Die Designerinnen des Monats: NEU/ZEUG

Es werde Licht!

Die österreichischen Designerinnen Barbara Ambrosz und Karin Santorso sind in der Szene für ihr Label LUCY.D bereits bestens bekannt. Sie sorgen aber auch für – noch mehr – „Erleuchtung“ in Sachen Design. Vor drei Jahren gründeten die beiden mit Beate Seckauer, Inhaberin der oberösterreichischen Porzellanmanufaktur Neuzeughammer, das Label NEU/ZEUG, das außergewöhnliche handgefertigte Porzellanlampen vertreibt. Wir haben mit ihnen über Design-Utopien, hässliche Torten und die SCS Vösendorf gesprochen.

Text: Lara Ritter

„Porzellanlampen fanden wir spannend!“

Lara Ritter: Was kann eine Porzellanlampe, was ein Papierlampenschirm nicht kann?

Barbara Ambrosz: Den Unterschied erkennt man, wenn man genau hinschaut. Das ist wie bei Lebensmitteln: Es gibt Eier, die werden von glücklichen Hühnern auf einem Bauernhof gelegt, und dann gibt es die Legebatterie mit den unglücklichen Hühnern. Im Endeffekt legen beide ein Ei, aber im Aussehen, Geschmack und in der Wirkung unterscheiden sie sich sehr. Das ist bei einer Lampe auch so – das Detail macht den Unterschied. Das, was uns auszeichnet, ist die nachhaltige Produktion, alles wird in der Region gefertigt. Außerdem kann man unsere Lampen bis zu sechs Meter von der Stromquelle entfernt aufhängen.

Karin Santorso: Eine Porzellanlampe hat einen speziellen Charakter. Auf ihrer Oberfläche spiegelt sich das Licht, auf Papier nicht.

2003 habt Ihr das Designstudio LUCY.D gegründet. 2016 das Label NEU/ZEUG, unter dem Ihr Lampen designt und Produktion und Vertrieb selbst in die Hand nehmt. Wieso habt Ihr Euch dazu entschieden?

B.A.: Wir haben das Label gegründet, weil ich von Wien damals zurück nach Oberösterreich aufs Land gezogen bin. Eine weitere Geschirrserie zu designen hat uns nicht interessiert, da gibt es schon genügend Anbieterinnen. Porzellanlampen fanden wir einfach spannend! Beate Seckauer, die Inhaberin von Neuzeughammer Keramik im oberösterreichischen Ort Neuzeug, ist mittlerweile nicht nur die Produzentin unserer Lampen, sondern auch unsere Partnerin geworden, was wir wunderbar finden.

Marktanalyse am Bauernmarkt, im Lagerhaus und bei Faschingsfesten: Designt Ihr am Land anders?

K. S.: Wir produzieren regional, aber das Design ist urban. Die Lampen passen in eine Bauernstube genauso wie in modernes Ambiente. 

B. A.: Unsere Kollektionen orientieren sich nicht an einem sogenannten „ländlichen Stil“, sondern an Vorbildern wie dem italienischen Stardesigner Achille Castiglioni. Mittlerweile wird unser Label international wahrgenommen – unsere Lampen hängen in Japan, Italien, Frankreich, Deutschland und Tschechien. Unser Design hat zwar seinen Ursprung auf dem Land, was zählt, ist jedoch die Geisteshaltung dahinter. Die berühmte italienische Designfabrik Alessi hat ihren Sitz auch nicht in Mailand, sondern hinter dem Comer See. 

„Das Material Porzellan hat ein widerspenstiges Eigenleben.“

Bei NEU/ZEUG stellt Ihr auch Porzellanlampen mittels 3-D-Druck her. Was unterscheidet Eure handgefertigten von Euren gedruckten Lampen?

K.S.: Die gedruckten Lampen verfügen über Strukturen, die im klassischen Porzellanguss nicht hergestellt werden können. Das sind sogenannte „Stützstrukturen“, die vom Drucker mit einer Düse schichtweise aufgetragen werden. Unser Kooperationspartner Ernst Forster hat eigens für die Herstellung dieser Lampen einen 3-D-Drucker gebaut, konfiguriert und adaptiert. Bis das Verfahren fertig entwickelt war, hat es etwa ein Jahr gedauert.

Wie lange dauert die Herstellung einer solchen Lampe?

K.S.: Acht bis zehn Stunden, danach wird sie getrocknet und zweimal gebrannt. Manchmal entstehen bei diesem Prozess Risse, und wir können dann die fertige Lampe nicht verwenden. Zwar ist bereits eine gewisse Prozesssicherheit da, aber das Material Porzellan hat manchmal ein widerspenstiges Eigenleben. 

Wir wollen etwas Persönliches über Euch als Designerinnen erfahren. Seestadt Aspern, St. Pölten City, SCS Vösendorf: Wenn Ihr einen Ort Eurer Wahl komplett neu gestalten dürftet, welcher wäre das?

