Die Cyborgs

Biohacker unter uns

Ist es möglich, über die Fähigkeiten unseres eigenen Körpers hinauszugehen? Mit implantierten Geräten – kein Problem! Grinder, eine Subgruppe der Biohacker, implantieren sich selbstgebaute Geräte, um ihre Körper zu optimieren. Ryan O’Shea entwickelt Technologie zur Erweiterung von Körpern. In diesem Interview spricht er über die Motivationen, Ziele und Gedanken einer außergewöhnlichen Szene.

„Was sind wir?“

Christiane Beutl: Du beschäftigst Dich seit Jahren mit Biohackern und Grindern, die Technologie in ihre Körper implantieren, um die Natur und den Menschen zu optimieren. Was bedeutet es für Dich „nur“ ein Mensch zu sein?

Ryan O'Shea: Viele werfen mit dem Begriff „Mensch“ um sich, ohne ihn klar und eindeutig definiert zu haben. Jeder verwendet diesen Begriff anders. Ich persönlich bin der Meinung, dass was uns Menschen menschlich macht, unsere Empathie für andere, unser Verlangen zu forschen ist, an Dingen zu wachsen, mehr über die Welt zu lernen und uns selbst verstehen zu wollen.

Die Augmentation des Menschen wirft eine Menge ethischer Diskussionen auf. Agieren Biohacker nicht gegen die Regeln der Mutter Natur?

Viele Leute sagen mir, dass das, was Biohacker und Grinder machen, unnatürlich sei und sie Gott spielen wollten. Viele tragen jedoch Kontaktlinsen, färben sich die Haare, lassen sich von unserem modernen Gesundheitssystem behandeln und operieren, wenn etwas in ihrem Inneren nicht stimmt. Biohacking ist ja auch nichts anderes. Ich weiß nicht, wo man da objektiv eine Grenze ziehen kann. Jeder sollte selbst entscheiden können, ob er Medizin nutzen oder seinen Körper mit Technologie ausstatten möchte.

Was ist die Motivation der Menschen, die sich an Biohacker-Profis wie Sie wenden? Warum wollen sie ihre Körper modifizieren und verbessern?

Leute, die sich proaktiv an uns wenden, haben oft entweder selbst eine Krankheit oder ein von ihnen geliebter Mensch hat ein gesundheitliches Problem. Meistens wollen sie Biohacking zur Behandlung nutzen. Ich bekomme dabei immer ein schlechtes Gefühl. Es gibt bereits die medizinische Industrie, die darauf ausgelegt ist, diese Probleme zu behandeln. Biohacking könnte schon in gewissem Sinne helfen, aber wir sind nicht darauf fokussiert, solche Probleme zu lösen.

„Biohacking könnte Probleme lösen“

Was wollen Grinder mit ihren Forschungen bezwecken?

Wir wollen zeigen, was in Zukunft möglich ist. Wir kommen jetzt an einen Punkt, an dem Menschen immer mehr erkennen, dass sie nicht in dem Körper feststecken, mit dem sie geboren wurden. Die DNA und Dinge, die ihnen im Laufe ihres Lebens ohne ihr eigenes Verschulden passiert sind, definieren nicht, wer sie sind, wie sie leben und sterben müssen. Wir haben die Technologie und das wissenschaftliche Wissen, unsere Körper zu verändern. Menschen in der Transgender-Gemeinschaft machen davon bereits Gebrauch. Diese Erkenntnis ist etwas sehr Mächtiges.

Tragen Sie selbst irgendwelche implantierten Geräte?

Ich selbst trage keine Implantate. In der Grinder-Community geht es vielen nicht per se um Erweiterung der körperlichen Möglichkeiten, sondern ihnen ist die Ästhetik wichtig. Sie haben nicht nur Tattoos und Piercings, sondern gestalten ihr Äußeres zusätzlich mit Implantaten. Ich bin eher an funktionalen Implantaten interessiert. Meiner Meinung nach weisen die meisten momentan existierenden Implantate keine Vorteile gegenüber am Körper tragbaren Geräten, wie etwa das Mobiltelefon, auf. Sobald sich dies ändert und es ein Implantat gibt, das mich interessiert, werde ich es auf jeden Fall implantieren lassen.

Wurden Sie bisher mit vielen Vorurteilen und Verurteilungen konfrontiert?

