Die Fotografinnen des Monats: Gorsad Kyiv

Verboten und kein Stress!

Meerjungfrauen, rauchende Kinder, viel nackte Haut: Die Fotos des vor zwölf Jahren in Kiew gegründeten Fotografinnen-Trios Gorsad Kyiv mit Masha Romaniuk, Ulik Romaniuk und Vitya Vasyliev feiern die Freiheit, das Leben der Jugend und die Revolte. Wir haben Vitya in Wien getroffen, wohin er wegen des Krieges in seinem Heimatland Ukraine geflüchtet ist.

Text: Maja Goertz

Pink

„Wer einen Krieg anzettelt, ist verrückt.“

Maja Goertz: Auf Euren Fotos sieht man viel nackte Haut. Sollten wir alle offener mit unseren Körpern umgehen?

Vitya Vasyliev: Unbedingt. Es geht uns um Freiheit. 

Ihr seid ein Trio, das 2011 in Kiew gegründet wurde. Was fotografierst Du persönlich am liebsten?

Wichtiger als das Motiv sind mir die Gefühle, die will ich einfangen. Die Stimmung am Set ist das Wichtigste, damit die Bilder gut werden. Ich mag es, wenn es dabei lustig zugeht. Man sieht auf Bildern sofort, ob sich jemand vor der Kamera wohlfühlt oder nicht. 

„Es geht uns um Freiheit.“

Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wohnt Ihr drei Kollektivmitglieder von „Gorsad Kyiv“, Masha Romaniuk, Ulik Romaniuk und Du, nicht mehr an einem Ort. Wie geht es Dir dabei?

Ich lebe seit September 2022 in Wien. Masha ist nach Berlin gezogen und Ulik ist sogar in Kiew geblieben. Es war sehr schwer für mich, meine Heimat zu verlassen. Vor allem, weil ich nicht einfach, so wie ich will, zurückkehren kann. Aber ich versuche, es so zu sehen, dass es einfach eine neue Etappe in meinem Leben ist, die ich annehmen muss. 

Wie war es, am 24. Februar 2022, als der Krieg in der Ukraine ausgebrochen war, aufzuwachen?

Ich hatte nicht verstanden, was gerade passiert war. Alles war laut. Als ich die Nachrichten auf Instagram und Facebook gecheckt hatte, sah ich wie Putins Armee vorrückte. Das war alles nur surreal. Allgemeiner Konsens sollte sein: „Wer einen Krieg anzettelt, ist verrückt.“

Wohnt Deine Familie noch in der Ukraine?

Ja, man gewöhnt sich an den Kriegszustand, aber schrecklich bleibt es trotzdem. Ich schreibe viel mit meiner Familie, um zu hören, wie es ihnen geht. 

„Also begann ich, Skater zu fotografieren.“

Wie bist Du zur Fotografie gekommen?

Ich habe Malerei und Design studiert. Nach meinem Abschluss war mir klar, dass ich nicht als Designer arbeiten will. In dieser Zeit sprach mich ein guter Freund an, ob ich nicht zur ukrainischen Fashion Week mitkommen und Redakteurinnen vom Vice-Magazine kennenlernen will. Dafür musste ich natürlich erst einmal Referenzen und Erfahrungen vorweisen, also begann ich, Skater zu fotografieren. Das machte mir so viel Spaß, dass ich mir ganz viel autodidaktisch beigebracht habe und seitdem als Fotograf arbeite. 

Wie läuft es ab, wenn Ihr ein Shooting macht?

Am liebsten fotografieren wir vor weißen Wänden, damit die Models im Fokus stehen. Ein Shooting vorzubereiten, dauert lange. Wir brauchen Stylistinnen, Leute, die interessant aussehen und spannende Accessoires. Und dann kommt es auf die Chemie an. 

Die Accessoires, die Ihr verwendet, sind ziemlich ausgefallen. Mal sind es Fische, mal dicke Stahlketten oder Holzpistolen!

Mir solche Sachen auszudenken, ist der Lieblingspart meiner Arbeit! Manchmal streife ich über Flohmärkte und entdecke dort Dinge, interessante Klamotten, Haushaltswaren oder eine schöne Statue, mit denen ich später einmal etwas machen möchte. Dann entwickeln sich die Fantasien über die Zeit. 

