Die CIN CINs

Konzepte und Rezepte

Jasmin Roth und Stephan Göschl sind Gestalterinnen mit Haut und Haaren. 2015 gründeten sie CIN CIN, ein multidisziplinäres Designbüro in Wien, das sich auf Motion-, Print- und Webdesign spezialisiert hat. Wir diskutierten mit ihnen darüber, ob man Österreich die Sahelzone des guten Geschmacks nennen darf und was Torten-Toppings mit Typo zu tun haben.

Text: Antje Mayer-Salvi, Fotos: David Meran

Jasmin Roth und Stephan Göschl

„Kochen und Design haben so viele Analogien.“

Wenn Ihr an Designen denkt, was macht Euch glücklich?

Jasmin Roth: Richtig gutes Essen designen – das macht mich glücklich! Kochen hat für mich sehr viel mit Design zu tun. Wenn sich die Aromen entfalten, in ihrer Kombination ein spannendes Ganzes ergeben, sich kontrastieren oder gegenseitig verstärken, so wie auch die Präsentation von Speisen in ihren Strukturen und Farben unendlich viele Varianten bereithält.

Kann man Kochen wirklich auf Euren Beruf übertragen?

Jasmin: Kochen und Design haben so viele Analogien. Ob es jetzt mein gestalterisches Vokabular ist oder die Zutaten, die ich kombiniere: Der Vorgang ist der gleiche. Kochen beginnt bei der Qualität des Einkaufs der Lebensmittel bis hin zum Anrichten auf dem Tisch. Das ist beim Designen ähnlich – von Auswahl der Schrift über die des Papiers bis zur Drucktechnik oder Programmierung.

Was ist Euer Rezept?

Jasmin: Es ist immer ein schöner Moment, wenn bei einem Designauftrag nach einer Zeit das Konzept  – oder sagen wir Rezept (lacht) – für die Kundin steht. Wenn eine Idee in der Luft liegt, wir alles drehen, wenden und kurz vor der Lösung stehen, sich der Knoten löst und alle Puzzleteile zu einem Ganzen finden. Wunderbar.

Stephan Göschl: Dadurch dass wir sehr stark konzeptuell denken und arbeiten, ist dieser Moment, den Jasmin beschreibt, ein Startpunkt, dann fügt sich eines ins andere, fast wie von allein. Wenn für uns das Konzept stimmt, dann haben wir auch nie ein Problem damit, das der Kundin zu verkaufen. Es hat Hand und Fuß, passt einfach – es „schmeckt“.

„Ich drücke mich über Designen aus, dauernd, jede Minute, fast ununterbrochen.“

Wo entdeckt Ihr im Alltag Design, das Euch inspiriert?

Stephan: Da kommt mir zeitgenössische Mode in den Sinn, weil sie immer ein sehr direkter Ausdruck unserer Gegenwart ist, aber vor allem denke ich an neue Stadtgebiete und Architektur. Ganz spontan fallen mir – klingt vielleicht kitschig – ungewöhnliche Kirchen und riesige Kathedralen auf Reisen ein. Diese räumlichen Dimensionen und Maßstäbe finde ich unglaublich faszinierend. Solche Atmosphären zu schaffen ist schon eine große Kunst, die mich auch für meine tägliche Arbeit inspiriert. Zeitgenössisches Produktdesign, und ich weiß gar nicht so recht warum, reißt mich aktuell eher selten vom Hocker. Aber das ist sicher nur eine Phase, die auch einmal enden wird.

Was treibt Dich beim Designen, Jasmin?

Jasmin: Ich drücke mich über Designen aus, so wie es Malerinnen und Bildhauerinnen in ihrer Sprache tun, dauernd, jede Minute, fast ununterbrochen, irgendwie in allem, was ich angreife. Meinen Ideen und Gedanken in einem Design oder in einer Gestaltung eine Form zu geben treibt mich im Leben. Privat zeigt sich das dann beispielsweise dadurch, dass ich wahnsinnig gerne Torten für andere Menschen backe. Dieser Prozess des Backens, wenn ich Texturen, Layers und Toppings anordne, ist ein kreativer Vorgang. Ich will aber meinen Gedanken nicht nur eine Form geben, ich will sie auch unbedingt immer für andere – in unserem Fall natürlich der Kundin – zugänglich machen.

Gab es einen initialen Moment in Eurem Leben, an dem Ihr Eure Kreativität entdeckt habt?

Stephan: Ich habe schon als Kind immerzu gezeichnet und stundenlang mit LEGO gebaut, vor allem Städte. Rückblickend waren es aber eher Mikroviertel. Mit meinen Bauwerken habe ich aber nie gespielt, sondern sie hingestellt und daraufhin lustvoll zerstört.

Jasmin: Ich war noch im Kindergarten, als ich darauf kam, dass man mit schwarzem Buntstift auf schwarzem Papier malen kann und das dann trotzdem sieht. Da habe ich etwas über Materialität und Textur verstanden, da ist für mich so eine Art Groschen gefallen. Daran kann ich mich heute noch erinnern!

