Die Intimitätskoordinatorin

Sex-Choreografie und Kuss-Strategie

Die Wienerin Cornelia Dworak sorgt dafür, dass Sexszenen am Filmset und auf der Bühne für alle korrekt und angenehm ablaufen. Wir sprechen mit ihr über unechte Filmküsse, Silikon-Penisse und Mundgeruch.

„Nur gespielt, aber ein echter Kuss“

Gibt es an seriösen Filmsets echten Sex vor der Kamera?

Von Erzählungen weiß ich, dass echter Sex vor der Kamera früher teilweise vorgekommen ist. Ich kann nur sagen, auch wenn zwei Darstellende das tun wollten und sich auch wohl damit fühlten, gibt es immer noch professionelle Grenzen des Teams. Es geht nicht allein nur um die Schauspielenden. 

Trotzdem verlieben sich Schauspielende, die gemeinsam intime Szenen drehen, oft und werden nach den Dreharbeiten ein Paar. Was ist Deine Erklärung dafür?

Na ja, obwohl die Szenen sehr technisch konzipiert sind, kann man gewisse chemische Prozesse des Körpers nun einmal nicht aktiv beeinflussen! Natürlich simulieren sie nur Sex und Romantik, doch Berührungen, Lippen- oder Körperkontakt sind ja dann doch real und können etwas auslösen. Über die Zeitdauer eines Filmdrehs verbringen die Schauspielenden viel Zeit miteinander. Es kann dann schon zu einer Vermischung der Figur mit der Realität kommen.    

Okay, also was denn nun? Filmkuss – echt oder inszeniert?

Man könnte sagen, es wird nur gespielt, aber es ist ein echter Kuss. Punkt! Die Lippen haben unfassbar viele Nervenenden, die bei Berührungen etwas im Körper auslösen. Spielen zwei Personen, dass sie sich küssen, dann passiert immer etwas in ihnen. Das lässt sich nicht steuern, das ist Biologie! Es gibt Kussvarianten, die keine Berührung erfordern. Die werden im Film aber eher selten angewandt, auf der Theaterbühne schon eher, da die Zuschauenden dort weiter weg sind. 

„Der Silikon-Penis sprang aus der Hose.“

Du hast Biologie studiert und bist außerdem Tanzlehrerin, Thai-Yoga-Masseurin, Kampfsportlerin, Fitnesscoach ...

 ... Stuntwoman, Stunt- und Intimitätskoordinatorin. Ich war außerdem Stuntdouble für die österreichischen Stars Ursula Strauss und Adele Neuhauser und war bei Produktionen wie „Cop Stories“ und sogar Blockbuster wie „Mission Impossible 5“  dabei ...

... wie bekommst Du das alles unter einen Hut?

In meinem Studium der Verhaltensbiologie habe ich mich vorwiegend mit Tieren beschäftigt, deren verschiedene Verhaltensweisen sich durch Bewegung ausdrücken. Bewegung ist auch mein Leben – und mein Leben ist immer in Bewegung.

Erst kürzlich gab es einen Skandal um das Til-Schweiger-Filmset „Manta Manta 2“. Eine unerfahrene Komparsin meldete sich freiwillig auf die spontane Idee Schweigers für eine neue Szene, konnte wohl aber das Ausmaß nicht einschätzen. Dafür sollte sie ihre Brüste vor einem großen Drehteam zeigen. Wie hättest Du vor Ort gehandelt?

Es fällt mir schwer, über Produktionen zu sprechen, bei denen ich nicht dabei war. Ich allerdings habe meine Augen und Ohren am Set immer offen, um „Last-Minute-Änderungen“ zu verhindern, da Entscheidungen unter Druck nicht getroffen werden können. In so einer Situation wie mit Til Schweiger würde ich mit der Regie sprechen und mein Veto einlegen.

An welchem Zeitpunkt des Filmdrehs kommst Du ins Spiel?

Eine Woche vor dem Dreh engagiert zu werden, bringt nichts! Wir wollen Überraschungen vermeiden, weshalb ich in der Vorproduktion hinzugezogen werden sollte, wenn auch alle anderen Gewerke wie Kostüm, Maske oder Requisite mit ihrer Arbeit beginnen. 

„Ich rate zu hygienischer Vorbereitung auf den Dreh.“

Wie läuft die Koordinierung einer Intimszene von A bis Z ab?

