Zwischen Rassismus und Schminktipps
Christl Clear ist Influencerin. Sie selbst bezeichnet sich als menschliches Medium. Noch so eine, die jungen Frauen durch ihre Handys zuflüstert, wie sie sich schminken sollen? Warum Christls Social-Media-Präsenz wichtig ist, was hinter ihren Hashtags und Selbstgesprächen steckt, verrät sie uns. Wir sprechen mit der erfolgreichsten schwarzen Bloggerin Österreichs darüber, ob der Tod postbar ist, warum Haare für schwarze Frauen hochpolitisch sind und wie sie in Österreich den Rassismus konkret erlebt. Ein Interview mit einer Frau, die eine Stimme hat und diese nutzt.
„Ich bin eine schwarze Frau in einem Land, das von einer rechten Partei regiert wird. Wenn ich nicht den Mund aufmache, wer sonst?“
Viele behaupten, Bloggerinnen seien das Paradebeispiel einer oberflächlichen, konsumorientierten, narzisstischen und ständig Selfies machenden Generation. Was entgegnest Du solchen Vorwürfen?
Ich verstehe das Vorurteil sogar. Viele denken, wir Bloggerinnen posieren den ganzen Tag nur für Fotos, drehen den Leuten irgendwelche Cremen an und cashen ab. Das war’s. Aber was die Menschen nicht sehen ist, was dahintersteckt. Es ist ein nach außen hin luxuriöseres Arbeiten, aber es ist eine mordsdrum Hacken. Ich bin ein One-Woman-Unternehmen und mache alles alleine: Ich muss Videos schneiden, Blogeinträge schreiben, mich mit PR-Agenturen connecten, irgendwo hinfahren und Dinge abholen, die ich für die Shootings brauche. Das ist ein ganz normaler Job.
Verändert sich die Persönlichkeit, wenn man jeden Tag Selbstgespräche mit dem Handy führt?
Nein, ich habe tatsächlich auch vorher schon Selbstgespräche geführt (lacht). Das ist für meine Freunde zuweilen sehr anstrengend.
Glaubst Du, Du hättest den gleichen Erfolg, wenn Du eine helle Hautfarbe hättest?
Nein. Die Tatsache, dass ich schwarz, bin in Kombination mit meiner wienerischen Art zu sprechen und zu leben, hat viel zu meinem Erfolg beigetragen. Ich bin mir meiner Hautfarbe und des Effekts sehr wohl bewusst. Ich bin nun mal eine der wenigen schwarzen Bloggerinnen in Österreich. Insgesamt gibt es kaum schwarze Menschen in der österreichischen Medienlandschaft.
„Ich habe keine Selfies von der Beerdigung gepostet.“
Wie entscheidest Du, welche Situation Du öffentlich teilst, und welche privat bleibt?
Situationsbedingt. Das entscheide ich nicht, das passiert einfach. Ich denke nicht viel darüber nach, was ich poste. Ich bin 36 Jahre alt, ich habe einen gesunden Hausverstand, ich weiß, was andere Menschen etwas angeht und was nicht.
„Wir leben in einer Welt, in der man oft das Gefühl hat, nicht genug zu sein, von etwas zu viel, von anderem zu wenig zu haben.“
Ist der Tod postbar?
Mein Vater ist vor vier Jahren gestorben, und ich habe einen Blogeintrag darüber geschrieben, weil ich ein paar Monate Pause von Social Media brauchte. Ich geniere mich nicht dafür. Jeder muss selbst für sich entscheiden, wie er den Tod handhabt und was er mit wem teilt. Ich finde es nicht zu intim zu sagen, mein Vater ist gestorben. Ich habe keine Selfies von der Beerdigung gepostet. Ich wusste, wo die Grenze ist. Ich wusste aber auch, dass ich den Leuten erklären muss, wo ich bin. Dieser Blogeintrag hat mir auch geholfen. Ich habe mir einfach alles von der Seele geschrieben und nichts erwartet. Die Leute waren unpackbar lieb. Das ist auch der Grund, warum ich viel Echtes mit meinen Followern teile: Das Bloggen verbindet.
Hat Social Media demnach auch eine therapeutische Funktion für Dich?
