Die Kulturmanagerin

Kein Tag ohne Kunst

Christina Steinbrecher-Pfandt ist die künstlerische Leiterin der Wiener Kunstmesse Vienna Contemporary, die immer in September stattfindet. Endlich ist Wien, so sagt sie, auf dem Radar der internationalen Kunstszene. Die Vielreisende erzählt, warum keiner mehr nach London will, Künstlerinnen in Provinzstädte ziehen und osteuropäische Kunst wieder auf dem Einkaufszettel der Sammlerinnen steht.

Antje Mayer-Salvi: Du hast sage und schreibe drei Iphones am Tisch liegen! Die bedienst Du alle gleichzeitig?

Christina Steinbrecher-Pfandt: Ja, die gebrauche ich alle gleichzeitig (lacht). Für die Leute, die mich erreichen wollen, ist es leichter, dass die mich auf den lokalen Nummern anrufen. Das graue ist für mein russisches Team und Büro dort, das rote für Österreich, wo ich mit meiner Familie mittlerweile lebe. Auf dem bin ich praktisch immer erreichbar. Mit dem türkisen Handy kann ich extrem gut roamen. Das hat mir mein Mann, der in der Telekommunikationsbranche arbeitet, ans Herz gelegt.

Das verrät ja schon viel über Dich: Österreich, Russland, Deutschland, organisiert, sehr international und viele, viele Reisen! Und stundenlange Telefonate?

Nein, gar nicht. Ich mache ganz viel über Sms und WhatsApp. Es ist extrem davon abhängig, welcher Generation mein Gegenüber angehört. Die Menschen 50+ wollen irgendwann tatsächlich mal einen Anruf, ein Einführungsmail vorausgesetzt. Alle unter 40+ wollen lieber nicht sprechen. Da geht der Trend hin, sich gegenseitig lieber kurz zu schreiben. Kurz: Keiner hat mehr Zeit, sich lang auszutauschen. Wenn ich länger telefoniere, dann privat, mit Freunden.

"Eine Art Initialzündung war damals für mich die große Keith Haring Ausstellung in Köln."

Du kommunizierst in zwei Sprachen, auf ident gleich hohem Niveau, richtig?

Ja, auf Russisch und Deutsch. Meine Mutter ist Deutsch-Russin und mein Vater ist Ukrainisch-Deutscher. Meine Vorfahren aus Hessen bei Frankfurt sind von Katharina der Großen nach Russland eingeladen worden, um dort Landwirtschaft zu betreiben. Unter Stalin wurden später die Russlanddeutschen als Minderheit enteignet und in die wüsten und armen Gegenden der Sowjetunion verbannt, in unserem Fall Kasachstan, wo ich geboren und meine ersten Lebensjahre aufgewachsen bin.

Die deutsche Identität durften die Vertriebenen behalten?

Ja, meine Oma hat mit mir noch das alte Hessisch gesprochen, wie unter Katharina der Großen! Mit acht Jahren bin ich dann mit meiner Familie nach Deutschland (zurück)ausgewandert.

Du giltst ja als ziemlich tough und geschäftstüchtig. Liegt das in den Genen?

Ja, ich denke schon. Das ist meine protestantische Oma, die da durchkommt. Meine Mutter leitete ein Kaufhaus und mein Vater war Leichtathletiktrainer für Kasachstan. Ich habe anfangs ja auch Betriebswirtschaftslehre an der Maastricht Business School studiert. Mein Verständnis für die Wirtschaft hat mir im Kunstbetrieb immer geholfen, vor allem bei der Leitung einer Messe. Die Galerien sind Unternehmen, denen wir unser Service anbieten. Deren Businessmodell sollten wir gut verstehen.

Du bist ja die künstlerische – nicht kaufmännische – Leiterin der viennacontemporary. Woher kommt Deine Liebe zu Kunst?

Meine Familie wohnte in meinen Jugendjahren in der Kölner Altstadt gegenüber dem Museum Ludwig. Eine Art Initialzündung war damals für mich die große Keith Haring Ausstellung. Die Thematik "Aids" und "New Yorker Kunstszene" hatte mich extrem gefesselt. Als Kaspar König dann Direktor vom Museum Ludwig wurde, mutierte ich praktisch zum Dauergast. Die Sendung "Kulturzeit" auf 3Sat sah ich täglich, das Feuilleton der FAZ prägte mich sehr, ich besaß ein Abo ab der siebten Klasse. Nach dem Studium wollten meine BWL-Kommilitonen zu Goldman Sachs, Bayer oder zu Procter & Gamble. Ich sah das nicht als erfüllende Lebensaufgabe, mich selbst dafür geil zu finden, für ein Branding mehr Shampoo abzusetzen.

"London ist zu einer Art Verwaltungsort für Kunst verkommen, nur noch posh und ohne Spirit!"

