Die Erklärer

Wie Wissenschaft Wissen schafft

Verstehen wir die hochkomplexe und spezialisierte Forschung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern noch? Warum trauen so viele Menschen Verschwörungstheorien mehr als Fakten? Wir diskutieren mit Christian Bertsch und Mia Meus vom Institute of Science and Technology Austria darüber, wie es gelingen kann, Laiinnen komplizierte Dinge einfach zu erklären, und warum Kunst dafür ziemlich gut geeignet ist.
 

Text: Bernardo Vortisch

Christian Bertsch und Mia Meus, Institute for Science and Technology Austria

„Kunst und Wissenschaft sind Versuche, die Welt zu erklären.“

Bernardo Vortisch: Hand aufs Herz! Versteht Ihr immer, woran Eure Kolleginnen den lieben langen Tag forschen?

Mia Meus: Nein, auch wir verstehen nicht immer alles (lacht). Aber wir sind nicht so schlecht darin, komplizierte Dinge verständlicher zu machen. Am ISTA arbeiten Menschen aus über 80 Ländern. Was sie und uns alle verbindet, ist unsere Neugierde und Begeisterung für Fragen, auf die es noch keine Antworten gibt. Die Krux ist, dass unsere Forscherinnen und Forscher teilweise so „cutting edge“ sind, dass wir sehr kreativ sein müssen, um ihre Forschung zu vermitteln.

Was ist Eure Idee?

Christian Bertsch: Damit uns das besser gelingt, haben wir die Initiative „VISTA Science Experiences“ ins Leben gerufen. Sie soll einen neuen Blick und ungewöhnliche Perspektiven auf Forschung ermöglichen. Wir wollen sie vielen Menschen zugänglich machen, Menschen, die außerhalb der Wissenschaft stehen, dazu gehören durchaus schon Kleinkinder, aber auch Pensionistinnen und Pensionisten und natürlich Jugendliche aller Schulstufen.

Es wird sogar ein „VISTA Science Experience Center“ also ein Haus am Campus dafür geben! Was erwartet die Besucherinnen in Zukunft dort?

M.M.: Diese Location liegt in der Mitte des Campus in Klosterneuburg. Damit sind wir zentrale Anlaufstelle für Besucherinnen und Besucher am Institut. Uns stehen 1.000 Quadratmeter zur Verfügung, auf denen man sich interaktiv mit Wissenschaft auseinandersetzen kann. Die Hälfte dieser Fläche wird unsere „Research Gallery“ einnehmen, in der wir Ausstellungen rund um wissenschaftlich und gesellschaftlich relevante Themen zeigen. Die kuratiere unter anderem ich.

„Das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren“

Was ich mich schon länger frage: Ist Kunst wirklich nur ein reines Vermittlungs-Tool für die Wissenschaft oder kann Kunst auch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen führen?

C.B.: Eines ist sicher: Wenn man Grundlagenforschung betreibt und etwas ganz Neues erforscht, seiner Neugier folgt, dann ist dabei sehr viel Kreativität gefragt.

M.M.: Viele Menschen sind immer wieder darüber erstaunt, wie ähnlich sich Kreative und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind, in ihrer Persönlichkeit und in ihrer Leidenschaft. Beide sind in schaffende, kreative Prozesse verwickelt. Gesellschaftlich trennen wir aber diese Disziplinen, dabei sind sowohl Kunst als auch Wissenschaft Versuche, die Welt zu erklären. Kunst zeigt der Wissenschaft neue Wege und umgekehrt.

Das Match zwischen Kunst, Design und Science ist derzeit in der Kunstwelt omnipräsent?!

M.M.: Zu Recht! Kunstschaffende und Kreative arbeiten mittlerweile sehr genau, tiefgreifend und kompetent mit wissenschaftlichen Methoden, um sich an ein Thema heranzutasten. Sie kollaborieren dabei mit Expertinnen und Experten und vernetzen sich international. Wir befinden uns gerade in einer sehr interessanten Ära.

Was treibt die Wissenschaft und Kunst derzeit gleichermaßen?

M.M.: Die Suche nach dem Ursprung des Lebens, Fragen nach unserer Beziehung zur Natur, die Grenzen und Chancen von Künstlicher Intelligenz, mögliche Symbiosen zwischen Maschine und Biologie, die Liste ist lang.

„Mit offenen Karten spielen“

Warum ist das Gros der Menschen an Wissenschaft desinteressiert, vertraut der Wissenschaft nicht und ist sogar richtiggehend wissenschaftsfeindlich?

M.M.: Wir befinden uns gesellschaftlich in einer herausfordernden Zeit. Es stehen mehr Informationen denn je zur Verfügung. Wenn wir sie und die neuen Technologien und Maschinen nicht mehr verstehen, bekommen wir das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Wir tendieren dazu, das, was uns verunsichert, abzulehnen oder leichtere Lösungen und Antworten zu suchen, die uns das Gefühl von Sicherheit geben.

