Die Fotografin des Monats: Hilde van Mas

Surrealistische Bilderwelten

Die Bilder der in Wien und Paris lebenden Modefotografin Hilde van Mas sind Kunstwerke, die zwischen Licht und Schatten oszillieren, wie Schnappschüsse aus einem Traum. Zu ihren Kundinnen gehören unter anderem VOGUE, L'Officiel, Hermès oder Dolce & Gabbana. Wir sprechen mit der früheren professionellen Balletttänzerin über Kunst und Kommerz, das harte Pariser Pflaster und ihre Kindheit im steirischen Fürstenfeld.

Text: Lara Ritter

„Gleichgültigkeit ist dein Tod.“

Lara Ritter: Fotostrecken von schönen Personen, die teure Kleidung tragen – kann Modefotografie mehr als das?

Hilde van Mas: Auf jeden Fall, es müssen nicht platte Fotos von dünnen 15- und 16-Jährigen sein, die dir die Klamotte verkaufen, weil Erwachsene nicht reinpassen. Mich interessiert Designer-Couture nicht, Luxus ist stinkfad. Tolle Mode ist Kunst. Bei argen Kleidern von Marken wie Schiaparelli werde ich enthusiastisch und sage: „Geil, schau mal, wie das verarbeitet ist, wie das Licht da reflektiert!“ Mode hat ein Eigenleben, zu dem ich etwas dazu interpretiere. Ich versuche als Fotografin, Geschichten zu erzählen. 

Was ist Dir wichtig, wenn Du fotografierst?

Meine allergrößte Intention ist es, zu berühren. Dazu ist es wichtig, ehrlich zu sein und nicht bloß irgendeinem Trend hinterherzulaufen. Man muss seine eigene Handschrift entwickeln und riskieren, dass sie anderen nicht gefällt. Aber das ist immer noch besser als Gleichgültigkeit, die ist dein Tod. Ich verwirre mit meinen Fotos gerne und versuche, Dinge offenzulassen. 

Du fotografierst vor allem Fashion. Was hast Du über Mode gelernt?

Sie ist ein Spiegel der Seele! Warum lasse ich mich tätowieren, trage viele Ringe und bin immer schwarz und reduziert angezogen? All das sagt etwas über mich aus. Mode versinnbildlicht meine Haltung zur Welt, das ist schön. If you feel it, wear it!

„Kommerz kann auch Kunst sein!“


Um die Welt jetten, Models in Szene setzen – wie glamourös ist Dein Leben?

Meine Wohnung ist recht bescheiden, die Möbel habe ich entweder von der Straße oder auf dem Flohmarkt erstanden. Das Leben als Modefotografin stellt man sich mondän vor. Meine Kolleginnen hamstern meistens ihr Geld, tragen Hoodies und investieren ihre Kohle in Equipment, Reisekosten und in Kunstprojekte, für die sie meistens keinen Cent bekommen. Wenn ich nur ein bisschen im Minus bin, bekomme ich Panik und denke mir: „Verdammt, jetzt muss ich in die Gänge kommen.“

Fast die Hälfte des Jahres verbringst Du in Paris – wie hast Du es geschafft, auf so einem heiß umkämpften Pflaster Fuß zu fassen?

Mein Glück war, dass mich jemand auf Instagram entdeckte und für ein Shooting buchte, danach lernte ich nach und nach Leute aus der Branche kennen. An die Agenturen und Magazine kommt man ohne Beziehungen nur schwer heran. Die beantworten keine deiner E-Mails. 

Die Französinnen sind ja nicht unbedingt für ihre Höflichkeit bekannt ...

In Paris wird man wahrlich nicht mit Samthandschuhen angefasst und macht einen auf „G’schamster Diener, gnädige Frau“, sondern sagt einfach „Gefällt mir nicht“. Da braucht es schon ein dickes Fell. Ich habe mir tausendmal angehört, wie schlecht meine Arbeit sei, aber immer die Nerven behalten und gefragt: „What can I do better?“ Man darf das nicht persönlich nehmen.

„Da braucht es schon ein dickes Fell.“

Auf Shootings geht es mitunter sehr unübersichtlich zu. Das bisher größte Chaos?

Einmal veranstalteten wir ein ewig langes Casting und am Ende kam ein Model zum Shooting, das ganz anders als die ausschaute, die wir ausgesucht hatten. Ich fragte: „Bist du sicher, dass du hierher gehörst?“ Es kam heraus, dass die Produzentin die Shootings verwechselt hatte, das Vogue-Team mit lauter Star-Visagisten war bei einem Kommerz-Shooting gelandet.

Wo ziehst Du die Grenze zwischen kommerzieller Modefotografie und Kunst?

Gar nicht, Kommerz kann auch Kunst sein! Im ersten Lockdown saß ich mit meinem Dackel in meiner Wohnung eingesperrt und dachte mir: „Ich gebe mir die Kugel, ich kann niemanden fotografieren.“ Irgendwann kam ich auf die Idee, eine Schaufensterpuppe, die bei mir zu Hause herumstand, zu fotografieren. Ich rief einen Kunden an und bat ihn, mir ein paar Brillen zu schicken. Nachts ging ich auf die Kreuzung raus und fotografierte, bis mich irgendwann die Polizei mit der Puppe in der Hand erwischte. Aus den Fotos wurde dann eine Kampagne.  

