Eismeer, Biedermeier, Hexen und Cyborgs
Die österreichischen Künstlerinnen Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl vertreten Österreich 2022 auf der Biennale in Venedig. Im Kunsthaus Bregenz haben sie eine fulminante Generalprobe mit der Ausstellung Seasonal Greetings hingelegt (bis 5. April 2021). Wir sprachen über Hexen, Cyborgs und das, was die beiden schlecht schlafen lässt.
„Ich kritisiere diese elitäre Blase des Kunstbetriebs vehement.“
Antje Mayer-Salvi: Wie geht es Euch?
Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl: Erschöpft. Sehr erschöpft. Die Ausstellung „Seasonal Greetings“ im Kunsthaus Bregenz hat sich sehr kurzfristig ergeben, da das Haus geplante Termine umschichten musste. Aber wir mögen solche Herausforderungen!
Ihr habt diese große Solo-Show mitten im Corona-Wahnsinn produziert, hatte die aktuelle Situation einen Einfluss auf Eure Arbeit?
Ashley Hans: Ja, klar, wir zeigen nur Arbeiten, die während der Pandemie entstanden sind.
Jakob Lena: Durch Kunst kann das Zeitgeschehen noch einmal auf einer anderen Ebene erfahrbar gemacht werden. Es braucht Kunst, um das Zeitgeschehen fühlbar zu machen, es abzubilden und es mit Emotionen und Ästhetik zu unterlegen.
Ihr seid die Vertreterinnen von Österreich auf der Kunstbiennale in Venedig, die nun 2022, ein Jahr später als ursprünglich geplant, stattfindet. Schon eine Idee, was Ihr zeigen werdet?
J. L.: Ja, natürlich, man musste bei der Ausschreibung ein exaktes Konzept einreichen, was in Venedig stattfinden soll. Durch die Verschiebung wird sich einiges verändern.
A. H.: Die Ausstellung hier im KUB wird einen Einfluss auf unsere Arbeit in Venedig haben, weil wir Dinge ausprobieren konnten, wozu uns Direktor Thomas D. Trummer von Anfang an explizit ermutigt hat. Die Messlatte liegt in Venedig bekanntlich hoch, mit der Ausstellung hier konnten wir für uns ein wenig den Druck rausnehmen.
„Es braucht die Kunst, um das Zeitgeschehen erfahrbar zu machen.“
Auch wenn Ihr uns noch nicht verraten wollt, was Ihr in Venedig zeigen werdet, womit beschäftigt Ihr Euch persönlich, was lässt Euch momentan nicht schlafen?
J. L.: Ich gehöre zur Risikogruppe und das Virus ist mir schon unheimlich, muss ich sagen, nicht zuletzt da ich sehr viele Todesfälle in meinem Leben betrauern musste. Der Tod ist auch immer wieder ein Thema in meinen Arbeiten. Hinzu kommt die Sorge, dass Populismus, Manipulation und Radikalisierung gerade so einen Aufwind erfahren …
A. H.: … und diese PR-Maschinerie der Regierungen …
J. L.: … und auch das Thema Überwachung. Dass das Modell China unsere bittere Zukunft sein könnte, finde ich schauderhaft. Überwachung verhindert freie Entwicklung. Es gibt ein psychologisches Experiment: Neben einer Kaffeemaschine steht eine Box, man kann freie Spenden hineinwerfen. Man hat herausgefunden, die Leute zahlen eher ein, wenn darauf zwei Augen geklebt sind.
Was ist mit religiösem Fundamentalismus?
J. L.: Der beunruhigt mich sehr. Wenn du mir vor 15 Jahren erzählt hättest, dass Religion wieder zu so einem großen Thema wird, hätte ich das als Blödsinn abgetan. Das hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können! Ich verstehe es in gewissem Sinne auch. Die Menschen suchen Trost und Halt in der Religion, wenn sie jedoch politisch instrumentalisiert wird, wird das ganz schwierig.
„Ich bin viele.“
Warum ist Identität momentan so ein wichtiges Thema, wieso beschäftigen sich so viele Menschen und Ihr als Künstlerinnen damit. Was bedeutet für Euch Identität?
A. H.: Wir alle besitzen eine sexuelle Identität, eine Identität durch unsere Hautfarbe, eine Körperidentität und so weiter. Diese Identitäten sind oft äußerlich definiert, weil wir in einem ästhetischen Kapitalismus leben, in dem übrigens sogar Identitäten kommerzialisiert werden. Ästhetik ist zu einer zentralen Technik unserer sehr visualisierten Welt geworden. Deswegen beschäftigen sich momentan so viele Menschen damit.
