Die Diagonale-Intendanten

Kino an der Schnittstelle zur Popkultur

Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber sind die neuen Intendanten des Filmfestivals Diagonale in Graz. Wie gut können sie miteinander? Blockbuster am Handy schauen – gut oder gar nicht? Welche österreichischen Neuentdeckungen gibt es? Wir trafen die beide im angemessenen filmischen Setting: zum Five O’Clock Tea vor dem Kamin im Salon des Wiener Hotel Bristol.

Text: Antje Mayer-Salvi

„Die Zeit allmächtiger Diagonale - Direktoren ist vorbei!"

Antje Mayer-Salvi: Darf ich Euch Tee einschenken? Ein bisschen Durchatmen in all dem Festivalstress. Smalltalken wir ein bisschen gepflegt: Habt Ihr Eure eigenen privaten Kinorituale? So wie es muss vorher immer eine Fanta gekauft werden, Popcorn oder süßsaure Apfelringe? Reihe 15 Mitte ...

Peter Schernhuber: Ich mag es eigentlich sehr gerne, wenn Kino ein ausuferndes Erlebnis wird, also wenn man nicht nur zwischen Tür und Angel schnell mal ins Kino hetzt, sondern sich davor zum Essen trifft, dann den Film sieht, in einem schönen Foyer danach noch was trinkt und der Abend dann open end irgendwo weitergeht. Das ist etwas, was wir beide momentan nicht genießen können, den privaten Kinogang, fern von jeder Zweckgebundenheit.

Sebastian Höglinger: Jedes mal, wenn ich mir einen Blockbuster anschaue, ja, das mache ich tatsächlich auch gerne (lacht), gehe ich mit dem Vorhaben hin, mir viele leckere Sachen an der Theke zu kaufen. Dann finde ich sie meistens zu teuer, zu viele Leute stehen an und letztendlich ertappe ich mich meistens proviantlos im Saal.

Filmkenner wie Ihr schauen nie Filme am Laptop oder am Handy?

S.H.: Ich schaue tatsächlich am liebsten Filme im Kino! Ich mag die Strenge des Kinos im Österreichischen Filmmuseum, wo Originalkopien mit den besten technischen Möglichkeiten vorgeführt werden. Ich schätze aber genauso das Gartenbaukino, einer der tollsten Kinoorte Österreichs, auch wenn ich es nicht umwerfend bequem finde, es hat eine unglaubliche Aura. Ich kann aber auch Multiplexkinos etwas abgewinnen. Ich mag ja diese Foyers, sie erinnern mich an meine ersten Kinoerlebnisse in meiner Kindheit und Jugend ...

Menschen mit Depressionen sollten Multiplexkino Foyers ja eher meiden ...

S.H: Für viele Jugendliche funktionieren sie als Treffpunkt aber ganz gut, auch wenn sie oft gar nicht ins Kino gehen. Diese Orte haben schon auch eine soziale Komponente, die ich irgendwie spannend finde.

Und Du Peter?

P.S.: Ganz, ganz spannend finde ich es, in ambitionierte Kinoneubauten zu gehen, wie das Kino in der Kulturinstitution SALT in Istanbul oder auch das bereits erwähnte „Unsichtbare Kino“ des Österreichischen Filmmuseums, wofür die Wiener Architektin Gabu Heindl vor acht Jahren sehr gelungen das Foyer neu gestaltet hat. Wie schaut das ideale Kino im Jahre 2016 aus? Eine spannende Frage!

Gratulation zu Eurem neuen Job übrigens! Wie war das, als Ihr den berühmten Anruf aus Hollywood, äh Graz, bekommen habt?

P.S.: Es war irgendwie surreal. Ich war gerade bei Köchert Juweliere im ersten Bezirk in Wien, stand vor den Vitrinen...

... um mal wieder zu schauen, was es so an Schmuck zu kaufen gibt (lacht) ...

P.S.: Ja genau (lacht)! Nein, da fanden die Passionswege der Vienna Design Week statt, für die ich damals noch arbeitete. Ich nahm beiläufig das Telefon ab und am anderen Ende meldete sich die Generalversammlung der Diagonale ... 
 

