Wenn die Burgmauern fallen
Schon als Kind wusste Marta Kizyma, dass sie von der ukrainischen Provinz einmal nach Wien ziehen würde. Dass sie mit bereits 21 Jahren im Ensemble des weltberühmten Burgtheaters, neuerdings unter Martin Kušej, landen würde, damit hatte sie wohl damals nicht gerechnet. Sie gehört zu den jüngsten Schauspielerinnen in der altehrwürdigen Institution, spricht perfektes Burgtheaterdeutsch, und das, obwohl Deutsch nicht ihre Mutterspache ist. Was jüngere Schauspielerinnen besser können, warum soziale Medien sie nicht interessieren, und wie es ist, neben Joachim Meyerhoff vor 1.300 Leuten Quatsch zu machen, erzählt sie uns im Interview.
„Vor 1.300 Leuten Blödsinn zu machen war, als würde ich dem Publikum den Mittelfinger zeigen.“
Lara Ritter: Wenn Du einen Beruf abseits der Schauspielerei wählen müsstest, welcher wäre es?
Marta Kizyma: Ich hatte nie einen Traumberuf, sondern fand es immer schlimm, wenn man als Kind gefragt wurde: „Was willst du denn mal werden?“ Ich wollte nichts werden. Als ich irgendwann verstanden habe, dass man etwas werden muss, habe ich mir überlegt, Tierärztin zu werden. Als mir mein Opa aber erzählte, dass ich dann auch in den Arsch von einer Kuh greifen muss, habe ich die Idee rasch wieder verworfen.
Ich habe versucht, Dich auf Instagram und Facebook zu stalken, aber nichts gefunden. Fast keine digitalen Spuren – das ist ja eine Seltenheit heutzutage!
Ich habe mich einmal auf Facebook angemeldet, weil das damals alle getan haben. Als ich ein Profilbild hochladen sollte, habe ich das Konto aus Überforderung gleich wieder gelöscht. Die sozialen Medien interessieren mich nicht, aber man kann mich immer anrufen oder mir E-Mails schreiben.
Du bist seit 2015 Ensemblemitglied am Burgtheater. Welche Gerüchte über diese Institution stimmen?
Viele (lacht)! Der Ruf des Burgtheaters, eines der besten Schauspielhäuser im deutschsprachigen Raum zu sein, stimmt natürlich. Es gibt sie tatsächlich, die berühmt-berüchtigten Burgtheater-Diven. Bei 73 Ensemblemitgliedern funktioniert es auch nicht, wie eine große Familie zu agieren, deswegen stimmt es durchaus, dass es für junge Schauspielerinnen zuweilen hart sein kann.
Dein Burgtheater-Debüt war das Stück „Der eingebildete Kranke“ von Molière, inszeniert von Regisseur Herbert Fritsch. Du spielst Louison, die Tochter des Protagonisten Argan. Nervös?
Die Aufregung war eine sehr positive, denn die Arbeit mit Herbert war eine unfassbare Befreiung für mich. Mein Studium war zu dem Zeitpunkt sehr kopflastig, damit konnte ich nichts anfangen. Dann habe ich Herbert kennengelernt, der gesagt hat: „Habe Spaß, mache ein bisschen Quatsch – ist doch nur Theater!“ Neben Joachim Meyerhoff vor 1.300 Leuten zu stehen und mit 19 Jahren Blödsinn zu machen war, als würde ich dem Publikum den Mittelfinger zeigen. Einfach toll!
„Ich finde, dass das Theater frei zugänglich sein sollte, denn es ist genauso ein Ort der Bildung wie die Schule.“
Martin Kušej, seit dieser Spielzeit neuer Direktor des Burgtheaters, will den Ort vom nationalen zum europäischen umfunktionieren. Reichen Deine Aufgaben als Ensemblemitglied über das Schauspielern hinaus, fühlst Du auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung?