Hat die digitale Welt uns unserer Identität beraubt?
J. L.: Die Suche und Beschäftigung mit Identität ist nichts Neues, wir sind nun einmal Herdenmenschen, das Dazugehören stiftet Identität und beruhigt. Mit der Gründung der Nationalstaaten kam noch die nationale Identität dazu. Was ich interessant finde, ist, dass Identität sowohl bei linken wie rechten Strömungen ein großes Thema ist.
Durch die Digitalisierung hat sich aber doch das Problem verschärft!
A. H.: Ich bin viele. Ich muss zwischen den verschiedensten „Selbsten“ in der digitalen Welt verhandeln, die wiederum mit diversen Szenen und Netzwerken kommunizieren. Dadurch, dass man so schnell und so global interagieren kann, sich problemlos einer Gruppe anschließen kann, es so viele Parallelwelten gibt, ist es schwer – oder vielleicht sogar obsolet – geworden, eine einzige Identität zu sein.
„Wir Menschen vermischen uns immer mehr mit den Maschinen.“
Im 3. Obergeschoß inszenierst Du, Ashley, Deinen Raum mit dem Titel „Das Labor” mit riesengroßen Körperteilen, Figuren oder Art Cyborgs aus Pappe. Ist es das Versprechen eines perfekten Körpers, der Dich fasziniert?
A. H.: Mir geht es weniger um den perfekten Körper als um die Lust der Aneignung neuer Körperteile und Technologien. Ich finde wahnsinnig toll, wenn Technik funktioniert! Es ist ja unglaublich, was wir mittlerweile alles können. Vor 20 Jahren hätte ich mir vieles nicht vorstellen können. Ich kann mich erinnern, dass ich damals diese dystopische Vorstellung hatte, dass Menschen nur mehr vor einem Kasten sitzen, sich berieseln lassen und sich nicht mehr bewegen. Wenn ich mit der U-Bahn fahre, sehe ich Menschen, die alle genau so dasitzen. Das ist für mich unglaublich!
Fulfilling prophecy!
J. L.: Ich kann mich noch daran erinnern, wie das World Wide Web online ging. Es war Mindblowing! Wir haben das abends im Fernsehen gesehen. Wir Menschen vermischen uns immer mehr mit den Maschinen, wir tragen Herzschrittmacher, unsere Identitäten und Körper erweitern sich etwa durch Laptops, Mobiltelefone, Apps und so weiter. Dystopisch wird es dann, wenn US-Firmen wie Boston Dynamics Roboter entwickeln, die als perfekte Soldaten zu Killermaschinen werden.
Roboter können aber an keinem Virus sterben. Die Krise zeigt uns, wie verletzlich und der Natur ausgeliefert wir Menschen sind. Vielleicht sind Maschinen die überlebensfähigere Spezies?
A. H.: Nein, mir ist in meiner Kunst wichtig zu zeigen, dass wir nicht allem völlig ausgeliefert sind. Wir Menschen finden in der Not und in Krisen Strategien.
„Ich fühle mich wie der Mundl von der Kunstakademie.“
Kein Roboter, aber doch kein menschliches Wesen von dieser Welt ist die Hexe. Ihr hast Du, Jakob Lena, das gesamte 2. Obergeschoß in Eurer Ausstellung gewidmet. In diesem begehbaren Märchenbuch schweben Hexen an der Decke, Krampusfiguren und ein Hexenhäuschen stehen im Wald. Die Kids sind begeistert, ich im Übrigen auch! Grandios! Es soll Besucherinnen gegeben haben, denen das zu simpel war …
J. L.: Ich agiere als Künstlerin bewusst immer niederschwellig. Ich kritisiere diese elitäre Blase des Kunstbetriebs vehement, das rührt wohl auch daher, weil ich einen Working-Class-Background besitze. Teilweise fühle ich mich wie der Mundl von der Kunstakademie. Es braucht, gerade wenn man politische und gesellschaftlich relevante Themen anspricht, eine breite Öffentlichkeit. Mich interessierte der Mainstream als Ort, der Mainstream muss ja nicht per se dumm sein.
Warum Hexen?
J. L.: Die Hexe ist eine Grenzgängerin. Sie ist weder nur gut, noch nur böse. Sie wurde und wird von den verschiedensten Parteien instrumentalisiert. Und Uneindeutigkeit ist immer ein interessanter Moment, um Dinge aufzumachen, zu verändern. In feministischen Strömungen wurden die Hexenprozesse als Teil des patriarchalen Systems definiert und die Hexe zum Role Model weiblicher und queerer Selbstermächtigung. Heute ist eine junge Szene in den Social Media, in Serien und auf Demonstrationen zu beobachten, die die Hexe zum Vorbild hat. Die nationalsozialistische Propaganda instrumentalisierte die Figur der Hexe für die Behauptung, die katholische Kirche hätte altgermanisches Erbe vernichtet.
