Wie Alice im Wunderland
Das österreichische Duo Cari Cari hat sich für ihr Debütalbum ANAANA lange Zeit gelassen. Jetzt ist es da! Als Alexander Köck und Stephanie Widmer vor fünf Jahren ihre erste Single „White Line Fever“ auf eigene Faust veröffentlichten, explodierte diese auf Soundcloud und YouTube. Seitdem werden die beiden von internationalen Blogs gefeiert, lieferten den Soundtrack für TV-Shows wie „Shameless“ und rockten unzählige Festivals. Als waschechte DIY Band machen sie alles selbst: Songs, Videos und Artworks! Immer auf der Suche nach dem magischen Feenstaub beschwört das junge Duo mit Didgeridoo und surrealen Videos das Überirdische herauf. Wir haben mit den beiden bekennenden Hippies über Sehnsüchte, den Reiz der Fremde, Quentin Tarantino und Drogen gesprochen.
„Irdisches gibt’s eh schon genug.“
Wieso nennt Ihr Euch Cari Cari?
A: Das ist unser Geheimnis.
Vielleicht sollte ich eher fragen, was ist Cari Cari?
A: Wir wissen nicht, was es ist, aber wir erkennen den Moment, in dem ES Cari Cari ist, warum auch immer. Das können ganz unterschiedliche Sachen sein. Aber es ist stets das Ungreifbare, der magische Feenstaub, der den Unterschied macht.
Ihr werdet als Band mit großer Vision beschrieben. Was ist Eure Vision?
A: Unsere Vision hört nicht bei der Musik auf, uns geht es darum, eine Welt zu erschaffen. Da gehören unsere Videos dazu, unser Sound, die Fotos und unsere Artworks. Sobald du etwas von uns hörst, sollst du in diese Welt hinein kippen und aus dem Irdischen rausgerissen werden – wie Alice im Wunderland.
Klingt so, als verfolge Cari Cari das höchst ambitionierte Ziel, das Überirdische in unsere Welt zu bringen?
(Lachen) A: Absolut. Irdisches gibt’s eh schon genug.
Eure Musik ist voller Sehnsucht. Wonach sehnt Ihr Euch?
A: Nach dem Kindsein, das tun zu können, was man will, keine Pflichten zu haben. Wir machen bei unserer Musik sehr viel „falsch“ – falsch im Sinne des Lehrbuchs. Wir haben oft keinen Refrain, oder die Sachen sind nicht „richtig“ aufgenommen. Aber für uns ist es richtig, und das allein zählt. Es gibt diesen magischen Punkt, wo der Song etwas auslöst, und wir eine Gänsehaut bekommen. Diesen Punkt suchen wir, immer. Manchmal finden wir ihn, manchmal nicht.
Was ist das Geilste am Musiker-Leben?
A: Wir fühlen uns immer wie Kinder, die in ihrem Kinderzimmer ein Theaterstück aufführen. Das ist das Schöne an der Musik: Man kann machen, was man will. Es gibt keine Regeln. Das vergessen sehr viele, die nehmen das Ganze einfach viel zu ernst. Viele Menschen sind in ihrem Job gefangen, wie in einem Hamsterrad. Wir haben das Glück, Musiker sein zu können. Deshalb wollen wir uns auch nicht in irgendein Korsett zwängen lassen. Wir wollen naiv sein und einfach schauen, was passiert.
„Wir fühlen uns wie Kinder, die in ihrem Kinderzimmer ein Theaterstück aufführen.“
Ich würde Eure Musik als Psychedelic Rock bezeichnen.
A: Sehr gerne.
Aber komischerweise werdet ihr selten so eingeordnet ...
S: Stimmt, da hören wir öfter Country, was ich gar nicht verstehe. Wir haben auch schon so komische Bezeichnungen gekriegt, wie brachialer Country-Surf-Rock und Elektro-Blues-Folk. Ich weiß selber nicht, was das heißen soll. (lacht)
A: Aber sehr korrekt. Danke, dass du das in die Welt hinausträgst.