B. A.: Vösendorf!

K. S.: Ja passt, nehmen wir Vösendorf!

B. A.: Das hat Bedarf (lacht).

K. S.: Für die SCS Vösendorf gab es keinen Masterplan, sie hat sich einfach immer weiter vergrößert, und das sieht man auch. Mittlerweile hat sie eine Monsterstruktur. Würde ich sie neu gestalten, würde ich vielleicht einen Marktplatz entwerfen. Statt einer bloßen Aneinanderreihung von Geschäften sollte es dort ein größeres Miteinander geben!

„Jede hat ihre To-dos, jede muss funktionieren, und alles muss laufen.“

Was hat Tortendesign mit Interieurdesign gemeinsam?

B.A: Uns geht es beim Designen immer um Individualität und Modularität – viele unserer Möbel und Lampen bestehen aus Modulbauteilen, die sich unterschiedlich zusammensetzen lassen. Dadurch wollen wir individuelle Lösungen für verschiedene Räume und Situationen möglich machen. Auch die Torten, die wir für das Wiener Café Landtmann designt haben, funktionieren nach diesem Baukastensystem. 

Torten zum Zusammenbauen – das klingt ungewöhnlich!

B.A: Der Chef vom Café Landtmann ist zu uns gekommen und hat geklagt, „ihn zipfen seine Torten an“. Er geniere sich für das Design seiner Marzipantorten und wolle sie gar nicht mehr verschenken. Er hat uns um ein neues Tortendesign für Hochzeiten, Geburtstage, Muttertage und all diese Anlässe gebeten. Das war eines unserer skurrilsten Projekte. 

Wie habt Ihr die Marzipantorten wieder herzeigbar gemacht?

B.A: Es war klar, dass Landtmann über das Innenleben der Torten bestimmt. Unsere Aufgabe war es, unverwechselbare Fondants, sozusagen neue „Tortencover“, zu designen. Wir waren in den Betrieben und in der Manufaktur, um uns anzuschauen, mit welchen Materialien und Werkzeugen dort gearbeitet wird – der technologische Aspekt unserer Projekte interessiert uns immer sehr. Für unsere Tortenkollektion haben wir Werkzeuge zweckentfremdet und etwa Streifen mit einer Walze hergestellt, die normalerweise dazu verwendet wird, Apfeltaschen zu machen. Außerdem haben wir mit Airbrush Zuckerfarbe auf die Torten gesprayt und Dekorelemente aus hauchzartem Zuckerguss entwickelt. 

„Wir entwerfen so lange, bis wir uns einig sind.“

Ihr habt einen Löffel mit dem Namen „Téo“ designt, der unter anderem in New York einen Award für Produktdesign gewonnen hat. Mit ihm kann der Teebeutel „elegant“ aus der Tasse gehoben und ausgedrückt werden. Hand aufs Herz: Verwendet Ihr ihn selbst, wenn Ihr Tee zubereitet?

B.A: Na sicher! Die Idee hinter diesem Teelöffel ist es, Leerräume zu kreieren, und genau das ist auch der Anspruch unseres Designstudios LUCY.D. Jede hat ihre To-dos, jede muss funktionieren, und alles muss laufen. Mit Designobjekten, Möbeln und Räumen kann man es aber zumindest kurz schaffen, aus dieser Situation auszutreten. 

Bei der Teezeremonie, die ein sehr wichtiges Ritual in der japanischen Kultur ist, geht es darum, sich Zeit für das Gegenüber zu nehmen und diese Zeit zu zelebrieren. Wir dachten uns, dass es schön wäre, diese Kulturhandlung in einem kleinen Objekt für die westliche Kultur zu adaptieren. Daraus ist „Téo“ entstanden. Wenn man Tee mit diesem Löffel serviert, wird daraus ein Ritual, mit dem man kurz aus dem Alltag aussteigen kann. 

Wie ermöglicht Ihr mit Euren anderen Designs Rückzug aus dem Alltag?

B.A: Wenn wir etwa einen Sessel entwerfen, achten wir darauf, wie sich die Person fühlt, die darin sitzt, und welche Möglichkeiten des Sitzens sie hat. Für die österreichische Möbelfirma Wiesner-Hager haben wir einmal einen Konferenzstuhl designt. Je freier man sich bewegen kann, desto besser die Kommunikation. Daher wollten wir, dass der Sessel genug Platz bietet, um die Schultern zu drehen und die Arme abzulegen. Es war uns auch wichtig, dass man sich seitlich hinsetzen und sogar die Beine über die Lehne hängen lassen kann. All diese Details können wir durch ein Objekt ermöglichen und dadurch im positiven Sinn dessen Nutzung beeinflussen. 

„Unsere Lampen sollen überall hängen können!“

Ihr arbeitet seit 16 Jahren zusammen. Ihr steckt quasi mitten in der Pubertät – wann seid Ihr Euch beim Design eines Produktes nicht einig?

