Nicola Eller berichtet als ORF-Redakteurin regelmäßig über Kunst und Kultur in Österreich, unter anderem für die wöchentliche Sendung kulturMontag. Wir haben sie im Home-Office erreicht und gefragt, worüber sie und ihre Kolleginnen nun, wennnichts mehr stattfindet, berichten. Wie produziert man auf dem Küniglberg gerade Beiträge, und was bewegt sie persönlich in ungewöhnlichen Zeiten wie diesen?
Antje Mayer-Salvi: Hat Dich der Corona-Blues schon ereilt?
Nicola Eller: Meiner Familie und mir geht es gut, aber ich mache mir Sorgen um meine Mutter, die schon über achtzig ist. Was geht wohl in Menschen vor, deren Lebenserwartung nicht mehr allzu hoch ist, die jetzt zuhause bleiben müssen, ihre Kinder und Enkel nicht sehen können und vielleicht noch die Welt bereisen wollten?
Bist Du im Home-Office gechillt oder eher gestresst?
Ich telefoniere und recherchiere derzeit unglaublich viel und überlege, wie man Fernsehbeiträge nun überhaupt formal umsetzen kann. Da bleibt recht wenig Zeit, sich groß Gedanken über anderes zu machen. Ich muss ja auch noch kochen und dem Kind bei den Hausübungen helfen – oder eher schauen, dass sie überhaupt gemacht werden. Zum Glück kann ich das gut aufteilen. Dazwischen gehe ich mit meinem Sohn zum Joggen raus. Wenn ich die menschenleere Stadt sehe und Schönbrunn ohne Touristinnen, werde ich aber doch nachdenklich.
Sind wir für die Krise bereit?
Wir sind ja erst am Anfang. Es werden noch sehr viele Menschen vom Corona-Virus betroffen sein. Interessanterweise hatten wir eine Art Vorbildung für diesen Moment, durch die vielen Katastrophenfilme, mit denen wir aufgewachsen sind. Nur hat keine je daran gedacht, dass dieses fiktive Szenario, in dem wir uns aber eben gerade bewegen, zur Realität wird. Filmisch gedacht fühlt sich das Leben für mich gerade wie in Zeitlupe an. Es gibt viel Zeit zum Reflektieren.
„Wir haben als öffentlich-rechtliches Medium ja auch einen Bildungsauftrag zu erfüllen.“
Hat der ORF Anweisungen gegeben, angenehme Dinge zu senden, weil die Nachrichten ohnehin schon so deprimierend sind, um die „Moral der Truppe“ aufrechtzuerhalten?
Solche Anweisungen gibt es beim ORF nicht. Abgesehen davon ist die Kulturabteilung in der „Zeit im Bild“ ohnehin meist für den angenehmeren Teil der Berichterstattung zuständig. Diese Frage stellt sich für unser Ressort daher nicht.
Hat Dein Ressort darüber diskutiert, wie der ORF der Kultur- und Kunstszene momentan helfen kann?
Ja, klar, sogar schon, als noch nicht sicher war, dass die Schulen geschlossen werden. In unserer Sitzung ging es darum, wie der „kulturMontag“ das Filmfestival „Diagonale“ unterstützen kann, das wegen der Corona-Krise abgesagt werden musste. Das passiert nun auch mit Filmpremieren in den Programmen des ORF und auf der Video-on-Demand-Plattform Flimmit.
Worüber berichtet Ihr derzeit?
Wir berichten über Hauskonzerte, Lesungen,
Online-Ausstellungen. Die Künstlerinnen verdienen damit
zwar nicht das Honorar, das sie mit einem Live-Auftritt verdient hätten,
aber die Präsenz in den Medien ist auch wichtig. Ö1 bietet Kunstschaffenden
mit dem „Ö1 Kulturforum“ eine öffentliche Bühne, ebenso wie FM4 mit den „Stay at Home Sessions“, ORF III mit den „KulturHeute“-Spezialausgaben und ORF.at mit dem Sonderkanal ORF.at/kulturjetzt. Wir haben als
öffentlich-rechtliches Medium ja einen Bildungsauftrag zu erfüllen – in der aktuellen Situation mehr denn je.
Wie entstehen Eure Kulturbeiträge momentan? Dreht Ihr noch?
Wir Kulturredakteurinnen arbeiten zurzeit, so weit es möglich ist, von zuhause aus. Die Inhalte besprechen wir mit unseren Chefs vom Dienst und der Ressortleitung online, am Telefon oder auch vor Ort in der Redaktion. Wir drehen und schneiden noch, aber weit weniger als früher. Einige Interviews entstehen via Skype. Ein Kurs, den ich mal beim ORF gemacht habe, „Drehen mit dem iPhone“, hilft mir gerade sehr, den Interviewpartnerinnen gute Tipps zu geben, wenn sie ein paar Szenen aus ihrem Alltag zuhause filmen wollen: Telefon quer halten – ja, das muss man immer wieder erwähnen Flugmodus aktivieren, passende Qualität einstellen, keine Schwenker, Autofokus aus und so weiter ...
„Die Frage ist, wer lässt sich noch vor der Kamera interviewen?“
Wie geht Ihr mit der Situation um, wenn Ihr im ORF-Zentrum anwesend sein müsst?
Wenn wir Journaldienst haben, wird unsere Temperatur am Eingang zum ORF-Zentrum gemessen. Wir haben klare Dienstanweisungen, wie wir uns verhalten müssen. Wir drehen zwar noch in kleinen Teams, allerdings mit einem Angelmikro und viel Abstand zu den Interviewten – und mit Folien um die Mikros. Wir sitzen auch noch im Schneideraum. Die Frage ist ja eher, wer lässt sich noch vor der Kamera interviewen? Über 60-Jährige lehnen das momentan aus gutem Grund eher ab.
