Die Bilder der in Wien und Paris lebenden Modefotografin Hilde van Mas sind Kunstwerke, die zwischen Licht und Schatten oszillieren, wie Schnappschüsse aus einem Traum. Zu ihren Kundinnen gehören unter anderem VOGUE,L'Officiel, Hermès oder Dolce & Gabbana. Wir sprechen mit der früheren professionellen Balletttänzerin über Kunst und Kommerz, das harte Pariser Pflaster und ihre Kindheit im steirischen Fürstenfeld.
Oben links ist ein Foto zu sehen, das im Rahmen eines mit dem Künstler FJBaur gemeinsam gestalteten Kunstprojekts entstand, daneben ein Foto aus der Serie „Femme Totale“ für das Magazin „CAP 74024“.
Lara Ritter: Fotostrecken von schönen Personen, die teure Kleidung tragen – kann Modefotografie mehr als das?
Hilde van Mas: Auf jeden Fall, es müssen nicht platte Fotos von dünnen 15- und 16-Jährigen sein, die dir die Klamotte verkaufen, weil Erwachsene nicht reinpassen. Mich interessiert Designer-Couture nicht, Luxus ist stinkfad. Tolle Mode ist Kunst. Bei argen Kleidern von Marken wie Schiaparelli werde ich enthusiastisch und sage: „Geil, schau mal, wie das verarbeitet ist, wie das Licht da reflektiert!“ Mode hat ein Eigenleben, zu dem ich etwas dazu interpretiere. Ich versuche als Fotografin, Geschichten zu erzählen.
Was ist Dir wichtig, wenn Du fotografierst?
Meine allergrößte Intention ist es, zu berühren. Dazu ist es wichtig, ehrlich zu sein und nicht bloß irgendeinem Trend hinterherzulaufen. Man muss seine eigene Handschrift entwickeln und riskieren, dass sie anderen nicht gefällt. Aber das ist immer noch besser als Gleichgültigkeit, die ist dein Tod. Ich verwirre mit meinen Fotos gerne und versuche, Dinge offenzulassen.
Du fotografierst vor allem Fashion. Was hast Du über Mode gelernt?
Sie ist ein Spiegel der Seele! Warum lasse ich mich tätowieren, trage viele Ringe und bin immer schwarz und reduziert angezogen? All das sagt etwas über mich aus. Mode versinnbildlicht meine Haltung zur Welt, das ist schön. If you feel it, wear it!
Das Bild oben schoss van Mas für die „active beauty“-Kampagne von dm, das Bild unten für ein Fashion-Editorial der VOGUE Portugal.
Um die Welt jetten, Models in Szene setzen – wie glamourös ist Dein Leben?
Meine Wohnung ist recht bescheiden, die Möbel habe ich entweder von der Straße oder auf dem Flohmarkt erstanden. Das Leben als Modefotografin stellt man sich mondän vor. Meine Kolleginnen hamstern meistens ihr Geld, tragen Hoodies und investieren ihre Kohle in Equipment, Reisekosten und in Kunstprojekte, für die sie meistens keinen Cent bekommen. Wenn ich nur ein bisschen im Minus bin, bekomme ich Panik und denke mir: „Verdammt, jetzt muss ich in die Gänge kommen.“
Fast die Hälfte des Jahres verbringst Du in Paris – wie hast Du es geschafft, auf so einem heiß umkämpften Pflaster Fuß zu fassen?
Mein Glück war, dass mich jemand auf Instagram entdeckte und für ein Shooting buchte, danach lernte ich nach und nach Leute aus der Branche kennen. An die Agenturen und Magazine kommt man ohne Beziehungen nur schwer heran. Die beantworten keine deiner E-Mails.
Die Französinnen sind ja nicht unbedingt für ihre Höflichkeit bekannt ...
In Paris wird man wahrlich nicht mit Samthandschuhen angefasst und macht einen auf „G’schamster Diener, gnädige Frau“, sondern sagt einfach „Gefällt mir nicht“. Da braucht es schon ein dickes Fell. Ich habe mir tausendmal angehört, wie schlecht meine Arbeit sei, aber immer die Nerven behalten und gefragt: „What can I do better?“ Man darf das nicht persönlich nehmen.
„Ich verwirre mit meinen Fotos gerne und versuche, Dinge offenzulassen.“
Auf Shootings geht es mitunter sehr unübersichtlich zu. Das bisher größte Chaos?