Es ist mir ein Vergnügen! Soll Eure Musik auch psychedelisch wirken?
A: Wir setzen uns nicht in den Proberaum und nehmen uns vor, psychedelisch zu wirken. Aber wir mögen Musik aus den Sechzigern sehr gerne, auch diesen speziellen Vibe. Das fließt dann automatisch mit ein. Bei Live-Shows ziehen wir Songs oft absichtlich in die Länge, damit sie dieses Tranceartige bekommen. Am Wochenende haben wir ein Konzert bei Radio Eins in Berlin gespielt. Und bei einem Lied hab ich mich selbst in Trance gespielt und mir dann den Kopf voll am Mikro angehaut. (lacht)
„Bei einem Lied hab ich mich selbst in Trance gespielt.“
Seid Ihr moderne Hippies?
S: Prinzipiell ja. Wir versuchen, uns nicht einzuschränken, nicht abschleifen zu lassen, damit wir dann in irgendein Format reinpassen. Wir versuchen, das zu machen, was uns etwas gibt, und das zu teilen. Das ist der Freiheitsgedanke, um den es in der Hippiebewegung geht.
A: Worum es in der Hippiebewegung grundsätzlich geht, ist das Brechen mit gesellschaftlichen Konventionen. Heutzutage wird alles immer leistungsgetriebener: Du musst funktionieren als Mensch, musst bestehen in dieser schnelllebigen Welt und erfolgreich sein, sonst bist du nichts wert. Wir sehen uns als Gegenentwurf dazu. Wir sagen: He, das muss nicht sein! Wir machen einfach das, worauf wir Lust haben und sind in dem frei. Dadurch bauen wir eine Welt, in die sich auch andere Menschen flüchten und dort wohlfühlen können.
Und wie ist das mit Drogen?
A: Ich persönlich habe nicht wirklich eine Affinität zu Drogen, weil ich eigentlich sehr gerne nüchtern bin und auch ohne Drogen in einen Trancezustand kommen kann. Meiner Erfahrung nach konsumieren die Menschen Drogen, nach der Art von Mensch, die sie sind. Leute, die psychedelische Drogen nehmen, sind oft einfach neugierig. Leute, die regelmäßig chemische Drogen, wie Speed oder Ecstasy, nehmen, laufen häufig vor irgendwas davon. Ich mag die Realität wirklich. Ich bin auch bei den Auftritten am liebsten komplett nüchtern, weil ich es so am besten genießen kann. Aber das ist von Mensch zu Mensch verschieden. Jeder sollte selbst für sich herausfinden, ob und was die richtige Droge für einen ist.
„Ich bin eigentlich sehr gerne nüchtern. Ich mag die Realität wirklich.“
Wie würdet Ihr Eure Musik in drei Worten beschrieben?
A: Quentin Tarantino Soundtrack.
Was reizt Euch so an Quentin Tarantino? Was habt Ihr mit ihm gemeinsam?
A: Er ist auch ein Underdog. Er macht auch sein Ding. Sein Stil ist auch so überzeichnet.
S: Das Blut spritzt in hohem Bogen.
A: Er ist nicht sehr subtil. Wir sind auch nicht sehr subtil. Er ist so emotional, sinnlich, intensiv, makaber.
S: Und er spielt an der Schwelle von total brutal und lustig.
Denkt Ihr Eure Musik filmisch?
A: Es ist nicht so, dass wir einen Film sehen und dann dazu die Musik schreiben. Wir schreiben die Musik, sind aber erst fertig, wenn wir einen Film dazu sehen. Wenn man ein Lied schreibt, weiß man ja nie, wann es fertig ist. Bei uns hat sich dieser Zeitpunkt als der herausgestellt, an dem wir Bilder dazu sehen, wo wir wissen, an dieser Stelle fliegt eine Drohne über einen Vulkan.
„Wir sind auch nicht sehr subtil.“
In Eurem Song „White Line Fever“ singt Ihr „I have nothing, but I have my Way“. Ist diese Liedzeile so was wie Euer Motto?