Diese Stadt war damals der Nabel der Kunstwelt!

Es war fantastisch! Alle, so schien es, waren ständig unterwegs. Damals hatten sicher fünfzig kleinere Galerien neu eröffnet. Jeder interessierte sich für neue junge Kunst. Aus dieser Zeit habe ich noch gute Kontakte. Ja, und dann kam die Lehman Brothers Krise und es ging bergab. Ich war kürzlich zur Opening der Tate Modern dort. London ist zu einer Art Verwaltungsort für Kunst verkommen, nur noch posh und ohne Spirit.

Du bist dann lieber nach London?

2006 bis 2008 war ich für meinen Master in zeitgenössischer Kunst dort und arbeitete für private Sammlerinnen und Galerien im Osten von London.

Es ziehen erstmals mehr Kreative aus London weg als zu. Wohin wandern nun alle? 

Die ziehen nach Manchester, nach Athen, dahin, wo man sich das Leben noch leisten kann. Vor circa eineinhalb Jahren gab es in Großbritannien eine Studienreform. Künstlerinnen dürfen jetzt nicht mehr ohne den Nachweis einer zusätzlichen Qualifikation lehren. Das bringt viele in Bedrängnis, die sich bisher durch Unterrichten über Wasser gehalten hatten. Deswegen ziehen nun viele in die Universitätsstädte in den Norden, zum Beispiel nach Nottingham, um zu lehren. Die Lage der Mid-Age Künstler ist generell nicht einfach.

Glaubst Du, dass Wien hypt, weil die hippen Metropolen kollabieren? 

Auf alle Fälle. New York geht es übrigens nicht ganz so schlecht. Dort wird zwar noch mehr Geld umgesetzt und noch größere Beträge bei Auktionen erzielt, aber New York ist nicht so posh und die viel kreativere Stadt. Man ist offener, man gibt den Menschen eine Chance, ihre Träume zu verwirklichen. Man hört zu, wenn jemand was zu sagen hat. In London ist es zu geordnet, ohne Empfehlung geht die Tür nicht auf.

"In Wien hast du Kunstinstitutionen auf höchstem Niveau!"

Wo positioniert Wien sich?

Es gibt zur Zeit die globalen Brands, in London die Kunstmesse Frieze, die Art Basel und die Art Basel Miami, die bedienen das Topend des Marktes. Daneben gibt es aber sehr viel Markt für andere schlüssige Formate und Kunst, die für Unternehmerinnen und Sammlerinnen – mit oder ohne Investitionsabsicht – interessant sind. Für diese Zielgruppen positioniert sich die Kunstmesse viennacontemporary. Auf der viennacontemporary stellen Galerien aus, die zwar auch auf der Frieze und in Basel anwesend sind, aber in Wien anders wahrgenommen werden und dort zudem zusammen mit anderen internationalen jungen und ausgesuchten Galerien, vor allem auch aus Osteuropa, auftreten.

Dieser Mittelbau, alles unter einer Million sagt man, hat es auf dem Kunstmarkt derzeit eher schwer, oder?

Nein, nicht unbedingt. Es gibt ja dafür mehr potentielle Sammlerinnen, die man dafür gewinnen kann. Die viennacontemporary spricht internationale Galerien an, die einen guten Partner brauchen und es verstehen, Qualität zu bieten. Außerdem sind wir einzigartig in unserem Fokus. Dreißig Prozent der Ausstellerinnen sind aus den Ostregionen.

Was macht die viennacontemporary besser als andere Messen?

Der Highend-Sammler geht auf den großen globalen Messen erstmal zu seiner Stammgalerie, dann zur zweiten und dann zur dritten und dann geht er zum Cocktail seiner ersten Stammgalerie, dann zu dem der zweiten und so weiter. Der läuft einfach an allen vorbei und wird nicht überrascht. Es gibt keine Zufälligkeiten. Wir bereiten in Wien inhaltlich viel für die Besucherinnen und Käuferinnen auf. Die Mühe macht sich sonst kaum eine Messe. Unsere Vermittlerrolle ist total wichtig, wir helfen beim Entdecken, persönlich und mit Volleinsatz. Deswegen reisen auch große Sammlerinnen nach Wien an. Ein Drittel der Käuferinnen kommen aus Österreich, ein Drittel aus Osteuropa und ein Drittel aus der restlichen Welt, viele kommen aus den Nachbarländern. Wir haben auch immer sehr viele Sammlerinnen aus Belgien, heuer auch einige aus Skandinavien, da wir einen entsprechenden Schwerpunkt zeigen.

"Es ist schon das Ost-West-Ding, das ich ja allein durch meine Biographie verkörpere."

Kommen die alle auch wegen Wien?