B.A.: Wir entwerfen immer so lange, bis wir uns einig sind und sagen können: „Jetzt sitzt es“. Unser Designstudio LUCY.D gibt es seit 16 Jahren, aber wir kennen uns wesentlich länger, denn wir haben gemeinsam auf der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert. Unsere Zusammenarbeit funktioniert schon so lange, da wir einen ähnlichen Workflow und eine ähnliche Haltung zu den Dingen haben. Mittlerweile haben wir eine Kommunikation entwickelt, bei der unsere Gedanken wie bei einem Pingpong-Spiel zwischen uns hin- und herfliegen. 

Während in skandinavischen Ländern Ästhetik Teil der Schulbildung ist, findet in Österreich Designgeschichte im schulischen Unterricht selten einen Platz. Wie sieht das Österreich Eurer Design-Utopie aus?

B.A: Die österreichische Seele, in der Humor und Kultur wohnen, sollte auf jeden Fall mehr ins heimische Design und vor allem ins Schulwesen einfließen. Design, also die Gestaltung unserer Umwelt, ist ein breites Feld, das sich mittlerweile auf viele Teile des Lebens ausgeweitet hat. Dieser offene Zugang muss sich auch im Schulsystem noch mehr etablieren, da hat Skandinavien immer noch die Nase vorn. Unsere Design-Utopie für Österreich ist, den bewussten Umgang in unserer unmittelbaren Umwelt besser zu schulen.

„Wir gestalten, um die Welt besser zu machen.“

Was bedeutet demokratisches Design für Euch?

B.A: Dass es nicht elitär ist, dass es auch leistbar bist – es soll nicht nur in Villen superreicher Menschen zu finden sein, die wiederum nur ein ausgesuchter und ebenso privilegierter Kreis zu Gesicht bekommt. Unsere Lampen sollen überall hängen können.

Was war das schönste Lob, das Ihr je bekommen habt?

B.A: Preise erfreuen natürlich – für „Téo“ haben wir zum Beispiel den italienischen Designpreis „Compasso d’Oro“ bekommen, die höchste Auszeichnung, die man dort bekommen kann. Mein erstes Designobjekt war eine Trinkschale für die Wiener Glasmanufaktur Lobmeyr, die ins Museum of Modern Art in New York aufgenommen wurde. Damals war ich noch Studentin! Das war ein ziemliches Highlight. Am glücklichsten macht es mich aber, mit Kundinnen und Leuten zu sprechen, die Freude an unseren Produkten haben und uns positives Feedback geben. Denn wir gestalten, um die Welt besser zu machen. 

Danke für das Interview!

Barbara Ambrosz und Karin Santorso haben Industrial Design an der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert, wo beide auch unterrichtet haben. Das Studio LUCY.D haben sie 2003 in Wien gegründet, 2016 ist ein weiteres Studio in Steyr dazugekommen. Ihre Produkte bewegen sich in den Bereichen Produkt-, Architektur- und Corporate Design, zu ihren Kundinnen zählen unter anderem Alessi, Lobmeyr, Landtmann und Wiesner-Hager. Für ihre Designs haben sie zahlreiche internationale Preise und Förderungen erhalten, darunter den höchsten italienischen Designpreis, den „Menzione d’Onore per il Compasso d’Oro 2014“. Die Tortenkollektion für das Wiener Café Landtmann ist 2015 mit dem Wallpaper* Design Award ausgezeichnet und das Label NEU/ZEUG 2018 mit dem blickfang Designpreis prämiert worden.

www.neuzeug.at

Der Valentinitsch

Text: Antje Mayer-Salvi

Tino Valentinitsch verdiente sich seine Sporen als erfolgreicher Designer für adidas, Versace und Helmut Lang, bevor er mit seinem Partner Michael Bauchowitz das bekannte Industrie- und Produktdesign-Studio Valentinitsch Design seines Vaters in Wien übernahm. Eines der ersten Designobjekte, das er als kleiner Bub entwarf, war wie viele seiner späteren Objekte so bestechend einfach wie ausgefeilt: eine Futterklappe für seinen Dackel.

Der Lichtmaler

Text: Antje Mayer-Salvi, Porträts: Anja Kundrat

Der Wiener Christian Ploderer ist einer der gefragtesten Lichtdesigner in Österreich, der wie mit einem Malkasten die verschiedensten Lichtstimmungen zaubern kann. Wir sprechen mit ihm über die Kunst der guten Beleuchtung, Lichtverschmutzung und die Poesie des frühen Morgens.

Christian Ploderer in der Post am Rochus

Die Designerin des Monats: Ivana Steiner

Text: Lara Ritter

Skandinavisches Understatement? Naturholztische, Bastkörbe, beige Sofas? Nichts für Ivana Steiner! Die österreichische Möbeldesignerin mag es bunt, opulent und extravagant. Ihre Tische, Lampen und Stühle bezeichnet sie als Schmuckstücke. Wir sprechen mit ihr darüber, warum Luxus und Nachhaltigkeit nicht unbedingt ein Widerspruch sein müssen und Chancengleichheit in der Branche noch lange nicht erreicht ist.