C.B.: Es liegt auch an uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, dieser Tendenz aktiv entgegenzutreten. Wir sollten der Öffentlichkeit besser vermitteln, woran und vor allem auch wie wir forschen, um das Vertrauen in Wissenschaft zu stärken.

Wissenschaft passiert nie in einem machtfreien Raum! Ölkonzerne wie Shell, Exxon und BP wussten seit Anfang der 70er-Jahre von der Gefahr des Klimawandels, da sie dazu Studien in Auftrag gegeben hatten. Sie verhinderten aber deren Publikation. Das bestärkt doch jene, die der Forschung vorwerfen, nicht objektiv und glaubhaft zu sein!

C.B.: Obwohl diese Studien nicht publiziert wurden, gibt es trotzdem einen ganz klaren wissenschaftlichen Konsens, dass der Klimawandel anthropogen ist. Die Konzerne konnten diese Erkenntnis bestenfalls verzögern, aber nicht verhindern. Wissenschaft ist nicht die Meinung eines einzelnen Experten oder besteht aus einer einzigen Studie, sondern ist der aktuelle Konsens von Fachexpertinnen und Fachexperten.

„Hinterfragen“

Steckt nicht der Wurm schon in der Finanzierung von Forschung, insbesondere in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik? Großkonzerne verfolgen dabei ihre eigenen Interessen. Sollte man externes Funding durch Unternehmen grundsätzlich verbieten?

C.B.: Es kommen durch extern finanzierte Forschung auch sehr viele gute Sachen heraus. Man sollte einfach mit offenen Karten spielen. Es ist aber ohnehin wissenschaftlicher Standard, offenzulegen, wie eine Studie finanziert worden ist. Da kann sich jede und jeder eine eigene Meinung bilden, ob es da Partikularinteressen gibt. Ich glaube an die positive Kraft von Objektivität, Fakten und Wissenschaft, sie setzen sich à la longue immer durch. Wir wollen mit unseren Initiativen Menschen befähigen, genau hinzuschauen, kritisch zu hinterfragen, aber auch die Grenzen von Wissenschaft besser zu verstehen.

Wissenschaft wird in der Schule oft als Ansammlung von Fakten vermittelt, die nicht hinterfragt werden dürfen, nicht mal die Frage nach dem Sinn des Lernstoffs für das weitere Leben ist erlaubt. Ist das nicht skandalös?

C.B.: Wir können Vertrauen in die Wissenschaft nur stärken, wenn wir klarmachen, dass sie nicht aus einem Ja und Nein, einem Schwarz und Weiß besteht, sondern ein kritischer Prozess ist, sich der Wirklichkeit zu nähern. Der Fokus unseres Unterrichts liegt tatsächlich auf dem Vermitteln und Abprüfen von Faktenwissen, weniger auf Fragen und Hinterfragen. Zudem reden wir in der Schule fast ausschließlich über die wissenschaftlichen Erkenntnisse bis zum Jahr 2000. Aktuelle Forschung und „Science in the making“ kommt im Unterricht so gut wie gar nicht vor. 

Wie aktuelle Wissenschaft und die Prozesse dahinter funktionieren, habe ich in der Schule jedenfalls nicht gelernt!

C.B.: Diese Lücke wollen wir mit unseren Projekten füllen. Die aktuellen PISA- oder TIMSS-Studien zeigen, dass Österreichs Schülerinnen und Schüler im Wiedergeben von Faktenwissen gut sind, aber im Interpretieren von Daten und der Formulierung von Argumenten unter dem internationalen Durchschnitt liegen. Mit KI-Chatbots bekommen wir auf Knopfdruck sehr viele Informationen, sie wirken meist plausibel, das liegt in der Natur der Technologie, sind sie es aber auch? Das Stichwort ist Quellenkritik, Hinterfragen von Informationen und in weiterer Folge echtes Wissenschaftsverständnis.

„Grundvoraussetzung für demokratische Teilhabe“

Auf komplexe Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Befriedigend ist das nicht!

C.B.: Wissenschaft versucht, so nah an die Wirklichkeit ranzukommen, wie es auf Basis von aktuellen Daten möglich ist. Das war während der Covid-19-Pandemie zum Beispiel Thema, als von vielen geglaubt wurde, dass man mit den Impfstoffen nun eine endgültige Lösung gefunden hätte. Aber das hat die Wissenschaft nie behauptet, sondern war eher das Wunschdenken einiger Politiker und Politikerinnen. Die Wissenschaft hat gesagt: „Schau, wir wissen, dass sich die Viren in Zukunft anpassen und weiterentwickeln werden, aber wie, das wissen wir nicht.“ Dass gerade die Entwicklung von Impfstoffen, die weltweit Millionen Menschenleben retten, so stark zu einer Polarisierung führen, verwundert mich schon ein wenig.

