Cheeeese!
Die Wienerin Verena Dengler (*1981) zählt zu den bekannten Künstlerinnen des Landes und pflegt ihren Hang zur Provokation. Der Slogan Geh in Orsch Secession schmückte vergangenes Jahr eines der Kunstwerke, das bei ihrer Personale in selbigem Museum zu sehen war. Zum Filmfestival Diagonale, das von 8. bis 13. Juni in Graz stattfindet, hat sie den Großen Schauspielpreis in Form eines bronzenen Selfiesticks beigesteuert. Wir sprechen mit ihr über Filme, Firlefanz und ihre heimliche Karriere als Astrologin.
„Wer nimmt schon eine mega-angepasste Person ernst.“
Lara Ritter: Für den Großen Schauspielpreis des Filmfestivals Diagonale hast Du einen Selfiestick aus Bronze gestaltet. Wann hast Du Dein letztes Selfie gemacht?
Verena Dengler: Puh, ich mache ständig Selfies, wahrscheinlich erst gestern! Ich habe den Preis in dieser Form gestaltet, weil wir durch die Pandemie im vergangenen Jahr in praktisch allen Lebensaspekten auf das Handyformat beschränkt waren und ich selbst einen biegbaren Selfiestick mit Plastiknoppen besitze. Diese Noppen erinnern mich an die Saugnäpfe von Kraken und erschienen mir als passendes Bild, da Hollywood in Verschwörungstheorien oft als eine Krake dargestellt wird, die alles „kontrolliert“. Der Selfie-Stick ist meine Antwort darauf, eine Metapher dafür, dass wir nicht kontrolliert werden, da wir durch die moderne Technik unsere eigenen Bilder und Filme produzieren und in Umlauf bringen können.
Wie verändert das Format den Film: Ist ein Film von Christopher Nolan, der Regisseur von Batman, Interstellar, Inception & Co, auf dem Handy noch derselbe wie auf der großen Kinoleinwand?
Ja und nein! Er ist derselbe Film, allerdings in abstrahierter Form, da durch das kleine Format viele Details verloren gehen. Ich finde aber nicht, dass das unbedingt etwas Negatives ist, es hat auch einen spannenden Moment, wenn gewaltige Hollywoodproduktionen wie Nolan sie macht, in einer nicht vorhergesehen Form konsumiert werden.
In Deinem Statement zum Preis schreibst Du, dass das Schrumpfen von bewegten Bildern auf die Größe von Handybildschirmen dazu führt, dass wir vereinzeln, da Filme nicht mehr als kollektives Erlebnis wie im Kino wahrgenommen werden?
Durch das Internet haben sich dafür neue Formen kollektiver Erfahrung ergeben. Während der Pandemie gab es ja den Trend Watch-Partys mit Freunden zu veranstalten, bei denen man gemeinsam einen Film anschaut und im Chat darüber kommuniziert. Diese schriftliche Art des Kommunikation über einen Film, noch während man ihn ansieht, ist eine ganz neue, spannende Art des Austausches! Was ich eher schade finde, ist, dass damit die Spontanität der Begegnung wegfällt, das zufällige Treffen eines Bekannten im Kinofoyer kommt dabei nicht vor.
„Mittlerweile bin ich ein Fan von Flüchtigkeiten.“
Als Künstlerin bist Du für Deine mitunter provokative institutionelle Kritik bekannt. In Deiner letzten Ausstellung „Die Galeristin und der schöne Antikapitalist auf der Gothic G’stettn (Corona Srezessionsession Dengvid-20)“ in der Wiener Secession im herbst 2020, hast Du eine Leinwand mit dem Schriftzug „Geh in Orsch, Secession“ gezeigt. Gleichzeitig bist Du als renommierte Künstlerin auch Teil des Kunstbetriebs, den Du kritisierst. Wie geht es Dir mit Deiner ambivalenten Rolle?
Diese Arbeit war ein Kommentar auf die Tatsache, dass ich als Künstlerin immer ein Teil dessen bin, was ich kritisiere. Kritik am Kunstbetrieb wird ja mittlerweile schon fast erwartet, wer nimmt schon eine mega-angepasste Person ernst. Doch ein Künstlerinnendasein fernab von jeglichen wirtschaftlichen Gegebenheiten existiert so nicht und auch provokative junge Kunst hat einen Markt.
Also übst Du Kritik an der Kunstbetriebskritik …
… ich nahm mit den Werken, die Teil der Ausstellung waren, auch speziell Bezug auf den Ausstellungsort und dessen Geschichte, die Wiener Secession wurde 1897 als eine Art Kunsttempel gebaut. In den Statuten der Künstlervereinigung wurde damals das Ziel festgehalten, ein vom Marktcharakter freies Kunstwesen in Österreich zu begründen, Kunst wurde zur neuen Religion auserkoren. Dieses Ziel war nicht frei von antisemitischen Konnotationen, denn Wien war um 1900 stark von jüdischen Sammlerinnen geprägt. Als Person, die dort ausstellt, wollte ich diesen Part der Geschichte des Hauses nicht unberücksichtigt lassen.
Früher wurden Museumsräumlichkeiten blumenreich dekoriert, heute wird mit ästhetischen Instagramshots geworben. Müssen Ausstellungen mittlerweile immer auch Social-Media-tauglich sein?