S.H: ... ein total eigenartiger Moment, dieser Anruf aus dem Nichts am Nachmittag, irgendwie extreme Freude, aber schon auch Respekt vor dem, was da auf uns zukommt. 

Peter, Du bist 28 Jahre, Sebastian, Du bist 32 Jahre alt. Ihr seid beide Oberösterreicher, habt beide Film- und Medienwissenschaft studiert und schon das Jugend Medien Festival YOUKI in Wels miteinander geleitet und sieben Jahre bei der Diagonale „geübt“. Für Eure jungen Jahre eine ziemlich ambitionierte Karriere. Und: Ihr könnt offensichtlich gut miteinander!

P.S.: So jung sind wir gar nicht mehr! Alexander Horwath, Direktor des Filmmuseums, leitete bereits mit 27 Jahren die Viennale. Wir haben uns ganz bewusst als Team für den Posten beworben. Unsere Aufgaben teilen wir natürlich intern auf, wie zum Beispiel die Sichtung der Filme und die Organisation bestimmter Programmpunkte, die Letztentscheidungen aber fällen wir immer gemeinsam. Überspitzt formuliert machen wir jetzt nicht auf basisdemokratische Hippiegruppe, empfinden es aber umgekehrt sehr wohl als angenehm, dass die Zeit „allmächtiger Direktoren“ vorbei ist! Im Übrigen vertrat unsere Vorgängerin Barbara Pichler auch schon eine Kultur der flachen Hierarchien.

Telefoniert Ihr manchmal um Mitternacht miteinander, um Euch noch schnell upzudaten?

S.H.: Um diese Zeit müssen wir uns nicht anrufen, da sitzen wir noch nebeneinander im Büro (lacht). Es gibt wohl keinen anderen Menschen, mit dem ich momentan mehr Zeit verbringe als mit Peter.

„Wir wollen kuratorisch nicht auf Selbstverwirklichungstrip machen!"

Ihr müsst Euch auch das Honorar teilen? Ihr seid aber lieb zueinander.

P.S.: Nein, nicht ganz. Gott sei Dank. Um aber mit einem Irrglauben aufzuräumen: Wegen des Geldes machen wir den Job bestimmt nicht!

Über das Programm habt Ihr ja schon einiges in anderen Medien verraten. Ich würde gerne noch mehr Persönliches erfahren! Was sind Eure Lieblingsfilme?

S.H.: Mich interessiert tatsächlich auch privat die Vielfalt des österreichischen Kinos. Deswegen habe ich mich ja für den Job beworben. Es gibt zur Zeit viele Hybride, bei denen nicht mehr ganz klar ist: Ist das jetzt eine Dokumentarfilm, ein Spielfilm oder eher der Avantgardeecke zuzuordnen? Heuer haben wir diesbezüglich einen tollen Jahrgang!

Coming-of-Age Kino, Kino an der Schnittstelle zur Popkultur, das interessiert mich sehr. Das kommt auch durch meine Arbeit beim YOUKI-Festival. Genauso aber habe ich Lust, mich einem Experimentalfilm auszusetzen und auch abstraktere Formen zuzulassen. Wer unsere Arbeit kennt, weiß, dass wir das eine Format nicht gegen das andere ausspielen.

Welchen Film hast Du schon Dutzende Male gesehen?

S.H.: Es gibt eine Antwort, die mir niemand mehr glaubt, und die mir oft als Koketterie ausgelegt wird, nämlich „Himmel oder Hölle“ von Wolfgang Murnberger. Sein Abschlussfilm an der Filmakademie Wien von Anfang der Neunziger. Einer der schönsten Filme über Coming-of-Age und den Ort Kino – und über das, was Österreich  immer noch anhaftet, dieser postnazistische Mief und Katholizismus. Mein Alltime-Klassiker, ich weiß gar nicht, wie oft ich den angeschaut habe, ist „Dazed and Confused“ von Richard Linklater.

Gibt es ein neueres Filmwerk der letzten Zeit, das Deine Sicht verändert hat, Peter?

