Die Direktorin & Modedesignerin

mit schirm, charme und designermode

Tuchlauben Wien, wo Louis Vuitton auf Gucci trifft, Pferdehuf auf Pflasterstein, zu viel Stress auf zu viel Geld und das C/O Vienna Magazine auf Ingried Brugger, seit 2000 Direktorin des Bank Austria Kunstforums und Modeschöpferin – unter anderem für die amtierende Bundeskanzlerin. Brugger war damals die erste Frau in Österreich, die eine Kunstinstitution dieser Größe leitete. In ihrem Studio über den Dächern der Wiener Schickeria reden wir über feministische Kunst, Skifahren, Frühstück im Bett und Hunde, die nach Monaten benannt sind. 

Text: Eva Holzinger

„Ich finde graue Haare richtig scheußlich.“

Eva Holzinger: Was inspiriert Sie?

Ingried Brugger: Abseits der Kunst inspiriert mich schräger Lifestyle und generell alles, was an der Kante der Zeit steht. Jugendkultur interessiert mich sehr, auch dann, wenn ich sie nicht teilen kann. Neben Literatur inspirieren mich auch TV-Serien wie „Versailles“ oder „Revenge“. Die sind noch dazu nicht so kompliziert, nebenbei lässt es sich gut Designen und Nähen.

Wir sitzen hier nicht im Kunstforum, sondern in Ihrem Modestudio. Wir wird man von einer Museumsdirektorin zur Modedesignerin?

Reiner Zufall. Als ich entdeckte, dass mir Nähen Spaß macht, habe ich eben einfach ein Label gegründet. Hobbies bleiben bei mir selten nur Hobbies. Meine ersten Entwürfe habe ich 2010, vor über neun Jahren, im Zuge der Frida-Kahlo-Ausstellung im Bank Austria Kunstforum gezeigt, die Modenschau hieß „Frida in Fashion“.

„Die Farbe Schwarz dient mir als wandelbare Metapher zwischen Liebe, Schmerz Erotik, Trauer, Leben und Endlichkeit.“

Ihre Kollektionen klingen nach Märchentiteln: Rosenschwarz, Tulpenschwarz, Lillischwarz, Julischwarz. Warum immer Schwarz?

Die Farbe Schwarz dient mir als wandelbare Metapher zwischen Liebe, Schmerz, Erotik, Trauer, Leben und Endlichkeit. Julischwarz war eine Hommage an meinen verstorbenen Hund Juli. Ich mache Mode für alle, nicht nur für Idealkörper, und für jedes Alter. Meine 19-jährige Nichte Lilli, eine der österreichischen Spitzenfechterinnen, trägt sie genauso wie die Frau Bundeskanzlerin. Ich möchte Frauen dabei helfen, ihre positiven Seiten herauszustreichen. Das bedeutet für mich, feminine Silhouetten zu designen. Mit der puristischen Mode der 90er-Jahre konnte ich nie viel anfangen. Selbst wenn ich mir vornehme, ein puristisches Kleid zu entwerfen, kommt immer wieder das Gegenteil dabei heraus.

Von der puristischen Mode der 90er zu den wilden 80er-Jahren, in denen Sie mit ziemlich ausgefallenen Outfits in der Öffentlichkeit auftraten und in der Kunstschickeria mitgemischt haben. Wie haben Sie Wien damals erlebt?

Ein tolles Modejahrzehnt, noch besser als die 70er! Farah Fawcett, Drei Engel für Charlie, Schulterpolster – ich liebe das. Einen Sommer lang fuhr ich mit meiner damaligen Freundin, der Künstlerin Brigitte Kowanz, in ihrem alten Cabrio, laut und schnell, praktisch nur zwischen Innenstadt und dem U4-Club hin und her. Dort traf sich die heimische Musikszene. Ich war so jung und jeden Tag in jemand anderen verliebt! Auch in der Kunst hatte sich viel getan. Die „neuen Wilden“ – Scheibl, Brandl, Rockenschaub, Zitko, und wie sie alle hießen – waren auf die urbane Bühne getreten, die bekannten Pakesch-Buben waren nicht viel älter als ich. Die Barszene kam auf, es war eine tolle Zeit zum Feiern. Wien war eine Stadt im Werden. In den 90ern war schon vieles mehr etabliert, heute ist sowieso alles viel braver geworden. 

