Lang lebe Print!
Das gedruckte Wort ist tot. Das gedruckte Bild sowieso. Marlene Obermayer ist ein Bücher-Freak, die das nicht akzeptieren will und sie ist das, was man eine Macherin nennt. In einer "One-Woman-Show" organisiert sie gerade Österreichs erste Kunstbuchmesse, die Vienna Art Book Fair #1, an der Universität für angewandte Kunst Wien, wo man der Independent-Publishing-Szene mit ihren allseits unterschätzten Druckwerken von 4. bis 6. Oktober 2019 eine lang ersehnte Bühne bietet. Das C/O Vienna Magazine ist mit der druckfrischen Print-Ausgabe "The Beauty Issue" natürlich auch mit dabei!
„Bei glatten Otto-Katalog-Oberflächen stellt es mir alle Haare auf.“
Viktoria Kirner: Ich bin eine Laiin! Was ist der Unterschied zwischen Kunst- und Künstlerbuch?
Marlene Obermayer: Faustregel Nummer eins: Ist etwas eigens für ein Buch gestaltet und nicht etwa im Rahmen einer Ausstellung ergänzend als Druck publiziert – so wie ein klassischer Ausstellungskatalog – dann ist das ein Künstlerbuch. Das können Zines, Editionen, aber auch Fotobücher sein. Gibt es von einem Künstlerbuch nur ein Exemplar, ist es als Unikat natürlich dementsprechend teuer. Mich interessiert aber jenes Künstlerbuch, von dem es eine größere Auflage gibt. Dann spricht man vom Künstlerbuch als „demokratisches Kunstwerk“.
„Manchmal gibt es einfach keine tiefgründige Message.“
Demokratisch also, weil für eine breitere Masse zugänglich. 30 bis 40 Euro für ein Buch kann sich aber nicht jede leisten. Künstlerbücher sprechen vorrangig einen exklusiven Kreis an, oder?
Eine Künstlerbuch-Edition ist für mich auf jeden Fall gleichwertig mit einem Kunstwerk, das man an die Wand hängt. So gesehen sind 30 oder 40 Euro für Kunst ein Schnäppchen. Außerdem ist die unsere Vienna Art Book Fair für Besucherinnen gratis, das ist mir enorm wichtig. Alle sollen kommen können. Und ich lege großen Wert auf faire Preise und niedrige Standgebühren. Der Fokus liegt ja auf „Small Presses“, also auf kleinen Verlagen und Labels, die maximal zehn Bücher pro Jahr herrausgeben, oder Künstlerinnen, die selbst publizieren – für diese ist die Teilnahme teilweise kostenlos.
Künstlerbücher sind oft sehr komplex und aufwendig gestaltet. Manchmal bräuchte man vorher eigentlich eine Anleitung, um die Grafiken richtig zu deuten. Muss ein gutes Künstlerbuch per se sperrig sein?
Ein Künstlerbuch soll und muss gar nichts. So wie Kunst auch gar nichts muss. Ich kann von einem Gemälde tief berührt sein, ohne dass ich weiß, was ich mir da eigentlich anschaue. Auch ein Künstlerbuch kann irgendwas mit mir machen, obwohl ich es gar nicht verstehe. Und selbst wenn es mich deshalb wütend macht, hat es seinen Zweck irgendwie erfüllt. Dauernd alles wissen oder analysieren zu müssen, ist etwas so typisch Österreichisches. Manchmal gibt es einfach keine tiefgründige Message. Gerade das ist manchmal das Humorvolle an Künstlerbüchern.
Was fasziniert Dich so am Haptischen und am Analogen?
Ich liebe raue Oberflächen. Bei so billig produzierten, glatten Otto-Katalog-Oberflächen stellt es mir alle Haare auf. Ich mag es, wenn es sich wie Zeitungspapier oder ein Telefonbuch anfühlt. Meine Finger sind da vielleicht etwas geschulter oder haptisch sensibler als andere. In meinen sieben Jahren in der mumok-Bibliothek habe ich rund 6.000 verschiedene Bücher und Editionen in meinen Händen gehalten. Dass etwas wertvoll ist, spüre ich seitdem, bevor ich es überhaupt sehe.
„Das Buch ist tot? – Da kann ich nur lachen.“
Wir konsumieren Informationen heutzutage fast nur noch online und sind kontinuierlich digital reizüberflutet. Darunter leidet unsere Aufmerksamkeitsspanne. Braucht es die Rückkehr zum analogen Medium vielleicht als eine Art "Digital Detox"?
