Nachhaltig mit Schweineblut
Mit ihren blutigen Designs fasziniert die junge Modedesignerin Natalie Zipfl nicht nur die Wiener, sondern auch die Londoner Modewelt. Sie bezeichnet sich selbst als vegane Nachhaltigkeitskämpferin. Wir haben mit ihr über Kindheitstraumata, ihre Faszination für Haut und spitze Hüte gesprochen.
„Wenn man blutet, hat man hart gearbeitet.“
Anja Kundrat: Für Deine letzte Kollektion DO YOU LOVE ME NOW? trugen die Models Clowns-Make-up und spitze Hüte. Hat Dein Nachname Zipfl etwas damit zu tun?
Natalie Zipfl: Mit meinem Namen hat das zwar nichts zu tun, aber mit mir und meiner Kindheit. Einerseits kommt die Inspiration für die Kollektion von Familienfotos – ich habe Fotos gefunden, für die meine Brüder von meinem Vater spitze Clownshüte aufgesetzt bekommen haben. Andererseits haben mich die sogenannten Dunce Hats motiviert: Mit einem großen „D“ gekennzeichnet bekamen Kinder in Europa und den United States diese früher aufgesetzt und mussten sich als Disziplinarmaßnahme still in die Ecke setzen.
Du verarbeitest in dieser Kollektion ein Kindheitstrauma, um welches geht es da genau?
Unsere Familie besitzt ein einsam gelegenes Haus nahe des Wienerwaldes. Als ich acht Jahre alt war, hat mich meine Mutter im Winter auf die Terrasse ausgesperrt. In diesem Moment wusste ich nicht, wann ich wieder rein kann. Deshalb geht es in der Kollektion um diesen Moment des „Standing still“, den ich damals so intensiv gefühlt habe.
Was fasziniert Dich so an Blut?
Als ich 21 Jahre alt war, hat sich mein Vater mit der Kettensäge in die Hand geschnitten und ist danach noch selbst ins Krankenhaus gefahren. Bei uns zu Hause hieß es immer: „Wenn man blutet, hat man hart gearbeitet.“ Ich habe damals seine Hautfetzen aufgesammelt und hatte ich einen Throwback zu genau dem Moment, als ich ausgesperrt wurde, da ich wieder mit einer stark prägenden familiären Situation konfrontiert war. Solche Momente habe ich gesammelt und aus jedem Gefühl heraus einen Look entwickelt.
Das heißt, jedes Outfit trägt einen eigenen Namen?
Ja, genau. Zum Beispiel heißt ein Outfit NO BIRTHDAY FOR YOU. Die Namen der Looks sind dabei nicht direkten Aussagen nachempfunden, sondern subjektiven Gefühlen während meiner Kindheit. Ein Look heißt I AM THE HAUNTED RABBIT, den verbinde ich sehr stark mit dem Kaninchen, das ich als Kind hatte. Es spielt in meiner Erinnerung an das Ausgesperrtwerden auf die Terrasse eine wichtige Rolle: Durch die Scheibe hatte ich von draußen einen direkten Blick auf den Hasenkäfig in unserem Wohnzimmer. Daran erinnere ich mich noch genau. Solche Objekte haben eine große Rolle gespielt, auch bei der Namensgebung.
Riecht Deine Kleidung nach Blut?
Nach vielen Experimenten in der Herstellung ist sie geruchlos. Die Gelatine hat einen intensiveren Eigengeruch als das Blut. Bisher merke ich auch nichts vom Verwesungsprozess, die Kleidung ist seit einem Jahr unverändert. Die Gelatine konserviert das Blut anscheinend sehr gut.
Warum genau Schweineblut?
Ich hätte auch mein eigenes Blut verwenden können. Da ich aber regelmäßig Blut spende, war es mir ein Anliegen, lieber Abfallprodukte zu verwenden anstatt meines Blutes, das anderweitig sinnvoller verwendet werden kann.
Sind der Wiener Aktionismus und das Theater der Grausamkeit Inspiration?