Ich schaue mir zuerst das Drehbuch an und wende mich an die Regie, um die Hintergründe der Intimszene verstehen zu können. Es ist wichtig zu erfragen, wie zum Beispiel Nacktheit konkret gezeigt und dargestellt werden soll. Ich weise auf die Verwendung klarer und desexualisierter Sprache im Drehbuch hin, denn Umgangssprache und Interpretationsspielraum sollten vermieden werden. „Sie erleben eine leidenschaftliche und stürmische Nacht“ sagt überhaupt nichts darüber aus, was genau passiert und zu sehen sein soll.

Wie klärst Du das?

Durch Gespräche mit allen Departments finde ich heraus, wie Kostüm, Maske und Kulisse aussehen, so können sich Darstellende voll informiert auf die Szene einstellen. Könntest Du Dir vorstellen, in einem Drehbuch zu lesen: „Du küsst Schauspieler XY leidenschaftlich auf der Parkbank“ und dann ohne jegliche Informationen zu sagen: „Klar, mache ich!“?

Nein, nicht wirklich!

Eben, ich frage psychische und physische Grenzen ab, zum Beispiel, welche intimen Körperzonen nicht gezeigt oder berührt werden dürfen. Wir proben dann Bewegungsabläufe. Ich erkläre Techniken der Simulation, wie sich beispielsweise andere Körperteile anstelle des Genitalbereichs berühren können, um dennoch ein authentisches Bild zu erzeugen. Das Storyboard der Kameraeinstellungen hilft mir eine noch detailreichere Choreografie für Darstellende und Kameraführende zu entwickeln. 

Wie sehr kann dieser Plan am Set eingehalten werden?

Dafür gibt es vorher Proben, in denen Darstellende, Regie und teils auch Kameraleute dabei sind. Kleine Änderungen kann es geben, wenn die Choreografie an einem anderen Ort geprobt wurde und am Drehtag an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden muss. So kann ich gewährleisten, dass beim Dreh alles sehr strukturiert und flüssig abläuft und sich alle innerhalb der vorab definierten Vereinbarungen bewegen. 

„Pupsen oder rülpsen?“

Beim Film kostet bekanntlich jede Stunde eine Menge Geld. Wieso sollte sich eine Filmfirma entscheiden, eine Intimitätskoordinatorin einzustellen, wenn es für die Branche auch jahrelang ohne diesen Posten funktioniert hat?

Durch spezielle Förderungen werden Produktionen ermutigt, Intimitätskoordinatorinnen zu engagieren. In Österreich gibt es den „Code of Ethics“, den die geförderten Partner sowie das gesamte Filmteam unterzeichnen müssen, um die Gelder zu erhalten. Dieser Codex legt Werte fest, die den Umgang miteinander bestimmen sollen. Selbstverständlich richtet er sich gegen Sexismus, Rassismus und jegliche Form der Diskriminierung. So etwas fehlte bislang, doch die jüngeren Generationen der Branche fordern derartiges immer mehr. In den USA ist mein Beruf sogar schon länger etabliert und damit fester Bestandteil von Filmproduktionen.

Erinnerst Du Dich noch an eine Panne am Set?

Einmal hatten wir mit einer sehr eigenwilligen Penis-Prothese zu tun (lacht). In der Szene sollte eine Hose geöffnet werden und der künstliche, erigierte Penis zum Vorschein kommen. Dieses Modell wurde nicht mehr an den Darsteller angepasst und stand in einem Neunzig-Grad-Winkel vom Körper ab, wie es ein natürlicher Penis nicht tun würde. In mehreren Takes sprang der Silikon-Penis regelrecht aus der Hose. Das sorgte kurzfristig für einige Lacher am Set.

Was, wenn eine Person richtig unangenehmen Mundgeruch hat?

Ich habe am Set immer verschiedene Hygieneartikel wie Zahnbürsten, Mundspülung oder Deo zur freien Benutzung dabei. Im Allgemeinen können aber auch andere Geruchsempfindlichkeiten ein Thema sein: Die eine Person liebt ihr süßes Vanille-Parfüm, bei der anderen stößt das auf den größten Widerstand, das bespreche ich zuvor. Ich rate auch zu hygienischer Vorbereitung auf den Dreh, also vielleicht nicht am Tag vorher die Pizza Susanna mit extra viel Knoblauch zu essen (lacht).

Was ist mit körperlichen Reflexen wie Pupsen oder Rülpsen?

Intimszenen lösen einen hohen Erregungszustand aus, in den Nervosität und Adrenalin mit hineinspielen, da ist es schwer alles unter Kontrolle zu haben. Was passiert, passiert eben. 

„Nippel-Cover, Genitalhaar-Toupets und Silikon-Prothesen“

Und wenn sich doch mal eine Erektion zeigt?