Österreich gilt ja zuweilen als „Sahelzone des guten Geschmacks“. Das reicht von den Werbungen in den Medien über Plakate bis hin zu Zeitschriften, das „C/O Vienna Magazine“ natürlich ausgenommen. Wie kommt es, dass – etwa im Gegensatz zu der Schweiz – zuweilen so wenig Sinn für gute Grafik an den Tag gelegt wird?

Stephan: Diese Sichtweise teilen wir mit Dir, es kommt allerdings darauf an, wohin man in Österreich schaut. Im Westen herrscht eine ganz andere Designkultur vor als hier im Osten. Die Vorarlberger leben Design, im wahrsten Sinne des Wortes, wenn man sich anschaut, in welchen Häusern sie wohnen und mit welchen Designobjekten sie sich umgeben. Dort ist es selbstverständlich, hochwertig zu bauen und auch entsprechend viel Geld dafür in die Hand zu nehmen.

„Gutes Grafikdesign kostet nicht mehr als schlechtes Grafikdesign.“

Was denkt Ihr, woher kommt das Ost-West-Gefälle des guten Geschmacks?

Jasmin: In Vorarlberg hat gutes Design mittlerweile Tradition, und die Leute haben dadurch eine Sensibilität entwickelt, sind sozusagen geschult. Der Blick über den provinziellen Tellerrand ist dort schon geografisch gegeben, die Schweiz, immer noch Mekka des zeitgenössischen Grafikdesigns, liegt ums Eck.

Braucht gutes Design auch Kundinnen mit gut gefüllter Geldtasche?

Stephan: Bei der Architektur und beim Produktdesign mag das der Fall sein, aber gutes Grafikdesign kostet nicht zwangsläufig mehr als schlechtes Grafikdesign. Wenn ich mir ansehe, welche unkreativen Nullachtfünfzehn-Plakate manche Wiener Museen, die immerhin täglich mit Kunst zu tun haben, affichieren oder was eine Großzahl der Modeketten in Wien in den Auslagen hängen hat – das ist zum Verzweifeln.

„Diese Gratiszeitungen sind eine Volksverblödung.“

Ich bekomme die Krise, wenn ich so manches Design österreichischer Magazine, Beilagen und Zeitungen betrachte!

Jasmin: Gratiszeitungen sind eine Volksverblödung. Wenn die Menschen mit solchen reißerischen Meldungen, die überhaupt keinen Inhalt haben, in einem trashigen Design sondergleichen, täglich zugeschüttet werden – wie soll da jemals ein Diskurs über Design entstehen? 

Stephan: Eine Gratiszeitung muss übrigens auch nicht zwingend so grottig und schlecht gestaltet sein. Es fehlt hierzulande oft die Wertschätzung für Inhalt und dessen Gestaltung. Hier herrscht ja auch eine nicht totzukriegende Gratiskultur vor, viele Magazine werden auf Veranstaltungen und Messen verschenkt, um den Anzeigenkundinnen eine hohe Auflage zu suggerieren.

Ist das vorauseilender Gehorsam, die Vorstellung, die Konsumentinnen wollen das so?

Jasmin: Ein gewisses Vor-den-Kopf-Stoßen ist uns jedenfalls wichtig! Unser Ziel als CIN CIN ist es, eher zu fordern als zu unterhalten. Natürlich kann man einer Zielgruppe nicht etwas hinstellen, was die nicht verstehen kann. Aber wir sind keine Schön-mach-Designerinnen, wir sind Konzeptionistinnen und wollen auch inhaltlich etwas beitragen. 

Stephan: Wir hören das öfter von unseren Kundinnen: Es soll cool ausschauen, aber es darf nicht zu intellektuell daherkommen, weil das schrecke die Leute ab. Aber wieso sollte schlechtes Design Leute mehr abholen als gutes?

„Wir wollen eher fordern als unterhalten.“

Sozusagen aus der Lust und Not heraus habt Ihr 2017 Euer eigenes Druckwerk herausgebracht, das wunderbare „HIEB – The Metropolitan Zeitgeist Magazine“. Wann dürfen wir die nächste Ausgabe lesen?

Stephan: Danke für das Kompliment, aus Deinem Munde natürlich umso schöner. So ein Magazin zu produzieren ist unglaublich viel Arbeit, es zu vermarkten vielleicht sogar noch mehr. Glaubt uns, wir wissen, was Ihr bei „C/O Vienna“ leistet. Nach zwei Ausgaben, die erste 2017 und die zweite 2018/2019, haben wir das Projekt erst einmal auf Eis gelegt. Bei der ersten Ausgabe haben wir versucht, eine Geschichte aus wirklich jedem der 23 Wiener Bezirke im Heft zu haben. Es ging darum, Wien für die abzubilden, die es zwar kennen, aber noch Neues entdecken wollen. 