„Reine Provokation!“

Wie findet Ihr Eure Models?

Tatsächlich spreche ich gerne Menschen auf der Straße an, die ich interessant finde, und frage sie, ob sie Lust auf ein Shooting hätten. Ich zeige ihnen dann unsere Instagram-Seite, die viele sofort cool finden. Uns schreiben auch oft Leute proaktiv an, die gerne bei einem Projekt von uns dabei wären. 

Gorsad Kyiv gibt es schon sehr lange. Wie hat sich Eure Arbeit über die Zeit verändert?

Wir haben heute mehr Erfahrung, aber prinzipiell arbeiten wir noch immer auf die gleiche Art und Weise und sind uns in unserem Stil treu geblieben. Natürlich sind wir aber künstlerisch freier, wenn wir eine ganz neue Fotoreihe machen, als wenn wir kommerziell, also für Werbung oder Magazine, arbeiten. 

Ihr habt Fotos gemacht, auf denen Kinder mit Zigaretten im Mund zu sehen sind. Das irritiert bestimmt viele!

Das ist reine Provokation.

„Machen, was ich will“

Warum wollt Ihr provozieren?

Wir wollen kein klischeehaften oder nur hübsche Fotos zeigen. Uns interessiert, was im Leben wirklich passiert. 

Ihr habt für Eure Fotos auch schon viel Kritik geerntet. Zum Beispiel für Bilder, auf denen Kinder in lasziven Posen gezeigt werden.

Viele Leute, die uns kritisieren, fällen ihr Urteil sehr oberflächlich. Vor sieben Jahren haben wir ein Projekt über die Probleme von Kindern und Jugendlichen gemacht, was danach viel aus dem Kontext gerissen wurde, um uns als Künstlerinnen und Künstler zu verunglimpfen. Man kann vieles verdrehen: Fotos von Kindermodelagenturen, Kinderschönheitswettbewerben, Kindersporttänzen mit freizügigen Kleidern und Make-up. Es gibt ja auch Filme mit der Beteiligung von Kindern in freizügigen Handlungen – wie „Kids“ oder „Lolita“ – und viele andere Werke, die zu den Klassikern der Kinematografie und Kunst gehören. Wir inszenieren unsere Fotoarbeiten im Rahmen von thematischen Projekten. Alle Kinder und Jugendlichen nehmen mit dem Einverständnis ihrer Eltern teil.

Hat die Freiheit der Kunst für Dich auch Grenzen?

Über Provokation kann man künstlerisch viel diskutieren. Trotzdem gibt es Grenzen, die man nicht überschreiten sollte. Über Moral in der Kunst tauschen wir drei uns viel aus. Ich möchte frei sein und machen können, was ich will, aber nackte Kinder würde ich trotzdem nicht zeigen. 

Ist Eure Arbeit politisch?

Wir haben Bilder gegen Mobbing an Schulen gemacht, die sind vielleicht politisch. Viele Teenager haben Probleme, die die Mehrheit der Menschen nicht sieht. Wir setzen ein Zeichen dagegen, indem wir diese Kinder zeigen. Viele Jugendliche haben das Gefühl, ihre Identität verstecken zu müssen, weil sie Angst vor der Bewertung anderer haben. Mit unseren Bildern wollen wir genau das Gegenteil erreichen!

Hast Du Deine Identität als Fotograf gefunden?

In der Kunst auf jeden Fall! 

Was habt Ihr für Rückmeldungen von den Jugendlichen bekommen?

Ein junger Skater aus Kiew, den ich mal fotografiert habe, kam einige Zeit später auf mich zu und erzählte mir, dass er durch die Fotos auf einmal viel beliebter in der Schule ist. Er fragte, ob wir ein neues Shooting machen können, weil er gerade paar Mädels kennenlernt (lacht). 

„Das Paradies ist kein Ort, sondern eine Zeit.“

Eine Eurer Fotoreihen heißt „Paradise“. Was bedeutet das für Dich?

