Surrealistische Architektur trifft auf kitschige Landschaften, auf Barbiepuppe und utopisches 70er-Jahre-Design. Das sind die Bilder der jungen Londoner Künstlerin und Grafikdesignerin Sienna O’Rourke. Das Besondere? Sie generiert diese ausschließlich mit künstlicher Intelligenz und veröffentlicht sie auf ihrem enorm erfolgreichen Instagram-Account Planet Fantastique, der innerhalb nur eines Jahres über 150.000 Followerinnen zählt. Ist das wirklich Kunst, was Sienna macht? Wir haben mit ihr darüber gesprochen.
„Retrofuturistischer Fiebertraum“
In welchem Deiner Bilder würdest Du am liebsten leben?
In meiner verrückten Blumen-Stadt. Alles strahlt in floralem Muster, in Gelb, Rosa und Braun. Der Diner, die Bowlingbahn und alle Möbel sind voller überdimensionaler Blumen. Die Charaktere tragen schrullige 70er-Jahre-Outfits – richtig Americana.
Kreierst Du einen fantastischen Planeten?
Der Name meines Instagram-Accounts Planet Fantastique ist eine Anspielung auf den Animationsfilm Fantastic Planet ( franz. La Planète sauvage, Anm. d. Red.), ein französischer, surrealistischer Science-Fiction-Film aus den 70er-Jahren. Aber diese Referenz hat keine allzu tiefe Bedeutung. Hinter manchen Bildern versteckt sich eine Botschaft, hinter manchen nicht. Auf Instagram findet man unter meinen Beiträgen keine langen Erklärungen, sondern nur kurze Bildbeschreibungen. Diese dadurch entstehende Zweideutigkeit schafft einen freien Raum für Interpretation. Jede stellt sich ihre Traumwelt anders vor – mit Planet Fantastique versuche ich unterschiedliche Formen von Utopie optisch darzustellen. Es passiert viel Schreckliches auf der Welt, meine Bilder sind ein visueller Eskapismus.
Deine Kunst ist KI-generiert. Ein Befehl hier, ein Kommentar da. Jede kann mit künstlicher Intelligenz Fotos kreieren. Ist das Kunst oder nur künstlich?
Jede kann KI benutzen, aber es kann auch jede eine Zeichnung oder ein Gemälde erstellen. Was dir KI nicht gibt, aber in meinen Augen essentiell für Kunst ist, ist eine Perspektive, aus der man diese kreiert. Dieses Medium erlaubt mir, in Bereiche meiner Kreativität vorzudringen, die mir mit herkömmlichen Werkzeugen nicht zugänglich sind.
„Meine Bilder sind ein visueller Eskapismus.“
Warum bist Du Künstlerin?
Seit ich klein bin, liebe ich es, mich kreativ auszudrücken. Ich arbeite hauptberuflich als Grafikdesignerin und versuche, durch meine Arbeit kreative Projekte zu verwirklichen. Mit Planet Fantastique habe ich einen Weg gefunden, meine kreativen Wünsche frei auszuleben, ohne an finanzielle oder kreative Einschränkungen denken zu müssen.
Wie hat Planet Fantastique begonnen?
Mein Profilbild inspirierte mich. Das Bild zeigt den Mittleren Westen, vielleicht Missouri. Es ist eine typisch amerikanische Stadt mit einer Halloweenparade. Dieses süße und einfache Bild rief einerseits vertraute Gefühle, aber zugleich Ungewissheit in mir hervor. Mit diesem Gefühl wurde Planet Fantastique geboren.
Heute hast Du über 150.000 Followerinnen auf Instagram.
Ja, das ist verrückt (lacht), all das passierte innerhalb eines Jahres, es ging sehr schnell.
Die meisten kennen den Begriff KI, aber die wenigsten wissen, wie es wirklich funktioniert. Erkläre es bitte in einfachen Worten!
Entwicklerinnen trainieren der KI-Technologie maschinelles Lernen, sodass sie eigenständig auf Fragen antworten kann. Die KI, die ich nutze, ist ein Sprachmodell, das Wörter mit Bildern verknüpft und die Bedeutung von Wörtern in Bildern lernt. Quasi eine Wort-zu-Bild-Konvertierung. Ein Beispiel: Wenn ich „Hund“ schreibe, generiert die KI ein Hundebild, weil sie zuvor mit Bildern und Informationen von Hunden „gefüttert“ wurde. Wenn ich diese Anforderung um einen Zeichentrick-Stil erweitere, kreiert die KI einen Cartoon-Hund, da sie sowohl lernte, was ein Hund, als auch, was ein Cartoon ist.
