absehbar, dass irgendwann private Akteure Interesse am Weltraum haben werden. Wir dürfen das kulturelle Erbe des Nachthimmels nicht so leichtsinnig verhökern.

In uns Menschen steckt, wenn man so möchte, Sternenstaub, man kann auch kosmischer Materiekreislauf dazu sagen. Sind wir Zeugnisse des Kosmos?

Die Materie, aus der wir bestehen, hat mehrere Sterngenerationen durchlebt. Die chemischen Elemente, aus denen wir bestehen, wurden von den Sternen erst erbrütet, das heißt, sie sind durch Kernfusion entstanden. Vorher hatte man im Wesentlichen nur Wasserstoff und Helium und daraus werden keine Menschen. Also insofern sind wir wirklich Erben der Sterne, wenn man so will. Vor einigen Jahren gab es eine schöne wissenschaftliche Erkenntnis, dass zum Beispiel Goldringe, die ja viele von uns am Finger tragen, mit der Kollision von Neutronensternen entstanden sind.

In diesem Sinne wären wir wieder beim Kreis und Kreisverkehr...

Letztendlich gehört alles zusammen, das Lokale, das Kleine mit dem ganz Großen, und zwar nicht nur auf eine metaphorische, sondern auch auf eine ganz handfeste physikalische Art und Weise.

Vielen Dank für das Gespräch.

Sibylle Anderl ist als Astrophysikerin, Philosophin und FAZ-Wissenschaftsressortleiterin ein veritabler Tausendsassa. Einen Überblick über ihr Schaffen und ihre neusten Publikationen finden Sie auf ihrer Website.

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