Nicht direkt. Wenn man aus Wien kommt, wächst man zwar damit auf, aber es ist nichts Neues. Die Wienerinnen sind fast schon spezialisiert auf blutige Arbeiten. In London wird die Idee, Blut in die Designs einzubauen, etwas neugieriger betrachtet, weil es eine andere Kultur mit sich bringt. Hier sind der Bezug zum Ursprung und zur Natürlichkeit nicht so stark, daher wird auch diese Thematik radikaler wahrgenommen. Gottfried Helnwein war eine große Inspiration. Der deutschsprachige Künstler beschäftigt sich ebenfalls mit Gewalt, Schmerz und Leid in seinen hyperrealistischen Gemälden.
Gibt es Reaktionen von Tierschützerinnen?
Nur ein, zwei kritische Nachrichten auf Instagram. Ich lebe seit vier Jahren vegan und kommuniziere das auch nach außen. Dadurch werden die Motivation und der kritische Anspruch meiner Arbeit deutlich, man versteht, worum es geht. Diese Kollektion ist eine Art Aktionismus, ich zeige den Leuten, was sie an Tierbezogenem nicht sehen wollen.
„Die Wienerinnen sind fast schon spezialisiert auf blutige Arbeiten.“
Welche Einschnitte hat Corona für Dich verursacht?
Im Hinblick auf meine neue Kollektion hat es mich schon getroffen: Heimische Fashion Weeks konnten nicht wie gewohnt stattfinden. Ich hätte meine Kollektion von der London Fashion Week auch hier zeigen sollen – das ging leider nicht. Allerdings habe ich auch gewissermaßen von der Situation profitiert, habe relativ schnell reagiert und begonnen, nachhaltige Mundschutzmasken aus 100-prozentiger Baumwolle herzustellen, die man mittlerweile in BIPA-Stores kaufen kann. Eine davon ist auch im MAK ausgestellt. Für das restliche Jahr habe ich nun vor, mich wieder auf Fashion-Filme für Magazine zu konzentrieren. Das gestaltet sich bisher etwas langwierig, da COVID-bedingt Genehmigungen schwieriger einzuholen sind.
Kann man Deine Kleidung auch in Geschäften kaufen?
Nach der Beendigung meines Studiums kann ich jetzt endlich selbstständig Entscheidungen treffen. Für meine neue Kollektion kommt die Hälfte der Stücke als Show Pieces, das heißt exklusiv für Fashion Shows, und die andere Hälfte als „Ready-to-Wear“ für die Konsumentinnen heraus – ein 100-Prozent-Baumwoll-Jersey aus recycelten T-Shirts zum Beispiel.
Was sind die Merkmale dieser Kollektion?
Ich habe mich intensiv mit Haut beschäftigt, mag glänzende PVC und Transparentes sehr gern und versuche, diesen künstlichen Look aus natürlichen Materialien herzustellen. Schlangenleder zum Beispiel – es hat eine faszinierende Oberfläche. Ich versuche, diese zu untersuchen und mich mit deren Konsistenz auseinanderzusetzen, um dann ein ähnliches Material herzustellen.
„Rund achtzig Prozent unserer Textilien landen momentan auf der Mülldeponie.“
Was trägt eine Modedesignerin, wenn sie abends auf dem Sofa sitzt?
Für mich ist es ein No-Go in der Kleidung, mit der ich in der U-Bahn war, zu Hause irgendwo zu sitzen. Wenn man sich einmal die Sitze in der Londoner U-Bahn genau angesehen hat, zieht man die Sachen danach ganz schnell aus. Eine Jogginghose besitze ich nicht, mache es mir aber meistens in einem Jumper gemütlich.
Was muss Kleidung heute können?
Nachhaltigkeit wird immer mehr zum Thema. Rund achtzig Prozent unserer Textilien landen momentan auf der Mülldeponie. Die ganzen synthetischen Fasern können beim Waschen nicht vernünftig gefiltert werden, und so entsteht ein endloser Kreis, um den wir uns kümmern müssen. Es ist wahnsinnig wichtig, dass wir von der Verschwendung wegkommen und uns mehr auf die Weiterentwicklung konzentrieren. Dinge, die in kürzester Zeit wieder von der Welt verschwinden können, sind die Zukunft.
Danke für das Gespräch!