In einer Welt, in der man oft das Gefühl hat, nicht genug zu sein, von etwas zu viel, von anderem zu wenig zu haben, finde ich es schön, den Leuten durch Einblicke in mein Leben, das ein Durchschnittsleben ist, etwas zu geben. Letztens hat mir ein Mädchen geschrieben, dass ihr Vater vor einer Woche an Krebs gestorben sei und es ihr so schlecht ginge, weil sie noch nicht weinen konnte. Ich habe ihr geraten, eine Staffel Grey’s Anatomy zu schauen. Letzte Woche hat sie mir geschrieben, dass ihr das wirklich geholfen hat. Ich sehe mich nicht als Therapeutin. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das, was ich ihr geraten habe, besonders kompetent war. Ich habe ihr einfach gesagt, was mir damals geholfen hat, und das hat ihr zufällig auch geholfen. Wenn ich so etwas machen kann, dann ist es doch ur leiwand.
„Ich wollte nicht mehr für alte weiße Männer arbeiten, denen es nur ums Geld geht, die keine Ahnung haben, was da unten bei uns Normalsterblichen passiert.“
Wieso hast Du Dich entscheiden, das Bloggen zu Deinem Beruf zu machen?
Ich habe vor sechs Jahren mit meinem Blog angefangen, während meiner Arbeit beim „Rennbahn-Express“ (Anm. d. Red.: österreichische Jugendzeitschrift, vergleichbar mit der „Bravo“), weil ich so viel Material hatte, das nicht mehr ins Heft reingepasst hat. Und mein Blog war auch mein Tagebuch. Wenn mir was am Herzen lag, habe ich das dort niedergeschrieben. Irgendwann wollte ich dann nicht mehr für alte weiße Männer arbeiten, denen es nur ums Geld geht, die keine Ahnung haben, was da unten bei uns Normalsterblichen passiert, und die das Gefühl für das Wesentliche verloren haben.
Was treibt Dich an?
Ich wünsche mir, dass die Leute da draußen verstehen, wie cool es ist, dass wir nicht alle gleich aussehen. Die Tatsache, dass es dafür Bedarf gibt, spornt mich sehr an. Mir ist es besonders wichtig, ein Vorbild für schwarze Mädels zu sein. Ihnen zu vermitteln, dass es okay ist, Kurven und andere Haare zu haben, anders erzogen zu sein, wenn sie afrikanische Eltern haben. Als ich jünger war, hätte ich auch gerne so jemanden wie mich gehabt.
„Ich bin auch müde, ich habe auch Regelschmerzen, in meiner Beziehung läuft auch nicht alles pipifein.“
Was hältst Du von Diversity-Image-Kampagnen der Beauty- und Fashion-Industrie?
Ich finde sie extrem wichtig und manchmal doch sehr aufgesetzt. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich für bestimmte Sachen nur gebucht werde, weil die Agenturen Diversity brauchen. Aber das stört mich nicht, wenn ich dadurch schwarzen Mädchen, wie zum Beispiel meiner 13-jährigen Cousine, helfen kann. Wenn ich ihre Stories höre, denke ich: „Ich habe noch ur viel zu tun!“
Inwiefern?
Letztens hat sie mir gestanden, sie würde gerne abnehmen, weil ihre Freundinnen nicht so einen großen Busen haben wie sie. Und ich denke mir: Oh Gott, mir ist es auch so gegangen! Ich hatte auch schon einen Arsch, bevor es Kim Kardashian gegeben hat. Ich bin einfach kurvig, weil viele Afrikanerinnen kurvig sind. Sie fühlt sich schlecht in ihrem Körper, weil die meisten Vorbilder weiß, groß und schlank sind. So schaut aber in Wahrheit bloß die Minderheit aus! So etwas bricht mir das Herz.
In den sozialen Medien wimmelt es nur so von Vorbildern. Gibt es da nicht schon ein Überangebot?
Es gibt zu viele falsche Vorbilder. Ich denke, es ist wahnsinnig wichtig, dass die Menschen sich an authentischen und vergleichbaren Vorbildern messen, die klarmachen: Ich bin auch müde, ich habe auch Regelschmerzen, in meiner Beziehung läuft auch nicht alles pipifein ...
... dass man nicht nur das gute Leben zeigt ....?
Genau, sondern das echte. Man muss in einer Zeit, in der so viel unauthentisch und fake-perfekt ist, die Menschen immer wieder auf den Boden der Realität zurückholen und sagen: „He, es geht nicht allen immer gut!“
„Ich hatte schon einen Arsch, bevor es Kim Kardashian gegeben hat.“
Als Influencerin bist Du so etwas wie eine moderne Prophetin, die ihrer Gefolgschaft den richtigen Weg weist und predigt, wie man leben soll.