„In den 80ern war ich jeden Tag in jemand anderen verliebt!“

Wer, wenn nicht Sie, kennt die Wiener Kunstszene. Was fehlt ihr heute?

Wien ist die Kunststadt schlechthin, das Angebot ist groß: Pierre Bonnard bei uns im Kunstforum, Carvaggio und Bernini im Kunsthistorischen Museum, Albrecht Dürer in der Albertina – und das alles gleichzeitig! Das ist geballte Power.

Aber alle Museen machen alles?!

Die Positionen der Häuser – auch der Bundesmuseen – müssen in Wien klarer werden. Es braucht ein Mehr an zeitgenössischer, junger Kunst, und zwar ordentlich vermittelt. Je jünger die Kunst, desto größer der Publikumsschwund – das ist leider sehr schade. Wir haben im Kunstforum so viele Ausstellungen gemacht, bei denen die Leute in anderen Städten Schlange gestanden hätten. Aber: Wir können uns nicht beschweren. Die Bank Austria ist Hauptsponsorin des Hauses, mischt sich aber nicht in das Programm ein. Wir arbeiten ohne staatliche Gelder, aber mit wissenschaftlicher Kompetenz bei wirtschaftlicher Effizienz.

Wie bestimmen Sie die Themen der Ausstellungen?

Mit einer Vorlaufzeit von zwei Jahren pro Ausstellung gilt es, eine Balance zu finden zwischen großen Namen und sperrigeren Themen. Für Herbst 2020 ist eine große Gerhard-Richter-Ausstellung geplant. Wir zeigen seine Landschaften, das ist nicht nur ein Kernthema seiner Kunst, sondern eine Premiere für Österreich. Das Kunstforum steht aber – genau wie ich – immer auch für Themen und Künstlerinnen, die man unter einem feministischen Anliegen verzeichnen kann: wie etwa Georgia O’Keeffe oder, unser größter Erfolg, Frida Kahlo. 

Was bedeutet denn „sperrige Kunst“ für Sie?

Sperrig heißt für mich nicht nur, feministische Anliegen zu vertreten, sondern Künstlerinnen zu zeigen, die komplizierter und unbekannter sind, Zusammenhänge aufzudecken, die man sonst nicht wahrnimmt. Zum Beispiel unsere Man-Ray-Retrospektive vergangenes Jahr: Er war nicht nur Fotograf, sondern auch Maler, Zeichner, Designer, Filmemacher, bildender Künstler und Schreibender. Auch die aktuelle Kombination aus Pierre Bonnard, Postimpressionist, und dem jungen Künstler Alfredo Barsuglia, der eine multimediale Installation im tresor zeigt, ist eigenartig, und das ist gut so. 

Sie haben Kunstgeschichte, Germanistik sowie Architektur studiert. Wenn Sie ein Ausstellungsgebäude entwerfen könnten, wie sähe das aus?

Ich hatte Interesse an Architektur als historisches Phänomen, wollte aber nie selbst bauen, deshalb habe ich das Studium vorzeitig abgebrochen. Ein gutes Museum sollte einerseits spektakulär sein, damit die Leute hingehen, andererseits sollten die Räume selbst neutral sein, um die Kunst wirken zu lassen. Ich halte nichts von Museen, die die Inszenierung von Kunst vorgeben. Das Kunsthaus Bregenz von Peter Zumthor ist zwar ein sehr schöner Bau, aber sämtliche Kunstwerke auf Betonwände hängen zu müssen halte ich für schwierig.

„Ich brauche Ruhe und Platz, einen Blick über das weite Land.“

Sie leben abwechselnd in Wien und am Semmering. Wann fühlen Sie sich zuhause?