Jasmin: Finanziert haben wir das damals durch eine Crowdfunding-Aktion. Unser Ziel ist, das Ding jedes Mal ein bisschen neu zu erfinden, aber Grundparameter, wie das Format und die 100 Seiten, die bleiben natürlich. Mal sehen, wann wir wieder Lust, Zeit und Energie dafür haben.

Eines Euer Spezialgebiete ist die Kombination aus Bewegtbild und Grafik. Für das MAK in Wien produziert Ihr beispielsweise regelmäßig kurze Teaser zu den Ausstellungen. Sind bewegte Bilder und Grafik aus Eurem beruflichen Alltag überhaupt noch wegzudenken?

Jasmin: Die Nachfrage nach Videos, Kurzanimationen, Teasern, Trailern, Dokumentationen – wir drehen auch Filme und animieren nicht nur Grafiken – steigt tatsächlich sehr, nicht zuletzt weil Bewegtbild auch auf Social Media besser gerankt wird. Wir positionieren uns in diesem Bereich als Büro ganz bewusst. Für uns ist dieser multimediale Ansatz aber nichts Neues. Auf der Angewandten, die wir beide besucht haben, war das während der Ausbildung immer im Fokus, zumal unser Freund und Professor, Oliver Kartak, selbst Autor und Regisseur zweier Fernsehserien war, unter anderem auch von der Kulturserie „Sunshine Airlines“ auf ORF 1 und 3Sat.

Es gibt unter den Kundinnen im Bereich Bewegtbild wohl auch weniger selbsternannte Spezialistinnen, nehme ich an.

Stephan: Das ist tatsächlich ein Vorteil, man lässt uns machen. Institutionen und Unternehmen sind da irgendwie lässiger unterwegs und Neuem gegenüber offener und wir dadurch natürlich freier. Die grafischen Guidelines kann man da auch mal ignorieren, das Logo zerlegen, anders einfärben, mit Musik kombinieren oder einer eher biederen Grafik oder veralteten Typo relativ unkompliziert ein Update geben. Bewegtbild spricht irgendwie alle emotional an, und fast immer erleben wir, wenn wir unsere Entwürfe präsentieren, diesen Wow-Effekt.

Stellt Euch vor, Ihr würdet einen Zauberstab in Euren Händen halten und eine Wunschkundin herbeizaubern können: Wer wäre das?

Jasmin: Logisch, die Aïda ...

Stephan: ... und natürlich Gucci.

Ich verstehe und danke Euch für das Gespräch.


CIN CIN wurde 2015 von Jasmin Roth und Stephan Göschl in Wien gegründet. Das multidisziplinäre Büro hat sich auf Motion-, Print- und Webdesign spezialisiert. Wichtig ist den beiden eine „ganzheitliche Denk- und Arbeitsweise“, die gewöhnlich mit einer akribischen Recherchephase beginnt, dann in eine intensive Konzeptphase übergeht und alle möglichen medialen Umsetzungen berücksichtigt. Jasmin war schon ausgebildete Kommunikationsdesignerin und Stephan Architekturstudent, als sie sich an der Universität für angewandte Kunst in Wien in der Grafik-Design-Klasse von Oliver Kartak trafen. CIN CIN unter anderem Projekte für das MAK, das ImPulsTanz Festival, den Business Riot Summit, AllesWirdGut Architektur oder das Netzhaut Ton Bild Festival in Wiener Neustadt realisiert. 

Kabel und Blut

Text: Elisa Promitzer

Digitaler Avatar für Designer Jack Irving

Digitale Daten fließen durch Kabel wie Blut durch Adern. Posthumane Kreaturen erobern das Metaverse und verschmelzen mit unserer physischen Welt. Extended-Reality-Artist Christie Lau (they/them) designt diese und nimmt uns in die virtuelle Kunstwelt mit. Go digital with us!

Die Galli

Text: Stefanie Schermann

Phillippa Galli ist Schauspielerin, Sprecherin und vielen vor allem als PIPPA bekannt. Unter diesem Namen produziert die 35-jährige Wienerin frischen Indie-Pop, der zwischen Neuer Deutscher Welle und Chanson oszilliert. Ihre aktuelle Single Egal (feat. Nora Mazu) hielt sich sechs Wochen in den FM4-Charts und avancierte zum Lockdown-Ohrwurm. Wir sprachen mit ihr darüber, ob wirklich alles egal ist.

Pippa Galli, fotografiert von Hilde van Mas

Die VR-Architektinnen

Text: Bernardo Vortisch

In ein paar Jahren wird es keine Smartphones und Laptops mehr geben. Stattdessen wird sich unser digitales Leben im immersiven Internet, momentan auch als Metaverse bekannt, abspielen. Davon gehen zumindest Lara Lesmes und Fredrik Hellberg aus, die gemeinsam das spanisch-schwedische Architektinnenduo Space Popular bilden.