A: Wir kommen aus der Underdog-Position. Dementsprechend passt die Songzeile sehr gut. Die Erkenntnis, dass unsere einzige Möglichkeit ist, unseren eigenen Weg zu gehen und uns genau die Dinge zu trauen, die sich Bands in Amerika nicht trauen, war total befreiend für uns.
Ihr geht sozusagen den umgekehrten Weg, erst internationalen Erfolg, dann erst in Österreich. Wieso?
A: Das war gar nicht geplant. Unsere erste Single haben wir selbst aufgenommen, ein Musikvideo dazu gedreht und auf eigene Faust veröffentlicht und beworben. Aber tatsächlich hat sie in Österreich niemand gut gefunden oder zumindest hat sie niemand erwähnt. Zugleich sind wir in den USA auf einigen sehr großen Blogs gelandet und wurden als die vielversprechendsten Newcomer des Jahres geahndet. Dann haben wir eine Australien-Tour gemacht. In Österreich sagen wir immer: Schaut ’s, überall will man uns, nur hier nicht! (lachen)
Wieso seid Ihr durch Australien getourt?
A: Es gab dort Fans und das Angebot. Wir nehmen einfach die Gelegenheiten, wie sie sich uns bieten. Wir haben dieses Jahr auch eine Albanien-Tour gemacht und Anfragen aus Argentinien und Honduras. Diese Länder reizen mich extrem, weil sie auch dieses Ursprüngliche haben. Dort gibt es keine festen Strukturen. Man lebt von Tag zu Tag, schaut, was passiert, und ob der Auftritt glatt geht. Im Prinzip geht es um den Reiz des Unbekannten und um das Abenteuer, etwas zu erleben.
„In Österreich hat uns einfach niemand erwähnt.“
Was nervt Euch am Reisen?
A: Ich will meine Gitarre immer als Handgepäck mitnehmen, weil sie sehr fragil ist. Wenn ich sie einchecke, ist sie kaputt.
S: Wenn man beim Fliegen elektronische Sachen mit hat, gibt es jedes Mal „Bombentests“, und es dauert immer länger.
A: Es kann schon anstrengend sein, wenn man viel unterwegs ist. Aber Reisen ist trotzdem eine schöne Tätigkeit.
„Er war voll stoned und hat jedem Tiernamen gegeben.“
Ihr habt schon in Wien, London, Hamburg, Tokio und Melbourne gelebt und tourt ständig um die Welt. Was reizt Euch an der Fremde?
A: Das Schöne an Musik ist, dass man sie mit sich herumtragen und überall daran weiterarbeiten kann. Einmal haben wir zum Beispiel Freunde in London besucht. Wir sind um Mitternacht heim gekommen und wollten eigentlich nur noch schlafen. Ein spanischer Mitbewohner hat mit seiner Freundin im Wohnzimmer einen Joint nach dem anderen geraucht. Er war voll stoned und hat jedem Tiernamen gegeben. Als er seine Freundin „el Mapache“ genannt hat, haben wir uns angeschaut und wussten, das ist das Wort, das noch gefehlt hat für unseren Song „MAPACHE“. Wir haben einige Lieder so rumliegen, von denen wir wissen, die sind cool, aber das gewisse Etwas fehlt noch. Dann passiert so etwas. Das ist oft sehr befruchtend. Viel mehr, als wenn du nur zu Hause vor dem Blatt Papier sitzt. Wenn man viel im Ausland ist, merkt man, dass es immer weitergeht, dass es auch andere Welten, anderes Denkende, andere Musikszenen gibt. Und da kann man sich überall ein bissl was „stehlen“.
Welche Kulturen haben Euch besonders beeinflusst?