Nein, ich sehe mich überhaupt nicht als Prophetin. Ich sehe mich tatsächlich als Influencerin. Ich beeinflusse die Leute. Ich sage ihnen nicht, was sie tun sollen, ich sage ihnen, was ich cool finde, was ich supporte. Und wenn sie das auch cool finden, umso besser. Wenn nicht, dann nicht. Ich sehe mich als menschliches Medium, im Sinne einer Zeitschrift oder Show.
Deine Botschaften #BlackGirlMagic und #bodypositivity sind lobenswert, doch sind sie nicht auch bloß ein großer globaler Trend?
Für mich ist #BlackGirlMagic alles andere als ein Trend, für mich ist das eine Lebensphilosophie. Es gibt so viele schwarze Frauen, die Geiles leisten, in einer Welt, deren Schönheitsideal sie nicht immer entsprochen haben, deshalb liebe ich diesen Hashtag. Und #bodypositivity ist ein komplett ausgeschlachteter Hashtag, aber ein sehr wichtiger. Wenn es nur einem Mädchen dabei hilft, zu akzeptieren, dass Größe 40 voll ok ist, dann soll es eben so sein.
Siehst Du Dich als politische Bloggerin?
Überhaupt nicht. Das was ich mache, hat überhaupt nichts mit einem politischen Blogger-Dasein zu tun. Ich bin einfach eine schwarze Frau in einem Land, das von einer rechten Partei regiert wird. Wenn ich nicht den Mund aufmache, wer sonst?
Wie erlebst Du als schwarze Frau in Österreich den täglichen Rassismus?
Unterschiedlich, aber es ist immer beschissen. Diskriminiert zu werden bleibt absurd und wird mich immer wütend machen. Wobei ich einen Unterschied mache zwischen Ignoranz, wie etwa Menschen, die mir in die Haare greifen oder mich fragen, ob ich afrikanisch spreche, und Rassismus – Menschen, die mich beschimpfen oder mich nicht bedienen wollen. Mein Freund ist groß, blond und hat blaue Augen, es wird nicht immer gerne gesehen, dass er eine schwarze Freundin hat. Es passiert auch häufig, dass die Leute mir auf meine Fragen nicht antworten, sondern stattdessen meinem Freund. Ob sie nicht mit mir reden, weil ich eine Frau bin, oder weil ich schwarz bin, sei dahingestellt. Fakt ist, dass sie nicht mit mir reden. Das ist Diskriminierung.
„Wenn du als erwachsener Mensch glaubst, du kannst einem anderen Menschen in die Haare greifen, dann hast du einfach was verpennt!“
Für schwarze Frauen sind ihre Haare ein hochpolitisches Thema. Der Popstar Solange Knowles singt „Don’t Touch My Hair“.
„Don’t Touch My Hair“ von Solange ist für jede schwarze Frau eine Hymne. Für schwarze Frauen sind Haare ein ganz heikles Thema. Erst letzte Woche hat mir beim Event einer großen Firma die Österreich-Chefin in die Haare gegriffen. Das passiert mir regelmäßig, und da bin ich inzwischen relativ radikal. Ich sage den Leuten ins Gesicht: „Wenn du als erwachsener Mensch glaubst, du kannst einem anderen Menschen in die Haare greifen, dann hast du einfach was verpennt!“ Denn Distanz zu halten ist eine Frage des Respekts.
Du lebst seit Deiner Geburt in Österreich. Spürst Du den aktuellen Rechtsruck?
Ich habe das Gefühl, die Menschen trauen sich seit dem Regierungswechsel, ihren Rassismus auf der Straße viel offener zur Schau zu stellen. Früher hätte sich niemand getraut, auf der Straße ungeniert irgendeinen rassistischen Scheiß zu sagen oder solche Kommentare in den Nachrichtenforen zu posten. Was man auf der Facebook-Seite der FPÖ lesen kann, ist unpackbar. Es kommt einem das Speiben! Die Stimmung hat sich in diesem Land ganz offensichtlich verändert!
Wovor ekelst Du Dich?
Vor Ignoranz, vor Diskriminierung in jeder Hinsicht, vor Menschen, die keine Kinder mögen, vor Schmetterlingen und vor Schokolade.
Ich danke Dir für dieses Gespräch!