Social Media hat auf jeden Fall einen starken Einfluss auf die Ausstellungsästhetik, spätestens seit es Blogs wie „Contemporary Art Daily“ gibt, auf denen eher Ausstellungen und Arbeiten rezensiert werden, die sich im Internet gut darstellen lassen. Werke, die schwer fotografisch abzubilden sind, erhalten weniger Öffentlichkeit. Mitterweile wird auch Wert darauf gelegt, dass man als Künstlerin so viel wie möglich dokumentiert. In der Welt des Theaters, in der ich mich als Bühnen- und Kostümbildnerin bewege, ist das ganz anders, dort werden aufwendig gestaltete und teure Bühnenbilder am Ende von Produktionen aus Platzmangel geschreddert – das genaue Gegenteil der Kunstwelt, in der alles konserviert und restauriert wird. Mittlerweile bin ich ein Fan von Flüchtigkeiten.
„Hundertwasser fuhr in seinem Rolls Royce herum.“
Hast Du trotzdem das Verlangen nach etwas Bleibendem?
Ich habe Bildhauerei studiert, allein deswegen schaffe ich viele Arbeiten, die von längerer Dauer sind (lacht). Vor ein paar Jahren habe ich für das Lentos Museum in Linz einen Ausstellungsraum zum Thema „Porträt“ kuratiert. Da war es spannend für mich zu sehen, welche Arbeiten in den Sammlungen enthalten waren, und welche Künstlerinnen zu einer früheren Zeit bekannt waren, die heute wieder in Vergessenheit geraten sind. Die Aufmerksamkeitsökonomie verläuft wellenförmig und Hypes können schnell wieder vorbei sein. Käufer haben jedenfalls einen großen Anteil daran, welche Künstlerinnen und Künstler sich etablieren und welche nicht, das sieht man gerade am Boom der Krypto-Kunst. Seit diesen Frühling ein digitales Kunstwerk um rund 69 Millionen versteigert wurde, hat sich auf jeden Fall etwas verschoben in der Kunstwelt (Anm. der Red.: Versteigert wurde die Arbeit „Everydays: The First 5000 Days“ des Künstlers „Beeple“ im Auktionshaus Christie’s).
Wie verändert die Digitalkunst die Kunstwelt?
Sie wirft die Frage auf, was überhaupt ein Werk ist und wo es ist, wenn es nur die Form eines Jpgs hat ...
... Möglich wurde die Wertsteigerung von Jpgs durch NFTs, einer Blockchaintechnologie, die verhindert, dass digitale Kunstwerke kopiert oder gefälscht werden können ...
Genau. Im Moment weiß man ja noch nicht, wie der Markt für digitale Kunst sich weiterentwickelt, aber diese Versteigerung war auf jeden Fall eine Ansage an die traditionelle Kunstwelt. Dort herrscht ja gerade eher eine skeptische Haltung, à la „was ist denn das für eine komische Airbrush-Kunst“. Mich erinnern diese Instagramwerke an die psychedelischen Landschaften von fantastischen Realisten wie Ernst Fuchs in den 1950ern. Die nahm damals auch niemand ernst, trotzdem verdienten sie viel Geld mit ihrer Kunst und Hundertwasser fuhr in seinem Rolls Royce herum.
„Viele Königshäuser lassen sich von Astrologen beraten.“
Hundertwasser war auch Mitglied der Österreichischen Astrologischen Gesellschaft, bei der Du gerade eine Astrologie-Ausbildung machst!
Ja, ich schreibe auch Wochenhoroskope für die Zeitschrift Maxima! Natürlich kann ich darin nicht Aussagen treffen, die auf alle Personen mit demselben Sternzeichen zutreffen, aber ich kann schon allgemeine Tendenzen von der Stellung der Planeten ableiten. Wenn der Merkur rückläufig ist, stelle ich mich etwa darauf ein, dass ich es nicht persönlich nehmen sollte, wenn bei der Kommunikation in den kommenden Wochen etwas schief geht.
Ist schon mal ein Ereignis eingetreten, das Du vorhergesehen hast?
Vorhersagen sind schwierig, Astrologie ist keine Wahrsagerei, man kann nur bessere und schlechtere Zeitpunkte für gewisse Dinge einplanen, etwa für Einreichungen und Bewerbungsgespräche. Aber ich verrate da jetzt keine Tricks (lacht). Viele Königshäuser lassen sich von Astrologen beraten, früher wurden diese auch bei Kriege zu Rate gezogen. Donald Trump veröffentlichte sogar ein falsches Horokop von sich, um politische Gegner zu täuschen. Wenn man sehr mächtig ist, schaut man, dass man seine Geburtsuhrzeit nicht veröffentlicht, damit der Aszendent nicht errechnet werden kann.
Für viele ist Astrologie ja eher eine Belustigung …
Was ich traurig finde an so einer Sichtweise ist, dass die gesamte Kunst- und Theatergeschichte voller astrologischer Symboliken ist. Wenn etwa bei den alten Meistern die Venus vorkommt, kann das heute kaum jemand deuten, weil das Wissen nicht mehr vorhanden ist. Mich fasziniert Astrologie, sie ist die älteste Wissenschaft der Welt und wurde stets von der Kirche verfolgt, weil sie darauf bestand, dass die Stellung der Planeten unser Leben beeinflusst und nicht nur Gott.
Social Media Plattformen werden nahezu überflutet mit Sprüchen wie „Live, Laugh, Love“ und „Carpe Diem“ – in der Wiener Secession hast Du diese Sprüche als Teil der Ausstellung an die Wand gehängt. Sollten wir alle mehr chillen, lachen und lieben?
Die Antwort ist ganz einfach: Ja!
Vielen Dank für das Gespräch!