„Die Technologie befindet sich noch in den Kinderschuhen.“
Ein fiktionaler Cartoon-Hund oder eine Collage aus bereits bestehenden Werken?
Das Hundebild basiert auf existierenden Werken, aber die KI kopiert diese nicht, sondern erzeugt neue Pixel.
Der Stil wird kopiert, aber streng genommen nicht das Bild …
… und das ist das Problem, wo die Diskussion rund um das Urheberrecht und Plagiat beginnt. KI kann lernen, wie der Stil einer lebenden Künstlerin aussieht und „neue“ Bilder schaffen, die diesem zum Verwechseln ähnlichsehen.
Gibt es gesetzliche Richtlinien oder ist das eine Grauzone?
Die Technologie befindet sich noch in den Kinderschuhen. Es gibt keine wirklichen Gesetze und ist landesabhängig. Es braucht gesetzliche Rahmenbedingungen, soweit ich weiß, arbeiten Verantwortliche bereits daran.
„Die Ungewissheit ist das Schöne an meiner Arbeit.“
Unter Deinen Bildern findet man Kommentare wie „Nicht noch mehr KI!“ Wie reagierst Du auf die Vorwürfe, dass KI Kunst zerstöre?
Ich verstehe die Besorgnis der Menschen. Aber als Künstlerin ist es mein Recht, jedes zur Verfügung stehende Tool zu verwenden – es gibt auch ethisch korrekte Wege. Problematisch ist, dass die Gefahr bei der Technologie und nicht bei den Menschen, die diese bedienen, gesucht wird. Ein Beispiel ist der Autorinnenstreik in Hollywood. Prominente im Fernsehen sagen, dass KI die Filmindustrie ruinieren werde. Das eigentliche Problem ist, dass Studiobesitzer mithilfe der KI versuchen, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auszubeuten, um die Gewinne für ihre menschlichen Aktionäre zu maximieren. Das ist ein sehr menschliches Problem und das Produkt des Kapitalismus. Man wälzt seine Wut auf ein anonymes Medium ab, während die Menschen, denen die Wut eigentlich gelten sollte, unbestraft davonkommen.
Wie lange arbeitest Du an einem Bild?
Das ist bildabhängig, manche Kreationen passieren organisch, an anderen bastle ich eine Woche oder länger. Ich verwende KI für die Basis und für den Feinschliff je nach Objekt Photoshop, Videobearbeitungswerkzeuge oder Illustrator. Diese Ungewissheit ist das Schöne an meiner Arbeit.
Liegt die Schwierigkeit im Finden der richtigen Worte?
Ja und Nein. Wenn man ein zu klares Bild im Kopf hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, zu versagen. Ich führe gerne Chaos in meine Formel ein, um etwas Unerwartetes zu schaffen. KI präsentiert sehr viele Bilder – meine Arbeit liegt nicht nur in der Kreation, sondern auch in der Kuration.
„Meine eigene geheime Prompter-Bibel“
Diese Eingabeaufforderungen nennt man Prompts. Hast Du Deine eigene Sprache?
Meine Sprache basiert auf Filmreferenzen, bestimmten Zeiträumen oder beschreibenden Wörtern von Stilen.
Ist sie geheim?
Ja, ich habe meine eigene Prompter-Bibel.
Deine Bilder wirken wie aus einem Kinofilm entrissen, mit einem Hauch von Kitsch, Science-Fiction und Retrofuturismus. Warum diese Film-Ästhetik?
Meine Kindheit war geprägt von Film- und Kinoeinflüssen. Ich schaute mit meinen beiden Schwestern viele Filme, vor allem im Stil der Sechzigerjahre. Von Science-Fiction bis hin zu Camp war alles dabei. Künstliche Intelligenz gibt mir die Möglichkeit, in diese Welt einzutauchen.
Gehst Du gerne ins Kino?
Ich mache es leider zu selten, aber wenn, genieße ich es.
Popcorn oder Nachos?
Popcorn natürlich!
„Mit künstlicher Intelligenz im elitären Kreis der Kunst“
Manche Fotos erinnern an Barbie und andere erfüllen das Motto „Star Trek goes Pink“, …
… weil ich die Popkultur, Filme und bestimmte Werke gerne als Bezugspunkt verwende. Die Barbie-Bildserie ist ein extremes Beispiel – in jedem Prompt kam das Wort Barbie vor. Ich wollte zeigen, wie die Ikone abseits ihres Puppendaseins leben könnte.
Gibt es persönliche Referenzen?
Nicht viele. Planet Fantastique bedeutet für mich Eskapismus. Ich versuche nicht meine Erfahrungen widerzuspiegeln, sondern eine Art von Nostalgie zu kreieren, die einen wünschen lässt, dabei gewesen zu sein.