„Geht scho, geht scho, geht scho!“

Deine ersten Lebensjahre verbrachtest Du in Italien, in der zweiten Klasse Volksschule zog Deine Mutter dann mit Dir nach Fürstenfeld. Wie groß war der Kulturschock?

Groß! Ich wuchs in einem 500-Einwohner-Ort an der ligurischen Küste auf, in der Nähe von Nizza. Das war nicht wahnsinnig fancy, es wurden dort nur Zitronen und Mandarinen gezüchtet, aber es war urschön. In Österreich lernte ich sofort Steirisch, Deutsch kann ich bis heute nicht. In den 90er-Jahren die einzige Ausländerin in Fürstenfeld zu sein, war nicht lustig. Die Kinder bewarfen mich mit Tomaten und schrien „Spaghetti-Fresserin.“ Mir war’s wurscht, ich verstand's ja nicht. 

Das klingt hart! Mit 13 Jahren zogst Du nach Ungarn, um dort auf eine staatliche Ballettakademie zu gehen, später bist Du dann der Sprache wegen nach Frankfurt gewechselt. Sechs Jahre Internat und Ballett – wie sehr härtet das ab?

Ich musste als Kind wie ein Soldat funktionieren. Auf der Bühne durfte man sich keinen Fehler erlauben, impossible. Leute, die Leistungssport gemacht haben, ticken anders, die sind meistens beruflich super organisiert, privat eher das Gegenteil. Man braucht halt auch einen Ort, an dem man versagen darf, sonst wird man deppert. Man muss lernen, Nein zu sagen. Ich sagte lange Zeit immer: „Geht scho, geht scho, geht scho! Das Bein kriege ich hoch, die Fotos mach ich auch noch.“ Irgendwann lag ich im Krankenhaus – ich hatte mich zu Tode gearbeitet. Heute schaffe ich es, zu sagen, wenn ich nicht mehr kann. 

„Man braucht einen Ort, an dem man versagen darf, sonst wird man deppert.“

Nach einem Bandscheibenvorfall mit 19 Jahren begannst Du, zu studieren und als Beauty-Redakteurin zu arbeiten. Zur Fotografie kamst Du eher per Zufall, als einem Kollegen der Assistent ausfiel. Du sprangst spontan ein, danach bliebst Du dabei. Wie waren Deine Anfänge als Fotografin?

Ich verkaufte zu Beginn alles, was ich besaß, sogar meinen Computer, damit ich mir eine Kamera, Stativ und Lampen kaufen konnte. Als ich mein Bett verkauft hatte, lag ich total glücklich mit meinem Hund auf der Matratze und dachte: „Ich muss nicht mehr funktionieren, dauernd in einen Spiegel schauen, meine Beine nicht mehr heben, ich kann jetzt einfach nur fotografieren“. 

Vielen Dank für das Gespräch!


Hilde van Mas, geboren in Italien, lebt in Wien und Paris. Bis zum Alter von 19 Jahren tanzte sie professionell Ballett, danach begann sie damit, als Beauty-Redakteurin zu arbeiten und später zu fotografieren. Zu ihren Kundinnen gehören heute unter anderem VOGUE Portugal, L'Officiel, Hermès, Dolce & Gabbana oder Cazal Eyewear.

Die Fotografin des Monats: Julia Gaes

Text: Maja Goertz

Porträt von Julia Gaes
Körper faszinieren die Hamburger Fotografin Julia Gaes. Über mehrere Sommer begleitete sie eine Gruppe von Nacktwanderinnen für ihre Serie Die Naturisten, mit Burlesque-Performerinnen und Dragqueens entstand ihre Polaroid-Arbeit Wigs & Gloves. Kürzlich besuchte sie Wien. Wir trafen sie im Kaffeehaus.

Die Fotografin Rafaela Pröll

Text: Antje Mayer-Salvi

Rafaela Pröll gehört zu den bekanntesten Mode- und Porträtfotografinnen in Österreich. Wir trafen die gebürtige Bregenzerin zu einem Gespräch unter einem Waldviertler Apfelbaum. Während uns die reifen Früchte auf die Köpfe fielen, besprachen wir die Kunst des guten Porträts, warum man Licht hören kann und in welchen Momenten selbst ein Vollprofi wie sie ins Schwitzen kommt.

Der Narbenforscher

Text: Julia Bauereiß, Fotos: Hilde van Mas

Zellen die Narben generieren können bei einem Embryo unter dem Mikroskop

Wir alle tragen Narben – sie erzählen uns bewegende, tragische und inspirierende Geschichten. Wie sähe eine Welt ohne Narben aus? Wie wäre es, wenn wir bei einem Unfall eine Gliedmaße verlieren, die uns von selbst nachwachsen könnte? Wir sprechen mit dem Narbenforscher Yuval Rinkevich, Direktor des Instituts für Regenerative Biologie und Medizin am Helmholtz Zentrum München, über sein bahnbrechendes Projekt ScarLessWorld und eine Zukunft, in der wir Menschen uns vielleicht selbst heilen könnten.