Definitiv! Analoge Bücher haben etwas sehr Beruhigendes. Gerade Künstlerbücher bergen oft so viele versteckte Botschaften, besitzen subtilen Humor, sind sehr politisch und vielschichtig. Diese Schichten freizulegen, sich von einem Thema komplett einfangen zu lassen, das entspannt mich. Und ich glaube, dass es nicht nur mir so geht. Ich bin regelmäßig auf der New York Art Book Fair, die pro Wochenende 40.000 Besucherinnen zählt. Wenn zu mir also jemand sagt: „Das Buch ist tot“ – da kann ich nur lachen.
Online muss alles möglichst catchy, kompakt und leicht konsumierbar sein. Würden komplexe künstlerische Themen online aufbereitet vielleicht gar nicht funktionieren?
Tatsächlich gibt es die sogenannte Internet Art Book Fair, ein Projekt von Leah Mackin, das ein webbasiertes Ausstellungs- und Publishing-Experiment ist und der Frage nachgeht, ob Inhalte eines Künstlerbuches auf einer interaktiven Website genauso gut transportieren werden können …
... und können sie?
Speziell beim Künstlerbuch spielt das Haptische eine immens wichtige Rolle. Digital würde viel zu viel verloren gehen. Das gilt meiner Meinung nach für viele Bücher. Claudia de la Torre hat beispielsweise in Books you cannot read on a Kindle eine Auflistung gemacht. Da sind Bücher wie „Die Unendliche Geschichte“ dabei. Es wäre unvorstellbar für mich, dieses Buch auf einem Kindle zu lesen.
Hast Du einen Kindle?
Ja, ich verwende ihn aber nur für 700-Seiten-Wälzer.
Wie hält man die Aufmerksamkeitsspanne in einem Kunstbuch aufrecht? Gibt es da Tricks?
Je mehr Sinne gefordert sind, desto besser. Gerade mit Papiersorten und -stärken lässt sich sehr gut experimentieren. Aber auch mit duftenden Drucksorten, faltbaren Einbänden und so weiter. Viele wissen gar nicht, was im Bereich „Design Papers“ alles möglich ist. Ich habe beispielsweise das Künstlerbuch „Scratch“ von Christian Boltanski zu Hause, das man komplett aufrubbeln muss. Was ich bisher aber nicht übers Herz gebracht habe – es ist zu schön!
Oh je, bist Du dann auch so jemand, die keine Eselsohren in Bücherseiten macht?
Bei meinen Künstlerbüchern auf keinen Fall! Diese Leute sind mir suspekt! Ich behandle meine wertvollen Bücher aber auch nicht wie rohe Eier – und ganz wichtig: Ich benutze keine Baumwollhandschuhe, die finde ich ganz schrecklich. Bei Kunsttheoriebänden kann es schon vorkommen, dass ich reinschreibe unterstreiche und Eselsohren mache.
„Baumwollhandschuhe finde ich ganz schrecklich!“
Was war das erste Buch, das Du je gelesen hast?
„Die Möwe Jonathan“! Oh nein, warte – das allererste war „Die Geschichte von der weißen Maus“ (Anm.: Text von Eva Lachner, Illustriert von Karin Welz, 1988). Die Illustrationen im Buch sind großartig, besonders die von der Maus. "Das kleine Klementinchen" habe ich als Kind versucht immer wieder nachzuzeichnen. Es ist schon komplett zerfleddert, die Seiten purzeln darin herum, aber ich liebe es. Es ist schon ein Dutzend Mal mit mir übersiedelt.
Du liebst Bücher, die Arbeit in Archiven und Bibliotheken, das gedruckte Wort. Warum fasziniert Dich explizit das Künstlerbuch so?
Kennst Du „Twentysix Gasoline Stations“ von Ed Ruscha? Dieses Werk hat mich nachhaltig geprägt. Als ich dann mit meinen Recherchen zu den Themen „Independent Publishing“ und „Kunstbuch/Künstlerbuch“ begonnen habe, bin ich vor allem in die Publikationen aus den späten 60ern und 70ern reingekippt und auf die Quasi-Urmütter der Independent-Publishing-Szene, Printed Matter, Inc., aus Amerika gestoßen, deren Arbeit mich immens fasziniert hat.
„Es ist wichtig, dass diese komplexe Kunst endlich eine eigenständige Würdigung erfährt.“
Die weltweit erste Kunstbuchmesse war die Editions/Artists’ Book Fair 1998 in New York. Nimmt sich die Vienna Art Book Fair diese zum Vorbild?
