Die Dessous-Designerin

Von Höschen und Hotness

Sie wird unterschätzt, sexualisiert und tabuisiert. Für viele ist sie nur ein Nutzgegenstand – die Unterhose. Wir wollten vom 2020 gegründeten Wiener Wäschelabel Soda Lingerie wissen, wie sie es mit diesem Kleidungsstück halten. Wir sprechen mit der Gründerin Susanna Gangl über Snoopy-Unterhosen, Omas Weißwäsche, und warum Männer Spitze tragen sollten. 

Text: Elisa Promitzer

Soda Lingerie

„Dein Po freut sich! “

Elisa Promitzer: Ist Spitze spitze?

Susanna Gangl: Dein Po freut sich darüber! Spitze ist angenehm zu tragen.

Nicht jede mag in Spitzenunterhosen zur Bäckerin gehen!

Bequem ist sie aber auf jeden Fall. Was viele nicht wissen: Spitze zeichnet sich nicht zwingend ab und schneidet nicht ein, wenn sie gut verarbeitet ist. Man arbeitet dann mit offenen Kanten, das bedeutet, dass man auf Nähte und Bündchen verzichten kann. 

Was sind Unterhosen für Dich in drei Worten?

Wohlfühlen, Gesellschaft und Hotness.

Warum Gesellschaft?

Unterhosen unter der Hose oder dem Rock sind die gesellschaftliche Norm. Bis auf Ausnahmen trägt jeder Unterhosen. Bei Frauen etwa wird der Ausfluss von der Unterhose aufgefangen. Höschen sind einfach Teil der Gesellschaft.

Warum gibt es Unterhosen?

Sie sind aus hygienischen Gründen erfunden worden. Bequemlichkeit und Optik sind mit der Zeit immer wichtiger geworden. Und natürlich soll untenrum auch nichts einschneiden und drücken.

Baumwolle, Mesh oder Jersey?

Jede Frau hat einen unterschiedlichen Zugang zur Unterwäsche. Jeder hat eine andere Vorliebe. Tanga, String, Brazilian oder High-Waist! Spitze, Seide oder Jersey! Die Auswahl ist enorm. Das ist das Spannende für mich. Ich kann aus diesem Pool an Möglichkeiten wählen, damit forschen und experimentieren. Mein Ziel ist es, in nachhaltiger und lokaler Produktion bequeme und gleichzeitig auch ästhetische Unterwäsche zu produzieren.

„Wohlfühlen, Gesellschaft und Hotness“

Welche Unterhosen wollen Kundinnen kaufen?

Bei uns gibt es derzeit zwei Schnitte aus Spitze – einer ist ein bisschen höher geschnitten, der andere etwas tiefer. Die Kundinnen legen vorwiegend auf die Ästhetik Wert. Im Nachhinein sind die Leute dann erst überrascht, wie bequem und angenehm meine Spitzen-Unterwäsche zu tragen ist. Wir hatten auch Tangas in unserem Sortiment, aber aktuell konzentrieren wir uns auf den Brazilian-Schnitt. Er macht schöne, lange Beine. Es zeichnet sich nichts durch und der Po wird trotzdem ein wenig bedeckt.

Du hast ein Modekolleg absolviert und Dich dann auf Spitzen-Unterwäsche spezialisiert. Was hat Dir in der Unterhosen-Welt von Calvin Klein, Fenty und H&M gefehlt?

Sehr oft wird in der Werbung und auf Instagram nur ein bestimmter Typ Frau gezeigt. Mir fehlt da eine gewisse Bandbreite. Nicht nur die wenigen Frauen, die einem gewissen „Idealbild“ entsprechen, sondern alle Frauen mit ihren „realen“ Körpern. Wo sind die Menschen mit Akne, Hüftspeck, Pickel am Po, Cellulite und Beinprothesen? Man sieht sie immerhin öfter als vor 20 Jahren. Meine Unterwäsche ist für alle Leute. Jeder sollte bei mir was finden können. Ich finde, man sollte mehr diverse Körperformen zeigen, es täte einem selbst gut, und auch der Mama, dem Bruder, dem Freund und der Freundin, allen täten das gut, um den Stress zu verlieren.

Wie bist Du zur Unterwäsche gekommen?