P.S.: Was dann doch sehr erfrischend daherkam und auch für Furore gesorgt hat, waren die Arbeiten von Noah Baumbach mit Greta Gerwig, „Frances Ha“. Intelligentes Lachen ist schon etwas, das mir irrsinnig gefällt.

Wieviel Stunden Film habt Ihr in den vergangenen Monaten vor der Leinwand verbracht?

P.S.: Schwer zu sagen, 500 Stunden vielleicht. Wir hatten heuer 512 Einreichungen! An die 100 Filme laufen dann tatsächlich im Wettbewerb, also Lang – und Kurzfilme und nochmal um die 50 Filme in den Retrospektiven. Wir legen Wert darauf, transparent offenzulegen, wer mit uns diese Filme sichtet. Wir haben uns drei Beraterinnen geholt: Claudia Slanar für das Innovative Kino, Alejandro Bachmann für den Dokumentarfilm und Alexandra Zawia für den Spielfilm.

„Das Schöne an unserer Zeit ist die Gleichzeitigkeit von analogem und digitalem Film, VoD und Kino."

Habt Ihr heuer filmische Perlen entdeckt?

S.H.: Aber ja! Es geht uns aber nicht darum, dass wir bei der Diagonale kuratorisch auf Selbstverwirklichungstrip machen. Natürlich schwingt die private Haltung mit, aber das Festival soll das aktuelle Filmschaffen Österreichs abbilden. Wenn es die „Sebastian Höglinger & Peter Schernhuber Filmshow“ gäbe, würde sie punktuell ganz anders ausschauen.

Wunderbar! Wenn ich schon mal zwei Experten hier sitzen habe, die sich 500 Stunden aktuellen österreichischen Film angesehen haben. Gibt es neue Trends? Spannende Entwicklungen?

P.S.: Es ist irrsinnig schwierig, alles über einen Kamm zu scheren. In Österreich ist die Vielfalt enorm groß. Konkret, – und das ist kein Geheimnis – kann man sicher zwei zentrale Positionen im österreichischen jüngeren Gegenwartsfilm nennen, zum Beispiel den Experimentalfilmemacher Rainer Kohlberger (*1982), oder Daniel Hoesl (*1982), der seinen neuen Film „WINWIN“ gerade am International Filmfestival Rotterdam vorgestellt hat.

Hochwertiger, künstlerisch anspruchsvoller oder einfach guter Film im weitesten Sinne findet ja heutzutage auch im Internet, auf Youtube, Vimeo, auf Netflix statt. Wie geht Ihr darauf ein?

S.H.: Diese Entwicklung beobachten wir und zollen ihr natürlich Aufmerksamkeit. Wir haben da so eine Rückführung des Nicht-Kino-Formats ins Kino geplant in Kooperation mit dem Fernsehsender Sky. Wir zeigen die Krimi-TV-Serie „The Last Panthers“ im Kinosaal. Da ist schon ein große Frage für uns, wo finden heute eigentlich die spannenden Positionen statt. Wie können wir sie zurück ins Kino holen? Macht das überhaupt Sinn?

P.S.: Zu Beginn unserer Intendanz wurden wir immer wieder von Älteren forsch gefragt, wohl ob unseres scheinbar jugendlichen Alters (lacht), ob wir jetzt das Festival ins Internet verlegen wollen. Das Schöne an unserer Zeit ist die Gleichzeitigkeit von analogem und digitalem Film, VoD und Kino. Die filmkoop Wien, eine Gruppe junger Filmschaffender in Wien, hat sich beispielsweise bewusst dem analogen Film verschrieben, genauso wie die Filmemacherinnen Viktoria Schmidt oder Antoinette Zwirchmayr, die mit 35mm – Film arbeiten. Sie sehen das Analoge nicht als Widerspruch zum Digitalen, sondern eher als ein Werkzeug, mit dem sich präzise umsetzen lässt, was sie erreichen wollen. Ein Zugang, der uns zusagt, der aber freilich auch nicht davon ablenken soll, wie bedroht der analoge Film gegenwärtig ist.