Warum fördert das, was Ihr tut, Demokratie?

C.B.: Wir Menschen müssen ständig Entscheidungen treffen, die außerhalb unseres Erfahrungs- und Wissensschatzes liegen. Wenn ich zur Ärztin gehe, vertraue ich ihr, genauso wie ich einem Mechaniker vertraue, dass er mein Auto nach bestem Wissen repariert. In allen Bereichen, die außerhalb meiner eigenen Expertise liegen, muss ich also jemandem vertrauen. Die Fähigkeit, Informationen kritisch zu bewerten, zwischen wissenschaftlichem Konsens und Marktschreierei unterscheiden zu können, ist eine Grundvoraussetzung für demokratische Teilhabe. 

„Junge Menschen befähigen, zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fakes zu unterscheiden.“

Auch Verschwörungstheoretikerinnen buhlen um unser Vertrauen!

C.B.: Aber sie argumentieren bestenfalls pseudowissenschaftlich. Ich denke, wir können Wissenschaft vertrauen und sollten Einzelpersonen, die eine der Forschung diametral entgegengesetzte Meinung vertreten, prinzipiell kritisch gegenüberstehen. Verschwörungstheoretikerinnen hat es immer gegeben, mit den sozialen Medien haben sie aber auch noch ein sehr leistungsstarkes Megaphon in die Hand bekommen und erreichen viele Menschen. Umso wichtiger ist es, dass wir junge Menschen befähigen, zwischen soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fakes zu unterscheiden.    

Wo und wie gedenkt Ihr, mit Euren Projekten die Öffentlichkeit zu erreichen?

C.B.: Die Schule ist zum Beispiel ein Ort, an dem man viele Menschen erreichen kann und die Lehrerinnenausbildung ist sicherlich ein starker Hebel.  
 

M.M.: Meiner persönlichen Meinung nach, reden wir bei Bildung immer nur über die Schule. Die außerschulischen Bildungsmöglichkeiten und -potenziale, die zu Hause vor dem Fernseher, vor einem Buch, in Gesprächen mit anderen, in Galerien und Museen oder eben im VISTA werden oft unterschätzt. Da sehe ich in der Kollaboration mit verschiedensten Künsten ein Potenzial, Möglichkeiten zu schaffen, Leute abzuholen und zu empowern, die nicht ins klassische Bildungssystem passen.

Mia, hätten Deine Lehrerinnen je gedacht, dass Du als Kreative in einem wissenschaftlichen Institut landest?

M.M.: Trotz meines großen Interesses an der Welt, war ich keine klassisch gute Schülerin, habe zwar immer gerne gelesen, aber lieber taggeträumt als im Unterricht aufgepasst, was nicht gut angekommen ist. Meine Hausaufgaben habe ich oft nicht gemacht, weil ich am Nachmittag immer mit anderen Projekten beschäftigt war und Sachen nachgebaut habe, die ich verstehen wollte. Dadurch war ich aber vielleicht kreativer als andere und wurde zum Kunststudium zugelassen. Das hat mich am Ende zur Wissenschaft gebracht. Da schließt sich der Kreis.

Danke für das Gespräch!

Mia Meus ist Designerin, Kuratorin und Expertin für kreative Technologien. Ein Großteil ihrer Arbeit dreht sich um das Erzählen von Geschichten und die Vermittlung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie die neuesten Technologien und ihre Auswirkungen auf unser Leben und unsere Gesellschaft. Am ISTA arbeitet sie als Kuratorin für wissenschaftliche Ausstellungen und Kommunikationsprojekte, die die Spitzenforschung des Instituts in Zusammenarbeit mit jungen Künstlerinnen kreativ vermitteln.

Christian Bertsch ist Hochschulprofessor für Naturwissenschaftsdidaktik und leitet den Bereich Science Education am ISTA. Mit seinem Team arbeitet er daran, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken, indem aufgezeigt wird, wie Wissenschaft Wissen schafft. Im Hörsaal, im VISTA Science Experience Center, beim Science-Heurigen oder mit dem Science Tuk Tuk im öffentlichen Raum.

Die Gletscherforscherin

Text: Eva Holzinger

Himalaya-Solarigraphie

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Der Legospieler

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Jérémie Palacci ist Physiker und arbeitet am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg. Sein Spezialgebiet? Weiche Materie – alles, was squishy ist – so wie Götterspeisen oder Shampoos. Palaccis Forschungsgruppe mit dem lautmalerischen Namen Materiali Molli Lab macht aber noch mehr: Aus Bausteinen, die hundertmal kleiner als ein Haar sind, stellt sie kleine Lego-Maschinen her. Klingt abgefahren – ist es auch! Die Artworks zum Interview sind von der niederländischen Künstlerin und Fotografin Viviane Sassen.

Die Astrophysikerin

Text: David Meran, Fotos: Katrin Binner, Josef Köröcz, Tobias Meran

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