Eine ganz große Verantwortung! Das Theater für neues Publikum zu öffnen ist ein wichtiger und auch gewagter Versuch, denn das Burgtheater hat seine Stammzuschauerinnen. Die Hoffnung besteht, dass mit Stücken wie „Das Zelt“ oder „Die Edda“ auch andere Besucherinnen ins Theater geholt werden. Da kommen wir aber zu dem Problem, dass die Karten nicht für alle leistbar sind. Ich finde, dass das Theater frei zugänglich sein sollte, denn es ist genauso ein Ort der Bildung wie die Schule.
Wie war der erste Theaterbesuch Deines Lebens?
Eine schreckliche Enttäuschung – Theater sollte lehren, nicht belehren. Manchmal ist das ein schmaler Grat. Ich habe mit meinen Eltern ein Kindertheaterstück besucht, darin hat ein Schauspieler eine Ampel gespielt und der andere ein Streichholz. Uns Kindern sollte beigebracht werden, dass man nicht bei Rot über die Straße geht und nicht mit Feuer spielt. Ich hatte mir den Besuch als Unterhaltung vorgestellt, stattdessen wurde ich nur mit erhobenem Zeigefinger belehrt.
Du bist in Drohobytsch geboren, einer Stadt im Westen der Ukraine mit 76.000 Einwohnerinnen. Kannst Du Dich an den Moment erinnern, in dem Du beschlossen hast, nach Wien zu ziehen?
Das kingt zwar naiv, aber ich habe schon im Volksschulalter beschlossen, dass ich mit 18 Jahren nach Wien ziehen werde. An diesem Entschluss habe ich festgehalten, doch wurde deswegen oft ausgelacht. Ich habe mich immer zu dieser Stadt hingezogen gefühlt, obwohl ich nie dort gewesen bin. Als ich volljährig war, bin ich dann tatsächlich nach Wien gezogen – darauf bin ich heute noch sehr stolz.
Dachten viele, Du würdest scheitern und nach zwei Monaten wieder nach Drohobytsch zurückkehren? Und wusstest Du schon damals, dass sie unrecht haben würden?
Nein, das erste Jahr war richtig beschissen. Ich war Anfang 18, alleine, Deutsch war eine fremde Sprache für mich und Wien eine fremde Stadt. Ich habe oft an allem gezweifelt, mich nach vertrauten Orten, vertrauter Sprache, Freundinnen und Familie gesehnt. Zum Glück sind mir hier Menschen über den Weg gelaufen, die auch zu meiner Familie geworden sind.
Wie unterscheidet sich das Schauspielern auf Deutsch vom Schauspielern auf Ukrainisch?
Oft wurde ich bemitleidet, weil ich auf Deutsch spielen „muss“. Dabei fällt es mir viel leichter, auf Deutsch zu spielen als auf Ukrainisch, weil ich von vornherein eine gewisse Distanz zur Figur habe. Mein privates Ich spricht eine andere Sprache, hingegen ist Deutsch für mich die Theatersprache geworden.
Hast Du, bevor Du nach Wien gekommen bist, auch schon in der Ukraine geschauspielert?
Ja, in Lemberg hat mich eine Schauspielerin unterrichtet, die ich damals sehr bewunderte. Zuerst wollte sie mir keine Stunden geben, aber ich ließ sie nicht in Ruhe, bis sie eingewilligte. Ich habe sie fast gestalkt, so hartnäckig war ich.
„Oft wurde ich bemitleidet, weil ich auf Deutsch spielen ,muss‘. Dabei fällt es mir viel leichter.“
Am meisten Spaß an der Schauspielerei macht Dir das Umziehen hinter der Bühne, meintest Du einmal in einem Interview ...
Man hat oft nur 30 Sekunden, um in ein Kostüm zu kommen, und fünf Leute um sich herum, die einem die Schuhe aufmachen, die Perücke aufkleben und das Korsett zuschnüren. Es ist eine tolle Herausforderung, nach dieser Hetzerei vermeintlich total entspannt weiterzuspielen.