Da ich selbst keine Implantate trage, bin ich bisher verschont geblieben. Aber Leute mit größeren Implantaten müssen viel einstecken. Als die Medien das erste Mal darüber berichteten, waren alle angesichts der krassen Körpermodifizierungen schockiert. Es gab ziemlich schreckliche Kommentare. In den vergangenen Jahren ist es besser geworden. Es gibt mehr Verständnis. 

Gibt es Veranstaltungen, wo Sie alle zusammenkommen, sich austauschen und vernetzen?

Es gibt in Kalifornien ein jährliches Event namens Grindfest. Für ein Wochenende treffen sich um die dreißig Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei jemandem aus der Grinder-Gemeinschaft zu Hause. Dort wird einiges für die Zukunft geplant. In einem speziell ausgestatteten Raum werden auch Implantate oder Implantatentfernungen vorgenommen. Wir besitzen alle dafür notwendigen Werkzeuge. Gemeinsam haben wir dort eine Menge Spaß.

„Wir wollen zeigen, was in Zukunft möglich ist.“

Dürfen alle kommen, die wollen?

Nein, das Fest ist eine Invite-only-Veranstaltung. Man muss die Leute kennen, um hinkommen zu dürfen. Jedes zweite Jahr erlauben wir jedoch den Medien, Journalisten, Fotografen oder Dokumentarfilmern, dabei zu sein.

Verändert das die Stimmung?

Das verändert die Stimmung immer ein bisschen. Oft kommen Personen nur, um die Veranstaltung zu dokumentieren, aber am Ende gehen sie mit einem Implantat nach Hause, weil sie es so interessant finden. Würden wir dieses Interview nicht online führen, wären Sie vielleicht am Ende auch um ein Implantat reicher. (lacht)

Das klingt spannend! Wer würde mir denn etwas implantierten, wenn ich das wollte?

Wir arbeiten bei der Implantation mit Körpermodifikationskünstlern zusammen. Sie sind darin geübt, subdermale Implantate, wie zum Beispiel Silikonformen, die auf der Brust, an den Armen oder am Kopf angebracht werden, unter die Haut zu bringen.

„Viele tragen Kontaktlinsen, Biohacking ist auch nichts anderes.“

Was ist mit fortschrittlicheren Implantaten? Besteht die Möglichkeit, dass das Implantieren neuerer Geräte die Fähigkeiten eines Body-Modification-Künstlers übersteigen könnte?

Das ist tatsächlich ein Hindernis, auf das wir in naher Zukunft stoßen werden. Die momentan entworfenen Geräte sollen sich mit dem Nervensystem von menschlichen Organen und schließlich dem menschlichen Gehirn verbinden. An diesem Punkt haben Modifikationskünstler also nicht mehr die Fähigkeiten, die Ausbildung oder die Ressourcen, die nötig sind, um diese zu implantieren. Um uns weiter zu entwickeln, werden wir mit der medizinischen Industrie oder mit jemandem, der traditionell als Mediziner ausgebildet ist, zusammenarbeiten müssen. Oder eine ganz neue, darauf spezialisierte Industrie taucht auf! 

Sind bereits Unfälle passiert?

Sicherheit hat oberste Priorität. Wir führen eine Menge Tests und Sicherheitsüberprüfungen durch, bevor die Geräte eingesetzt werden. Diese werden mit Materialien, die medizinische Qualität haben oder für den Einsatz im menschlichen Körper zugelassen sind, durchgeführt. Abgesehen davon sind sie natürlich trotzdem gefährlich. Dinge können schiefgehen. Ich habe bisher nicht mitbekommen, dass etwas Extremes passiert ist. Soweit ich weiß, hat noch niemand ein Glied verloren oder ist deswegen gestorben.

Wie wirken sich Implantate auf das Leben aus?

RFID Chips oder die NFC-Tags sind in der Lage, Schlüssel für die Haustür oder das Auto zu ersetzen. Sogar die Zündung des Autos kann man durch ein Chip-Implantat ersetzen. Alles was man tun muss, ist, die Hand zu scannen. Das Gleiche gilt für die Verwendung von Passwörtern, um sich an Computern oder am Handy anzumelden. Dies sind alltägliche Anwendungen.

Gibt es auch Geräte mit speziellen Funktionen?