Was sind die Vorteile von KI im Kontext von Kunst?
Die niedrige Eintrittsbarriere. Wir werden mehr Kunst sehen, die von ungewöhnlichen und unerwarteten Orten kommt, die wir ohne KI vielleicht nie sehen würden. Künstliche Intelligenz hilft Menschen, unabhängig von finanziellen Mitteln in den elitären Kreis der Kunst einzutreten. Richtig genutzt, kann KI sehr wertvoll sein.
Wo liegen die Grenzen?
Diese niedrige Eintrittsbarriere ist Fluch und Segen zugleich. Mit zunehmenden Bildern und verbesserter KI gestaltet es sich immer schwieriger, zwischen Wahrheit und Fake zu unterscheiden.
„Die KI ist nicht diskriminierend oder rassistisch.“
Deine Kunst zeigt Diversität, aber die Körper und Gesichter sind perfekt glattgebügelt – ein unrealistisches Schönheitsideal. Wie unterscheidet man zwischen echt und künstlich erschaffen? Ist das wichtig im Kunstbereich?
Das stimmt, aber ich spiele mit dieser Perfektion im übertriebenen Sinne. Man erkennt deutlich, dass diese Personen nicht real sind. Ich versuche, realistische und diverse Formen einzubringen, aber das ist nicht so leicht, wie es sich anhört. KI-generierte Bilder sind ein Produkt unserer Gesellschaft und Popkultur. Die vorherrschenden Schönheitsideale in der realen Welt werden auf die KI übertragen. Die Menschen, die diese Systeme entwickeln, tragen die Verantwortung, dass KI mit Diversität „gefüttert“ wird. Die Plattform, die ich nutze, besserte sich bereits: Am Beginn war es fast unmöglich, People of Color zu kreieren. Es war ein sehr zentrierter Blick aus der weißen Mittelschicht der westlichen Welt. Dieser Kampf gegen die Maschine ist wichtig und darf von Kreativen und Intellektuellen nicht gemieden werden. KI ist hier und Teil unserer Zukunft. Wir müssen die Entwicklung der Technologie verfolgen und aktiv mit unterschiedlichen Perspektiven „füttern“.
KI spiegelt die Probleme unserer Gesellschaft!
Künstliche Intelligenz hat keine eigene Meinung. Wenn sie Schönheit mit weißen Menschen assoziiert, wurde ihr das von Menschen so beigebracht. Die KI ist nicht diskriminierend oder rassistisch …
Benutzt Du KI in Deinem alltäglichen Leben?
Selten, aber ein Beispiel habe ich: Ich war mit meiner kleinen Schwester auf einem Roadtrip und am Abend entwarfen wir mithilfe von KI Band-T-Shirts. Als sie zurück nach Australien ging, schickte ich ihr per Post eines dieser T-Shirts. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
„Handgemachtes wird wertvoller werden.“
Die Grenzen zwischen der digitalen und realen Welt verschwimmen. Wie sieht die Zukunft der Kunst aus?
Ich glaube, es wird zwei Varianten geben. Einerseits werden digitale Medien weiterwachsen und sich entwickeln. Andererseits gibt es immer einen Widerstand und ein Wiederaufleben des Gegenteils. Die Wertwahrnehmung humanistischer Kunstformen wird sich positiv verändern. Handgemachte Illustrationen oder Textilkunst werden seltener und dementsprechend wertvoller werden.
Kreierst Du zu Deinen Personen eine Geschichte?
Im Hintergrund arbeite ich an einer umfangreichen, übergreifenden Handlung zwischen meinen Bildern. Ich hoffe, dass sie Teil eines größeren Projekts sein werden, ich halte es spannend (lacht).
Vor Kurzem hast Du Dein erstes Video gepostet. Möchtest Du Deine Bilder zum Leben erwecken?
Ich experimentiere schon länger mit KI-Videogenerierung. Diese dynamische Ergänzung zum Bild ist aufregend und bietet sich bei meinen Bildern mit Kino-Ästhetik an. In Zukunft würde ich gerne mit traditionellen Filmemacherinnen arbeiten und etwas schaffen, dass die digitale und reale Welt verbindet.
Danke für das Gespräch!
Sienna O’Rourke, Künstlerin aus London, gründete 2022 neben ihrer Arbeit als Grafikdesignerin den Account Planet Fantastique auf Instagram. Die Mittdreißigjährige kreiert Kunst mithilfe von künstlicher Intelligenz und schafft auf visueller und inhaltlicher Ebene eine utopische Traumwelt. Sie arbeitet mit einem Druckstudio in London zusammen: Ausdrucke ihrer Bilder kann man auf ihrer Website kaufen.
(dp)