Ja klar, die lieben Wien! Keiner will mehr Zeit mit Logistik verlieren. Die Leute, die früher ihre Großmutter verkauft hätten, um etwa zu einem exklusiven Event auf der Frieze eingeladen zu werden, haben keine Lust mehr, Stunden im Stau zu stehen und schlecht zu essen. Man fährt lieber Off-Peak in die Megapolis. Alle sind nur noch gestresst. Kurzum: Qualität muss in kürzester Zeit abrufbar sein. Hier in Wien kannst du ausschließlich zu Fuß unterwegs sein, Kunstinstitutionen auf höchstem Niveau besuchen und auch noch typisch, divers und auf höchstem Niveau essen.

Warum hast Du Dich eigentlich für den Job in Wien entschieden, Du konntest Dich sich sicher angesichts anderer Angebote nicht beklagen? 

Es ist schon das Ost-West-Ding, das ich ja allein durch meine Biographie verkörpere. Ich stehe halt immer zwischen zwei Kulturen, deswegen kann ich auch ganz gut vermitteln. Ich verstehe es, den Wirtschaftsleuten Kunst beizubringen und den Kunstleuten Wirtschaft.

Du bist aber auch mutig und abenteuerlustig. Du bist noch ziemlich jung und hast schon eine steile Karriere als Kulturmanagerin hinter dir, etwa in Moskau...

Volker Diehl lud mich 2008 ein, seine Moskauer Galerie zu leiten. Da war ich 25 Jahre alt. Dann wurde ich gefragt, die Art Moscow zu leiten und verschiedenste Projekte im In- und Ausland zu kuratieren. Langweilig wurde mir damals nicht! Ich kann mich erinnern, dass zu der Zeit die ganze Kultur- und Start-up Szene in Moskau eigentlich nur gearbeitet hat, es gab nichts anderes. So what! Ich war jung, hatte noch keine Familie, das war okay. Man wollte die Welt verändern, es war egal. Essen und Schlafen Nebensache. Was ich damals gelernt hatte, war, klar zu verstehen, was man gerade tut, denn die Situation konnte sich ganz schnell ändern. Die Herausforderung war dann, sich schnell zu adaptieren, aber seine Vision weiter zu verfolgen. In Deutschland wären da viele verzweifelt. Wenn man rational genug ist und die Strukturen versteht, kann man damit locker umgehen.

Gehst Du in Moskau als gebürtige Russin durch?

Ja, trotz deutschen Nachnamens auf alle Fälle. Aber manchmal ging ich auch als strenge Deutsche durch. Das zum Thema Vorurteile! Mit meiner kleinen Tochter und meinem deutschen Mann sprechen wir in Wien aber eher Deutsch, da bin ich ein bisschen faul. Wenn meine Familie zu Besuch kommt, wird sich natürlich auf Russisch unterhalten.

Wien international mit einer Kunstmesse zu positionieren, war jetzt aber auch nicht grad ein Zuckerschlecken, oder?

Vor ein paar Jahren noch war Berlin das Mekka und Berghain war der Wallfahrtsort. Neben dem hippen Berlin wahrgenommen zu werden, war praktisch unmöglich. Die Newsmaker zwischen zwanzig und vierzig Jahren standen da halt voll drauf. Dann wollte man weit weg, also Kunstmessen in Mexiko und Rio. Nun ist dieser Trend auch vorbei. Das Selfie vor Oscar Niemeyer ist gemacht.

Wien war den Newsmakern zu muffig? 

Leider hatten die Newsmaker überhaupt keine Assoziationen mit Wien. Die Generation 50+ hatte wenigstens noch eine politische, kulturelle und soziale Idee von Wien, die jüngeren aber kaum. Jetzt sind wir durch diese Welle durch. Wien ist auf dem Weg dorthin, wo es schon seit langem hingehört. Das Epitome des zeitgenössischen Lifestyle. Wir leben in Wien im Grunde so, wie man es in den angesagten Lifestyle Magazinen idealisiert: kulturinteressiert, „organic“ auf dem Fahrrad, in absolute Nähe zur Natur.

Ich danke herzlich für dieses Gespräch.

Christina Steinbrecher-Pfandt wurde 1983 in Kasachstan geboren und schloss 2007 an der Manchester University (UK) mit dem Master in Contemporary Art ab. Neben ihrer Funktion als künstlerische Leiterin der Art Moscow von 2009 bis 2012, kuratierte sie 2009 die Ausstellung „Unconditional Love“ im Rahmen der 53. Biennale von Venedig und war Teil des Kuratorinnenteams der 3. Moscow Biennale. Sie war zuständig für die künstlerische Leitung der VIENNAFAIR The New Contemporary von 2012 bis 2013 gemeinsam mit Vita Zaman, ab 2014 alleine. Im Dezember 2014 wurde sie zur künstlerischen Leiterin der viennacontemporary ernannt, die 2015 erstmals in der Marx Halle stattfand.

www.viennacontemporary.at

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