Bei welchem Stück hattest Du am wenigsten Zeit, Dich umzuziehen?
Beim Stück „paradies fluten“ von Thomas Köck. An diesem Abend musste ich mich gleich dreimal duschen. Die Dusche ist im Keller vom Akademietheater, also musste ich die Treppe hinunterrennen und bin dabei zweimal ausgerutscht. Auf der Bühne musste ich total gechillt auftreten, als wäre ich nicht gerade auf den Hintern gefallen.
Wenn Du auf der Bühne weinen musst, durchlebst Du dann innerlich traurige Szenen aus Deinem Leben, oder ist diese Schauspieltechnik ein Klischee?
Nein, ich habe sie selbst ausprobiert. Im Studium bin ich fast daran verzweifelt, dass ich auf der Bühne nicht weinen konnte. Ich war oft auf dieser winzigen Bühne im Konservatorium, um an die allertraurigsten Momente meines Lebens zu denken. Es kam aber nichts, ich bin immer nur rot angelaufen. Heute kann ich es immer noch nicht und bin auch nach wie vor ein bisschen neidisch auf die, die es können.
„Es ist in der Schauspielbranche gefährlich, wenn man verkündet: ‚Jetzt bin ich schwanger.‘“
Was können junge Schauspielerinnen wie Du, was ältere nicht können?
Offen sein. Ich glaube, wenn man jung ist, ist man nicht so kritisch, man tritt ein in die Welt des Theaters, und alles flasht einen. Ich merke mit jedem Jahr, dass diese Naivität und Offenheit Stück für Stück stirbt. Zum Glück habe ich auch genügend Kolleginnen erlebt, die weitaus älter sind und auf der Bühne wie Kinder um ihr Leben spielen. Das gibt dann immer Hoffnung.
Was bewunderst Du bei anderen Schauspielerinnen?
Die Art, wie manche Kolleginnen an den Beruf herangehen oder Familie und Beruf vereinen, finde ich vorbildhaft. Ich würde später auch gerne Theater spielen, reisen und Kinder haben, weiß aber nicht, wie das funktionieren soll. Es ist in der Schauspielbranche gefährlich, wenn man verkündet: „Jetzt bin ich schwanger.“
“Was willst du mal werden?“ – „Ich wollte nichts werden.“
Wieso gefährlich?
Frauen sind am Theater nicht genug geschützt. Man kann schnell umbesetzt werden, und auch dass man nach einer Schwangerschaft ans Theater zurückkehren kann, ist nicht garantiert. Ein Intendant will ja tendenziell keine Schauspielerin, die ein kleines Kind zu Hause hat, sondern eher eine total Motivierte, die 24/7 fürs Theater leidet. Da haben es Männer einfacher als Frauen.
Haben sich Deine Eltern einen bestimmten Beruf für Dich vorgestellt?
Ich war zu sensibel und seltsam als Kind, als dass man mir einen Beruf hätte aufzwingen wollen. Ich glaube, meine Eltern haben sich eher Sorgen gemacht, ob ich überhaupt die Schule überstehe.
„Hinter meinem Bett sitzt ein Teddybär, das weiß eigentlich keiner.“
Wie schauts bei Dir zu Hause unter dem Bett aus?
Für welche drei Dinge in Deinem Leben bist Du am dankbarsten?
Ich bin dankbar, dass meine Mutter mich gezwungen hat, Klavier zu lernen. Sie wird sich wahnsinnig freuen, das zu hören. Ich habe es ihr aus Stolz und Trotz niemals gesagt. Außerdem bin ich dem Mann in der ukrainischen Botschaft dankbar, der mir das Visum zur Einreise nach Wien gegeben hat, obwohl meine Mutter und ich uns mit der Bürokratie so schwer getan hatten. Im Moment bin ich jeden Tag dankbar für den Honig von den Bienen meines verstorbenen Opas. Kein anderer Honig wird je so gut wie dieser schmecken.
Vielen Dank für das Interview!