„Wir wissen ja nicht einmal, ob wir von den nächsten Wochen, Monaten oder bis Jahresende reden.“
Ihr sitzt zum Cutten noch immer in einem kleinen Schneideraum und fahrt gemeinsam im Teambus zum Dreh?
Zum Dreh fahre ich inzwischen lieber alleine mit dem Taxi. Im Schneideraum halten wir genügend Abstand, anders geht es leider nicht. Im ORF-Zentrum arbeiten mehr als 1.000 Menschen, im Moment verläuft es sich aber sehr.
Wenn es keine Kulturveranstaltungen mehr gibt, worüber berichtet Ihr auf lange Sicht? Werden Euch mit der Zeit nicht langsam die Ideen ausgehen, wenn keine Ausstellungen mehr eröffnet werden, kein Buch veröffentlicht wird und kein Film mehr in die Kinos kommt?
Wir berichten derzeit über die Situation, wie sich alles verändert hat, wer online ausstellt und performt, welche digitalen Initiativen es gibt, aber natürlich stehen wir vor der großen Frage, was die nächsten Themen sein werden. Literaturbeiträge können noch leichter für das Fernsehen gestaltet werden. Ich berichte hauptsächlich über Kunst, Architektur und Mode, das ist schon komplizierter. Aber selbst da entwickeln sich gerade spannende Dinge. Die „Stadt der kurzen Wege“, sprich eine Stadt mit guter, fußläufiger Infrastruktur, aber auch Begriffe wie „slow Fashion“, also lokal und fair produzierte Mode, gewinnen jetzt an Bedeutung. Wir finden also genügend alternative Themen, wissen jedoch nicht, ob wir von den nächsten Wochen, Monaten oder bis Jahresende reden.
Noch machen wir Beiträge, natürlich weniger als zuvor, aber der „kulturMontag“ ist weiterhin voll. Es geht jetzt vor allem darum, was einzelne Kulturschaffende über die Situation denken, welche gesellschaftlichen Auswirkungen die Krise hat, wenn Menschen einander nicht mehr begegnen können. Und natürlich darum, wie viele Künstlerinnen jetzt überhaupt von ihrer Arbeit leben können. Ihnen gehört gerade unsere ganze Sorge.
„Es wird sich nach dieser Pandemie sehr viel verändern, auch im Kulturbereich.“
Wird sich die Welt nach Corona auch im Kulturbereich ändern?
Ich interviewe ja seit drei Jahren für ein privates Langzeitprojekt die Kinder der Volksschulklasse meines Sohnes. Mich interessiert, was sie denken, was sie mal werden wollen, was ihre Träume sind und so weiter. Bisher wollten sie YouTuber, Astronautinnen und natürlich Fußballstars werden. Vielleicht wollen sie nach dieser Krise eher Karrieren als Virologinnen und Ärzte anstreben.
Ich glaube, es wird sich nach dieser Pandemie sehr viel verändern, auch im Kulturbereich. Geht man in Zukunft noch ohne Angst ins Theater, auf ein Konzert oder zu einer Vernissage? Wie gestaltet man, vor allem öffentliche, Räume nach dieser Krise? Erkennen wir endlich, dass es sinnvoll ist, lokale Anbieterinnen zu unterstützen? Entsteht eine neue Solidarität, weil wir wissen, dass wir alle im gleichen Boot sitzen? Eines ist sicher: Vor dem Virus sind wir alle gleich, egal, wie dick die Geldtasche ist!
Du liest ja sehr viel – was liegt gerade auf Deinem Nachtkasterl?
Jetzt ist es an der Zeit, angefangene Bücher fertig zu lesen. „Das geheime Leben der Bäume“, wurde mittlerweile auch verfilmt, finde ich total spannend. Wie sich die Bäume gegenseitig helfen – eine passende Analogie zur jetzigen Situation.
Romane zu lesen schaffe ich selten, weil ich berufsbedingt dauernd irgendwas recherchieren muss. Ein Buch, an das ich gerade sehr viel denken muss, ist „Die Arbeit der Nacht“ von Thomas Glavinic. Ein Mensch entdeckt, dass er das einzige Lebewesen auf der Welt ist. Die Bücher, die ich in den letzten Ferien lesen konnte, waren „Tyll“ von Daniel Kehlmann und „Königin der Berge“ von Daniel Wisser. Großartige Romane, die mich total gefesselt haben. Es werden ganz unterschiedliche Geschichten erzählt, aber beide Bücher handeln von Menschen, die sich den Widrigkeiten der Welt stellen, im Krieg wie in der Krankheit, mit Ironie und ohne Selbstmitleid, dabei glasklar den Dingen ins Auge sehend. Was Menschen doch alles überstehen und verkraften können ...
In diesem Sinne. Danke für das Gespräch!
Nicola Eller wurde 1971 in Innsbruck geboren. Sie lebt in Wien, wo sie Kommunikations- und Theaterwissenschaft sowie Publizistik studiert hat. Seit 1998 arbeitet sie als Fernsehredakteurin mit Schwerpunkt Architektur, Design und Mode in der Kulturredaktion des ORF. Sie ist Autorin des Kinderbuchs Bröckel und die Nus und des gleichnamigen Kindertheaterstücks. Inspiration hierfür war ihr Sohn, eine Fortsetzung ist geplant – vielleicht ist nun endlich Zeit dazu.