A: Die Australien-Tour hat uns sehr beeinflusst. Die war so was wie die Rock ’n’ Roll Highschool für uns. Wir haben in Nimbin gespielt, einem Hippie-Dorf, wo nach Woodstock die Hippies einfach dort geblieben sind. Bei unserer Ankunft war der Barmann so besoffen, dass er eine halbe Stunde gebraucht hat, um zu realisieren, wer wir überhaupt sind. Sie hatten dort nur ein Mikrofon, und das konnten wir nicht haben, weil Bingo-Night war. Dann musst du es trotzdem irgendwie schaffen, ein Konzert zu spielen. Das ist die DIY Attitude, die wir uns eingeprägt haben. Irgendwie schaffen wir das schon. Auch die Instrumente dort und die Leute, die wir kennengelernt haben, haben uns sehr geprägt.
„Die Australien-Tour war so was wie die Rock ’n’ Roll Highschool für uns.“
Ihr spielt mit Didgeridoo, einem traditionellen Musikinstrument der Aborigines. Habt Ihr Euch auch mit dem Mythos des Didgeridoo beschäftigt?
A: Zwangsläufig. Als Stephanie bei einem Konzert in Australien mit dem Didgeridoo spielen wollte, hat ihr das ein Aborigine, der in der ersten Reihe stand, untersagt, weil Frauen das nicht spielen dürfen. Es ist nämlich ein heiliges Instrument.
S: Wir nehmen nicht bewusst Bezug auf die Kultur, uns interessiert eher das grundsätzlich Ursprüngliche daran. Bei indigenen Völkern hat die Musik immer so etwas Stampfendes, Treibendes, Erdiges.
A: Wir merken das oft bei Hippie-Festivals. Wenn unser Beat anfängt, tanzen gleich die kleinen Kinder mit, weil es so ein ursprünglicher Rhythmus ist. Der löst etwas aus bei Menschen. Uns geht es um den Klang, der zu unserer Musik gepasst hat. Wir haben nicht an die kulturelle Bedeutung in der Aborigine-Kultur gedacht. Es ist einfach geil, es funktioniert, darum machen wir es.
„Bei indigenen Völkern hat die Musik immer so etwas Stampfendes, Treibendes, Erdiges.“
Habt ihr Euch Gedanken über die Problematik der kulturellen Aneignung gemacht?
S: Der Kulturbegriff ist der am schwierigsten zu definierende überhaupt! Kultur ist so vieles.
A: Ich finde es bei uns nicht problematisch, weil wir das Didgeridoo nicht klischeehaft verwenden. Wir nehmen einfach nur das Instrument und verwenden es in einem ganz anderen Kontext. Es gibt aber wahrscheinlich auch Leute, die das kritisieren würden.
Was ist Heimat für Euch?
S: Schwierig. Wenn ich an Heimat denke, dann hat das keinen nationalistischen Hintergrund. Ich verstehe es als ein heimeliges Gefühl, dass man sich wohlfühlt, wenn man zu den Verwandten in die Steiermark fährt und dort mit Bauernbrot begrüßt wird.
A: Der Begriff ist total verwurschtelt worden von diesem Andreas-Gabalier-Heimat-Bild: Ein Kreuz an der Wand, eine Kuh auf der Alm, ein Schnitzel in der Pfanne. Wenn ich an Heimat denke, sehe ich keine Drohnenfahrt über die Alpen. Heimat hängt viel mit Menschen zusammen und mit Erinnerungen. Heimat kann entstehen, wo man sich zu Hause fühlt, unabhängig davon, wo man geboren ist. Jeder kann seine Heimat finden, wo er will. Das muss jeder für sich selbst herausfinden.
Ihr seid immer zu zweit unterwegs, streitet Ihr Euch oft?
A: Wir haben einen sehr ähnlichen Geschmack, deshalb haben wir nie viel Diskussionsbedarf. Ich kenne andere Gruppen, wo alles zu Tode diskutiert werden muss. Es ist ein Segen, dass wir beide ganz genau wissen, was wir wollen, was Cari Cari ist. Gerade im letzten Jahr wollten uns so viele Leute reinreden. Es ist sehr schwierig, dass man da auf Kurs bleibt. Das haben wir nur geschafft, weil wir in uns so einig sind.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!
„Jeder kann seine Heimat finden, wo er will.“