„Die Hexe ist Role Model weiblicher und queerer Selbstermächtigung.“
Die Nazis waren also pro Hexe?
J. L.: Heinrich Himmler, der eine Vorfahrin unter den Opfern der Hexenverfolgungen wähnte, initiierte sogar ein Forschungsprojekt! Im Mittelalter wurden „Hexen-Blätter“, Karteibögen mit den Namen der Opfer und den angewandten Foltermethoden, angelegt. Aus den Tausenden Karteikarten haben wir die Hexenprozesse herausgesucht, die sich in Vorarlberg zugetragen haben. Der Hut der Hexen soll übrigens auf den „Judenhut“ zurückgehen, der im Mittelalter spitz zulief und eine breite Krempe hatte. Er verweist auf die Tatsache, dass nicht nur Frauen als Hexen ermordet wurden. Etwa ein Drittel der Opfer waren Männer, entweder Juden oder unliebsame Kritiker und Gegner.
Ihr verwendet in Euren Arbeiten sehr oft Designobjekte. Warum?
J. L.: Ich arbeite viel mit Design, weil es ganz automatisch auf den Körper eingeht, wie das etwa bei einem Stuhl, einem Tisch oder einem Löffel der Fall ist, also auf den Körper Bezug nimmt und wohl dadurch extrem erfolgreich ist – im Vergleich zur Kunst. Ohne Design können wir nicht leben, ohne Kunst leider schon. Design ist überall, die Form ist in der Welt, und sie benötigen wir!
Jakob Lena, Du hast ja Mode bei Raf Simons an der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert. Ashley, Du hast ein Diplom in Konservierung und Restaurierung an der Akademie der bildenden Künste Wien. Warum ist Euch Handwerk so wichtig?
A. H.: Dieses Studium, aber auch die Tatsache, dass ich immer wieder in meinem Leben als Restauratorin gearbeitet habe, haben mir das handwerkliche Können mit auf den Weg gegeben, zwischen den verschiedensten künstlerischen Stilen hin- und herzupendeln. In der Malerei stelle ich photorealistisch gemalte Elemente neben eine Gestik, die an den abstrakten Expressionismus erinnert, oder monochrom ausgemalte Piktogramme kontrastieren ein viktorianisches Landschaftselement. Für die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz habe ich kleine Zeichnungen von mir stark vergrößert auf Pappwabenplatten kopiert, die in große Formen geschnitten wurden. Sie stehen im Raum auf Metallbeinen, einige sind auf einem Gerüst befestigt. Diese Arbeitsweise habe ich für mich erst hier so richtig entdeckt.
J.L.: Es gab immer wieder Strömungen, die Handwerk, Gestaltung und Kunst zusammendenken wollten, wie das Bauhaus, sie sind ja Teil der Kunst, bis sie willkürlich getrennt wurden. Die Trennung ist eine willkürliche, vor allem in den Museen, das muss nicht so sein! Und das zeige ich.
„Ohne Design können wir nicht leben, ohne Kunst leider schon.“
Ihr seid privat und künstlerisch ein Paar. Wie schwierig ist das?
J. L.: Ich finde wichtig, nicht nur als Paar zu arbeiten. Wenn man zu zweit agiert, muss man schon oft einen Konsens finden. Da bleibt schon mal was auf der Strecke, das man dann in seine Soloprojekte packen kann. Deswegen war es wichtig, bei „Seasonal Greetings“ zwei Stockwerke im Kunsthaus Bregenz gemeinsam zu gestalten und dann noch jeder einzeln sein eigenes Geschoß, das natürlich von den Arbeiten des anderen irgendwie beeinflusst ist. Trotzdem ist es wichtig, wenn man zu zweit arbeitet, dass man selbst gefestigt genug ist, in dem Sinne, dass man niemanden mehr überzeugen muss, außer sich selbst im Prozess des Tuns.
A. H.: Es geht um die Bewegung zwischen verschiedenen Standpunkten und es geht darum, es auszuhalten! Meinen Standpunkt klar definieren und dann wieder rüberpendeln, nachfragen und die Resonanz vielleicht einarbeiten.
Konflikte gibt es keine?
J. L. & A. H.: Doch, natürlich gibt es Konflikte, wir diskutieren viel! Es ist besser geworden (lachen).
Danke für das Gespräch!