Mein Vorbild ist die NY Art Book Fair, die von Printed Matter, Inc. seit 2006 veranstaltet wird. Die Vienna Art Book Fair wird im gleichen Format gestaltet sein – ich habe es sogar geschafft, dass Printed Matter, Inc., Primary Information und Half Letter Press/Temporary Services nach Wien kommen. Es ist immens wichtig, diese guten Leute, die in den USA seit Jahrzehnten wissen, wie es geht, nach Österreich zu holen.
In Wien gibt es seit 2006 den "Salon für Kunstbuch" als einzige Kunstbuchhandlung dieser Art in Österreich, während in den USA und in anderen Teilen Europas der Kunstbuchhandel boomt. Seit 1998 gibt es Kunstbuchmessen überall auf der Welt. Warum hat es 20 Jahre gedauert, bis das in Österreich jemanden interessiert hat?
Teilweise deshalb, weil die Sparte in Österreich lange Zeit bei Ausstellungen und Kunstmessen eine Art Nebenerscheinung oder ein gratis Nebenprodukt war, häufig hat man es einfach dazu geschenkt. Das hat den Wert natürlich gedrückt. Unzählige Leute haben mich im Zuge der Organisation gefragt, warum ich meine Messe nicht mit einer gängigen Kunstmesse zusammenlege, der viennacontemporary zum Beispiel. Finanziell wär das sicherlich einfacher. Aber genau das ist der Punkt: Das Künstlerbuch, die kleinen Verlage und die Independent-Publishing-Szene haben es verdient, ein eigenes Wochenende und eine eigene Plattform zu bekommen. Es ist wichtig, dass diese komplexe Kunst endlich eine eigenständige Würdigung erfährt.
Künstlerbücher von kleinen Verlagen oder die, die von Künstlerinnen selbst publiziert wurden, haben meist keine ISBN. Bernhard Cella, Gründer des "Salon für Kunstbuch" organisiert die Bücher in seinem Geschäft nicht etwa nach Themen, sondern nach Farben. Warum? So findet man ja nie, was man sucht.
Die Idee entstand 2012 aus der Serie der sogenannten „Anarchive“. Laut Cella entstand die Sortierung als Reaktion auf das Fragen des Publikums beim Betreten des Salons wie „Wo ist die Theorie?“, „Wo sind die Bücher mit Zeichnungen?“. Primär will er durch die Ordnung nach Farben erreichen, dass Leute auch auf Bücher stoßen, die sie sonst nie gefunden hätten. Die Menschen sollen so zu einer Art „Out of the box“-Denken bewegt werden, so wie durch das Künstlerbuch. Es geht ein bisschen darum, es auf sich zukommen zu lassen. Wer in eine konventionelle, gut sortierte Buchhandlung will, der muss eben zur Buchhandlung Walther König im MQ gehen.
„Nein, ich erwarte kein klassisches Galerie-Publikum.“
Wie sehen die Besucherinnen der Vienna Art Book Fair aus? Erwartest Du das typische Vernissagen-Publikum?
Nein, ich erwarte kein klassisches Galerie-Publikum, eher junges Publikum, Kunst- und Kulturschaffende.
Ihr habt eine sehr minimalistische Corporate Identity, Absicht, schätze ich.
Bei der Plakatproduktion hat mich hat sogar die Druckerei angerufen und gefragt, ob das Absicht ist. Ja, ist es. Die Corporate Identity stammt vom jungen Konzeptkünstler Ulrich Nausner, der beim Erscheinungsbild mit der Wirkung des Negativraums spielt. Wenn jemand also ein scheinbar leeres Poster von der Vienna Art Book Fair sieht: Don’t panic, geht einfach auf viennaartbookfair.com, dort bekommt man alle Infos!
Danke für das Gespräch!
Am 5. Oktober 2019, um 14 Uhr sind in der Akademie der bildenden Künste im Rahmen des departure panel: HOW TO INDIE MAGAZINE vier Wiener Magazinmacherinnen auf dem Podium: C/O VIENNA MAGAZINE (Antje Mayer-Salvi), Are We There Yet Magazine (Rebecca Balogh, Rebecca Russell), das Wien Lebt Magazin (Daniel Kalkhofer) und das Auslöser Magazin, deren Gründer Sebastian Gansriegler die Diskussion moderiert.
Nähere Informationen und das volle Programm zur Vienna Art Book Fair #1 findet ihr hier!
Zur Website von „Das Kunstbuch“ geht’s hier!