In der Nähe meines Mannes. Und ich brauche meinen Hund um mich, der ist mir sehr wichtig. Außerdem Bücher wie „Fragmente einer Sprache der Liebe“ von Roland Barthes. Die Serie „Downtown Abbey“ hat mir beigebracht, dass verheiratete Frauen im Bett frühstücken dürfen. Das tue ich konsequent, damit ich dem Wahnsinn am Morgen entgehe. Ich brauche Ruhe und Platz, einen Blick über das weite Land. Ich kann Enge nicht ausstehen und bin irrtiert, wie sich Wien gerade entwickelt. Wenn man an einem Samstag im ersten Bezirk unterwegs ist, kommt man nicht mehr vom Fleck. Das ist so furchtbar. 

Wenn Sie eine Sache an der Menschheit ändern könnten, was wäre das?

Es braucht mehr mündige Menschen, die den nahenden Ruin der Welt empfinden können und Verantwortung übernehmen. Wir müssen aufhören, mit der vorherrschenden Meinung mitzugehen. Ein banales Beispiel: „Ich trenne keinen Müll, weil danach ohnehin alles wieder zusammengeschmissen wird.“ Oder bewusstloses Reisen: Menschen, die sich an Kreuzfahrten erfreuen, ohne zu wissen, was sie damit anrichten. Es ist unvorstellbar, was wir bereits zerstört haben. 

„Es ist unvorstellbar, was wir bereits zerstört haben.“

Was ärgert Sie besonders?

Ich bin mein ganzes Leben lang Ski gefahren, ich war als Kind von Bergen umgeben. Was jetzt für ein Aufwand dafür betrieben wird, ist anmaßend. Es gibt keinen verhältnismäßigen Umgang mehr. Schneebänder bei 20 Grad! Oder die Verbindung von Pitztal und Sölden, eine Gletscherfusion, die dem Tourismus zwar 700 Pistenkilometer bringt, für die aber Berg abgesprengt werden muss und Tiere ihre Heimat verlieren. Das alles, obwohl der durchschnittliche Skitourist mit 20 Pistenkilometern mehr als sein Auslangen hat. Das ist eine enorme Blödheit! 

Keanu Reeves hat eine neue Partnerin und die Welt fühlt sich bemüßigt zu kommentieren, dass sie über 40, ohne Schönheits-OPs und grauhaarig ist. Dabei ist Alexandra Grant selbst eine bekannte Künstlerin.

Diese Kritik zeigt einmal mehr, wie banal diese Welt geworden ist. Allerdings: Ich finde graue Haare richtig scheußlich. Es ist wirklich nicht notwendig, dass man 10 Jahre älter ausschaut!

Wie geht es Ihnen damit, wenn Sie nach Ihrem bekannten Mann, dem österreichischen Künstler Christian Ludwig Attersee, gefragt werden?

Unsere Beziehung, auch in der öffentlichen Wahrnehmung, ist eine auf Augenhöhe. Wenn Frauen nur als „Frauen von“ wahrgenommen werden, dann sind sie auch selbst daran schuld. Ich würde nie auf Veranstaltungen gehen, die mich nicht freuen, nur weil ich als Begleitung meines Mannes auftreten müsste.

René Benko und Heidi Horten teilen nicht nur ihre Nennung im Ibiza-Video, sondern mischen auch in der Kunstwelt mit. René Benko, oder besser seine Signa Holding, ist Ihr Vermieter, während Heidi Horten ihr eigenes Museum eröffnen wird. Das steht dann gegenüber der Albertina, die von Ihrem Ex-Mann, Klaus Albrecht Schröder, geführt wird. Wem gehört der Raum, wem gehört die Kunst – den Reichen?