Ich bin in die Welt der Unterwäsche reingerutscht. In meiner Jugend hatte ich kein Faible dafür. Also nicht der klischeehafte Start. Ich bin sehr klein und fand es immer schwer, gut sitzende Wäsche zu finden. Aus dieser Not heraus hat es dann irgendwann Klick gemacht. Ich habe realisiert, dass viele Frauen mit der angebotenen Bandbreite an Unterwäsche unglücklich sind. Egal ob kleine Brüste, große Oberweite, Hüftspeck oder androgyner Körperbau, Unterwäsche sollte das Selbstbewusstsein stärken und nicht schwächen. Viele Dessous werden für das Auge des Mannes designt. Um die Frauen, die es tragen, geht es selten. Deswegen habe ich schon während meiner Ausbildung begonnen, meinen Fokus auf das Handwerk der Lingerie zu legen.

„Ein String war ein Skandal."

Snoopy-Unterhosen oder knappe Strings waren ein Thema in Deiner Jugend?

Ein paar Snoopy-Unterhosen waren schon dabei. Die habe ich auch ewig gehabt. Ich glaube, ein paar davon habe ich noch immer. Man wird auch unterbewusst von Sachen inspiriert. In ihrer Bequemlichkeit und ihrem Schnitt macht Snoopy-Unterhosen niemand was vor.

Welche Unterhosen trugen Deine Mutter und Oma in Deiner Kindheit?

Genau solche, die man sich unter sogenannter „ordentlicher Weißwäsche“ vorstellt. Sie sind aus klassisch weißem Jersey-Stoff. Spitze kam und kommt eher nicht zum Einsatz. 

„Wir stoppen die Zeit an der Nähmaschine.“

Findest Du, dass Unterhosen ein Tabuthema sind?

Ich finde nicht, dass Unterhosen als Kleidungsstück tabuisiert werden. Strings aus roter Spitze sind vielleicht ein größeres Tabu als Unterhosen aus Baumwolle. Ich beobachte aber, dass die jüngere Generation immer offener wird. In meiner Jugend – vor etwa zehn Jahren – war ein String als Bikini ein Skandal. Heutzutage ist das Alltag im Schwimmbad. Es wird wieder mehr Po gezeigt.

Wie steht's um das Innenleben der Unterhose?

Dieses Thema wird oft romantisiert und verschwiegen zugleich. Was mich interessiert: Wie schaut die getragene Unterhose aus? Ausflüsse und die Periode sind ein Teil vom Leben einer Frau. Viele wissen nicht, was sich da über einen ganzen Monat alles verändert. Jugendliche finden zum ersten Mal klebrige Flüssigkeiten in ihrer Unterhose. Spricht jemand darüber? Nein. Ist es das Normalste auf der Welt? Ja. Getragene Unterhosen schauen am Ende des Tages einfach nicht mehr wie frisch gewaschen aus. Darüber muss gesprochen werden.

Wie konstruiert man eine gute Unterhose?

Bei mir beginnt alles mit Skizzen. Wenn ich meine groben Ideen auf Papier gebracht habe, zeichne ich ein Schnittmuster. Viel Verantwortung liegt in der Wahl des Materials. Welche Farbe soll die Spitze haben? Wie dehnbar kann sie sein? Danach geht es ans Probieren – der wichtigste Teil. Beim Fitting werden die ersten Entwürfe am Körper anprobiert. Da sieht man dann: Wie schaut es aus? Was muss man ändern? Ist es bequem? Man feilt und tüftelt so lange herum, bis alles perfekt ist. Erst dann können die Unterhosen an der Nähmaschine für den Verkauf gefertigt werden.

Wie lange braucht man von der Idee bis zur fertigen Unterhose?

Das hängt von der Komplexität des Designs ab. Die Entwicklung eines neuen Schnittes kann bis zu einem halben Jahr dauern. Die Produktion geht dann schneller. Wir stoppen die Zeit an der Nähmaschine manchmal mit: Das letzte Mal haben wir 30 Minuten an einer Unterhose genäht. 

„Eine Schatzsuche"

Können Unterhosen jeder passen?

Körperformen sind sehr unterschiedlich. Passend sind sie meistens für jeden, da unser Material elastisch ist. Passend ist aber ein sehr dehnbarer Begriff. Manche Frauen möchten ihren Po bedecken, andere wollen einen String und die nächste bevorzugt locker sitzende Unterhosen. Optisch erfüllen unsere Unterhosen für jede ihren Zweck. Unterhosen in Größe XS, S, M, L und XL können aber nicht das ultimative Wohlbefinden und die Vorlieben einer jeden Frau stillen.

Ihr bietet auch Maßanfertigungen wie früher in den Wiener Salons an?

Wir haben unsere fixen Schnitte und Designs, die in ihrer Größe und Passform angepasst werden können. Wir setzen aber keine neuen Designideen von Kundinnen um. Wir möchten, dass jede Frau unsere Wäsche in perfekter Passform kaufen kann. 

Wie ist die Nachfrage nach Maßanfertigung heute, früher war das gang und gäbe?