Einmal veranstalteten wir ein ewig langes Casting und am Ende kam ein Model zum Shooting, das ganz anders als die ausschaute, die wir ausgesucht hatten. Ich fragte: „Bist du sicher, dass du hierher gehörst?“ Es kam heraus, dass die Produzentin die Shootings verwechselt hatte, das Vogue-Team mit lauter Star-Visagisten war bei einem Kommerz-Shooting gelandet.
Wo ziehst Du die Grenze zwischen kommerzieller Modefotografie und Kunst?
Gar nicht, Kommerz kann auch Kunst sein! Im ersten Lockdown saß ich mit meinem Dackel in meiner Wohnung eingesperrt und dachte mir: „Ich gebe mir die Kugel, ich kann niemanden fotografieren.“ Irgendwann kam ich auf die Idee, eine Schaufensterpuppe, die bei mir zu Hause herumstand, zu fotografieren. Ich rief einen Kunden an und bat ihn, mir ein paar Brillen zu schicken. Nachts ging ich auf die Kreuzung raus und fotografierte, bis mich irgendwann die Polizei mit der Puppe in der Hand erwischte. Aus den Fotos wurde dann eine Kampagne.
Van Mas lässt sich vor allem von Arthouse-Filmen wie „Requiem for a dream“ inspirieren. Ideen sammelt sie bei Gesprächen mit befreundeten Künstlerinnen.
Deine ersten Lebensjahre verbrachtest Du in Italien, in der zweiten Klasse Volksschule zog Deine Mutter dann mit Dir nach Fürstenfeld. Wie groß war der Kulturschock?
Groß! Ich wuchs in einem 500-Einwohner-Ort an der ligurischen Küste auf, in der Nähe von Nizza. Das war nicht wahnsinnig fancy, es wurden dort nur Zitronen und Mandarinen gezüchtet, aber es war urschön. In Österreich lernte ich sofort Steirisch, Deutsch kann ich bis heute nicht. In den 90er-Jahren die einzige Ausländerin in Fürstenfeld zu sein, war nicht lustig. Die Kinder bewarfen mich mit Tomaten und schrien „Spaghetti-Fresserin.“ Mir war’s wurscht, ich verstand's ja nicht.
Das klingt hart! Mit 13 Jahren zogst Du nach Ungarn, um dort auf eine staatliche Ballettakademie zu gehen, später bist Du dann der Sprache wegen nach Frankfurt gewechselt. Sechs Jahre Internat und Ballett – wie sehr härtet das ab?
Ich musste als Kind wie ein Soldat funktionieren. Auf der Bühne durfte man sich keinen Fehler erlauben, impossible. Leute, die Leistungssport gemacht haben, ticken anders, die sind meistens beruflich super organisiert, privat eher das Gegenteil. Man braucht halt auch einen Ort, an dem man versagen darf, sonst wird man deppert. Man muss lernen, Nein zu sagen. Ich sagte lange Zeit immer: „Geht scho, geht scho, geht scho! Das Bein kriege ich hoch, die Fotos mach ich auch noch.“ Irgendwann lag ich im Krankenhaus – ich hatte mich zu Tode gearbeitet. Heute schaffe ich es, zu sagen, wenn ich nicht mehr kann.
„Man braucht einen Ort, an dem man versagen darf, sonst wird man deppert.“
Hilde van Mas in ihrer Jugend bei der Ballett-Probe. „Das Bein kriege ich hoch. Das Bein kriege ich hoch.“
Nach einem Bandscheibenvorfall mit 19 Jahren begannst Du, zu studieren und als Beauty-Redakteurin zu arbeiten. Zur Fotografie kamst Du eher per Zufall, als einem Kollegen der Assistent ausfiel. Du sprangst spontan ein, danach bliebst Du dabei. Wie waren Deine Anfänge als Fotografin?
Ich verkaufte zu Beginn alles, was ich besaß, sogar meinen Computer, damit ich mir eine Kamera, Stativ und Lampen kaufen konnte. Als ich mein Bett verkauft hatte, lag ich total glücklich mit meinem Hund auf der Matratze und dachte: „Ich muss nicht mehr funktionieren, dauernd in einen Spiegel schauen, meine Beine nicht mehr heben, ich kann jetzt einfach nur fotografieren“.
Hilde van Mas, geboren in Italien, lebt in Wien und Paris. Bis zum Alter von 19 Jahren tanzte sie professionell Ballett, danach begann sie damit, als Beauty-Redakteurin zu arbeiten und später zu fotografieren. Zu ihren Kundinnen gehören heute unter anderem VOGUE Portugal, L'Officiel, Hermès, Dolce & Gabbana oder Cazal Eyewear.