Der Körper hat ein gewisses Eigenleben, das ist Biologie, dafür muss man sich nicht schämen. Es ist nicht alles kontrollierbar und das ist auch gut so! Falls eine Erektion auftritt, machen wir einfach eine kurze Pause und starten wieder von vorne.

Wieso werden für Szenen, in denen viele Geschlechtsteile und Nacktheit zu sehen ist, nicht einfach Sexdoubles eingesetzt?

Es gibt Körperdoubles, die liebend gerne nackt sind und ihren Intimbereich zeigen. Hat die Darstellerin vorab festgelegt, dass der Intimbereich nicht gezeigt werden darf, gilt das auch für das Double. Du musst Dir vorstellen, dass Zusehende im fertigen Film nicht unterscheiden können, zu wem der Intimbereich gehört. Gerade in unserem Streaming-Zeitalter geraten so schnell Screenshots in Umlauf, die dann mit den Schauspielenden in Verbindung gebracht werden könnten.

Wie können Genitalbereiche verdeckt werden?

Es gibt verschiedenste Genitalabdeckungen in allen Hauttönen: Nippel-Cover, Genitalhaar-Toupets, Prothesen aus Silikon und viele weitere Methoden. Ein klassisches Cover kann man sich wie einen String-Tanga ohne seitliche Riemen vorstellen, welcher dann mit Haut-Tape am Körper befestigt wird. Auch Silikon-Einlagen, als zusätzliche Barriere, verhindern Erregungen durch unvorhergesehene Berührungen. Meist sollen die Abdeckungen überhaupt nicht zu sehen sein, sie ermöglichen einfach einen organischeren Dreh, da sich niemand sorgen muss, ob zu viel zu sehen ist. Manchmal werden extra bunte Klebestreifen oberhalb des Genitalbereichs oder über die Brustwarzen geklebt, die den Kameraleuten signalisieren, welcher Bereich nicht mehr zu sehen sein darf. 

Müssen die Darstellenden dafür rasiert sein?

Nicht zwingend, aber es ist sehr viel angenehmer beim Abnehmen des Genitalschutzes. 

War schon einmal das Tampon-Bändel zu sehen, weil eine Frau während des Drehs ihre Periode hatte?

Nein, es klebt ja auch die Genitalabdeckung darüber, in die auch eine Slipeinlage eingelegt werden kann. Eigentlich wäre es sinnvoll, den Drehtag aufgrund der Menstruation zu verschieben, da auch Energielevel und Wohlbefinden ein anderes sind, das habe ich aber noch nie erlebt, die Industrie hat sich darauf noch nicht eingestellt. 

„Objektifizierte Darstellung von Frauen“

In großen Filmproduktionen wird Sex eigentlich oft nicht richtig gezeigt, stattdessen wird mit Auslassungen gearbeitet. Brüste von Frauen sind allerdings meistens zu sehen, während männliche Geschlechtsteile oft von der Bettdecke versteckt werden. Gibt es dafür eine Lösung durch Deine Arbeit?

Erotik im Film wird meist sehr stereotypisiert gezeigt. Während Männer ganzheitlich dargestellt werden, sehen wir von Frauen überwiegend fragmentierte Körperteile, also Lippen, Po oder Brust. Ein Beispiel wäre der klassische „Body Pan“: Ein Kamera-Schwenk, der den Körper von unten nach oben filmt, oft auch in Slow Motion, und häufig den Kopf abschneidet. Diese Art des Filmens, oft auch „Male gaze“ genannt, erzeugt eine objektifizierte Darstellung von Frauen, die auch Zuschauende unterbewusst annehmen – das ist purer Voyeurismus. Mit meiner Arbeit versuche ich deshalb, Intimszenen aus einer weiblichen Sicht zu erzählen, so kann ein realeres Bild von Sex erzeugt werden.

Hast Du selbst schon einmal eine Sexszene als Darstellerin gedreht?

Nein!

Würdest Du es mal machen?

Warum nicht!? Grundsätzlich könnte ich es mir im Rahmen einer Performance vorstellen, die auch entsprechend betreut wird. Die Handlungen und der Kontext müssten für mich nachvollziehbar sein und die Szene müsste sich nach meinen Grenzen richten.

Danke für das Gespräch!

Cornelia Dworak (*1980 in Wien) ist Stuntfrau, Stunt- und Intimitätskoordinatorin, Diplom-Biologin, Tanzpädagogin und gibt Behandlungen in Thai Yoga Bodywork. Sie war Stuntdouble unter anderem für Ursula Strauss und Adele Neuhauser und wirkte in Produktionen wie Cop Stories und Mission Impossible 5 mit.
(dp) 

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