Ich glaube, dass das Paradies kein Ort, sondern eine Zeit ist. Wenn man jung ist und machen kann, was man will – ohne Schule, ohne Regeln, mit offenem, freiem Geist. 

Wie nimmst Du Wien war?

Ich mag die Kunstszene hier, es gibt jede Menge Galerien und Orte für Künstlerinnen und Künstler. Aber es gibt hier auch viele Regeln! Überall sieht man Schilder, auf denen „Verboten“ steht. 

Du hast mir vor dem Interview erzählt, dass Du gerade Deutsch lernst. Gibt es einen Satz, den Du besonders magst?

„Kein Stress!“ Das sagt mein Deutschlehrer immer, wenn ich etwas nicht verstehe. Vielleicht beschreiben diese zwei Ausdrücke Wien gut: „Verboten!“ und „Kein Stress!“.

In diesem Sinne: Kein Stress und vielen Dank für das Gespräch!

Gorsad Kyiv ist ein 2011 in Kiew gegründetes Kunst-Trio, bestehend aus Masha Romaniuk, Ulik Romaniuk und Vitya Vasyliev. Fokus ihrer künstlerischen Arbeit ist das Thema Jugend mit allen ihren Eigenheiten und Merkwürdigkeiten. Ihre Projekte wurden unter anderem in Galerien in New York, London, Paris, Berlin, Kiew und Athen ausgestellt.

Vitya Vasyliev (rechts auf dem Bild) wurde 1986 in Kiev geboren. Dort studierte er an der Mykhailo Boichuk Kyiv State Institute of Decorative Applied Arts and Design. 2011 begann er, als Teil von Gorsad Kyiv als Fotograf zu arbeiten. Seit Sommer 2022 lebt er in Wien. 

Der Lukas Oscar

Text: Julia Bauereiß, Fotos: Vitya Vasyliev, Modedesign: Hisu Park

Lukas Oscar (Janisch) ist ein großes Talent der österreichischen Singer-Songwriter-Szene. Seine großartige Stimme und beeindruckende Bühnenpräsenz bezaubern. Seine Fangemeinde wird immer größer. Wir haben ihn zu Hause besucht. Vitya Vasyliev des ukrainischen Fotokollektivs Gorsad Kyiv hat für uns die grandiosen Fotos geschossen. Die Mode hat das junge Wiener Label Hisu Park designt. Ein Gespräch über frühen Ruhm, die Liebe zur Musik und eine Kindheit auf dem Bauernhof.

In High Heels

Text: David Meran, Lena Stefflitsch

Die Geschichte von Mari Katayama schreibt sich wie ein Märchen des 21. Jahrhunderts: Praktisch über Nacht erlangte sie Bekanntheit über das soziale Netzwerk MySpace, als sie dort ein Foto von sich inmitten ihrer selbstgenähten Stofftiere liegend hochlud. Was dabei Aufmerksamkeit erregte, war nicht nur ihre Handwerkskunst, sondern ebenso ihre amputierten Beine und Prothesen. Tibiale Hemimelie nennt sich die seltene Krankheit, die bei der japanischen Künstlerin als Kind diagnostiziert wurde und zur Verkürzung ihrer Schienbeine sowie zur Verformung ihrer Hand führte. Als Mädchen traf sie die Entscheidung, ihre Beine amputieren zu lassen, um somit eines Tages mittels Prothesen laufen zu können – wohlgemerkt in High Heels. 

Die Modehistorikerin

Text: Elisa Promitzer

Body

Was passiert unter der Hose und dem Rock? Wir sprechen mit der österreichischen Modehistorikerin Michaela Lindinger vom Wien Museum über die Rehleder-Höschen von Kaiserin Sisi, die kratzigen Liebestöter der Soldaten und über den berühmten pinken Stringtanga von Paris Hilton. Die Unterhose ist ein Kleidungsstück, das wie kaum ein anderes soziale und gesellschaftspolitische Zusammenhänge widerspiegelt. Wir fragen uns in unserer C/O Vienna Books Ausgabe "PS: UNTERHOSE", wie und ob sie den Sprung vom Sexobjekt zum Alltagsgegenstand geschafft hat. Eines ist sicher: Man experimentiert mit Optik und Material!