Eigentumsverhältnisse sind meistens – so auch in diesem Fall – klar und eindeutig nachzulesen. Grundsätzlich gilt aber: Es gibt besonders viele Leute und Führungskräfte im Kulturbetrieb, die sich sehr stark mit einem Raum als ihrem Raum identifizieren. Ich erwische mich auch zuweilen dabei, dass Kunstforum als mein Forum zu bezeichnen. Aber eigentlich gehören diese Räume der Kunst und sollten so bespielt werden, dass das Publikum davon profitiert. Dass dem Leopold Museum mit Heidi Hortens Kunstsammlung ein so großer Erfolg gelungen ist, liegt bestimmt auch daran, dass Frau Horten „einige“ Freikarten finanziert hat. Und dass Schröder die Albertina-Bastei mit Hortens neuem Museum durch einen freiliegenden Gang verbinden will, so lautet das Gerücht, halte ich für Zugriff auf einen Raum, mit dem man nichts zu tun haben sollte.

„In Wien geht es leider ständig um die unbedingte Erweiterung der eigenen Performance, nicht der freien Szene.“

Klaus Albrecht Schröder ist Teil der aktuellen Künstlerhaus-Debatte. Auf der einen steht die Albertina Contemporary, die im Künstlerhaus eröffnen wird, auf der anderen Seite das brut, ein Haus für die freie Tanz- und Performance-Szene und langjähriger Mieter. Herrn Schröder wurde vorgeworfen, nicht nur neoliberales Kulturmarketing zu betreiben, sondern auch schuld an einem möglichen Auszug des brut aus dem Künstlerhaus zu sein.

Schröder hat – hier beziehe ich mich wieder auf Eigentumsverhältnisse – ein Recht auf den Raum. Beim Künstlerhaus geht es den Entscheidungsträgerinnen hauptsächlich darum, etwas an die Wände zu hängen, und es geht ihnen nicht um die Bühne, die man ja vielleicht sogar hätte mitnutzen können. In Wien geht es leider ständig um die unbedingte Erweiterung der eigenen Performance, nicht die der freien Szene. 

Worauf darf man sich in naher Zukunft im Kunstforum freuen?

Wir werfen einen retrospektiven Blick auf Cindy Sherman, der ergänzt wird von ungefähr 20 Künstlerinnen, die auf das Phänomen „Sherman“ reagiert haben. Diese Künstlerin hat in ihrer Wirkungsmacht das Bild der Gesellschaft neu reflektiert; Generationen von Kolleginnen haben auf diese Identitätssuche und -krise reagiert. Ich freue mich darauf, dass ab Ende Januar 2020 der Öffentlichkeit zu zeigen. 

Als wir das Studio verlassen, gehen wir an einem Gemälde von Gatte Attersee vorbei; es zeigt ein Porträtfoto von Brugger, eingebettet in Rottöne und Tannen; neben ihr ein Packerl Marlboro und ihre Hunde. „Da war ich, wie man unschwer erkennen kann, betrunken.“ Diese Frau hat viel erlebt, hat aber auch noch einiges vor.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Koi

Text: Lara Ritter

Die Sängerin Ankathie Koi

Einzigartige Outfits, ausgefallene Musikvideos und Songs im Stil der 80er: Sängerin Ankathie Koi zählt nicht umsonst zu den Paradiesvögeln der heimischen Musikszene. Wir haben mit ihr ein Gespräch über PORNOSSCHULTERPOLSTER und das STERBEN geführt. 

Die Fashion-TV-Maker

Text: Antje Mayer-Salvi

Die Fashion-Expertinnen Ulrike Tschabitzer-Handler und Andreas Bergbaur kuratierten gemeinsam die aktuelle MAK-Ausstellung SHOW OFF. Austrian Fashion Design (wieder ab 1. Juni bis 30. August). Sie war einen Monat lang geöffnet, dann war Schluss. Die Pause nutzen die beiden kreativ: Auf show-off.net gibt es heimische Mode, chice Masken und Fashion-Fotografie digital zu sehen und sogar zu kaufen. Ein Fashion-Live-TV-Format geht am 28. Mai online – „improvisiert, aber unterhaltsam“, wie man uns gut gelaunt versichert.

Ulrike Tschabitzer-Handler und Andreas Bergbaur