Es gibt Finger-Magnet-Implantate, die es einem ermöglichen, elektromagnetische Felder zu spüren. So spürt man etwa eine Mikrowelle arbeiten, stromführende Leitungen oder eine laufende Festplatte. Dies verändert die sensorische Wahrnehmung der Welt von Grund auf.

„Wenn ich mein Gehirn hochladen würde, gäbe es zeitgleich eine biologische und eine digitale Version von mir.“

Verursachen die Implantate Probleme im Alltag?

Ja, schon hie und da! Ich kann Ihnen ein kleines Beispiel geben. Viele Laptops sind in der Lage zu erkennen, wenn der Bildschirm geschlossen ist, weil sich Magnete im Gehäuse des Laptops befinden. Ich habe oft gesehen, dass Leute mit einem Magnetimplantat ihren Computerbildschirm versehentlich ausschalten, während sie ihn benutzen. Der Sensor im Computer reagiert auf das Magnetimplantat und denkt, der Bildschirm sei geschlossen.

Gibt es auch schwerwiegendere Probleme?

Es gibt die große Sorge um Magnetresonanztomografie, die man ja macht, wenn man sich etwa einen Bänderriss zugezogen hat. Es gibt Berichte, die von Schmerz erzählen oder Beschädigungen des Implantats. Bei einem MRT für medizinische Zwecke ist es möglicherweise anzuraten, die Implantate vorher herauszunehmen. Solche Schwierigkeiten sollte man in Betracht ziehen, bevor man sich ein Implantat einsetzen lässt.

Glauben Sie, dass die technologischen Veränderungen des Menschen die Definition des Menschseins verändern werden?

Nehmen wir ein hypothetisches Gedankenexperiment her. Sagen wir, Sie geben Ihr Bewusstsein und Ihr Gehirn in einen Hund. Sind Sie zu diesem Zeitpunkt ein Hund oder sind Sie ein Mensch, der sich in der Form eines Hundes befindet? Ich habe keine Antwort auf diese Frage. Die noch wichtigere Frage ist, was uns lebendig macht.

Was meinen Sie damit?

Was macht uns zu uns selbst? Wenn ich mein Gehirn hochladen würde, gäbe es zeitgleich eine biologische und eine digitale Version von mir. Welche davon bin ich? Bin ich beide? Wenn eine von ihnen stirbt, bin ich dann gestorben? Was ist, wenn ich mein Gehirn Stück für Stück durch Technologie ersetze? Im Laufe der Jahre wird kein biologisches Gehirn mehr übrig sein. Bin ich dann noch ich oder war ich in diesem Gehirn? Die Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, betreffen unsere eigene Identität, was wir sind und was es bedeutet, eine menschliche Zelle zu sein.

Danke für das Gespräch!

www.futuregrind.org
Der US-Amerikaner Ryan O’Shea ist Gründer und Betreiber des Future Grind Podcasts, der sich mit zukunftsorientierten Themen wie etwa Biohacking beschäftigt. Er hat bereits international Vorträge zum Thema Futurismus gehalten und ist ein Sprecher des Biotechnologie-Startups Grindhouse Wetware, welches sich auf die Entwicklung von Technologie zur Erweiterung von menschlichen Fähigkeiten fokussiert. Außerdem ist er in der Film- und Fernsehbranche tätig und Berater für Unternehmen im Tech-Sektor. Studiert hat er in der Universität von Pittsburgh.


www.wetwareprojects.com
Hannes Wiedemann (*1991) ist ein in Berlin lebender Fotograf und Künstler. Er machte 2017 seinen Abschluss an der Ostkreuzschule für Fotografie. Seine Arbeit kreist oft um das Thema der menschlichen Körperlichkeit im Anthropozän. Während das Projekt Grinders (2016) die DIY-Cyborg-Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten dokumentiert, ist sein Projekt Bits and Pieces (2017) eine Odyssee durch das zeitgenössische Seoul, das den Spitznamen „Welthauptstadt der plastischen Chirurgie“ trägt. Das Buch Grinders (erschienen im Selbstverlag, Berlin 2016) wurde mit dem dritten Preis des Kassel Dummy Award 2017 ausgezeichnet und zum Runner-up des BJP Breakthrough Award 2017 gewählt. Wiedemann hat an zahlreichen internationalen Ausstellungen teilgenommen.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der Meisterschule der Graphischen Wien. Dieser Artikel erscheint außerdem in der C/O Vienna Magazine Sonderausgabe THE CONSUMER ISSUEHier bestellen!

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