Ist das nicht vielleicht doch so eine Art nostalgische Hipster-Attitüde? Quentin Tarantinos „The Hateful Eight“ ist ja auch auf 70-mm-Film im ultraweiten Format Ultra Panavision 70 gedreht. Manche ätzen ja, das sei das einzig Interessante an diesem Film…

S.H.: Jetzt können wir ausnahmsweise mal nicht mitreden (lacht). Wir hatten beide einfach noch keine Zeit, „The Hateful Eight“ anzusehen. Nach dem Festival! Ich finde das keine Attitüde, es ist doch interessant wie sich Geschichte in das analoge Material einschreibt.

P.S.: Manchmal ist es durchaus auch ein Hipster – Trend. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass zum Beispiel Kodak dieser Tage eine Superachtkamera herausbringt!

Darf ich auch mal nostalgisch sein? Das Kino war früher ein Ort, wo man geraucht, gegessen, geliebt, gesungen und diskutiert hat. In anderen Städten – wie in Berlin – geht man zu jeder Tageszeit ins Kino, gerne auch mal um zwei Uhr früh auf einen Absackerfilm und kommt bei Sonnenaufgang heraus. Fantastisch. In Österreich werden kaum Filme nach 21 Uhr programmiert, ab und zu gibt es mal eine Matinee…

P.S.: Dieser Aspekt des Kinos als sozialer Raum, das ist genau das, was wir mit dem Festival Diagonale erfüllen wollen. Auch das Festival an sich ist ein sozialer Raum. Branche und Publikum, Filmschauende und Filmproduzierende sollen sich in den Gassen von Graz und in den Kinos begegnen, ins Gespräch kommen, Drinks miteinander nehmen. Es soll mehr stattfinden als die bloße Sichtung.

S.H.: Heuer ist es sich noch nicht ausgegangen, aber wir werden in Zukunft sicher auch bei der Programmierung zeitlich und räumlich noch mehr experimentieren.

Filmfestivals bedeuten ja immer auch ein bisschen Show und Glamour. Wie glamourös ist denn die Diagonale?

P.S.: Wir geben zu: Wir sind Fans von Glamour, allerdings nur, wenn die Inhalte stimmen. Glamour zum Selbstzweck macht überhaupt keinen Sinn. Der österreichische Film setzt allerdings jetzt nicht so auf die Glamourkarte… (lacht).

Gibt es einen roten Teppich zur Eröffnung?

S.H.: Einen roten Teppich gibt es nicht, aber eine charmante Grazer Variante wäre durchaus mal andenkbar. Die Eröffnung wird jedenfalls durchaus feierlich.

P.S.: Glamour ist natürlich gewollt. Heuer steht auf den Einladungen: „In case of doubt: overdress“.

Mit Chauffeur oder Radl während der Diagonale in Graz unterwegs?

P.S.: Zu Fuß.

Wenn ihr unbegrenztes Budget hättet und eine Wunschfee, wie würdet ihr die Diagonale gestalten?

P.S.: Mein Wunsch wäre ein Kinosaal, der alle technischen Stückchen spielt.

S.H: Eine Diagonale, die auch über die Festivalwoche hinaus ausstrahlt und eine riesige Diagonale – Party in der Grazer Innenstadt, während der niemand eine Anzeige wegen Ruhestörung einbringen darf, sonst bekommt er selbst eine Anzeige!

Ich danke Euch für das Gespräch.

Die Festivalleiterin

Text: Shilla Strelka

Wir treffen Djamila Grandits, die gemeinsam mit Julia Sternthal vergangenes Jahr die Leitung des This Human World Filmfestivals übernommen hat. Eine großartige Veranstaltung! Es widmet sich den Menschenrechten und gibt denen, die oftmals nicht gehört werden, eine Stimme. Dieses Jahr feiert das Festival  – eines der größten Wiens – sein zehnjähriges Jubiläum. Wir diskutieren mit Grandits, ob man im Kinosessel sein schlechtes Gewissen beruhigt, wie objektiv Filmemacherinnen sein können und wie lustvoll das Festival trotz der Ungeheuerlichkeiten auf dieser Welt doch sein kann.