Eher nicht so groß. Es gibt ein paar Schneiderinnen in Wien, die auf Unterwäsche-Änderungen spezialisiert sind. Vor allem bei der Brust ist die richtige Passform unumgänglich, darüber freuen sich nicht nur deine Augen, sondern auch dein Rücken. Einmal habe ich für eine Balletttänzerin an der Staatsoper eine Unterhose maßangefertigt. Sie trug zum Opernball ein transparentes Kleid und benötigte ein perfekt sitzendes Unterteil. Maßangefertigte Unterwäsche ist einfach aus der Mode. Die Aufmerksamkeit könnte gerne wieder darauf gelenkt werden.

„Gummibänder, Träger, Gummiwäsche“

Kaufen Deine Kundinnen nach Saison? Zum Beispiel rote Unterwäsche zu Silvester?

Wir haben leider noch keine rote Lingerie in unserem Sortiment. Was ich beobachtet habe, ist, dass zu Weihnachten und Silvester der Bedarf an schöner Unterwäsche auf jeden Fall wächst. 

Ihr verwendet unter anderem für Eure Designs Deadstock-Spitze. Kannst Du mir diesen Vorgang erklären?

Deadstock-Spitze landet auf dem Markt, wenn eine Kollektion bei einer bestehenden Unterwäschefirma ausläuft oder bei großen Unternehmen Spitze übrigbleibt. Spitze kann nur in größeren Mengen produziert werden – das fängt bei hundert bis zweihundert Metern an. Wenn die Firma für diese Spitze keinen Bedarf mehr hat, kommt sie auf den Markt und wir können sie günstig kaufen. Wir bekommen auch Spitze von Firmen, die in Konkurs gegangen sind. Oft gibt es Zwischenhändler und man kann die Herkunft und Geschichte der Spitze dadurch leider nicht immer nachvollziehen. 

Eine richtige Schatzsuche! Und wenn Ihr fündig werdet, …

… fragen wir uns: Wie ist die Qualität? Lässt sich die Spitze dehnen? Wie langlebig ist sie? Wie verhält sie sich beim Waschen? Wenn man zufrieden ist, kauft man sie. Danach begibt man sich auf die nächste Schatzsuche: Gummibänder, Träger, Gummiwäsche und andere Materialien müssen passend zur Spitze gefunden werden. Ich finde, dass die Verwendung von Deadstock-Material, das vielleicht am Müll landen würde, ein sehr guter Zugang zur nachhaltigen Produktion ist. Man startet mit kleinen Mengen und kann auf das Feedback der Kundinnen reagieren. Man produziert auf Nachfrage, nicht nach Stückzahl. 

„Männer in Spitzen-Unterhosen.“

Findet Ihr manchmal Spitzenschätze?

Unsere Spitzen für unsere Unterhosen „Punschkrapferl“ und „Zuckergoscherl“ sind ein wahrer Schatzfund. Das ist der Nachteil an Deadstock: Man hat etwas Wunderschönes gefunden und weiß, dass man es nicht nachordern kann. Das ist manchmal sehr schade, aber es schafft auch ein neues Level an Wertschätzung.

Ist Deadstock-Spitze billiger im Einkauf als neue Spitze?

Nein, sie ist teurer. Der Vorteil ist, dass man kleinere Mengen kaufen kann. Dadurch minimiert sich das Risiko. So können wir besser auf den Geschmack und das Feedback unserer Kundinnen reagieren.

Es werden keine unverkauften Spitzenunterhosen aufgetrennt?

Nein, das wäre Upcycling. Die Spitze kommt klassisch auf Rollen und ist wirklich ungebraucht.

Warum tragen Männer untenrum keine Spitze?

Unterhosen aus Spitze bringt man oft mit einer gewissen Zielgruppe von Männern und Klischees in Verbindung. Ich glaube, dass es zu wenig gemacht und zu selten gezeigt wird. Würde man die Gesellschaft mit Männern in Spitzen-Unterhosen konfrontieren, würde es irgendwann „normal“ werden. Spitze ist ein schönes und angenehmes Material. Es sollte nicht nur Frauen vorbehalten sein.

Danke für das Gespräch!

Susanna Gangl gründete im Jänner 2020 das Wiener Wäsche-Label Soda Lingerie im 10. Bezirk im Sonnwendviertel. Im Studio Maria 33 ist Susanna, die ein Modedesign-Kolleg in Wien absolvierte, für den kreativen und mittlerweile Severin Wiesbauer für den wirtschaftlichen Part verantwortlich. Man kann die Spitzen-Unterwäsche in ihrem Studio, Online und manchmal in Pop-Up-Stores kaufen.